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Traumatisierte Flüchtlinge dürfen nicht abgeschoben werden!
Krieg, Folter, Vergewaltigung: Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, haben in ihrer Heimat und auf der Flucht oft Gewalt erlitten. Neben körperlichen Leiden können Erkrankungen wie posttraumatische Belastungsstörungen bis hin zu Suizidgefahr die Folge sein. Doch psychische Erkrankungen werden im Asylverfahren nicht ausreichend berücksichtigt.
Immer wieder werden sogar traumatisierte Menschen abgeschoben, obwohl ihnen in ihren Herkunftsländern eine wesentliche Verschlechterung ihres Zustands bis hin zu einer Retraumatisierung droht. Und therapeutische Behandlungsmöglichkeiten existieren in vielen Ländern nicht.
Eigentlich besteht nach Paragraf 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz ein zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis, wenn eine Abschiebung Leib oder Leben erheblich gefährdet, dies wird im Asylverfahren durch das BAMF geprüft. Und krankheitsbezogene Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, werden von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im Rahmen des Paragrafen 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz berücksichtigt.
Kranke und traumatisierte Flüchtlinge nicht abschieben! Gesetzesverschärfungen zurücknehmen!
Doch mit dem Asylpaket II im März 2016 und dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz im Oktober 2019 hat die Bundesregierung die Anforderungen zum Beispiel an Atteste derart verschärft, dass es insbesondere für psychisch Kranke kaum noch möglich ist, ein krankheitsbezogenes Abschiebehindernis geltend zu machen.
Daran hat sich seit Jahren nichts geändert. Deshalb wendet sich ein breites Bündnis, initiiert von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für die psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF), an die neue Bundesregierung mit den Forderungen: Kranke und traumatisierte Flüchtlinge nicht abschieben! Gesetzesverschärfungen zurücknehmen!
Das Bündnis aus 15 großen bundesweiten Organisationen fordert von der neuen Bundesregierung, im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren schwere Erkrankungen von Schutzsuchenden angemessen zu berücksichtigen. Dafür müssen auch Gesetze geändert und die von der GroKo durchgesetzten Gesetzesverschärfungen zurückgenommen werden.
PRO ASYL unterstützt diesen Appell an die nächste Bundesregierung und fordert den uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge zusammen mit: Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF), Amnesty International, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Ärzte der Welt, Bundespsychotherapeutenkammer, Deutscher Anwaltverein, Deutscher Caritasverband, Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband , Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Deutschland, Handicap International, IPPNW und Medico International.
»Geflüchtete und Überlebende von Krieg, Folter und Flucht haben ein Recht auf Schutz und Sicherheit. Dazu gehört auch, dass die gesundheitliche und psychosoziale Versorgung sichergestellt wird. Dies ergibt sich nicht nur aus völkerrechtlichen und europarechtlichen Verpflichtungen, sondern ist auch ein Gebot der Humanität«, heißt es in dem Aufruf.
Überhöhte Anforderungen an Bescheinigungen
Ein Problem: Im Paragrafen § 60a Abs. 2c) Aufenthaltsgesetz ist eine gesetzliche Vermutung verankert, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Ferner ist dort das (Fach-)Arztkriterium normiert, durch das Psychologische Psychotherapeut*innen für die Ausstellung von Bescheinigungen über das Vorliegen psychischer Erkrankungen ausgeschlossen werden.
Dadurch werden Betroffene gezwungen, sich um psychiatrische Bescheinigungen zu bemühen. Aber Psychiater*innen haben dafür in der Praxis in aller Regel keine Kapazitäten. Auch können Betroffene die hohen Kosten für psychiatrische Untersuchungen regelmäßig nicht tragen, während sie in psychosozialen Zentren ohne hohe Hürden Zugang zu Psychotherapeut*innen haben.
Zudem werden hohe inhaltliche Anforderungen an die Bescheinigung gestellt. Durch diese überhöhten Anforderungen wird den Betroffenen die Beweislast auferlegt, dass bei ihnen ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis vorliegt. Damit wird der Amtsermittlungsgrundsatz unterlaufen, wonach in der Regel die Behörde entscheidungserhebliche Tatsachen aufzuklären hat. Dies wird der Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit, die aus dem Grundgesetz resultiert (Artikel 2 Ab 2 S. 1), nicht gerecht.
Geflüchtete und Überlebende von Krieg, Folter und Flucht haben ein Recht auf Schutz und Sicherheit.
Zentrale Forderungen
Die zentralen Forderungen an die Koalitionäre und die künftige Bundesregierung lauten:
- Uneingeschränkten Zugang zu medizinischer und psychosozialer Versorgung ermöglichen
- Finanzierung der Psychosozialen Zentren nachhaltig sicherstellen
- Gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung einführen
- Schwere Erkrankungen im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren berücksichtigen.
Im »Appell an die nächste Bundesregierung – Menschenrechte achten – uneingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung gewähren und von Krieg, Folter und Flucht traumatisierte Menschen vor Abschiebung schützen« werden die traumatisierende Situation vieler Geflüchteter und die Forderungen der Unterzeichnenden genauer geschildert:
Geflüchtete und Überlebende von Krieg, Folter und Flucht haben ein Recht auf Schutz und Sicherheit. Dazu gehört auch, dass die gesundheitliche und psychosoziale Versorgung sichergestellt wird. Dies ergibt sich nicht nur aus völkerrechtlichen und europarechtlichen Verpflichtungen, sondern ist auch ein Gebot der Humanität.
Wir, Organisationen der Zivilgesellschaft, der Wohlfahrt, Berufs- und Fachverbände stellen im Rahmen unserer täglichen Arbeit mit Geflüchteten fest, dass Deutschland diesen Verpflichtungen nicht vollständig nachkommt. Daher appellieren wir an Sie, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen den Schutz und die notwendige medizinische Versorgung Geflüchteter sicherzustellen.
Notwendige Behandlungen werden oft zu spät oder gar nicht bewilligt – mit gravierenden Folgen für die Betroffenen.
Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglichen
Aus unserer Praxis wissen wir, dass notwendige Behandlungen oft zu spät oder gar nicht bewilligt werden. Die Folge: Erkrankungen chronifizieren und das Leid der Betroffenen verlängert sich. Dies ist für Menschen, die unter den Folgen von erlittener Folter oder anderer Menschenrechtsverletzungen leiden, gravierend. Unnötige medizinische und auch gesellschaftliche Folgekosten werden verursacht. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie gefährlich Vorerkrankungen sein können.
Daher sollte allen Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Leistungsanspruch der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt und bundesweit allen Geflüchteten von Anfang an eine vollwertige Krankenversicherungskarte ausgestellt werden. Dadurch können auch kostenintensive Notfälle vermieden werden.
Finanzierung der Psychosozialen Zentren sicherstellen
Bei der psychosozialen Versorgung traumatisierter Geflüchteter haben sich in Deutschland seit Jahrzehnten die Psychosozialen Zentren bewährt, indem sie die spezielle Versorgung für Überlebende von Krieg und Folter im Wesentlichen übernehmen. Gleichzeitig ist ihre Finanzierung bis heute nicht ausreichend und nicht nachhaltig gesichert. Dies führt dazu, dass viele Geflüchtete wochen- und monatelang keine psychosoziale Unterstützung erfahren bzw. auf einen Therapieplatz warten. Teilweise bleibt ihnen Unterstützung in ihrer Not ganz versagt. Damit alle, die Bedarf haben und psychosoziale Unterstützung und Therapie benötigen, versorgt werden können, muss die Finanzierung sichergestellt und bedarfsgerecht aufgestockt werden.
Gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung einführen
Zudem gibt es in Deutschland für geflüchtete Menschen bislang keinen Anspruch auf Sprachmittler*innen, die sie bei der Behandlung durch Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen unterstützen. Das führt oft zu Missverständnissen oder sogar Fehlbehandlungen, die mitunter lebensgefährlich werden können. Es braucht einen gesetzlichen Anspruch auf professionelle Sprachmittlung in der Arbeit mit Geflüchteten und anderen, mit denen eine korrekte Verständigung andernfalls nicht möglich ist.
Schwere Erkrankungen im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren berücksichtigen
Schwere Erkrankungen werden nicht ausreichend im Asyl- und Aufenthaltsverfahren berücksichtigt. Zum einen verbleibt vielen Betroffenen keine Zeit zur Beibringung von ärztlichen Attesten bei der Asylanhörung. Zum anderen ist den Betroffenen durch die überhöhten Anforderungen in unzumutbarer Weise die Beweislast für das Vorliegen ihrer Erkrankung auferlegt.
Seit dem Asylpaket II und dem so genannten Geordnete-Rückkehr-Gesetz sind die Anforderungen an Atteste kaum noch erfüllbar. Wegen des (Fach-)Arztkriteriums werden Stellungnahmen psychologischer Psychotherapeut*innen nicht mehr berücksichtigt.
Hierdurch wurden circa zwei Drittel der Fachkräfte ausgeschlossen, die davor Stellungnahmen ausstellen konnten. Für den Ausschluss der Expertise psychologischer Psychotherapeut*innen besteht kein sachlicher Grund: Sie sind aufgrund ihrer Aus- und Weiterbildung zur Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen befähigt und berechtigt. Es kommt deshalb zu Abschiebungen trotz schwerer Krankheit und besonderer Schutzbedürftigkeit.
Besondere Schutzbedarfe müssen in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren eine stärkere Berücksichtigung erlangen. Zunächst müssen sie jedoch identifiziert werden können. Aus diesem Grund ist eine angemessene Zeit zwischen Asylgesuch und Asylanhörung und die Streichung der § 60 Abs. 7 S. 2 ff. und § 60a Abs. 2c und AufenthG notwendig.
Wir bitten Sie eindringlich, im Rahmen der Koalitionsverhandlungen die vorgenannten Erfordernisse zu berücksichtigen, um die bestehenden Lücken bei der medizinischen Versorgung und dem Abschiebungsschutz zu schließen.
(wr,pva)