Hintergrund
Viel hilft nicht viel: Widerrufs- und Rücknahme-Aktionismus beim BAMF
Es gibt kaum Hinweise, dass die Anerkennungen der letzten Jahre zu Unrecht erfolgt sind. Trotzdem hat das BAMF damit begonnen, massenhaft Überprüfungen einzuleiten. Seit Dezember 2018 sind Schutzberechtigte gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet. Für die Betroffenen bedeutet dies vor allem eins: Verunsicherung.
»Sehr geehrter Herr Alhassan, derzeit wird die in Ihrem Asylverfahren getroffene positive Entscheidung überprüft. Das Bundesamt ist gesetzlich berechtigt und verpflichtet, Ihren Schutzstatus im Rahmen eines Widerrufs- bzw.- Rücknahmeverfahrens zu überprüfen«.
Maher Alhassan (Name redaktionell geändert) hat Angst. Seit der Syrer vor drei Jahren als Flüchtling anerkannt wurde, hat er sich sicher gefühlt. Durch den Brief vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gerät alles ins Wanken.
Hunderttausende Bescheide auf dem Prüfstand
So wie Alhassan ergeht es zahlreichen Flüchtlingen in Deutschland, seit das BAMF begonnen hat, hunderttausende von Flüchtlingsanerkennungen zu überprüfen. Tatsächlich sieht das deutsche Asylrecht in der Regel binnen drei Jahren eine Überprüfung von Flüchtlingsanerkennungen vor; unter bestimmten Umständen sind Aufhebungen möglich. Kommt das BAMF zur Einschätzung, dass sich wesentliche Umstände im Herkunftsland geändert haben oder dass im Asylverfahren falsche Angaben gemacht wurden, leitet es ein Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren ein.
Widerruf oder Rücknahme
Widerrufe sind von Rücknahmen zu unterscheiden. Widerrufen wird eine Flüchtlingsanerkennung, wenn die Gründe, die ursprünglich zur Schutzgewährung geführt haben, nicht mehr bestehen. Eine Rücknahme des Schutzstatus erfolgt, wenn sich herausstellt, dass eine Person aufgrund von falschen Angaben oder Verschweigens wesentlicher Tatsachen fälschlicherweise als Flüchtling anerkannt wurde. Entsprechende Regelungen zum Widerruf und zur Rücknahme existieren auch für alle anderen Schutzformen. Aber selbst wenn der Schutzstatus entzogen wird, kann eine Rückkehr unzumutbar sein, zum Beispiel aufgrund nachwirkender traumatisierender Erlebnisse.
Kaum Anlässe für Widerrufe
Die rechtlichen Hürden für den Widerruf einer Flüchtlingsanerkennung, die sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Qualifikationsrichtlinie ergeben, sind hoch. Die Umstände im Herkunftsland müssen sich so nachhaltig verändert haben, dass eine Verfolgung bei Rückkehr ins Herkunftsland nicht mehr zu erwarten ist. Von einer grundlegenden Veränderung kann aber bei den Hauptherkunftsländern in den meisten Fällen keine Rede sein: Wer wie Maher Alhassan vor drei Jahren in Syrien vom Regime verfolgt wurde, ist von eben diesem Regime auch jetzt noch massiv bedroht.
Dass die Voraussetzungen für die Einleitung von Widerrufsverfahren bei Flüchtlingen aus den meisten Hauptherkunftsländern in den seltensten Fällen vorliegen, liegt auf der Hand.
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich in den letzten Jahren noch einmal drastisch verschlechtert. Sieht man sich die Lage in Eritrea an, ist nicht ersichtlich, dass das dortige diktatorische Regime nunmehr weniger Eifer bei der Verfolgung von vermeintlichen Oppositionellen an den Tag legt. Dass die Voraussetzungen für die Einleitung von Widerrufsverfahren bei diesen großen Flüchtlingsgruppen in den seltensten Fällen vorliegen, liegt auf der Hand.
Massenhafte persönliche Vorladungen
Trotzdem ist das BAMF massenhaft in genau diese Prüfung eingestiegen. Ausgelöst wurde dies durch den Fall Franco A., einen rechtsextremen Bundeswehroffizier, der sich im Asylverfahren als Syrer ausgab und dem ein Schutzstatus zuerkannt wurde. Wegen dieses Falles wurde gemutmaßt, dass viele der in den Jahren 2015 und 2016 eingereisten Flüchtlinge fälschlicherweise anerkannt wurden. Das BAMF begann deshalb, Überprüfungen vorzuziehen.
Ohne mitzuteilen, dass es um den möglichen Entzug des erteilten Schutzstatus ging, lud die Behörde Anerkannte zu Gesprächen ein. Obwohl die Teilnahme freiwillig war, nahm mehr als die Hälfte der Betroffenen den Termin wahr. Bei den 24.000 bisher abgeschlossenen Überprüfungen dieser Verdachtsfälle wurde allerdings nur bei 1 Prozent der Fälle der Schutzstatus widerrufen oder zurückgenommen (Bundestagsdrucksache 19/7818). Alle anderen Anerkennungen hatten weiterhin Bestand; der Anteil von Personen, die über ihre Identität getäuscht hatten, erwies sich als verschwindend gering.
Neues Gesetz zur Mitwirkung bei der Überprüfung
Dennoch hielt es die Bundesregierung für notwendig, dem BAMF weitergehende rechtliche Instrumente an die Hand zu geben. Ende 2018 wurde ein neues Gesetz zur Mitwirkung in Widerrufs- und Rücknahmeverfahren beschlossen. Dies zeigt sich auch in dem eingangs erwähnten Brief an Maher Alhassan, in dem er zum Termin im Bundesamt geladen wird: »Zur Prüfung, ob die Voraussetzungen des Widerrufs oder der Rücknahme vorliegen, ist das Bundesamt auf Ihre Mitwirkung angewiesen. Zu dieser Mitwirkung sind Sie auch verpflichtet«. Natürlich wird Alhassan hingehen, doch er weiß nicht, was ihn erwartet. Hilfesuchend wendet er sich an PRO ASYL.
Das BAMF nutzt das neue Gesetz, um anerkannte Flüchtlinge massenhaft und anlasslos persönlich zu unterschiedlichen Themen zu befragen.
Ausufernde Befragungen
Das BAMF nutzt das neue Gesetz, um anerkannte Flüchtlinge massenhaft und anlasslos persönlich zu unterschiedlichen Themen zu befragen. Obwohl im Überprüfungsverfahren – auch laut Dienstanweisung des BAMF – keine zweite Anhörung stattfinden darf, haben die Befragungen einen solchen Charakter. Statt eines konkreten Anlasses der Überprüfung, auf den der Betroffene reagieren kann, werden Anhörungen durchgeführt, durch die mögliche Ansatzpunkte für ein Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren erst konstruiert werden können.
Teilweise werden auch Fragen gestellt, die gar nichts mit Widerrufs- oder Rücknahme zu tun haben. Sie betreffen stattdessen beispielsweise die Integration in Deutschland oder die Religionsausübung und zielen damit wohl auf Sicherheitsaspekte ab. Gegen eine nachholende Identitätsklärung ist kaum etwas einzuwenden. Wenn aber die Behörden eine Identitätsklärung oder eine Sicherheitsüberprüfung durchführen wollen, sollte das Gespräch auch als solches deklariert werden und von der Widerrufsprüfung getrennt bleiben.
Jeder dritte BAMF-Bescheid wird von einem Verwaltungsgericht korrigiert und die Betroffenen erhalten einen (besseren) Schutzstatus. Wenn die Bundesregierung eine Überprüfung der Entscheidungen für notwendig hält, dann sollte sie hier ansetzen.
Verunsicherung bei Betroffenen
Alhassans Identität ist allerdings längst geklärt, den syrischen Pass hat er abgegeben und auch seine Fingerabdrücke wurden bei der Asylantragstellung gespeichert. Wüsste er, dass es den Behörden bei dem Gespräch eigentlich um eine Sicherheitsüberprüfung geht, wäre er sofort von den größten Sorgen befreit. Stattdessen müssen die Berater*innen ihm raten, sich auf potenziell alles vorzubereiten und möglichst mit einem Beistand in das Gespräch zu gehen.
Zu 99 Prozent wird der Schutzstatus bestätigt
Die Notwendigkeit des neuen Gesetzes wurde damit begründet, dass es zur Befriedung der gesellschaftlichen Debatte über die Richtigkeit der BAMF-Entscheidungen führen würde. Dass die Befriedung von Debatten eine angemessene und ausreichende Grundlage für Gesetzgebung ist, erscheint genauso zweifelhaft wie die Hoffnung, dadurch die Krawallmacher von rechts ruhigzustellen.
Negative Bescheide prüfen!
Fakt ist: Im Jahr 2018 wurden insgesamt über 85.000 Überprüfungen vorgenommen, in 99 Prozent der Fälle wurde der Schutzstatus bestätigt (Bundestagsdrucksache 19/7818). Trotz der verschwindend geringen Aberkennungsquote betreibt das Bundesamt einen massiven Aufwand und verunsichert weiterhin tausendfach Menschen, auch wenn klar ist, dass die Situation in deren Herkunftsländern keine Widerrufsgründe liefert. Das Personal könnte man deutlich sinnvoller einsetzen: bei der Überprüfung der ablehnenden Bescheide. Jeder dritte BAMF-Bescheid wird von einem Verwaltungsgericht korrigiert und die Betroffenen erhalten einen (besseren) Schutzstatus: Im Jahr 2018 betraf dies fast 30.000 Schutzsuchende (29.573) Wenn die Bundesregierung eine Überprüfung der Entscheidungen für notwendig hält, dann sollte sie hier ansetzen.
Hinweise zu Widerrufsverfahren (GGUA)
Hinweise von RA Hubert Heinhold
(jb/ame)