11.05.2021
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Eritreer demonstrieren in Berlin: Ihre Kinder wachsen und verändern sich - die Väter erleben das jedoch nicht mit. Schuld daran sind häufig restriktive deutsche Regeln zum Familiennachzug (Foto: www.familienlebenfueralle.net)

Flüchtlingsfamilien sind seit Jahren voneinander getrennt – auch aufgrund deutscher Gesetzgebung und Bürokratie. Beispiele von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan zeigen, was das für die betroffenen Männer, Frauen und Kinder bedeutet. PRO ASYL startet nun gemeinsam mit Partnern eine große Aktion mit dem Ziel, Familien wiederzuvereinen.

Am 15. Mai ist Inter­na­tio­na­ler Tag der Fami­lie, ein offi­zi­el­ler Gedenk­tag der Ver­ein­ten Natio­nen. Doch hun­dert­tau­sen­de Geflüch­te­te leben nicht mit ihren Liebs­ten zusam­men, weil Krieg und schwe­re Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen sie aus­ein­an­der­ge­ris­sen haben. Auch in Deutsch­land ist es für vie­le Geflüch­te­te nicht mög­lich, als Fami­lie zusam­men­zu­le­ben, weil die Bun­des­re­gie­rung und gesetz­li­che Bestim­mun­gen dies mas­siv erschwe­ren oder gar ver­hin­dern. PRO ASYL star­tet des­halb eine Akti­on mit dem Titel #Fami­li­en­Ge­hö­ren­Zu­sam­men.

Sie­ben (Ober-) Bür­ger­meis­ter aus unter­schied­li­chen Par­tei­en gehö­ren zu den Erst­un­ter­zeich­nern eines Auf­rufs, dar­un­ter Mike Schu­bert, Ober­bür­ger­meis­ter von Pots­dam (SPD), Belit Onay, Ober­bür­ger­meis­ter Han­no­vers (Grü­ne), Ste­phan Neher, Ober­bür­ger­meis­ter von Rot­ten­burg (CDU), sowie Burk­hard Jung, Ober­bür­ger­meis­ter von Leip­zig und Prä­si­dent des Deut­schen Städ­te­tags (SPD). Der Auf­ruf wird auch getra­gen von rund 200 zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen – von der Cari­tas und der Dia­ko­nie über den Kin­der­schutz­bund bis hin zu Flücht­lings­rä­ten und Ver­bän­den wie dem Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­band und der AWO. Ziel ist es, dass getrenn­te Fami­li­en schnell zusammenkommen.

PRO ASYL ruft dazu auf, das The­ma Fami­li­en­nach­zug zu einem Schwer­punkt der Inter­kul­tu­rel­len Woche im Sep­tem­ber zu machen und alle Bundestagskandidat*innen zu befra­gen, wie sie die bestehen­den Pro­ble­me lösen wol­len. Tre­ten auch Sie an den oder die Bürgermeister*in Ihrer Stadt her­an und bit­ten Sie um Unter­zeich­nung des Auf­rufs. Schutz­su­chen­de Men­schen brau­chen unse­re Hilfe!

Die deut­schen Rege­lun­gen zum Fami­li­en­nach­zug sind ver­fas­sungs­wid­rig. Sie ver­let­zen das Grund­ge­setz, die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, die EU-Grund­rech­te­char­ta sowie die UN-Kinderrechtskonvention

Auf der Flucht wer­den Män­ner von ihren Frau­en getrennt, Müt­ter von ihren Kin­dern, Brü­der von Schwes­tern. Wer in Deutsch­land Schutz sucht, hat das Recht, mit sei­ner Kern­fa­mi­lie zusam­men­zu­le­ben und bei­spiels­wei­se Ehe­part­ner nach­zu­ho­len, wenn die­se in grie­chi­schen Flücht­lings­la­gern fest­sit­zen. Doch das Aus­wär­ti­ge Amt behin­dert die­sen Fami­li­en­nach­zug: Tau­sen­de Geflüch­te­te war­ten auf ihre engs­ten Ange­hö­ri­gen, weil die Visums­ver­fah­ren sich auf­grund der Über­las­tung deut­scher Behör­den, büro­kra­ti­scher Hür­den oder kaum zu erfül­len­der Vor­aus­set­zun­gen jah­re­lang hin­zie­hen. Pro­ble­ma­tisch für den Fami­li­en­nach­zug ist auch das im August 2018 in Kraft getre­te­ne Fami­li­en­nach­zugs­neu­re­ge­lungs­ge­setz: Es sieht vor, dass pro Monat maxi­mal 1000 Men­schen im Rah­men des Fami­li­en­nach­zugs zu ihrer Kern­fa­mi­lie mit sub­si­diä­rem Schutz nach Deutsch­land kom­men dür­fen. Die­se Kon­tin­gen­t­re­ge­lung hat aus dem Rechts­an­spruch auf Fami­li­en­nach­zug einen Gna­den­akt des Staa­tes gemacht.

Max. 1000

Men­schen dür­fen im Rah­men des Fami­li­en­nach­zugs zu ihrer Kern­fa­mi­lie mit sub­si­diä­rem Schutz nach Deutsch­land kommen

Das Gut­ach­ten »Zer­ris­se­ne Fami­li­en« von PRO ASYL und der Orga­ni­sa­ti­on JUMEN legt die unsicht­ba­ren Hür­den und die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit beim ver­wei­ger­ten Fami­li­en­nach­zug offen. Grund­ge­setz, Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, EU-Grund­rech­te-Char­ta und UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on wer­den durch die deut­schen Rege­lun­gen ver­letzt. Hin­ter den juris­ti­schen Fein­hei­ten und den abs­trak­ten Zah­len ste­hen kon­kre­te Schick­sa­le: Kin­der ver­brin­gen wich­ti­ge Jah­re ihrer Ent­wick­lung ohne die Eltern. Män­ner ban­gen um die Sicher­heit ihrer Frau­en und Kin­der. Fami­li­en wer­den von den jah­re­lan­gen War­te­zei­ten völ­lig zer­mürbt – und ihr Leid wird noch nicht ein­mal öffent­lich wahrgenommen.

Wir fordern:

Die Ver­fah­ren müs­sen schnel­ler gehen, Fami­li­en sol­len nicht wei­ter­hin über Jah­re getrennt sein, weil die Müh­len der deut­schen Behör­den so lang­sam mah­len. Die Coro­na-Pan­de­mie darf nicht als Aus­re­de genutzt wer­den, um Visums­ver­fah­ren der­art in die Län­ge zu zie­hen. Wirbt die Bun­des­re­gie­rung im Aus­land Fach­kräf­te an, so geht der Fami­li­en­nach­zug bedeu­tend schnel­ler von­stat­ten. Zügi­ge und trans­pa­ren­te Ver­fah­ren müs­sen auch für Geflüch­te­te gel­ten – für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te eben­so wie für Flücht­lin­ge nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK).

Zudem sind Geset­zes­än­de­run­gen nötig: Sub­si­di­är Geschütz­te – also zum Bei­spiel Syrer, die vor Krieg, Ter­ror und Fol­ter flie­hen – müs­sen mit GFK-Flücht­lin­gen (jenen, die aus poli­ti­schen oder reli­giö­sen Grün­den ver­folgt wer­den) recht­lich gleich­ge­stellt wer­den. Die Rege­lung, dass nur 1000 Fami­li­en­nach­zugs­vi­sa pro Monat für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te aus­ge­stellt wer­den, muss rück­gän­gig gemacht werden.

Wir appel­lie­ren zudem an den Gesetz­ge­ber, auch min­der­jäh­ri­ge Geschwis­ter­kin­der nicht vom Fami­li­en­nach­zug aus­zu­schlie­ßen. Eltern haben recht­lich einen Anspruch dar­auf, zu ihrem als Flücht­ling in Deutsch­land aner­kann­ten Kind zu zie­hen; Geschwis­ter­kin­dern wird die­ses Recht jedoch ver­wei­gert. Kon­kret bedeu­tet dies, dass sich Eltern zwi­schen ihren Kin­dern ent­schei­den müs­sen: Ent­we­der sie las­sen ihre wei­te­ren min­der­jäh­ri­gen Kin­der allein im Aus­land zurück, oder die Eltern ver­zich­ten auf den Fami­li­en­nach­zug und damit auf die fami­liä­re Gemein­schaft mit ihrem in Deutsch­land als Flücht­ling aner­kann­ten Kind – eine unzu­mut­ba­re Entscheidung!

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Mona­te müs­sen Antrag­stel­ler in Nai­ro­bi im Schnitt war­ten, bis sie über­haupt einen Ter­min bei der Deut­schen Bot­schaft bekommen

Politik missachtet das Recht auf Familienleben

Ehe und Fami­lie ste­hen grund- und men­schen­recht­lich unter beson­de­rem Schutz. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat mehr­fach betont, welch hohen Rang die Fami­lie in unse­rer Ver­fas­sung genießt. Geflüch­te­te sind davon nicht aus­ge­nom­men. Doch die Poli­tik miss­ach­tet ihre Rech­te. Allein um einen Antrag auf ein Visum zum Fami­li­en­nach­zug bei den deut­schen Aus­lands­ver­tre­tun­gen stel­len zu dür­fen, müs­sen Men­schen häu­fig zwölf bis 18 Mona­te war­ten. Im Febru­ar 2020 betru­gen die War­te­zei­ten für einen Ter­min zur Bean­tra­gung eines Visums auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung zu einem in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land aner­kann­ten Flücht­ling in Addis Abe­ba 13 Mona­te, in Khar­tum 10 Mona­te und in Nai­ro­bi 14 Mona­te. Wohl­ge­merkt han­delt es sich hier­bei nur um die War­te­zei­ten für die Bean­tra­gung eines Visums, also den aller­ers­ten Schritt. Wei­te­re Vor­gän­ge und War­te­zei­ten sind dabei noch gar nicht eingerechnet.

Aus­län­der­be­hör­den ver­lan­gen von Geflüch­te­ten häu­fig Nach­wei­se, die gesetz­lich für den Fami­li­en­nach­zug gar nicht vor­ge­schrie­ben sind – etwa den Beweis, dass sie über aus­rei­chend Wohn­raum für sich und ihre Fami­lie verfügen

Danach sind die Aus­län­der­be­hör­den am Zug – und vie­le blo­ckie­ren durch im Gesetz nicht vor­ge­se­he­ne Prüf­an­for­de­run­gen. Bei­spiels­wei­se wird in der Pra­xis oft der Wohn­raum­nach­weis oder die Lebens­un­ter­halts­si­che­rung gefor­dert, wel­che aus­drück­lich kei­ne Vor­aus­set­zung sein sol­len. Die büro­kra­ti­schen und hoch­kom­ple­xen Regeln tref­fen Geflüch­te­te aus Afgha­ni­stan eben­so wie sol­che aus Syri­en, Eri­trea oder ande­ren Län­dern. Geflüch­te­te sehen sich mit immer neu­en Anfor­de­run­gen kon­fron­tiert; die Pro­zes­se der deut­schen Behör­den glei­chen den Wer­ken Franz Kaf­kas, wie unse­re Ein­zel­fäl­le bei­spiel­haft deut­lich machen.

Drei Jah­re und einen Monat hat Ayman K. aus Syri­en dar­auf gewar­tet, dass sei­ne in Damas­kus leben­de Ehe­frau end­lich zu ihm nach Bay­ern zie­hen darf. Die deut­sche Bot­schaft in Bei­rut lehn­te den Visums­an­trag auf Fami­li­en­nach­zug zunächst ab mit der Begrün­dung, dass Herr K. kei­ne eige­ne Woh­nung habe und nicht über genü­gend Ein­kom­men ver­fü­ge. Außer­dem hät­te er »nicht genü­gend Inte­gra­ti­ons­be­mü­hun­gen« gezeigt. Im März 2019 leg­te sein Rechts­an­walt bei der Deut­schen Bot­schaft in Bei­rut Remons­tra­ti­on gegen die Visa-Ableh­nung ein, bat also dar­um, den Fall erneut zu prü­fen. Ein Jahr ver­ging und die Deut­sche Bot­schaft äußer­te sich immer noch nicht. Als die Ehe­frau von K. dar­auf­hin dort anrief, wur­de ihr mit­ge­teilt, alles sei in Ord­nung und sie sol­le Geduld haben. Im Juli 2020 for­der­te die zustän­di­ge Aus­län­der­be­hör­de sämt­li­che Unter­la­gen von Herrn K. über sei­ne Einkommens‑, Wohn- und Arbeits­si­tua­ti­on zur Wei­ter­lei­tung an die Deut­sche Bot­schaft an. Er gab sie per­sön­lich in der Aus­län­der­be­hör­de ab. Nichts geschah. Im Janu­ar 2021 wand­te er sich ver­zwei­felt ans Aus­wär­ti­ge Amt. Dort erfuhr er, dass die Deut­sche Bot­schaft Bei­rut die­se Unter­la­gen nie erhal­ten hat, sie lagen noch immer in der Aus­län­der­be­hör­de – seit sie­ben Mona­ten. Ende April erhielt das Paar nun end­lich die erlö­sen­de Nach­richt: Das Visum wer­de erteilt.

Eritrea: Wer zu seiner Familie nach Deutschland will, muss Strafe zahlen

Beson­ders absurd ist, dass Deutsch­land von Men­schen, die aus dik­ta­to­ri­schen Regimes wie Eri­trea geflo­hen sind, Doku­men­te ver­langt, die die­se nur bei­brin­gen kön­nen, wenn sie mit ihrem Ver­fol­ger­staat Kon­takt auf­neh­men. Im Fal­le Eri­tre­as stel­len sich zusätz­li­che Hür­den, da die deut­sche Aus­lands­ver­tre­tung dort kei­ne Visa zum Fami­li­en­nach­zug ent­ge­gen­nimmt. Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge von Eri­tre­ern, die in Deutsch­land einen Schutz­sta­tus erhal­ten haben, müs­sen also erst ins Nach­bar­land Äthio­pi­en aus­rei­sen. Eine sol­che Aus­rei­se ist jedoch straf­bar und wird im Fal­le der Rück­kehr mit dra­ko­ni­schen Stra­fen belegt. Wenn Betrof­fe­ne in einer sol­chen Situa­ti­on zwecks Doku­men­ten­be­schaf­fung kon­su­la­ri­sche Diens­te eri­tre­ischer Aus­lands­ver­tre­tun­gen in Anspruch neh­men wol­len, müs­sen sie dort eine soge­nann­te Dia­spora­steu­er in Höhe von zwei Pro­zent ihres Ein­kom­mens ent­rich­ten. Dar­über hin­aus müs­sen sie eine Reue­er­klä­rung unter­zeich­nen. Damit wer­den sie ver­pflich­tet, ein­zu­ge­ste­hen, sich durch ille­ga­le Aus­rei­se und gege­be­nen­falls auch durch Wehr­dienst­ent­zie­hung oder Deser­ti­on nach eri­tre­ischem Recht straf­bar gemacht zu haben.

Das Aus­wär­ti­ge Amt soll Gerüch­ten zufol­ge kürz­lich die Anfor­de­run­gen an die Doku­men­ten­be­schaf­fung ange­passt haben. Sie sol­len gesenkt und es soll eine »alter­na­ti­ve Glaub­haft­ma­chung« zuge­las­sen wer­den. Ob dies tat­säch­lich umge­setzt wird, muss sich zeigen.

Afghanistan: Die Bundeswehr geht, bedrohte Familien bleiben zurück?

Ein aktu­el­les Ereig­nis, das Fami­li­en ele­men­tar betrifft, ist der Abzug der NATO und damit auch der Bun­des­wehr aus Afgha­ni­stan. Vie­le Afgha­nen ver­setzt der Trup­pen­ab­zug in gro­ße Angst: Sie erwar­ten ein Erstar­ken der Tali­ban. Das befürch­ten auch  hoch­ran­gi­ge Sicher­heits­exper­ten, eben­so wie der US-Außen­mi­nis­ter Ant­o­ny Blin­ken. Momen­tan ist es nicht mög­lich, in Afgha­ni­stan direkt einen Visums­an­trag auf Fami­li­en­nach­zug zu stel­len, da die Visa-Abtei­lung der Deut­schen Bot­schaft in Kabul geschlos­sen hat. Die Men­schen müs­sen dafür erst nach Islam­abad (Paki­stan) oder Neu-Delhi (Indi­en) rei­sen. An der deut­schen Aus­lands­ver­tre­tung in Islam­abad war­ten sie im Schnitt acht Mona­te dar­auf, über­haupt einen Ter­min zur Antrag­stel­lung zu erhal­ten, in Neu-Delhi über ein Jahr. Das ergab die Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine schrift­li­che Anfra­ge der Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Gökay Akbu­lut (Die Lin­ke). Gera­de ange­sichts der aku­ten Sicher­heits­ge­fah­ren ist das völ­lig unzu­mut­bar. Denn mit dem west­li­chen Trup­pen­ab­zug sind vor allem all jene Afghan*innen bedroht, die für euro­päi­sche oder ame­ri­ka­ni­sche Orga­ni­sa­tio­nen tätig waren – inklu­si­ve ihrer Fami­li­en. Der Fall von Hus­sein A. macht das deutlich.

Hus­sein A.* aus Afgha­ni­stan hat in sei­ner Hei­mat neun Jah­re lang als Jour­na­list gear­bei­tet, unter ande­rem für eine deut­sche Medi­en­an­stalt. Doch auf­grund sei­nes Berufs wur­de er von den Tali­ban wie­der­holt mit dem Tod bedroht. Vor lau­ter Angst leben sei­ne Frau und die fünf Kin­der im Ver­bor­ge­nen, die Kin­der sind seit 2019 nicht mehr zur Schu­le gegan­gen. Herr A. lebt seit 2019 in Deutsch­land und war­tet auf den Nach­zug sei­ner Fami­lie. Er ist in gro­ßer Sor­ge um sie, ins­be­son­de­re weil der Abzug der NATO-Streit­kräf­te einen erneu­ten Macht­ge­winn der Tali­ban zur Fol­ge haben könn­te. Sei­ne ältes­te Toch­ter ist vor weni­gen Tagen 18 Jah­re alt gewor­den. Herr A. hat nun Angst, dass Deutsch­land sie auf­grund ihrer Voll­jäh­rig­keit gar nicht mehr ein­rei­sen lässt.

*Name aus Schutz­grün­den geändert

Syrien: Viele Fälle bleiben im Verborgenen

Auch Syri­en kommt nicht zur Ruhe. Das Land befin­det sich im zehn­ten Jahr des schreck­li­chen Bür­ger­kriegs. Syre­rin­nen und Syrer, die vor Gewalt und Ter­ror flie­hen, erhal­ten in Deutsch­land seit eini­gen Jah­ren jedoch ver­mehrt nur noch sub­si­diä­ren Schutz – und das hat Aus­wir­kun­gen auf den Fami­li­en­nach­zug. Mit der Kon­tin­gen­t­re­ge­lung, nach der nur maxi­mal 1000 Visa pro Monat aus­ge­stellt wer­den dür­fen, geht, ein­her, dass das Aus­wär­ti­ge Amt zugleich die Ent­ge­gen­nah­me der Anträ­ge auf cir­ca 1000 monat­lich dros­selt. Daher blei­ben vie­le Fäl­le im Ver­bor­ge­nen. Denn wegen Untä­tig­keit der Behör­den oder gegen die Ableh­nung des Antrags auf Fami­li­en­nach­zug kann nur kla­gen, wer zuvor über­haupt einen Visums­an­trag gestellt hat. Durch die Decke­lung auf die 1000 Per­so­nen bleibt das vie­len Men­schen ver­wehrt. In gro­ßem Stil wird so der Fami­li­en­nach­zug ver­hin­dert, ohne dass die Ent­schei­dun­gen trans­pa­rent nach­voll­zieh­bar sind und somit das Behör­den­han­deln durch Gerich­te geprüft wird.

Geflüch­te­te müs­sen dafür gera­de ste­hen, dass die euro­päi­schen Behör­den nur unzu­rei­chend koope­rie­ren. Ver­pas­sen die Ämter gewis­se Fris­ten, haben Flücht­lings­fa­mi­li­en das Nachsehen

Selbst die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung von sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten inner­halb der EU geht nur schlep­pend vor­an. Wenn also bei­spiels­wei­se ein geflüch­te­ter Mann aus Syri­en in Deutsch­land Schutz erhal­ten hat, die Ehe­frau mit den gemein­sa­men Kin­dern aber noch in einem Flücht­lings­la­ger in Grie­chen­land fest­steckt, ist die Fami­lie eben­falls oft lan­ge getrennt. Im Rah­men der Dub­lin-Ver­ord­nung ist zwar eigent­lich eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung mög­lich. In der Pra­xis schei­tert die­se aber häu­fig an for­ma­len Hür­den. Denn zunächst muss die für Dub­lin-Ver­fah­ren zustän­di­ge Behör­de des Mit­glied­staa­tes (im obi­gen Bei­spiel jene in Grie­chen­land) inner­halb von drei Mona­ten ab Asyl­an­trag­stel­lung einen Auf­nah­me­an­trag beim deut­schen Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge gestellt haben. Die­se Frist wird von den Behör­den aber oft­mals nicht ein­ge­hal­ten. In die­sen Fäl­len bleibt Betrof­fe­nen der Weg der erleich­ter­ten Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung ver­sperrt. Im obi­gen Bei­spiel muss die Mut­ter mit den Kin­dern dann einen Visums­an­trag nach den Regeln für den Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten stel­len – ganz so, als sei­en sie noch gar nicht in der EU. Zuge­spitzt bedeu­tet das: Die geflüch­te­ten Fami­li­en müs­sen es aus­ba­den, dass euro­päi­sche Behör­den nicht schnel­ler und effi­zi­en­ter zusammenarbeiten.

Rukan O. ist eine allein­ste­hen­de, syri­sche Kur­din, die im Novem­ber 2017 mit ihren drei Töch­tern aus Alep­po in Rich­tung Tür­kei flüch­te­te. Drei Mona­te spä­ter flo­hen sie wei­ter nach Grie­chen­land und kamen im Flücht­lings­la­ger Moria auf der Insel Les­bos unter. Neben den kata­stro­pha­len Lebens­be­din­gun­gen und der schlech­ten Gesund­heits­ver­sor­gung erleb­te Rukan O. dort auch sexu­el­le Über­grif­fe. Aus die­sem Grund ent­schied Frau O., wei­ter nach Deutsch­land zu flüch­ten und ihre Töch­ter, die sie in der Obhut ihrer Schwes­ter ließ, nach­zu­ho­len. Ihr war nicht klar, wie lan­ge sie unter­wegs sein, wie lan­ge sich das Ver­fah­ren hin­zie­hen wür­de und dass eine ihrer Töch­ter schwer an Tuber­ku­lo­se erkran­ken würde.

Ende 2018 erhielt Frau O. in Deutsch­land sub­si­diä­ren Schutz und bean­trag­te umge­hend über die Deut­sche Bot­schaft in Athen den Nach­zug ihrer Töch­ter. Es dau­er­te 13 Mona­te, bis die Mäd­chen über­haupt Ter­mi­ne für die Stel­lung der Visa-Anträ­ge erhiel­ten – trotz Antrags auf Auf­nah­me der Kin­der nach huma­ni­tä­ren Grün­den nach Arti­kel 17 Abs. 2 der Dub­lin-Ver­ord­nung. Schließ­lich ver­lang­te die Bot­schaft die Zustim­mung des Vaters bezüg­lich der Ein­rei­se der Kin­der nach Deutsch­land. Da die­ser seit Jah­ren als ver­misst galt, ver­lang­te die Bot­schaft die syri­sche Ver­schol­len­heits­er­klä­rung des Scha­ria-Gerichts, lega­li­siert und über­setzt. Der ältes­ten Toch­ter gelang es in der Zwi­schen­zeit mit­hil­fe der sozia­len Netz­wer­ke, ihren Vater aus­fin­dig zu machen, der dem Nach­zug der Töch­ter zu ihrer Mut­ter zustimm­te – doch nun zwei­felt die Deut­sche Bot­schaft an der Glaub­haf­tig­keit der Zustim­mung. Mut­ter und Töch­ter sind immer noch getrennt. Die Mäd­chen sind im grie­chi­schen Flücht­lings­camp nicht aus­rei­chend vor Gewalt geschützt, zwei von ihnen sind erkrankt; der Mut­ter geht es psy­chisch und phy­sisch sehr schlecht.

Sogar Kin­der und Jugend­li­che sind auf­grund der restrik­ti­ven Pra­xis deut­scher Behör­den oft jah­re­lang von ihren Eltern getrennt. Und das obwohl die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on sowie die Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on der Ver­ein­ten Natio­nen den Staat zur Ach­tung des Fami­li­en­le­bens und einer vor­ran­gi­gen Berück­sich­ti­gung des Kin­des­wohls ver­pflich­ten. Der völ­ker­recht­li­chen Vor­ga­be, Nach­zugs­an­trä­ge von Min­der­jäh­ri­gen oder ihren Eltern »wohl­wol­lend, human und beschleu­nigt« zu bear­bei­ten (Art. 10 UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on), kommt die Bun­des­re­gie­rung in vie­len Fäl­len nicht nach.

Azar M. stammt aus Alep­po und ist erst zwölf Jah­re alt. Ihre Mut­ter hat sie seit zwei Jah­ren nicht gese­hen. Die bei­den waren 2015 in die Tür­kei geflüch­tet und 2018 nach Grie­chen­land wei­ter­ge­reist. Azars Vater ist vor ihrer Geburt gestor­ben, ihre Mut­ter war 2018 aus zwei­ter Ehe schwan­ger. Auf­grund ihrer Schwan­ger­schaft war eine gemein­sa­me Wei­ter­rei­se von Grie­chen­land nach Deutsch­land nicht mög­lich. Azar ist allei­ne zu Ver­wand­ten nach Osna­brück gekom­men und lebt seit­dem bei ihrem Onkel. Im Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land wur­de ihr sub­si­diä­rer Schutz zuer­kannt. Im Fall des Mäd­chens lie­gen auf­grund ihres Alters und der Dau­er der Tren­nung soge­nann­te huma­ni­tä­re Grün­de dafür vor, dass auch ihre Mut­ter mit dem Baby nach Deutsch­land kom­men darf. Bereits im März 2020 bean­trag­te ihre Mut­ter einen Ter­min bei der Deut­schen Bot­schaft in Athen zur per­sön­li­chen Vor­spra­che, die Vor­aus­set­zung ist, um den Fami­li­en­nach­zug for­mal zu bean­tra­gen. Bis heu­te wur­de jedoch kein Ter­min vergeben.

Gemein­sam mit Ihnen will PRO ASYL die »Ver­schlep­pungs­tak­tik« der Bun­des­re­gie­rung in punc­to Fami­li­en­nach­zug been­den – damit mög­lichst vie­le Fäl­le so glück­lich enden wie der des Syrers Ayman K. (Fall­bei­spiel 1), der vor weni­gen Tagen sei­ne Ehe­frau vom Flug­ha­fen Mün­chen abho­len und nach drei Jah­ren Tren­nung in die Arme schlie­ßen konn­te. Es hät­te so viel schnel­ler gehen kön­nen für das Paar! Die drei ver­lo­re­nen Jah­re gibt ihnen nie­mand zurück. Zusam­men mit der Fami­lie essen und ein­schla­fen, lachen und leben, Plä­ne schmie­den und All­tag tei­len – für die aller­meis­ten von uns ist all das eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Nicht so für Men­schen wie Hus­sein A., Rukan O. und Azar M. Set­zen Sie sich durch Ver­brei­tung unse­res Auf­rufs und durch Anfra­gen bei Ihren Abge­ord­ne­ten und Bundestagskandidat*innen dafür ein, dass auch die vie­len getrenn­ten Flücht­lings­fa­mi­li­en end­lich wie­der als Fami­li­en zusam­men leben dürfen.

(er)