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Demonstration von Geflüchteten zum Familiennachzug. Foto: Wiebke Rannenberg

Schnellere und digitale Verfahren, Gleichstellung subsidiär Geschützter und Geschwisternachzug: Das versprechen SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag. Das sind gute Nachrichten für alle Flüchtlingsfamilien, die seit Jahren getrennt sind. Nun muss es schnell gehen, innerhalb von 100 Tagen müssen Gesetze geändert und Abläufe vereinfacht werden.

Fami­li­en gehö­ren zusam­men! Das for­der­te ein von PRO ASYL initi­ier­tes Bünd­nis von mehr als 220 zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen und mehr als 15 (Ober-)Bürgermeister*innen – und wies immer wie­der auf die unsäg­li­chen mensch­li­chen Här­ten hin, denen jah­re­lang getrenn­te Flücht­lings­fa­mi­li­en aus­ge­setzt sind. Und nun soll mit dem neu­en Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel-Koali­ti­on für tau­sen­de Fami­li­en das War­ten end­lich ein Ende haben. Die Koali­ti­on will die »Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu sub­si­di­är Geschütz­ten mit den GFK-Flücht­lin­gen gleich­stel­len«, »die min­der­jäh­ri­gen Geschwis­ter nicht zurück­las­sen« und »die Visa­ver­ga­be beschleu­ni­gen und ver­stärkt digi­ta­li­sie­ren«, wie es in dem Papier heißt, das von den jewei­li­gen Par­tei­gre­mi­en noch gebil­ligt wer­den muss. Das Grund­recht auf Fami­lie soll nun wie­der für alle gelten!

Erfolg für PRO ASYL und für die getrennten Familien

Die­se Plä­ne der Ampel-Koali­ti­on sind einen Monat vor Weih­nach­ten eine gute Nach­richt für die Fami­li­en. Und sie sind ein Erfolg für PRO ASYL und alle, die sich für den Fami­li­en­nach­zug ein­ge­setzt haben. Nun müs­sen den Plä­nen schnell Taten fol­gen: Inner­halb der nächs­ten 100 Tage müs­sen Geset­ze geän­dert wer­den, der Ablauf beschleu­nigt, digi­ta­le Anträ­ge ermög­licht und Geschwis­ter ein­be­zo­gen werden.

Es gibt Geflüch­te­te, die seit sie­ben Jah­ren von ihrer Fami­lie getrennt sind.

Die ankün­dig­te Geset­zes­än­de­rung bedeu­tet, dass auch sub­si­di­är Geschütz­te (zum Bei­spiel Syrer und Afgha­nen, die vor Krieg, Ter­ror und Fol­ter flie­hen) end­lich wie­der das Recht auf Fami­li­en­nach­zug bekom­men. Die dis­kri­mi­nie­ren­de Unter­schei­dung zwi­schen den Flücht­lin­gen, die nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on aner­kannt sind, und denen, die sub­si­diä­ren Schutz haben, wird wie­der abge­schafft wird. Die­se Unter­schei­dung hat­te der Bun­des­tag 2016 beschlos­sen und die Gro­ße Koali­ti­on hat­te sie im August 2018 noch ver­schärft, so dass nur noch höchs­tens 1000 Müt­ter, Väter und Kin­der pro Monat ein­rei­sen durf­ten. Aber auch dar­auf gibt es bis­her kein Recht, es liegt im Ermes­sen der Behör­den, ob Kin­der zu ihren Eltern dürfen.

Jahr um Jahr immer länger getrennt

Beschleu­nig­te und digi­ta­li­sier­te Ver­fah­ren, wie sie nun im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bart wur­den, sind für alle, die auf ihre Fami­lie war­ten, drin­gend not­wen­dig. Denn seit vie­len Jah­ren war­ten sogar die Geflüch­te­ten, die als aner­kann­te GFK-Flücht­lin­ge ein Recht auf den Nach­zug ihrer Fami­lie haben, Jahr um Jahr um Jahr auf ihre Liebs­ten. Das hat sich wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie zwar ver­schärft, war aber auch davor schon so, wie Schick­sa­le zum Bei­spiel von Frau­en und Män­nern aus Eri­trea zei­gen, die seit sechs oder sie­ben Jah­ren von ihren Kin­dern und Ehepartner*innen getrennt sind.

Doch Beschleu­ni­gung und Digi­ta­li­sie­rung allein rei­chen nicht. Das Aus­wär­ti­ge Amt muss auch die Anfor­de­run­gen an die ver­lang­ten Doku­men­te ver­än­dern, die­se unkom­pli­zier­ter machen und an die Gege­ben­hei­ten anpas­sen. So gibt es zum Bei­spiel in Eri­trea kaum staat­li­che Hei­rats­ur­kun­den, üblich sind kirch­li­che Ehe­pa­pie­re – doch die wer­den der­zeit von den deut­schen Bot­schaf­ten nicht akzeptiert.

Wich­tig ist, dass die Koali­ti­on ein­ge­se­hen hat, dass es unmensch­lich ist, Eltern zu der Ent­schei­dung zu zwin­gen, ent­we­der ihr Kind, das allein Deutsch­land lebt, allein zu las­sen – oder ihre ande­ren Kin­der, die dann allein in einem Flücht­lings­la­ger oder ande­ren gefähr­li­chen Ver­hält­nis­sen leben würden.

Das neue Gesetz und schnellere Verfahren helfen diesen Menschen:

Für Frau S. kann die gute Nach­richt von der Geset­zes­än­de­rung ein neu­es Leben brin­gen. Frau S. wur­de in Afgha­ni­stan mit einem älte­ren Mann ver­hei­ra­tet, der schon Kin­der aus einer frü­he­ren Ehe hat­te. Mit ihm bekam sie fünf Kin­der. Söh­ne aus der ers­ten Ehe des Man­nes schlos­sen sich den Tali­ban an und ver­lang­ten unter ande­rem, dass eine der Töch­ter von Frau S. einen Kämp­fer der Tali­ban hei­ra­ten soll­te. Der Kon­flikt in der Fami­lie eska­lier­te und Frau S. wur­de auch kör­per­lich angegriffen.

Frau S. floh mit ihren Kin­dern, um sie Sicher­heit zu brin­gen, wur­de aber auf der Flucht von ihren Kin­dern getrennt und kam allein in Deutsch­land an. Ende Dezem­ber 2018 erhielt Frau S. sub­si­diä­ren Schutz in Deutsch­land und woll­te die Kin­der nach­ho­len. Erst nach fast einem Jahr wur­den die Kin­der aus­fin­dig gemacht – Schlep­per hat­ten sie zurück nach Afgha­ni­stan gebracht. Im Okto­ber 2019 wur­den die Kin­der, die unter pre­kä­ren Bedin­gun­gen in Kabul leben, für einen Ter­min zur Visa­be­an­tra­gung zum Fami­li­en­nach­zug regis­triert – und war­te­ten noch immer auf den Ter­min, als die Tali­ban die Macht ergriffen.

Zu denen, für die die Gleich­stel­lung von sub­si­di­är Geschütz­ten mit den GFK-Flücht­lin­gen eine gute Nach­richt ist, gehört auch Frau O., die nach einer Geset­zes­än­de­rung hof­fent­lich end­lich ihre drei Töch­ter in die Arme schlie­ßen kann. Die allein­ste­hen­de syri­sche Kur­din floh im Novem­ber 2017 mit ihren drei Töch­tern aus Alep­po über die Tür­kei nach Grie­chen­land bis ins Flücht­lings­la­ger Moria auf Les­bos. Neben kata­stro­pha­len Lebens­be­din­gun­gen und schlech­ter Gesund­heits­ver­sor­gung erleb­te sie dort auch sexu­el­le Übergriffe.

Sie ent­schied, wei­ter nach Deutsch­land zu flie­hen und ihre Töch­ter, die sie bei ihrer Schwes­ter ließ, nach­zu­ho­len. Ihr war nicht klar, wie lan­ge sie unter­wegs sein, wie lan­ge sich das Ver­fah­ren hin­zie­hen wür­de. Und sie konn­te nicht ahnen, dass eine ihrer Töch­ter schwer an Tuber­ku­lo­se erkran­ken würde.

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Ende 2018 erhielt Frau O. in Deutsch­land sub­si­diä­ren Schutz und bean­trag­te umge­hend über die deut­sche Bot­schaft in Athen den Nach­zug ihrer Töch­ter. Eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung nach den Dub­lin-Regeln war nicht mehr mög­lich. Es dau­er­te 13 Mona­te, bis die Mäd­chen über­haupt Ter­mi­ne für die Stel­lung der Visa-Anträ­ge erhiel­ten – trotz Antrags auf Auf­nah­me der Kin­der nach huma­ni­tä­ren Grün­den nach Arti­kel 17 Abs. 2 der Dub­lin-Ver­ord­nung. Schließ­lich ver­lang­te die Bot­schaft die Zustim­mung des Vaters zur Ein­rei­se der Kin­der nach Deutsch­land. Da die­ser seit Jah­ren als ver­misst galt, ver­lang­te die Bot­schaft die syri­sche Ver­schol­len­heits­er­klä­rung des Scha­ria-Gerichts, lega­li­siert und über­setzt. Der ältes­ten Toch­ter gelang es mit­hil­fe der sozia­len Netz­wer­ke, ihren Vater aus­fin­dig zu machen, der dem Nach­zug der Töch­ter zur Mut­ter zustimm­te – doch nun zwei­felt die deut­sche Bot­schaft an der Glaub­haf­tig­keit der Zustimmung.

Mut­ter und Töch­ter sind immer noch getrennt. Die Mäd­chen sind im grie­chi­schen Flücht­lings­camp nicht aus­rei­chend vor Gewalt geschützt.

Herr H., ein syri­scher Kur­de, floh 2015 aus Furcht vor der Ein­be­ru­fung zum Mili­tär­dienst mit sei­ner Frau und einer klei­nen Toch­ter in den ira­ki­schen Teil Kur­di­stans. 2018 bekam die Frau Zwil­lin­ge, die bei­den Söh­ne erlit­ten jedoch bei der Geburt eine schwe­re Gehirn­atro­phie, sodass sie heu­te weder spre­chen noch krab­beln kön­nen. Die Gesund­heits­ver­sor­gung in dem Flücht­lings­la­ger ist völ­lig unzureichend.

Seit einem Jahr war­tet die Fami­lie nun dar­auf, die Anträ­ge stel­len zu kön­nen – unter­des­sen brau­chen die bei­den Klein­kin­der drin­gend ärzt­li­che Behandlung.

Herr H. flüch­te­te nach Deutsch­land wei­ter; im Früh­som­mer 2020 wur­de ihm sub­si­diä­rer Schutz zuer­kannt. Da die deut­sche Bot­schaft kei­ne Rang­fol­ge hat, um Visa für Fami­li­en­mit­glie­der von sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten nach huma­ni­tä­ren Gesichts­punk­ten zu ver­ge­ben, ist die Fami­lie noch immer getrennt. Ende Novem­ber 2020 buch­te die Ehe­frau für sich, die Toch­ter sowie die Zwil­lin­ge Ter­mi­ne für die Bean­tra­gung der Visa zum Fami­li­en­nach­zug. Seit­dem war­ten sie nun dar­auf, die Anträ­ge stel­len zu kön­nen, unter­des­sen brau­chen die bei­den Klein­kin­der drin­gend ärzt­li­che Behandlung.

Schnellere und unkompliziertere Verfahren helfen diesen Menschen:

Zu denen, für die die Beschleu­ni­gung der Ver­fah­ren eine gute Nach­richt ist, gehört Herr G., der seit vie­len Jah­ren auf sei­ne Fami­lie war­tet. Das jah­re­lan­ge War­ten zer­reißt sei­ne Fami­lie, die ältes­te Toch­ter ver­steht nicht, wie­so sie so lan­ge war­ten muss, und denkt wegen der Ver­zö­ge­run­gen inzwi­schen sogar, dass ihr Vater sie nicht in Deutsch­land haben möchte.

Der heu­te 37-jäh­ri­ge floh vor dem dik­ta­to­ri­schen Regime in Eri­trea und kam 2015 nach Deutsch­land, wo er im Sep­tem­ber 2016 als Flücht­ling aner­kannt wur­de. Sei­ne Fami­lie (Ehe­frau und vier Kin­der) muss­te er in Eri­trea zurück­las­sen, da die Rei­se zu gefähr­lich war.

Die ältes­te Toch­ter stell­te bereits 2018 ihren Antrag – und war­tet seit drei Jah­ren auf ihr Visum.

Mit der Aner­ken­nung als GFK-Flücht­ling erhielt er das Recht, sei­ne Fami­lie zu sich in Sicher­heit holen zu dür­fen. Sei­ne Fami­lie ver­such­te, zur deut­schen Bot­schaft in Äthio­pi­en zu flie­hen, da der Visa­an­trag nicht in Eri­trea selbst gestellt wer­den kann. Bei dem Flucht­ver­such wur­de die Fami­lie vom eri­tre­ischen Mili­tär fest­ge­nom­men. Ledig­lich der ältes­ten Toch­ter gelang die Flucht. Sie erreich­te allei­ne Äthio­pi­en, wo sie als unbe­glei­te­ter min­der­jäh­ri­ger Flücht­ling regis­triert wur­de. Die Ehe­frau von Herrn G. wur­de zusam­men mit den drei jüngs­ten Kin­dern für zwei Jah­re in Haft genom­men, unter teils men­schen­un­wür­di­gen Zuständen.

Der zwei­te Flucht­ver­such glück­te im Som­mer 2019. Sie konn­ten sich in Äthio­pi­en als Flücht­ling regis­trie­ren las­sen und ver­ein­ten sich mit der ältes­ten Toch­ter, die bereits im Novem­ber 2018 bei der deut­schen Bot­schaft einen Antrag auf ein Visum zum Nach­zug zu ihrem Vater gestellt hat­te. Der Rest der Fami­lie bekam erst Mit­te Okto­ber 2021 einen Ter­min bei der Bot­schaft. Wäh­rend die Fami­lie also erst jetzt einen Antrag stel­len konn­te, war­tet die ältes­te Toch­ter seit drei Jah­ren auf ihr Visum, obwohl sie sogar ein DNA-Gut­ach­ten ein­ge­reicht hat.

Auch Omid und sei­ne Fami­lie lei­den unter den sto­cken­den Ver­fah­ren. Der heu­te 18-Jäh­ri­ge aus Afgha­ni­stan hat sei­ne Mut­ter seit sechs Jah­ren nicht mehr gese­hen! Und nun besteht die Gefahr, dass sie auch nicht mehr nach Deutsch­land kom­men darf, weil das Ver­fah­ren so lan­ge hin­ge­zo­gen wur­de, dass Omid dar­über voll­jäh­rig gewor­den ist.

Als er zwölf Jah­re alt war, im Jahr 2015, ver­sucht die Fami­lie, die einer schii­ti­schen Min­der­heit ange­hört, mit vier Kin­dern nach Schwe­den zu flie­hen. Doch bei der Über­fahrt nach Grie­chen­land wird das ältes­te Kind Omid von sei­ner Fami­lie getrennt, er schafft es auf ein Schlauch­boot und wei­ter bis nach Deutsch­land. Dort wird er als GFK-Flücht­ling anerkannt.

Die deut­sche Bot­schaft schickt einen Son­der­ter­min an eine fal­sche Mailadresse
– und wirft der Fami­lie dann vor, selbst­ver­schul­det den Ter­min ver­passt zu haben.

Omids Eltern und Geschwis­ter hin­ge­gen wer­den über den Iran nach Afgha­ni­stan abge­scho­ben. Die Tali­ban ent­füh­ren sei­nen Vater – bis heu­te fehlt jede Spur. Inzwi­schen wird ver­mu­tet, dass er nicht mehr am Leben ist. Sei­ne Mut­ter und drei jün­ge­ren Geschwis­ter leben inzwi­schen im Iran unter höchst pre­kä­ren Bedin­gun­gen, aktu­ell finan­ziert Omid die Fami­lie von sei­nem Aus­bil­dungs­ge­halt. Eine Abschie­bung nach Afgha­ni­stan fürch­ten sie seit der Macht­über­nah­me der Tali­ban umso mehr.

Seit sechs Jah­ren ver­sucht Omids Mut­ter, auf kom­pli­zier­ten Wegen zahl­rei­che Doku­men­te und Nach­wei­se zu beschaf­fen, immer wie­der gibt es Pro­ble­me bis dahin, dass die deut­sche Bot­schaft einen Son­der­ter­min an eine fal­sche Mail­adres­se schickt und dann der Fami­lie vor­wirft, selbst­ver­schul­det den Ter­min ver­passt zu haben. Inzwi­schen sind end­lich alle Zwei­fel der Bot­schaft aus­ge­räumt, auch das Ergeb­nis der DNA-Tests ist positiv.

Laut Euro­päi­schem Gerichts­hof gilt als Zeit­punkt für die Min­der­jäh­rig­keit das Datum der Asyl­an­trag­stel­lung – Deutsch­land setzt dies aller­dings bis­her nicht um.

Doch im Febru­ar 2021 voll­ende­te Omid sein 18. Lebens­jahr! Ob der Fami­li­en­nach­zug auch nach der Voll­jäh­rig­keit mög­lich ist, ist umstrit­ten. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof hat zwar bereits ent­schie­den, dass der rele­van­te Zeit­punkt für die Min­der­jäh­rig­keit das Datum der Asyl­an­trag­stel­lung ist – da war Omid erst zwölf Jah­re alt – Deutsch­land setzt dies aller­dings bis­her nicht um.

(wr)