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Foto: picture alliance / agrarmotive | Klaus-Dieter Esser

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP liegt vor. PRO ASYL stellt die wichtigsten flüchtlingspolitischen Punkte vor. Neben wichtigen Verbesserungen beim Familiennachzug und Bleiberecht wird von den Koalitionspartnern aber auch einmal mehr auf eine »Rückkehroffensive« und Kooperationen mit Drittstaaten gesetzt.

Nach inten­si­ven Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wur­de am 24. Novem­ber 2021 von den Spit­zen von SPD, Grü­nen und FDP der Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­stellt. Die Erst­ana­ly­se zum Flucht­be­reich zeigt: Für vie­le Men­schen in Deutsch­land kann es jetzt zu kon­kre­ten Ver­bes­se­run­gen kom­men, weil der Fami­li­en­nach­zug ver­bes­sert, Arbeits­ver­bo­te abge­schafft und Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen ver­ein­facht wer­den sollen.

Doch gleich­zei­tig weist der Koali­ti­ons­ver­trag an eini­gen Punk­ten bedenk­li­che Leer­stel­len auf. So wird zwar das Kon­zept der AnkER-Zen­tren auf­ge­ge­ben, aber eine ent­spre­chend not­wen­di­ge Absen­kung der maxi­ma­len Auf­ent­halts­zeit in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen wur­de nicht fest ver­ein­bart. Auch beim The­ma Abschie­bun­gen wird kei­ne der vie­len Ver­schär­fun­gen und Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jah­re auch nur kri­tisch erwähnt, etwa die erhöh­ten Anfor­de­run­gen an Attes­te, die die Abschie­bung von kran­ken und trau­ma­ti­sier­ten Men­schen ermög­li­chen oder die immer stär­ker aus­ge­wei­te­te Abschie­bungs­haft (für eine Über­sicht der vor­ge­se­he­nen Ände­run­gen in Deutsch­land sie­he wei­ter unten).

Die Zukunft des Flücht­lings­schut­zes ent­schei­det sich nicht in Deutsch­land, son­dern an den euro­päi­schen Außengrenzen.

Bekenntnis zu Rechtsstaat und Menschenrechten in Europa – aber was folgt in der Praxis?

Die Zukunft des Flücht­lings­schut­zes ent­schei­det sich aber nicht in Deutsch­land, son­dern auf den ägäi­schen Inseln, im Mit­tel­meer sowie an den pol­ni­schen, kroa­ti­schen und grie­chi­schen Land­gren­zen. Wenn ille­ga­le Zurück­wei­sun­gen – soge­nann­te  Push­backs – an die­sen Gren­zen wei­ter­ge­hen, dann haben auch natio­na­le Ver­bes­se­run­gen nur begrenz­te Wirkung.

»Wir set­zen uns ein für eine EU, die ihre Wer­te und ihre Rechts­staat­lich­keit nach innen wie außen schützt und ent­schlos­sen für sie ein­tritt« (S. 131). Die­ses wich­ti­ge – und lei­der in der EU nicht mehr selbst­ver­ständ­li­che – Bekennt­nis steht zu Beginn des Euro­pa­ka­pi­tels, das auch einen eige­nen Teil zur Rechts­staat­lich­keit hat. Wie stark in die­sem Bereich die Wer­te der EU ero­diert sind, lässt sich im Migra­ti­ons­be­reich schon lan­ge beob­ach­ten und wird aktu­ell in einem fast täg­lich neu eska­lie­ren­den Kon­flikt zur Unab­hän­gig­keit der pol­ni­schen Jus­tiz beson­ders deut­lich. Eine kla­re­re Hal­tung der deut­schen Bun­des­re­gie­rung hier­zu ist sehr wichtig.

Im Kapi­tel zu Inte­gra­ti­on, Migra­ti­on und Flucht wird bekennt sich  die Ampel dann auch zur »huma­ni­tä­ren Ver­ant­wor­tung und den Ver­pflich­tun­gen, die sich aus dem Grund­ge­setz, der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK), der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) und dem Euro­pa­recht erge­ben« (S. 138). Fol­ge­rich­tig will die Ampel »die ille­ga­len Zurück­wei­sun­gen und das Leid an den Außen­gren­zen been­den« (S. 141) – wie dies gesche­hen soll bleibt aber offen. Hier wird es ent­schei­dend auf das Han­deln des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums ankommen.

Letzt­lich wird sich erst noch zei­gen, ob SPD, Grü­ne und FDP auch bereit sein wer­den, emp­find­li­che Maß­nah­men – wie die Ein­stel­lung von finan­zi­el­ler und logis­ti­scher Unter­stüt­zung von ande­ren Mit­glied­staa­ten bei Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen an den Gren­zen – zu ergrei­fen, um die von ihnen benann­ten Men­schen­rechts­stan­dards durchzusetzen.

Ange­sichts von kaum exis­tie­ren­den regu­lä­ren Flucht­rou­ten sind auch Schutz­su­chen­de auf irre­gu­lä­re Rou­ten angewiesen.

Mal wieder: Kooperation mit Drittstaaten 

Die Ampel-Koali­ti­on beschwört in ihrem Pro­gramm einen »Neu­an­fang in der Migra­ti­ons- und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik«. Doch als eins der ers­ten Zie­le wird dann die Redu­zie­rung von irre­gu­lä­rer Migra­ti­on genannt. Das Pro­blem: Ange­sichts von kaum exis­tie­ren­den regu­lä­ren Flucht­rou­ten, sind auch Schutz­su­chen­de auf irre­gu­lä­re Rou­ten ange­wie­sen. Das wird in der Pra­xis nicht durch neue huma­ni­tä­re Visa aus­ge­gli­chen wer­den kön­nen, die der Koali­ti­ons­ver­trag auch vor­sieht (S. 142) – so rich­tig und wün­schens­wert die­se auch sind.

Außer­dem wird – wie­der ein­mal – ins­be­son­de­re auf Koope­ra­tio­nen mit Dritt­staa­ten gesetzt. Es soll sogar einen neu­en Son­der­be­voll­mäch­tig­ten der Bun­des­re­gie­rung für Migra­ti­ons­ab­kom­men geben. Die­se sol­len streng von der Ent­wick­lungs­zu­sam­men­ar­beit getrennt wer­den und nur unter Beach­tung men­schen­recht­li­cher Stan­dards geschlos­sen wer­den – wich­ti­ge Kri­te­ri­en, wie streng die­se zukünf­tig gehand­habt wer­den, wird der Knack­punkt sein.

Auf­hor­chen lässt fol­gen­der Satz, der eine pro­ble­ma­ti­sche Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes zur Fol­ge haben könn­te: »Wir wer­den hier­für prü­fen, ob die Fest­stel­lung des Schutz­sta­tus in Aus­nah­me­fäl­len unter Ach­tung der GFK und EMRK in Dritt­staa­ten mög­lich ist« (S. 141). Gleich­zei­tig steht aber auch im Koali­ti­ons­ver­trag, dass alle Asyl­an­trä­ge inhalt­lich in der EU geprüft wer­den müs­sen (S. 141) – also nicht wie im Rah­men des EU-Tür­kei Deals als unzu­läs­sig abge­lehnt wer­den, um die Men­schen in Dritt­staa­ten abzu­schie­ben. An die­sem letz­ten Punkt wer­den zukünf­ti­ge Koope­ra­tio­nen zu mes­sen sein.

Keine Lösungen für aktuelle Missstände im europäischen Asylsystem

Eine pro­ble­ma­ti­sche Lücke im Koali­ti­ons­ver­trag ist zudem, dass es zwar Aus­sa­gen dazu gibt, wie ein euro­päi­sches Asyl­sys­tem aus­se­hen soll­te – aber nicht dazu, wie man mit den aktu­el­len Miss­stän­den, zum Bei­spiel für Asyl­su­chen­de und Schutz­be­rech­tig­te in Grie­chen­land, umge­hen wird. Ein Bekennt­nis, nicht in inner­eu­ro­päi­sches Elend abzu­schie­ben und den Men­schen statt­des­sen hier Schutz zu geben, fehlt. Statt­des­sen wird von einem »Miss­brauch der visa­frei­en Rei­se« und der Redu­zie­rung von Sekun­där­mi­gra­ti­on gespro­chen (S. 142). Dies bezieht sich wohl auf die in Grie­chen­land aner­kann­ten Flücht­lin­ge, denen dort Obdach­lo­sig­keit und ein Leben im Elend droht und die des­we­gen kei­nen ande­ren Aus­weg sehen, als Schutz in einem ande­ren Mit­glied­staat wie Deutsch­land zu suchen.

Vie­le sit­zen schon mona­te­lang in AnkER-Zen­tren und ande­ren Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen, weil ihre Asyl­an­trä­ge nicht ent­schie­den wer­den – denn nur so kann sich das BAMF die Tür für eine Rück­füh­rung nach Grie­chen­land aktu­ell noch offen halten.

Im Koali­ti­ons­ver­trag wer­den ver­schie­de­ne rich­ti­ge Punk­te für eine neue euro­päi­sche Flücht­lings­po­li­tik genannt – von fai­rer Ver­ant­wor­tungs­tei­lung bis zu euro­päi­scher See­not­ret­tung – doch letzt­lich ist aktu­ell offen, wie die Zie­le auf euro­päi­scher Ebe­ne erreicht wer­den sollen.

Familien gehören zusammen! Koalitionsvertrag verspricht Verbesserung

Eine zen­tra­le For­de­rung von PRO ASYL, ande­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen und Betrof­fe­nen im Wahl­kampf war, dass end­lich die gesetz­li­chen und prak­ti­schen Hür­den für den Fami­li­en­nach­zug abge­schafft wer­den müssen.

Unter der Gro­ßen Koali­ti­on war der Fami­li­en­nach­zug für soge­nann­te sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te – z.B. vor dem Bür­ger­krieg in Syri­en oder aus Eri­trea geflo­he­ne Men­schen – von 2016 bis 2018 kom­plett aus­ge­setzt wor­den und 2018 dann in ein Gna­den­recht ver­wan­delt wor­den. Jeden Monat durf­ten nur 1.000 Visa für den Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten ver­ge­ben werden.

Jetzt steht im Koali­ti­ons­ver­trag: »Wir wer­den die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu sub­si­di­är Geschütz­ten mit den GFK-Flücht­lin­gen gleich­stel­len« (S. 140). So war die Geset­zes­la­ge auch 2015 bereits und muss jetzt ent­spre­chend ange­passt werden.

Bis­lang wur­den Fami­li­en durch die Regeln zur Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung nach Deutsch­land oft erneut zer­ris­sen, da min­der­jäh­ri­ge Geschwis­ter nicht mit den Eltern zum in Deutsch­land leben­den Kind ein­rei­sen durf­ten. Eine absur­de Situa­ti­on! Auch dies soll nun gesetz­lich geän­dert wer­den: »Wir wer­den beim berech­tig­ten Eltern­nach­zug zu unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen die min­der­jäh­ri­gen Geschwis­ter nicht zurück­las­sen« (S. 140).

Grund­sätz­lich hält der Koali­ti­ons­ver­trag fest, dass » die Visa­ver­ga­be beschleunig[t] und ver­stärkt digitalisier[t]« wer­den soll (S. 138) – das ist auch für den Fami­li­en­nach­zug essen­ti­ell, denn an vie­len Aus­lands­ver­tre­tun­gen müs­sen Ange­hö­ri­ge von Schutz­be­rech­tig­ten schon mehr als ein Jahr war­ten, bis sie über­haupt einen Ter­min zur Antrag­stel­lung haben.

Aufnahme aus Afghanistan wird weitergehen!

Eine wich­ti­ge Zusa­ge im Koali­ti­ons­ver­trag: Es wird ein huma­ni­tä­res Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm für Afgha­ni­stan geben (S. 142)! Ein sol­ches Pro­gramm ist drin­gend not­wen­dig, fal­len doch vie­le akut gefähr­de­te Afghan*innen nicht unter die ein­ge­schränk­te Defi­ni­ti­on von Orts­kräf­ten oder wur­den trotz kla­rer Gefähr­dung nicht für die geschlos­se­ne Lis­te von Menschenrechtsverteidiger*innen berück­sich­tigt. Auch soll­ten bei einem sol­chen Pro­gramm Ange­hö­ri­ge von in Deutsch­land leben­den Per­so­nen berück­sich­tigt wer­den, da die Tali­ban teils gezielt nach Men­schen mit Ver­wand­ten im west­li­chen Aus­land suchen.

Der Koali­ti­ons­ver­trag ver­spricht zudem die Auf­nah­me von Orts­kräf­ten und ihren engs­ten Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zu ver­ein­fa­chen (S. 142).

Was ändert sich noch für geflüchtete Menschen in Deutschland?

Für sich bereits in Deutsch­land auf­häl­ti­ge Men­schen wer­den ver­schie­de­ne wich­ti­ge Ver­bes­se­run­gen ver­ab­re­det, nach­dem in den letz­ten Jah­ren das Asyl- und Auf­ent­halts­recht immer wei­ter ver­schärft wur­de. Doch es gibt auch pro­ble­ma­ti­sche Lücken.

Für Asylsuchende:

  • Unter­brin­gung: Das Kon­zept der AnkER-Zen­tren, das unter der Gro­ßen Koali­ti­on aus Bay­ern in ande­re Bun­des­län­der expor­tiert wur­de, soll »nicht wei­ter­ver­folgt« wer­den (S. 140). Was aller­dings nicht fest­ge­hal­ten wird: Das Kon­zept basiert maß­geb­lich auf der Aus­wei­tung der Auf­ent­halts­zeit in den Erst­auf­nah­me­ei­ne­rich­tun­gen auf 18 Mona­te. Des­we­gen hat­ten vie­le Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen eine Absen­kung die­ser Unter­brin­gung auf vier Wochen oder min­des­tens – wie bis 2015 Rechts­la­ge – auf maxi­mal drei Mona­te gefor­dert. Eine sol­che Absen­kung sieht der Koali­ti­ons­ver­trag nicht vor, obwohl dies fol­ge­rich­tig wäre.
  •  Behör­den­un­ab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung: Mit dem »Hau-Ab-Gesetz II« wur­de 2019 eine Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung durch das BAMF ein­ge­führt, die nur optio­nal eine Ergän­zung durch unab­hän­gi­ge Berater*innen vor­sah. Eine sol­che unab­hän­gi­ge Bera­tung soll laut dem Koali­ti­ons­ver­trag flä­chen­de­ckend ein­ge­führt wer­den (S. 140) – ein wich­ti­ger Fort­schritt, der drin­gend nötig ist ange­sichts der Viel­zahl von Fehl­ent­schei­dun­gen des BAMF.
  • Über­ar­bei­tung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes: Das umstrit­te­ne Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz soll » im Lich­te der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts weiterentwickel[t]« wer­den (S. 140). Was das genau bedeu­tet bleibt abzu­war­ten – denn die kon­se­quen­te Umset­zung der Recht­spre­chung wäre die Abschaf­fung des dis­kri­mi­nie­ren­den Son­der­leis­tungs­re­gimes. Immer­hin: die Gesund­heits­vor­sor­ge soll unbü­ro­kra­ti­scher erfol­gen. Eine Gleich­stel­lung ist damit aber nicht erreicht.
  • Kei­ne Arbeits­ver­bo­te: Bis­lang dür­fen Asyl­su­chen­de in den ers­ten neun Mona­ten wäh­rend der Unter­brin­gung in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen nicht arbei­ten. Dies muss nun aus dem Gesetz gestri­chen wer­den denn im Koali­ti­ons­ver­trag steht: »Arbeits­ver­bo­te für bereits in Deutsch­land Leben­de schaf­fen wir ab«.
  • Inte­gra­ti­ons­kur­se für alle: Inte­gra­ti­ons­kur­se sol­len für alle von Anfang an ste­hen, womit die pro­ble­ma­ti­sche Unter­schei­dung von »guter und schlech­ter Blei­be­per­spek­ti­ve« – die bis­lang aus­schlag­ge­bend ist – hin­fäl­lig wird (S. 139).

Für Schutzberechtigte:

  • Abschaf­fung anlass­lo­ser Wider­rufs­über­prü­fun­gen: Bis­lang sieht das Gesetz vor, dass stets inner­halb von 3 Jah­ren eine Wider­rufs- bzw. Rück­nah­me­prü­fung statt­fin­den muss, unab­hän­gig davon, ob es über­haupt einen Anlass gibt. Die Betrof­fe­nen ver­un­si­chert dies zutiefst. Das BAMF führ­te in den letz­ten Jah­ren mehr sol­cher Ver­fah­ren durch als Asyl­ver­fah­ren, es wird aber stets nur ein klei­ner Teil letzt­lich wider­ru­fen. Die Strei­chung der anlass­lo­sen Über­prü­fung (S. 139) legt not­wen­di­ge Kapa­zi­tä­ten für das BAMF frei, sich auf sei­ne Kern­auf­ga­be – die Durch­füh­rung von Asyl­ver­fah­ren – zu kon­zen­trie­ren und erspart Sor­gen für die bis­lang von anlass­lo­sen Wider­rufs­prü­fun­gen Betroffenen.
  • Ver­bes­se­run­gen beim Fami­li­en­nach­zug (s.o.)

Die »Dul­dung Light« wird abge­schafft, doch die Kon­se­quen­zen bleiben!

Für Geduldete:

  • Kei­ne Arbeits­ver­bo­te: Vie­le Gedul­de­te dür­fen oft jah­re­lang nicht arbei­ten. Sämt­li­che Arbeits­ver­bo­te für bereits in Deutsch­land Leben­de sol­len ent­spre­chend der For­mu­lie­rung im Koali­ti­ons­ver­trag nun gestri­chen werden.
  • Abschaf­fung der »Dul­dung Light«: Die Ein­füh­rung der »Dul­dung Light« war eine der zen­tra­len Ver­schär­fun­gen der letz­ten Jah­re, sie soll jetzt gestri­chen wer­den (S. 138) Damit fällt auch das damit ver­bun­de­ne Arbeits­ver­bot weg. Doch die pro­ble­ma­tischs­te Kon­se­quenz der »Dul­dung Light«, näm­li­che die Sper­re zu einem Blei­be­recht, soll für Per­so­nen, denen vor­ge­wor­fen wird, ihre Iden­ti­tät nicht zu klä­ren, bei­be­hal­ten wer­den. Damit könn­te die Strei­chung der »Dul­dung Light« mehr Sym­bol­po­li­tik als wirk­li­che Ände­rung sein.
  • Aus­bil­dungs­dul­dung wird zur Auf­ent­halts­er­laub­nis: Dies ist ein wich­ti­ger Schritt für einen funk­tio­nie­ren­den Spur­wech­sel und wird den Betrof­fen – sowie den Betrie­ben – mehr Rechts­si­cher­heit geben.
  • Ver­bes­se­rung bei der Beschäf­ti­gungs­dul­dung: Ganz so weit wie bei der Aus­bil­dungs­dul­dung geht der Koali­ti­ons­ver­trag bei der Beschäf­ti­gungs­dul­dung nicht, aber die Rege­lung soll ent­fris­tet wer­den und die sehr hohen Anfor­de­run­gen »rea­lis­tisch und pra­xis­taug­li­cher« gefasst wer­den (S. 138). Wie die­se Ände­run­gen genau aus­se­hen wer­den bleibt abzuwarten.
  • Iden­ti­täts­klä­rung durch Ver­si­che­rung an Eides statt: Für vie­le Men­schen ist es sehr schwie­rig, ihre Iden­ti­tät zur Zufrie­den­heit der Behör­den zu klä­ren –  und wenn sie dies nicht kön­nen wer­den sie sank­tio­niert, z.B. mit Leis­tungs­kür­zun­gen oder mit Arbeits­ver­bo­ten. Hier­zu hält der Koali­ti­ons­ver­trag fest: »Wir wer­den die Klä­rung der Iden­ti­tät einer Aus­län­de­rin oder eines Aus­län­ders um die Mög­lich­keit, eine Ver­si­che­rung an Eides statt abzu­ge­ben, erwei­tern und wer­den hier­zu eine gesetz­li­che Rege­lung im Aus­län­der­recht schaf­fen« (S. 138) Dies könn­te eine wich­ti­ge Erleich­te­rung in der Pra­xis bedeu­ten, wenn es rich­tig aus­ge­stal­tet wird.

Änderungen bei Bleiberecht und bei der Aufenthaltsverfestigung:

  • Neu­es »Chan­cen-Auf­ent­halts­recht« mit Stich­tag: »Men­schen, die am 1. Janu­ar 2022 seit fünf Jah­ren in Deutsch­land leben, nicht straf­fäl­lig gewor­den sind und sich zur frei­heit­li­chen demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung beken­nen, sol­len eine ein­jäh­ri­ge Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be erhal­ten kön­nen, um in die­ser Zeit die übri­gen Vor­aus­set­zun­gen für ein Blei­be­recht zu erfül­len (ins­be­son­de­re Lebens­un­ter­halts­si­che­rung und Iden­ti­täts­nach­weis […])« (S. 138). Da den Begüns­tig­ten mit die­ser Auf­ent­halts­er­laub­nis auf Pro­be die Lebens­un­ter­halts­si­che­rung und der Iden­ti­täts­nach­wei­ses erst ermög­licht wer­den soll, muss die Rege­lung abge­se­hen von den benann­ten Punk­ten im Koali­ti­ons­ver­trag vor­aus­set­zungs­frei gestal­tet wer­den. Ansons­ten wür­de die­se wich­ti­ge Rege­lung leer­lau­fen. Da Men­schen, jah­re­lang mit­tels lebens­all­tags­feind­li­cher Ket­ten­dul­dungs­fris­ten an einer erfolg­rei­chen Arbeits­markt-Inte­gra­ti­on gehin­dert wor­den sind, kann es gera­de unter Coro­na-Bedin­gun­gen schwie­rig wer­den, in einem Jahr die Kri­te­ri­en für ein dau­er­haf­tes Blei­be­recht zu erfül­len – und was pas­siert dann? Wer lan­ge hier lebt muss blei­ben dürfen.
  • Ver­bes­se­rung für gut inte­grier­te Jugend­li­che und Her­an­wach­sen­de (§ 25a Auf­enthG): Anstatt nach vier Jah­ren soll die Rege­lung bereits nach drei Jah­ren Auf­ent­halt in Deutsch­land grei­fen und anstatt nur bis zum 21. Lebens­jahr soll die Rege­lung für Her­an­wach­sen­de bis zum 27. Lebens­jahr grei­fen (S. 138). Das ist eine wich­ti­ge und lang gefor­der­te Neue­rung, da vie­le Jugend­li­che und Her­an­wach­sen­de die not­wen­di­ge Vor­auf­ent­halts­zeit auf Grund ihres Alters bei Ein­rei­se nicht mehr bis zum 21. Lebens­jahr erfül­len konnten.
  • Ver­bes­se­rung bei nach­hal­ti­ger Inte­gra­ti­on (§ 25b Auf­enthG): Die Rege­lung für gut inte­grier­te Erwach­se­ne soll dahin­ge­hend erleich­tert wer­den, dass bereits nach sechs anstatt acht Jah­ren – und bei Fami­li­en mit nach vier anstatt sechs Jah­ren – Auf­ent­halt die Mög­lich­keit auf eine Auf­ent­halts­er­laub­nis besteht (S. 138).
  • Nie­der­las­sungs­er­laub­nis nach drei Jah­ren: Anstatt bis­her nach fünf Jah­ren, soll laut Koali­ti­ons­ver­trag eine Nie­der­las­sungs­er­laub­nis nach drei Jah­ren mög­lich wer­den. Wie auch bei der Ein­bür­ge­rung sol­len aber anschei­nend Ver­schär­fun­gen bezüg­lich Kri­te­ri­en wie der Iden­ti­täts­klä­rung nicht ange­tas­tet wer­den, die in der Pra­xis zu gro­ßen Schwie­rig­kei­ten füh­ren. Dies muss im Lau­fe der Gesetz­ge­bung kon­kre­ti­siert wer­den, zumal bei vie­len lan­ge hier Auf­häl­ti­gen eine Rück­kehr aus­schei­det und sie daher einer auf­ent­halts­recht­li­chen Sicher­heit bedürfen.
  • Ein­bür­ge­rung nach fünf Jah­ren: Die Ein­bür­ge­rung soll in der Regel nach fünf Jah­ren, bei beson­de­ren Inte­gra­ti­ons­leis­tun­gen nach drei Jah­ren mög­lich sein. Bis­lang kommt für Schutz­be­rech­ti­ge eine Ein­bür­ge­rung frü­hes­tens nach sechs Jah­ren recht­mä­ßi­gem Auf­ent­halt bei beson­ders guter Inte­gra­ti­ons­leis­tung in Fra­ge, ansons­ten erst nach acht Jah­ren (§ 10 StAG).

Ein »wei­ter so« bei der har­ten Abschie­bungs­po­li­tik ist zu befürchten!

Änderungen bei Abschiebungen:

  • »Rück­kehr­of­fen­si­ve«: Der Koali­ti­ons­ver­trag ver­spricht eine »Rück­kehr­of­fen­si­ve« und bläst damit ins glei­che Horn wie Mer­kels »natio­na­le Kraft­an­stren­gung« für mehr Abschie­bun­gen (S. 140). Um die­se durch­zu­set­zen wur­den die Geset­ze stark ver­schärft, u.a. was Attes­te angeht und bei der Abschie­bungs­haft. Die Kon­se­quenz die­ser Poli­tik: kran­ke und trau­ma­ti­sier­te Men­schen wer­den abge­scho­ben, Fami­li­en selbst nachts aus dem Bett geholt und Abschie­bungs­haft regel­mä­ßig rechts­wid­rig ver­hängt. Zu all dem ver­lie­ren die Par­tei­en kein Wort – ein »wei­ter so« bei der har­ten Abschie­bungs­po­li­tik ist zu befürch­ten. Auch wird kein Wort zu Abschie­bun­gen in Kriegs- und Kri­sen­län­der – wie Syri­en oder Afgha­ni­stan – ver­lo­ren, obwohl gera­de in dem Bereich ein Bekennt­nis zur Ein­hal­tung der Men­schen­rech­te beson­ders rele­vant gewe­sen wäre.
  • Kei­ne Min­der­jäh­ri­gen in Abschie­bungs­haft: Der Koali­ti­ons­ver­trag sieht end­lich einen expli­zi­ten Aus­schluss von Min­der­jäh­ri­gen in Abschie­bungs­haft vor – men­schen­recht­lich abso­lut erfor­der­lich (S. 140). Aller­dings muss die Rege­lung auch das Flug­ha­fen­ver­fah­ren umfas­sen, das zwar in Deutsch­land nicht als Haft gilt, in dem aber immer wie­der auch Kin­der und Jugend­li­che de fac­to im Tran­sit inhaf­tiert sind.
  • Abschie­be­stopp durch Bun­des­be­hör­de: Bis­lang liegt die Ent­schei­dung über einen Abschie­bungs­stopp bei den Bun­des­län­dern – und die­se sind zum Teil sehr zöger­lich mit die­sem Schritt. Für mehr Ein­heit­lich­keit könn­te eine ent­spre­chen­de Befug­nis auf Bun­des­ebe­ne (S. 140), als Ergän­zung zur Lan­des­ebe­ne, gut sein – wenn sie dann auch wirk­lich genutzt wird. Nach­dem die Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz den Abschie­be­stopp für Syri­en Ende 2020 hat aus­lau­fen las­sen, wären Syri­en und Afgha­ni­stan zwei Län­dern, bei denen eine sol­che neue Bun­des­kom­pe­tenz direkt genutzt wer­den sollte.