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AnkER-Zentren: Drei Jahre Isolation und Ausgrenzung von Asylsuchenden
Vor drei Jahren wurden in Bayern die ersten AnkER-Zentren eröffnet. Doch das Konzept ist gescheitert, die Befürchtungen haben sich bestätigt: AnkER-Zentren sind Orte der Isolation. Ein breites Bündnis fordert mit Blick auf die Bundestagswahl die Abschaffung der Lager und eine neue Art der Aufnahmepolitik.
Vor drei Jahren, am 1. August 2018, begann in Bayern die Ära der AnkER-Zentren. Bayern benannte sieben bisherige Transitzentren oder Erstaufnahmeeinrichtungen um und organisierte sie neu: das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Ausländerbehörden, Justiz, Jugendämter, Arbeitsagentur und andere Stellen sollen zusammen an ein und demselben Ort über die Zukunft der schutzsuchenden Menschen befinden. Ankunft, Entscheidung und kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung sollen gebündelt werden, wie es im Koalitionsvertrag (Seite 107) der Bundesregierung 2017 bis 2021 heißt.
Das Ziel: ein schnelles Verfahren und, bei Ablehnung des Asylantrags, eine schnelle Abschiebung. Dass der Fokus hier offenkundig primär auf den Abschiebungen liegt, hatte PRO ASYL schon vor Eröffnung der Zentren kritisiert.
Bayern machte den Anfang, Sachsen und Saarland folgten. Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Schleswig-Holstein betreiben inzwischen funktionsgleiche Einrichtungen.
Bis 2015 galt noch die Regel, dass die Menschen nicht länger als drei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben müssen.
Auch die Bundesregierung leistete ihren Teil an der Verbreitung des AnkER-Konzeptes, indem sie im Zuge des »Zweiten Hau-Ab-Gesetzes« im Jahr 2019 die Zeit, die Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen verbringen müssen, von sechs auf bis zu 18 Monate verdreifachte. Seit dem »Ersten Hau-Ab-Gesetz« im Jahr 2017 dürfen die Bundesländer den maximalen Zeitraum in der Erstaufnahme sogar auf 24 Monate ausweiten. Zum Vergleich: Bis 2015 galt noch die Regel, dass die Menschen nicht länger als drei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben müssen.
Isolation, Entrechtung und Ausgrenzung
Doch wie auch immer die Massenunterkunft heißt: Die Kritik, die in der Flüchtlingshilfe tätige Organisationen von Anfang an laut äußerten, hat sich leider bewahrheitet. AnkER-Zentren und funktionsgleiche Einrichtungen führen zu Isolation, Entrechtung und Ausgrenzung der dort lebenden Frauen, Männer und Kindern. Sie sind Orte der Kontrolle, der Stigmatisierung und der Gewalt. Manche Asylsuchende beschreiben ihren ersten Eindruck als gefängnisähnlich, so wie dieser Bewohner*: »Das kam mir wie eine Haftanstalt vor, als ob ich in einer Zelle bin.«
Deshalb fordern PRO ASYL, Diakonie Deutschland, Deutscher Caritasverband, Paritätischer Gesamtverband und Arbeiterwohlfahrt Bundesverband zusammen mit bundesweiten Organisationen wie Amnesty International, der Seebrücke und rund 60 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen vom nach der Bundestagswahl neu gewählten Bundestag:
- AnkER-Zentren und vergleichbare Einrichtungen in Deutschland abschaffen
- die Verweildauer der Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen auf wenige Wochen begrenzen
- eine zukunftsweisende Erstaufnahme von Asylsuchenden in Deutschland organisieren.
Das Ankommen muss in den Mittelpunkt gestellt werden
Nötig für ein faires Asylverfahren sind »Erstaufnahmeeinrichtungen, die das Ankommen der Menschen in den Mittelpunkt stellen und sie bestmöglich auf das Asylverfahren und den Aufenthalt in Deutschland vorbereiten«, heißt es in dem gemeinsamen Aufruf »Isolation beenden – das Ankommen fördern – faire Asylverfahren sicherstellen Aufruf für eine zukunftsorientierte Erstaufnahme von Asylsuchenden in Deutschland«. Die ausführlichen Erläuterungen zum Aufruf zeigen: Aktuell ist das Gegenteil der Fall.
Kaum Schutz für verletzliche Menschen
Asylsuchende flüchten vielfach vor Krieg und Gewalt, sind Opfer von Verfolgung und Vertreibung geworden. Sie brauchen Schutz und Sicherheit und die Berücksichtigung ihrer besonderen Lage. EU- und Völkerrecht garantieren vulnerablen Personen besondere Verfahrensrechte und sozialrechtliche Ansprüche – diese werden aber in den AnkER-Zentren oft nicht beachtet, denn es fehlt schon an einer systematischen und flächendeckenden Identifizierung von Schutzbedürftigen.
Keine Privatsphäre, wenig Schutz vor Gewalt
Privatsphäre gibt es kaum in den Sammelunterkünften, worunter besonders Frauen und Mädchen leiden: Sie können Gewalt, die sie in ihrer Heimat oder auf der Flucht erlitten haben, schlechter verarbeiten. Und sie haben Angst vor Übergriffen durch männliche Bewohner, Security-Personal oder sonstige Angestellte – zumal sie in vielen Unterkünften weder die Duschen noch ihr Zimmer abschließen können. »Das ist sehr großes Problem: Dort hast du keinen Schlüssel. Nachts habe ich den Schrank vor die Tür gestellt, weil ich Angst hatte«, berichtet eine Asylsuchende aus einer Unterkunft.
Das wird im Schattenbericht von PRO ASYL und weiteren Organisationen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention vom Juli 2021 dokumentiert. Auch die Abschiebungen, die immer wieder mit Polizeigewalt durchgesetzt werden, versetzen die übrigen Bewohner*innen in Angst und Schrecken.
Keine Selbstbestimmung
Auch ein selbstbestimmtes Leben ist in den Lagern nicht möglich. Wegen des Sachleistungsprinzips dürfen die Menschen nicht selbst einkaufen und kochen, sondern bekommen Mahlzeiten von einer Großküche und die Dinge des täglichen Bedarfs gestellt. Eine Bewohnerin berichtet beispielsweise: »Zum Beispiel hast du nur einen Satz Bettwäsche. Du musst warten, bis deine Bettwäsche trocken ist, damit du schlafen gehen kannst.« Zudem sind Ausgang und Besuche beschränkt – und die ersten neun Monate dürfen Asylsuchende nicht arbeiten.
Kaum Schutz vor Corona
In Erstaufnahmeeinrichtungen erhalten Asylsuchende de facto nur wenige medizinische Leistungen. Wie problematisch die Sammelunterkünfte aus gesundheitlicher Sicht sind, zeigte sich auch während der Pandemie. Großunterkünfte wurden schnell zu »Corona-Hotspots« und zum Teil wochenlang unter Vollquarantäne gestellt. Für die Betroffenen eine extreme Belastung, verbunden mit der Angst, sich mit dem Virus anzustecken. »Sie haben diese Zettel (mit Hygienehinweisen) überall an die Wände im Camp gehängt, aber dann gibt es keine Desinfektionsmittel«, sagt ein Bewohner.
»Sie haben diese Zettel (mit Hygienehinweisen) überall an die Wände im Camp gehängt, aber dann gibt es keine Desinfektionsmittel«
Kein Kontakt zur Gesellschaft
In den großen und oft abgelegenen Einrichtungen sind die Asylsuchenden von der Gesellschaft analog und digital isoliert. Oft gibt es keine erreichbaren Busse oder Bahnen, auch Internet oder WLAN gibt es für die Bewohner*innen oft nicht. Das wird auch aus er Schilderung des Bewohners einer Erstaufnahmeeinrichtung deutlich: »Zur Stadt sind es zu Fuß ungefähr dreißig, vierzig Minuten. Die Möglichkeit, oft den Bus zu benutzen, hat man eigentlich nicht. Das heißt: Alle laufen durch den Wald in die Stadt.«
Eine frühe Integration von Menschen, die in vielen Fällen langfristig in Deutschland bleiben, wird so unmöglich gemacht. Ein Bewohner schildert seine Erstaufnahmeeinrichtung: »Es ist im Nichts. Ich habe hier keinen Zugang zu irgendetwas.«
Kaum Zugang zu rechtlicher Hilfe
Die Isolation erschwert auch den Kontakt zu Ehrenamtlichen, Beratungsstellen und Rechtsanwält*innen. Das zeigt auch die Auseinandersetzung zwischen dem Münchner Flüchtlingsrat und der Regierung von Oberbayern vor Gericht darüber, ob der Infobus des Flüchtlingsrats auf das Gelände der AnkER-Zentren fahren und dort Beratung anbieten darf. Die Frage, ob es ein Zugangsrecht zu AnkER-Zentren und anderen Erstaufnahmeeinrichtungen gibt, wurde am 28. Juli 2021 vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verhandelt und hat bundesweite Bedeutung. Denn unabhängige rechtliche Unterstützung sowie Asylverfahrensberatung sind essentiell für ein faires Asylverfahren. Unter den gegeben Umständen in vielen AnkER-Zentren können die Menschen ihre Rechte häufig nur eingeschränkt wahrnehmen.
Keine deutliche Beschleunigung – Ziel verfehlt
Neben diesen vielfältigen Problemen haben die AnkER-Zentren noch nicht einmal das erklärte Ziel der Beschleunigung von Asylverfahren erreicht. Das ist im Bericht des BAMF selbst (Evaluationsbericht des BAMF vom 24.Februar 2021) nachzulesen: So dauert ein Asylverfahren in AnkER-Einrichtungen durchschnittlich 77 statt der sonst durchschnittlichen 82 Tagen, obwohl die Asylverfahren aus AnkER-Einrichtungen priorisiert werden. Eine substantielle Beschleunigung ist das nicht.
Was für eine gute Aufnahme notwendig ist
PRO ASYL und die weiteren rund 65 unterzeichnenden Organisationen fordern stattdessen Erstaufnahmeeinrichtungen, die das Ankommen der Menschen in den Mittelpunkt stellen und sie gut auf das Asylverfahren vorbereiten. Dazu gehört ganz konkret:
- Systematische Identifizierung von vulnerablen Personen und ihrer Bedarfe, Umsetzung der daraus folgenden Garantien im Asylverfahren und sozialrechtlichen Ansprüche;
- Gewährleistung eines fairen Asylverfahrens; Sicherstellung einer erreichbaren, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung für die gesamte Verfahrensdauer; Zugang von ehrenamtlichen Initiativen und hauptamtlichen Beratenden;
- Krankenbehandlung im Rahmen der notwendigen medizinischen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen;
- Kostenfreie Bereitstellung von Dolmetscherleistungen;
- Möglichst wohnungsähnliche Unterbringung unter Wahrung der Privatsphäre; effektiven Schutz vor Gewalt; Möglichkeiten zur eigenständigen Organisation des Alltags und Abschaffung des Arbeitsverbotes;
- Sozialleistungen, die das gesetzlich festgelegte Existenzminimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens nicht unterschreiten, ohne entmündigende Elemente wie die Sachleistungsversorgung;
- Berücksichtigung der Wünsche der Betroffenen bezüglich des künftigen Wohnorts; Unterstützung bei der Suche nach spezifischen Beratungsstellen und Behandlungseinrichtungen an einem künftigen Wohnort;
- Integration und soziale Teilhabe von Anfang an.
(wr/wj)