09.09.2021
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Demonstration für die Aufnahme aus Afghanistan vor dem Auswärtigen Amt in Berlin Ende August. Foto: picture alliance / dpa / Christoph Soeder

Am 26. August ist die deutsche Evakuierungsaktion aus Afghanistan beendet worden – und Tausende Menschen harren nun in Verstecken aus, fürchten um ihr Leben und das ihrer Kinder. Andere sind auf der Flucht. Deshalb fordern PRO ASYL und 55 weitere Organisationen: die Aufnahme fortsetzen, Landes- und Bundesaufnahmeprogramme darauf aufbauen!

Unab­hän­gig davon müs­sen der Fami­li­en­nach­zug schnell und unbü­ro­kra­tisch ermög­licht und die Auf­nah­me der Orts­kräf­te umge­setzt wer­den. Auf har­te Kri­tik stößt bei PRO ASYL und den unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen aus der Zivil­ge­sell­schaft, dass die Bun­des­re­gie­rung die Regis­trie­rung auf­zu­neh­men­der gefähr­de­ter Men­schen am 26. August will­kür­lich been­det hat­te: »Die Lis­ten des Aus­wär­ti­gen Amtes mit beson­ders gefähr­de­ten Per­so­nen müs­sen wei­ter­ge­führt wer­den. Eine Auf­nah­me nach § 22 Satz 2 Auf­enthG muss auch Men­schen offen ste­hen, die es bis­her nicht geschafft haben, sich beim Aus­wär­ti­gen Amt regis­trie­ren zu las­sen«, heißt es in dem State­ment mit dem Titel »Gefähr­de­te Afgha­nin­nen und Afgha­nen wei­ter auf­neh­men – Bun­des- und Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me sind nötig!«

Die Lis­ten müs­sen wei­ter­ge­führt wer­den und die, die dar­in erfasst wer­den, brau­chen eine digi­ta­le Bestä­ti­gung. Die­se muss die Aus­rei­se aus Afgha­ni­stan und die Ein­rei­se in einen Dritt­staat ermög­li­chen und zur Ein­rei­se nach Deutsch­land berechtigen.

»Sie sind sehr ver­ängs­tigt und wei­nen nur, wenn ich sie anru­fe. Sie sind hoff­nungs­los, und wenn sie blei­ben, wer­den sie bald ihr Leben verlieren.«

Regierung muss auf Ängste hier lebender Afghaninnen und Afghanen reagieren 

Die Unter­zeich­nen­den, rund 25 Bun­des- und 30 Lan­des­or­ga­ni­sa­tio­nen, for­dern zudem Char­ter­flü­ge aus Nach­bar­staa­ten Afgha­ni­stans sowie die Ertei­lung von Visa-on-Arri­val. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ist hier­für feder­füh­rend und muss vier Wochen nach dem Fall von Kabul und zwei Wochen nach Ende der Eva­ku­ie­rung grü­nes Licht für die Ein­rei­se nach Deutsch­land geben.

Die Bun­des­re­gie­rung hat zudem den Kreis für die Men­schen aus Afgha­ni­stan, die sie ins Land las­sen will, viel zu eng gefasst. »Ange­sichts des jah­re­lan­gen NATO-Ein­sat­zes und des poli­ti­schen sowie büro­kra­ti­schen Ver­sa­gens in den ver­gan­ge­nen Mona­ten steht Deutsch­land, wie ande­re Län­der auch, in der Ver­ant­wor­tung, Bedroh­te auf­zu­neh­men“, heißt es in dem State­ment. Und wei­ter: »Es gilt jetzt, Men­schen­le­ben zu retten!«

Viele Kontakte nach Deutschland

Vie­le oft gut aus­ge­bil­de­te Frau­en und Män­ner, die sich in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren in Poli­tik, Jus­tiz und Zivil­ge­sell­schaft enga­giert haben, haben nach den der­zei­ti­gen Regeln kei­ne Chan­ce, in Sicher­heit zu kom­men. Doch vie­le von denen, die in Todes­angst in ihrer Hei­mat aus­har­ren, haben bereits Anknüp­fungs­punk­te und Kon­tak­te nach Deutsch­land: Eltern, Kin­der oder ande­re Ver­wand­te leben hier – und hof­fen, ban­gen und war­ten ver­zwei­felt. Doch die Not und die Angst der hier leben­den Men­schen um ihre Ange­hö­ri­gen füh­ren bis­her nicht dazu, dass die Politiker*innen ange­mes­sen handeln.

Die neu Ankom­men­den wären nicht allein: Eine star­ke afgha­ni­sche Gemein­schaft und eine akti­ve Zivil­ge­sell­schaft in Deutsch­land sind bereit, neu Ankom­men­de zu unter­stüt­zen, ihnen zu hel­fen und mit Rat und Tat zur Sei­te zu stehen.

Verzweifelter Bruder will seine Familie retten

Dazu gehört ein jun­ger Mann, der in Ber­lin lebt, als Jour­na­list arbei­tet und sei­ne Fami­lie aus Afgha­ni­stan ret­ten möch­te. „Dies ist mei­ne letz­te Hoff­nung, mei­ne Fami­lie zu ret­ten”, schreibt er in einer Mail an PRO ASYL. Als akti­ve Frau­en­recht­le­rin und Ärz­tin wur­de sei­ne Schwes­ter schon von Extre­mis­ten ange­grif­fen, als die west­li­chen Trup­pen noch im Land waren. Nun sind sie und wei­te­re Fami­li­en­mit­glie­der „unter­ge­taucht und kön­nen nicht her­aus­kom­men“, schreibt der Bru­der wei­ter. Denn die gan­ze Fami­lie war bis zum Vor­marsch der Tali­ban in der Zivil­ge­sell­schaft und auf wich­ti­gen Pos­ten enga­giert: In Schu­len, Kom­mu­nal­par­la­men­ten, Jugend- und Frie­dens­be­we­gun­gen – und auch schon frü­her im Wider­stand gegen die Tali­ban. Ein Enga­ge­ment, dass die Fami­lie nun ihr Leben kos­ten kann: »Sie sind sehr ver­ängs­tigt und wei­nen nur, wenn ich sie anru­fe. Sie sind hoff­nungs­los, und wenn sie blei­ben, wer­den sie bald ihr Leben verlieren.«

Und auch der Bru­der in Deutsch­land ist ver­zwei­felt, fühlt sich hilf­los und kann sei­nen All­tag pri­vat und beruf­lich kaum bewäl­ti­gen: »Heut­zu­ta­ge sind wir sehr gestresst und alles ist durch­ein­an­der. Ich kann mich nicht so sehr kon­zen­trie­ren und das betrifft alle Aspek­te mei­nes Lebens.«

In gro­ßer Angst lebt auch ein wei­te­rer Ver­wand­ter, des­sen Eltern und Geschwis­ter bereits vor dem Abzug der west­li­chen Trup­pen von den Tali­ban ermor­det wor­den sind.

Familie ist mehr als die Kernfamilie

Des­halb braucht Deutsch­land Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me ins­be­son­de­re für Ange­hö­ri­ge. Wich­tig ist: Vor allem auch erwach­se­ne Kin­der und ande­re gefähr­de­te Ver­wand­te, die nach den der­zei­ti­gen Rege­lun­gen kei­ne Chan­ce auf Fami­li­en­nach­zug haben, müs­sen über sol­che Pro­gram­me nach Deutsch­land ein­rei­sen dürfen.

Und auch gefähr­de­te Per­so­nen, die nicht die aktu­el­len engen Kri­te­ri­en der Bun­des­re­gie­rung erfül­len, aber in Afgha­ni­stan in Gefahr sind und kei­ne Ver­wand­ten in Deutsch­land haben, müs­sen von Deutsch­land auf­ge­nom­men wer­den. PRO ASYL und die ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen for­dern des­halb auch ein Bundesaufnahmeprogramm.

Erschreckende Hilferufe aus Afghanistan 

Aus den Tau­sen­den von Mails, die PRO ASYL erreicht haben, haben wir, wie auch schon im August 2021, eini­ge weni­ge aus­ge­wählt, um exem­pla­risch die Not der Men­schen in Afgha­ni­stan und die Ängs­te ihrer Ver­wand­ten in Deutsch­land darzustellen.

Wer mit einem LandesaufnahmeProgramm gerettet werden könnte:

 

und ande­re Fami­li­en­mit­glie­der. Sie wer­den beschul­digt, Ungläu­bi­ge und Lan­des­ver­rä­ter zu sein. Denn die Toch­ter arbei­te­te einst für die afgha­ni­sche Regie­rung. Nun wird ihre Fami­lie mas­siv bedroht: Nach Anru­fen mit Todes­dro­hun­gen ver­steck­ten sie sich an einem ande­ren Ort – und hör­ten dann, dass Tali­ban-Kämp­fer im August ihre Woh­nung völ­lig ver­wüs­tet und nach ihnen gesucht hät­ten. Aus Angst vor Ent­de­ckung sind sie erneut geflo­hen und har­ren nun in einem Ver­steck aus – und fürch­ten, ermor­det zu wer­den, wenn sie gefun­den werden.

 

denn sei­ne drei erwach­se­nen Kin­der leben und arbei­ten seit Jahr­zehn­ten in Hes­sen. Er hat sei­ne Kin­der und Enkel­kin­der in Deutsch­land besucht – und ist doch in sei­ne Hei­mat Afgha­ni­stan zurück­ge­kehrt, weil er dort leben, für sein Land arbei­ten woll­te. Doch nun sind der alte Mann und sei­ne Frau in gro­ßer Gefahr, denn er hat lan­ge für die Armee der alten afgha­ni­schen Regie­rung gearbeitet.

 

die mit dafür sorg­te, dass Tali­ban zu Haft­stra­fen ver­ur­teilt wur­den. Schon damals bedroh­ten Tali­ban die Frau, ein enger Ange­hö­ri­ger wur­de bereits von den Tali­ban ermor­det. Die gan­ze Fami­lie ist seit Jah­ren ideo­lo­gisch gegen die Tali­ban ein­ge­stellt. Nun leben sie in einem Ver­steck, doch die Kämp­fer wis­sen, wo sie mit ihren Kin­dern wohn­te, und haben schon Nach­barn aus­ge­fragt. Die Frau setzt gro­ße Hoff­nun­gen auf Deutsch­land, das einst Trup­pen und Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen in ihre Hei­mat schickte.

Bereits im August berich­te­ten wir unter #Sti­men­Aus­Ka­bul von den ver­zwei­fel­ten Nach­rich­ten, die uns aus Kabul erreichten
Bereits im August berich­te­ten wir unter #Sti­men­Aus­Ka­bul von den ver­zwei­fel­ten Nach­rich­ten, die uns aus Kabul erreichten
Bereits im August berich­te­ten wir unter #Sti­men­Aus­Ka­bul von den ver­zwei­fel­ten Nach­rich­ten, die uns aus Kabul erreichten
Bereits im August berich­te­ten wir unter #Sti­men­Aus­Ka­bul von den ver­zwei­fel­ten Nach­rich­ten, die uns aus Kabul erreichten

Wer mit einem Bundesaufnahmeprogramm gerettet werden könnte:

 

Die eine Schwes­ter, eine Regio­nal­po­li­ti­ke­rin, hat­te vie­le Auf­ga­ben, die sie in der Öffent­lich­keit sicht­bar mach­ten, und hat zudem in eini­gen Pro­jek­ten eng mit der Bun­des­wehr zusam­men­ge­ar­bei­tet. Nun wer­den sie und ande­re Fami­li­en­mit­glie­der, die eben­falls öffent­lich­keits­wirk­sam in der Gesell­schaft aktiv waren, ver­folgt und ste­hen auf einer Lis­te der Tali­ban. Eine Schwes­ter wur­de bereits von den Tali­ban ent­führt, bru­ta­le Fotos ver­set­zen die Fami­lie in Angst und Schre­cken. Und jeden Tag kom­men bewaff­ne­te Tali­ban und suchen im Eltern­haus nach einer wei­te­ren Schwes­ter. In gro­ßer Angst lebt auch ein wei­te­rer Ver­wand­ter, des­sen Eltern und Geschwis­ter bereits vor dem Abzug der west­li­chen Trup­pen von den Tali­ban ermor­det wor­den sind.

der Ver­bre­chen gegen die inne­re und äuße­re Sicher­heit unter­such­te und ver­folg­te – und so zu Ver­ur­tei­lun­gen von Tali­ban bei­trug. Wie vie­le, die an eine neue Gesell­schafts­struk­tur glaub­ten und für sie kämpf­ten, stan­den er schon immer im Visier der Tali­ban – und ist ihnen mit dem Zusam­men­bruch des Sys­tems schutz­los aus­ge­lie­fert. Als er aus Sicher­heits­krei­sen erfuhr, dass die Tali­ban ihn ver­fol­gen, floh er in ein Nach­bar­land, das ihn aber nach Afgha­ni­stan abschob. Nun lebt er ver­steckt und hofft auf Hil­fe aus Deutschland.

Forderungen kompakt

Um die­sen den vie­len ande­ren Frau­en. Män­nern und Kin­dern in Not zu hel­fen, for­dern die unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen zusammengefasst:

Ad hoc-Maß­nah­men: Siche­re Aus­rei­se und wei­te­re Auf­nah­me­zu­sa­gen für beson­ders gefähr­de­te Afghan*innen

- siche­re Aus­rei­se durch Ver­ein­ba­run­gen mit Nachbarstaaten

- Auf­nah­me­zu­sa­gen für beson­ders gefähr­de­te Per­so­nen ohne Fristsetzung

Wei­te­re Auf­nah­me über ein Bundesaufnahmeprogramm

- Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm für gefähr­de­te Afghan*innen

- Berück­sich­ti­gung beim Resett­le­ment-Pro­gramm der Ver­ein­ten Nationen

Ange­hö­ri­ge von in Deutsch­land leben­den Men­schen schützen

- Fami­li­en­nach­zug beschleu­ni­gen, büro­kra­ti­sche Hür­den abbau­en und allen Ermes­sens­spiel­raum ausschöpfen

- Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me für Ange­hö­ri­ge von in Deutsch­land leben­den Personen

Schutz und Per­spek­ti­ve für Afghan*innen in Deutschland

- Ände­rung der Ent­schei­dungs­pra­xis des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flüchtlinge

- gene­rel­ler Abschie­bungs­stopp und eine Blei­be­rechts­re­ge­lung für Afghan*innen

 

(wr)