Image
Foto: picture alliance / Frank Rumpenhorst

Ein für den Flüchtlingsschutz schockierendes Jahr geht zu Ende. In Deutschland hat sich der Rechtsruck manifestiert, befeuert von populistischen und flüchtlingsfeindlichen Debatten. Die EU setzt mit Asylrechtsverschärfungen (GEAS) und Gewalt an den Grenzen weiter auf Abschottung. PRO ASYL blickt zurück und nach vorn.

Das Jahr 2024 war ein Jahr vol­ler Umbrü­che, scho­ckie­ren­der Ereig­nis­se und gesell­schaft­li­cher Her­aus­for­de­run­gen, die tie­fe Spu­ren hin­ter­las­sen haben. Bereits zu Beginn sorg­ten die ver­stö­ren­den Cor­rec­tiv-Ent­hül­lun­gen über das Pots­da­mer Geheim­tref­fen für Empö­rung. An dem Tref­fen hat­ten neben bekann­ten Rechts­ra­di­ka­len auch AfD-Ver­tre­ter und zwei Mit­glie­der der Wer­te­uni­on teil­ge­nom­men. Dort dis­ku­tier­te Depor­ta­ti­ons­plä­ne für Mil­lio­nen Men­schen mit Migra­ti­ons­ge­schich­te und ihre Unterstützer*innen führ­ten zu mas­si­ven Pro­tes­ten, bei denen Hun­dert­tau­sen­de auf die Stra­ßen gin­gen.

Dies war aus Sicht von PRO ASYL ein kla­rer Auf­trag der Gesell­schaft an die Poli­tik, sich gegen Rechts­extre­mis­mus und men­schen­feind­li­che Posi­tio­nen zu stel­len. Doch statt ruhi­ge und sach­li­che Dis­kus­sio­nen zu füh­ren, wur­den im Lau­fe des Jah­res immer neue flücht­lings­feind­li­che Debat­ten los­ge­tre­ten. Kon­kret wirk­te sich dies in neu­en Geset­zes­ver­schär­fun­gen, mehr Abschie­bun­gen und Wahl­er­fol­gen rech­ter Par­tei­en bei den Land­tags­wah­len in Thü­rin­gen, Sach­sen und Bran­den­burg aus.

Ein gro­ßer Schock war der isla­mis­ti­sche Angriff auf ein »Fes­ti­val der Viel­falt« in Solin­gen – und damit auch ein Angriff auf die demo­kra­ti­sche und offe­ne Gesell­schaft. Ange­sichts der eska­lie­ren­den Debat­te im Nach­gang warn­te PRO ASYL die poli­ti­schen Ver­ant­wort­li­chen in der demo­kra­ti­schen Mit­te, nicht in einen Über­bie­tungs­wett­be­werb mit den Rechts­extre­men und Völ­ki­schen einzutreten.

Nach Mona­ten des Dau­er­streits zer­brach im Novem­ber die Ampel-Koali­ti­on. Als pro­gres­si­ves Regie­rungs­bünd­nis ange­tre­ten, mit einem auch in Asyl- und Migra­ti­ons­fra­gen in Tei­len posi­ti­ven Koali­ti­ons­ver­trag, steht am Ende der Regie­rungs­zeit eine bit­te­re Bilanz zum Flücht­lings­schutz: Wich­ti­ge Vor­ha­ben des Koali­ti­ons­ver­trags wur­den nicht umge­setzt, dafür aber im Ver­trag nicht ver­ein­bar­te Ver­schär­fun­gen vor­ge­nom­men. Sinn­bild­lich dafür steht die Zustim­mung zur umstrit­te­nen euro­päi­schen Asyl­rechts­ver­schär­fung, der GEAS-Reform. Ein Blick in das Wahl­pro­gramm der aktu­ell in Umfra­gen stärks­ten Par­tei, der CDU, zeigt jedoch, dass die Dis­kus­si­on um grund- und völ­ker­rechts­wid­ri­ge Vor­schlä­ge 2025 noch mas­si­ver wer­den wird.

Statt ruhi­ge und sach­li­che Dis­kus­sio­nen zu füh­ren, wur­den im Lau­fe des Jah­res immer neue flücht­lings­feind­li­che Debat­ten losgetreten.

Wohl kaum eine Nach­richt hat 2024 bei so vie­len Men­schen Freu­de aus­ge­löst und Hoff­nung geweckt, wie der Sturz des bru­ta­len Assad-Regimes in Syri­en im Dezem­ber 2024. Getrübt wur­de die Freu­de jedoch durch eng­stir­ni­ge Rück­kehr- und Wider­rufs­de­bat­ten, die in Deutsch­land nur Stun­den nach der Nach­richt los­ge­tre­ten wur­den – und zudem weit­ge­hend die aktu­el­le Situa­ti­on in Syri­en ignorieren.

Das Jahr 2024 hat die Her­aus­for­de­run­gen und Abgrün­de im Umgang mit Asyl und Migra­ti­on, Rechts­extre­mis­mus und gesell­schaft­li­cher Spal­tung auf ein­drück­li­che Wei­se offen­ge­legt – und wird als ein Wen­de­punkt in Erin­ne­rung bleiben.

Des­halb wird PRO ASYL erst recht auch 2025 wei­ter­hin für das Recht auf Asyl und die Men­schen­wür­de ein­ste­hen. PRO ASYL wird sich flücht­lings­feind­li­cher und popu­lis­ti­scher Stim­mungs­ma­che ent­ge­gen­stel­len, im begin­nen­den Bun­des­tags­wahl­kampf und dar­über hin­aus: an der Sei­te der Betrof­fe­nen, mit Fak­ten und mit der Ver­tei­di­gung von Grund­ge­setz und Menschenrechten.

Im Jahr 2024 sind die Asyl­an­trags­zah­len deut­lich um rund 29 Pro­zent zurück­ge­gan­gen – obwohl man ange­sichts des poli­ti­schen Dis­kur­ses das Gegen­teil erwar­ten wür­de. Rund 240.000 Men­schen bean­trag­ten 2024 Asyl in Deutsch­land, 2023 waren es noch knapp 330.000.

Gesun­ken ist auch die Schutz­quo­te von durch­schnitt­lich knapp 70 Pro­zent auf nur noch 60 Pro­zent, obwohl sich an den Haupt­her­kunfts­län­dern wenig geän­dert hat. Mit Syri­en, Afgha­ni­stan, der Tür­kei, dem Irak, Soma­lia, dem Iran und der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on sind dies aus­schließ­lich Kriegs- und Kri­sen­staa­ten mit oft­mals auto­ri­tä­ren Regi­men, in denen kei­ne Ver­bes­se­run­gen der Lagen zu ver­zeich­nen waren.

Ins­be­son­de­re die Men­schen aus der Tür­kei erhiel­ten sel­te­ner Schutz (12 Pro­zent nach 18 Pro­zent in 2023). Eine oft ent­schei­den­de Fra­ge in Asyl­ver­fah­ren von tür­ki­schen Staatsbürger*innen ist, ob in der Tür­kei die Straf­ver­fah­ren nach rechts­staat­li­chen Kri­te­ri­en ablau­fen, wenn sie poli­tisch moti­viert sind. Ein 2024 von PRO ASYL ver­öf­fent­lich­tes Gut­ach­ten zur Lage der Jus­tiz in der Tür­kei zeigt, dass in sol­chen Fäl­len nicht mit rechts­staat­li­chen Ver­fah­ren zu rech­nen ist. Auch für Men­schen aus dem Iran ging die Schutz­quo­te erneut und in hohem Maße zurück (von 45 Pro­zent in 2023 auf 37 Pro­zent in 2024), ohne dass sich die Men­schen­rechts­si­tua­ti­on ver­bes­sert hätte.

Beson­ders rele­vant für 2025 wird die zum Ende des Jah­res 2024 auf­fäl­lig fal­len­de Schutz­quo­te für Schutz­su­chen­de aus Afgha­ni­stan. Seit Sep­tem­ber 2024 wer­den jeden Monat an die zehn Pro­zent der afgha­ni­schen Asyl­su­chen­den abge­lehnt – Anfang des Jah­res waren es nur drei Pro­zent. PRO ASYL hat 30 nega­ti­ve Ent­schei­dun­gen von afgha­ni­schen Schutz­su­chen­den gesam­melt und ana­ly­siert. Die Ana­ly­se zeigt: Die Argu­men­ta­ti­on des Bun­des­amts für Asyl und Migra­ti­on (BAMF) ist lücken­haft und wider­sprüch­lich. Trotz der dra­ma­ti­schen huma­ni­tä­ren Lage und mas­si­ver Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Afgha­ni­stan geht das BAMF zu leicht­fer­tig davon aus, dass jun­ge afgha­ni­sche Män­ner kei­nen Schutz benö­ti­gen wür­den. PRO ASYL unter­stützt der­zeit meh­re­re afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de dabei, gegen ableh­nen­de Beschei­de zu klagen.

Auch zu beob­ach­ten sein wird die BAMF-Pra­xis zu Syri­en. Dort lag die Schutz­quo­te 2024 bei nahe­zu 100 Pro­zent. Seit dem Sturz von Dik­ta­tor Baschar al-Assad hat das BAMF die Asyl­ver­fah­ren aus­ge­setzt. Es bleibt zu hof­fen, dass das BAMF in 2025 aus Feh­lern in der Ver­gan­gen­heit lernt und nicht damit beginnt, Hun­dert­tau­sen­den Syrer*innen mit Hil­fe von Wider­rufs­ver­fah­ren ihren Schutz­sta­tus zu ent­zie­hen mit dem Ziel, die­se in ein ver­meint­lich siche­res Syri­en abzu­schie­ben. Denn damit wür­de es sich nur selbst lahm­le­gen und die Ver­wal­tungs­ge­rich­te mas­siv belas­ten. Das zeigt die Ver­gan­gen­heit: So hat­te das BAMF nach dem Sturz von Sad­dam Hus­sein im Irak ab 2004 Tau­sen­den Men­schen aus dem Irak den Schutz­sta­tus ent­zo­gen, sich selbst und die Ver­wal­tungs­ge­rich­te mas­siv belas­tet und vor allem aber die Men­schen ohne Not ent­rech­tet. Denn wegen der wei­ter­hin sehr insta­bi­len Sicher­heits­la­ge und des Cha­os im Land führ­ten die­se tau­send­fa­chen Wider­ru­fe nicht zu Abschie­bun­gen oder Rück­kehr – und ähn­lich wür­de es der­zeit auch mit Syri­en laufen.

Medi­en­be­rich­ten zufol­ge wur­den bis Ende Sep­tem­ber 2024 fast 15.000 Men­schen aus Deutsch­land abge­scho­ben, ein Anstieg um 20 Pro­zent im Ver­gleich zum Vor­jahr. Hin­ter die­sen Zah­len ste­cken nicht sel­ten sehr dra­ma­ti­sche Ein­zel­fäl­le. Abschie­bun­gen wur­den und wer­den immer wie­der als All­heil­mit­tel zur Ent­las­tung über­for­der­ter Kom­mu­nen ver­kauft. Das kön­nen sie aber schon von den Zah­len her nicht sein, zumal die Situa­ti­on in vie­len Län­dern der Welt Abschie­bun­gen nicht oder nur in gerin­gem Umfang zulassen.

Deut­lich effek­ti­ver und huma­ner ist das Chan­cen-Auf­ent­halts­recht, um die Zahl der aus­rei­se­pflich­ti­gen Per­so­nen in Deutsch­land zu sen­ken. Bis Sep­tem­ber 2024 haben 72.000 Men­schen die­sen vor­über­ge­hen­den Auf­ent­halts­ti­tel bekom­men, rund 5.000 Per­so­nen im Anschluss dar­an bereits ein län­ger­fris­ti­ges Bleiberecht.

PRO ASYL hat schar­fe Kri­tik an den ver­mehr­ten Abschie­bun­gen sowie dem hohen poli­ti­schen Rück­füh­rungs­druck in Deutsch­land geübt und beson­ders gegen Abschie­bun­gen und ent­spre­chen­de For­de­run­gen danach in Län­der wie Iran, Syri­en und Afgha­ni­stan pro­tes­tiert. PRO ASYL for­dert den sofor­ti­gen Stopp die­ser Rück­füh­run­gen und Plä­ne. Im Gegen­teil: Men­schen müs­sen vor einer lebens­be­droh­li­chen Rück­kehr in repres­si­ve Staa­ten geschützt wer­den, da die jewei­li­ge Sicher­heits- und Men­schen­rechts­la­ge dort wei­ter­hin kei­ne siche­re Rück­kehr zulässt.

Dass mitt­ler­wei­le auch Jesid*innen, die den Völ­ker­mord über­lebt haben, in den Irak abge­scho­ben wer­den, ist unverantwortlich

Dass mitt­ler­wei­le auch Jesid*innen, die den Völ­ker­mord über­lebt haben, in den Irak abge­scho­ben wer­den, hält PRO ASYL für unver­ant­wort­lich und hat mehr­fach einen Abschie­be­stopp gefor­dert. Mit einem gemein­sam mit dem vor allem im Irak enga­gier­ten Ver­ein Wadi ver­öf­fent­lich­ten Gut­ach­ten hat PRO ASYL auf die dra­ma­ti­sche Lage der Jesid*innen im Irak auf­merk­sam gemacht.

Erst­mals, seit­dem die Tali­ban die Macht über­nom­men haben, star­te­te am 30. August 2024 ein Abschie­be­flug nach Afgha­ni­stan – nur zwei Tage vor den Land­tags­wah­len in Sach­sen und Thü­rin­gen. Trotz der pre­kä­ren men­schen­recht­li­chen und huma­ni­tä­ren Situa­ti­on in Afgha­ni­stan, die kei­ne Abschie­bun­gen erlaubt, ist 2025 mit wei­te­ren Abschie­be­flü­gen nach Kabul zu rechnen.

Ange­sichts der Tat­sa­che, dass nur Stun­den nach dem Sturz des syri­schen Dik­ta­tors Assad eine Dis­kus­si­on über die Rück­kehr syri­scher Flücht­lin­ge in Deutsch­land ent­brann­te, ist zu befürch­ten, dass die For­de­run­gen nach Abschie­bun­gen nach Syri­en lau­ter wer­den – obwohl es dort wei­ter­hin unsi­cher, poli­tisch unge­wiss und die Ver­sor­gungs­la­ge wei­ter­hin kata­stro­phal ist.

»Irre­gu­lä­re Migra­ti­on« nach Deutsch­land ver­hin­dern und »Schleu­ser­kri­mi­na­li­tät zer­schla­gen« – Schlag­wör­ter, mit denen die Bun­des­re­gie­rung 2024 begrün­de­te, war­um sie nicht nur an den Bin­nen­grenz­kon­trol­len an den Gren­zen zu Polen, Tsche­chi­en, Schweiz und Öster­reich fest­hielt – trotz ein­deu­ti­ger Recht­spre­chung des EuGHs, die dies ver­bie­tet –, son­dern die­se im Sep­tem­ber 2024 sogar auf sämt­li­che Bin­nen­gren­zen aus­wei­te­te. Deutsch­land kün­dig­te kur­zer­hand eine zen­tra­le euro­päi­sche Errun­gen­schaft, das kon­troll­freie Rei­sen, auf – und lös­te einen Domi­no­ef­fekt im Schen­gen­raum aus.

Dem vor­an­ge­gan­gen war eine über­hitz­te Debat­te, in der der CDU-Chef Fried­rich Merz gar von einer angeb­li­chen Not­la­ge in Deutsch­land sprach, die sys­te­ma­ti­sche Zurück­wei­sun­gen an deut­schen Gren­zen recht­fer­ti­gen wür­den. Doch sol­che Zurück­wei­sun­gen wären ein­deu­tig rechts­wid­rig.

Tat­säch­lich ist aber die Rea­li­tät an den deut­schen Gren­zen schon jetzt alar­mie­rend: Halb­jah­res­sta­tis­ti­ken der Bun­des­po­li­zei bele­gen, dass sich die Zahl der Zurück­wei­sun­gen an den deut­schen Lan­des­gren­zen nach der ers­ten Ein­füh­rungs­run­de fast ver­dop­pelt hat: von 9.464 (ers­tes Halb­jahr 2023) auf 17.771 (ers­tes Halb­jahr 2024). Die meis­ten Betrof­fe­nen kom­men aus Haupt­her­kunfts­län­dern von Schutz­su­chen­den wie Afgha­ni­stan, Syri­en oder der Ukraine.

Auf­fäl­lig ist, dass auch die Zahl der Asyl­an­trä­ge, die an der Gren­ze gestellt wur­den, im sel­ben Zeit­raum dras­tisch zurück­ging: von 17.033 (ers­tes Halb­jahr 2023) auf 7.784 (ers­tes Halb­jahr 2024). Die Sta­tis­ti­ken spie­geln sich in Berich­ten von Betrof­fe­nen und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen in Nach­bar­staa­ten Deutsch­lands wider. Wie­der­holt errei­chen auch PRO ASYL Schil­de­run­gen, dass Men­schen, die ver­sucht haben, einen Asyl­an­trag zu stel­len, an deut­schen Gren­zen abge­wie­sen wur­den. Das klingt nach Push­backs auch an deut­schen Grenzen.

Da die For­de­rung nach unmit­tel­ba­ren Zurück­wei­sun­gen ein pro­mi­nen­tes Wahl­kampf­the­ma von CDU-Kanz­ler­kan­di­dat Fried­rich Merz ist, wer­den die Dis­kus­sio­nen dar­über auch im Jahr 2025 wei­ter­ge­hen. Und es ist zu befürch­ten, dass die rechts­wid­ri­ge Pra­xis an den Gren­zen ver­stärkt wird. Dies wird PRO ASYL wei­ter genau beob­ach­ten und, wo mög­lich, in Ein­zel­fäl­len aktiv werden.

Auch im Jahr 2024 wur­den Geset­ze im Asyl- und Auf­ent­halts­recht geän­dert. Dabei ver­pass­te die Ampel-Koali­ti­on jedoch die Chan­ce, die im Koali­ti­ons­ver­trag ver­spro­che­nen Ver­bes­se­run­gen umzu­set­zen, zum Bei­spiel beim Fami­li­en­nach­zug oder bei der Iden­ti­täts­klä­rung. Dass die Iden­ti­täts­klä­rung drin­gend neu gere­gelt wer­den muss, ver­deut­licht ein von PRO ASYL her­aus­ge­ge­be­nes Gut­ach­ten zur Pass­be­schaf­fung.

Im Janu­ar 2024 beschlos­sen, trat am 27. Febru­ar 2024 das soge­nann­te Rück­füh­rungs­ver­bes­se­rungs­ge­setz in Kraft. Es ent­hält zahl­rei­che Ver­schär­fun­gen, um Abschie­bun­gen zu erleich­tern. Dazu gehö­ren die mas­si­ve Aus­wei­tung des Aus­rei­se­ge­wahr­sams, der Abschie­bungs­haft und die Befug­nis der Poli­zei, Räu­me in Gemein­schafts­un­ter­künf­ten zu durch­su­chen. PRO ASYL kri­ti­siert, dass die Geset­zes­än­de­run­gen zu einer noch bru­ta­le­ren Abschie­bungs­pra­xis füh­ren wer­den und die Rech­te von Schutz­su­chen­den stark einschränken.

Nach dem isla­mis­ti­schen Atten­tat im Okto­ber 2024 in Solin­gen wur­de mit dem »Sicher­heits­pa­ket« nach­ge­legt. Ein­deu­tig ver­fas­sungs­wid­rig ist der vor­ge­se­he­ne Leis­tungs­aus­schluss für Dub­lin-Fäl­le (sie­he hier­zu auch den Punkt »Wei­te­re Ein­schnit­te bei den Sozi­al­leis­tun­gen«), der bedeu­tet, dass bestimm­te Schutz­su­chen­de kein Recht auf Sozi­al­leis­tun­gen mehr haben. Zudem beschloss die Ampel-Regie­rung eine euro­pa­rechts­wid­ri­ge Ver­schär­fung der Wider­rufs­re­geln, die einen Wider­ruf des Schutz­sta­tus bei Rei­sen ins Hei­mat­land vor­se­hen. Nach dem Sturz von Assad bekommt die­se Ver­schär­fung eine neue Dimen­si­on, haben doch vie­le syri­sche Flücht­lin­ge das Bedürf­nis, end­lich Ver­wand­te wie­der sehen oder nach ihnen suchen zu können.

Auf­grund der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des »Sicher­heits­pa­kets« demons­trier­te PRO ASYL dage­gen, unter ande­rem kurz vor der Abstim­mung mit einer Peti­ti­ons­über­ga­be und einer sze­ni­schen Dar­stel­lung vor dem Bun­des­tag, bei der die Waa­ge der Jus­ti­tia hef­tig ins Wan­ken geriet.

Eine der weni­gen prin­zi­pi­ell guten Neu­ig­kei­ten war die Reform des Staats­an­ge­hö­rig­keits­rechts. Seit Juni 2024 gel­ten neue Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­bür­ge­rung. Die Reform erleich­tert die dop­pel­te Staats­an­ge­hö­rig­keit, schränkt jedoch gleich­zei­tig durch ver­schärf­te Ein­bür­ge­rungs­be­din­gun­gen für bestimm­te Grup­pen den Zugang ein, wenn sie ihren Lebens­un­ter­halt nicht selbst sichern können.

Für 2025 wird die natio­na­le Umset­zung der GEAS-Reform anste­hen (sie­he mehr wei­ter unten bei Abschnitt zur GEAS-Reform). Lei­der ist auch zu erwar­ten, dass nach der Bun­des­tags­wahl – je nach Wahl­aus­gang – wei­te­re natio­na­le Ver­schär­fun­gen anste­hen werden.

Ein in Poli­tik wie Medi­en heiß dis­ku­tier­tes The­ma war 2024 die Bezahl­kar­te. Sie soll Geflüch­te­ten anstel­le von Bar­geld aus­ge­hän­digt wer­den und ent­hält bei der Zah­lungs­funk­ti­on ver­schie­de­ne Beschrän­kun­gen. So sind etwa Last­schrif­ten und Über­wei­sun­gen stark erschwert oder nicht mög­lich. Die Bezahl­kar­te dien­te erklär­ter­ma­ßen der Abschre­ckung – was nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts nicht erlaubt ist. Der Ziel­set­zung ent­spre­chend plan­ten die Bun­des­län­der den­noch, die Kar­te mög­lichst restrik­tiv aus­zu­ge­stal­ten – als Dis­kri­mi­nie­rungs­in­stru­ment, wie PRO ASYL ana­ly­sier­te. Der Wider­spruch renom­mier­ter Wissenschaftler*innen gegen die vor­ge­brach­ten Begrün­dun­gen und die Ein­wän­de von Menschenrechtler*innen wur­den in der auf­ge­heiz­ten Debat­te nicht zur Kennt­nis genommen.

Im Früh­jahr 2024 wur­de die Bezahl­kar­te von der Ampel-Regie­rung im Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz (Asyl­bLG) bun­des­ge­setz­lich ver­an­kert. Beson­ders kri­ti­sier­te PRO ASYL, dass dadurch auch sol­che Per­so­nen mit der Kar­te leben müs­sen, die eigent­lich Anspruch auf Ana­log­leis­tun­gen – also Leis­tun­gen wie Sozi­al­hil­fe und Bür­ger­geld – haben, weil sie schon län­ger in Deutsch­land leben.

Bereits vor der Asyl­bLG-Ände­rung erprob­ten ver­schie­de­ne Län­der und Kom­mu­nen unter­schied­li­che Bezahl­kar­ten­sys­te­me. PRO ASYL doku­men­tier­te zahl­rei­che Pra­xis­pro­ble­me: Die Zumu­tun­gen für die Betrof­fe­nen begin­nen bei den star­ken Ein­schrän­kun­gen bei Ein­käu­fen durch beschränk­te Bar­ab­he­bun­gen und endet im schlimms­ten Fall in Ver­schul­dungs­si­tua­tio­nen durch geplatz­te Last­schrif­ten. Hin­zu kom­men daten­schutz­recht­li­che Ver­stö­ße und mas­si­ve tech­ni­sche Umsetzungsprobleme.

2025 wird die Aus­ein­an­der­set­zung wei­ter­ge­hen. Immer mehr zivil­ge­sell­schaft­li­che Tau­schinitia­ti­ven set­zen sich dafür ein, schutz­su­chen­den Men­schen das Leben mit Bezahl­kar­te zu erleich­tern. Gemein­sam mit der Gesell­schaft für Frei­heits­rech­te führt PRO ASYL in geeig­ne­ten Fäl­len sozi­al­ge­richt­li­che Kla­ge­ver­fah­ren gegen die Bezahl­kar­te durch. Nach Teil­erfol­gen in Eil­ver­fah­ren vor Sozi­al­ge­rich­ten wer­den eini­ge Fäl­le im kom­men­den Jahr als Haupt­sa­che­ver­fah­ren wei­ter­ge­führt werden.

Die Bezahl­kar­te war im Jahr 2024 nicht die ein­zi­ge ver­fas­sungs­recht­lich frag­wür­di­ge Ver­schär­fung der sozia­len Lage Geflüch­te­ter. Eigent­lich war im Koali­ti­ons­ver­trag die Absicht fest­ge­hal­ten, das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz »im Lich­te der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts weiter[zu]entwickeln«. Die dis­kri­mi­nie­ren­de Schlech­ter­stel­lung von Geflüch­te­ten hät­te besei­tigt wer­den müs­sen. Doch beschlos­sen wur­de das glat­te Gegenteil:

Zu Jah­res­be­ginn wur­de die Zeit, in der geflüch­te­te Men­schen mit den redu­zier­ten Grund­leis­tun­gen des Asyl­bLG leben müs­sen, von 18 auf 36 Mona­te ver­dop­pelt. Die­se Ver­län­ge­rung auf drei lan­ge Jah­re wird ins­be­son­de­re wegen des erschwer­ten Zugangs zur Gesund­heits­ver­sor­gung dra­ma­ti­sche Aus­wir­kun­gen haben.

Im Jahr 2025 wer­den Men­schen, die Leis­tun­gen nach dem Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz bezie­hen, noch ärmer: Sie erhal­ten zwi­schen 13 und 19 Euro weni­ger im Monat. Dies ergibt sich aus der jähr­li­chen Anpas­sung an die Lohn- und Preis­ent­wick­lung durch das Bun­des­so­zi­al­mi­nis­te­ri­um. Die­se Minus­run­de gilt nur für Geflüch­te­te, nicht aber für Sozi­al­hil­fe- und Bürgergeldempfänger*innen, und ver­grö­ßert ein­mal mehr die bestehen­de Ungleichheit.

Alle die­se Ver­schär­fun­gen wur­den gegen die Ein­wän­de von Zivil­ge­sell­schaft, Expert*innen und Wis­sen­schaft beschlos­sen. Zudem erschreckt die Igno­ranz, mit der die Ver­ant­wort­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken schlicht über­gan­gen haben.

Schier sprach­los macht eine im Novem­ber 2024 in Kraft getre­te­ne gesetz­li­che Rege­lung inner­halb des soge­nann­ten Sicher­heits­pa­kets, die Geflüch­te­ten nach einer Dub­lin-Ent­schei­dung (die fest­legt, dass ein ande­res EU-Land für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist) jeg­li­ches Recht auf Unter­kunft und Ver­sor­gung voll­stän­dig ent­zieht. Es dro­hen Obdach­lo­sig­keit und Hun­ger. Bis Dezem­ber 2024 noch nicht umge­setzt, wird PRO ASYL ins­be­son­de­re die­se Ent­wick­lung beob­ach­ten und bekämpfen.

Alle die­se Ver­schär­fun­gen wur­den gegen die Ein­wän­de von Zivil­ge­sell­schaft, Expert*innen und Wis­sen­schaft beschlos­sen. Zudem erschreckt die Igno­ranz, mit der die Ver­ant­wort­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken schlicht über­gan­gen haben. PRO ASYL wird im kom­men­den Jahr wei­ter für das Recht auf eine men­schen­wür­di­ge Behand­lung für alle Men­schen strei­ten, ins­be­son­de­re auf dem Rechtsweg.

Zudem dro­hen wei­te­re Damm­brü­che: CDU/CSU for­dern in ihrem Wahl­pro­gramm eine weit­rei­chen­de »Bett-Brot-Seife«-Politik, also die Strei­chung aller Beträ­ge für per­sön­li­che Bedürf­nis­se, und wol­len, »wo immer mög­lich, einen gänz­li­chen Leis­tungs­aus­schluss«. PRO ASYL wird sich wei­ter­hin mit aller Kraft gegen die gesell­schafts­po­li­ti­sche Wen­de zur sozia­len Käl­te stemmen.

Auch an den EU-Außen­gren­zen ver­schärf­te sich die Lage im Jahr 2024. Min­des­tens 2.368 Men­schen haben laut UN-Flücht­lings­hoch­kom­mis­sa­ri­at (UNHCR) 2024 die Flucht über das Mit­tel­meer nicht über­lebt oder wer­den seit­dem ver­misst (Stand 10.12.2024). Anders aus­ge­drückt: 2024 sind im Schnitt mehr als sechs Men­schen pro Tag im Mit­tel­meer ertrun­ken, ver­durs­tet oder aus ande­ren Grün­den ums Leben gekommen.

Vie­le hät­ten geret­tet wer­den kön­nen, doch der poli­ti­sche Wil­le zur Ret­tung fehlt. Ein staat­li­ches, euro­päi­schen See­not­ret­tungs­pro­gramm ist nicht in Sicht. Pro­jekt­part­ner von PRO ASYL in Ita­li­en, Mal­ta und Grie­chen­land pran­gern die ver­spä­te­te oder gänz­lich unter­las­se­ne Ret­tung durch die staat­li­chen Küs­ten­wa­chen regel­mä­ßig an und ver­tre­ten Über­le­ben­de und Ange­hö­ri­ge. Auch 2024 kämpf­te PRO ASYL gegen das Ver­ges­sen. So orga­ni­sier­te PRO ASYL zum Bei­spiel gemein­sam mit Über­le­ben­den der Pylos-Schiffs­ka­ta­stro­phe 2023 eine Gedenk­ver­an­stal­tung in Ber­lin mit kla­ren For­de­run­gen nach Gerechtigkeit.

2.368

tote Geflüch­te­te allein im Mit­tel­meer gab es 2024

2025 könn­te sich die Lage wei­ter ver­schlech­tern: Die Orga­ni­sa­ti­on Ärz­te ohne Gren­zen hat den Betrieb ihres Ret­tungs­schiffs auf­grund der restrik­ti­ven ita­lie­ni­schen Gesetz­ge­bung bereits ein­ge­stellt. Die­se habe es unmög­lich gemacht, die Arbeit fort­zu­set­zen, heißt es in dem State­ment.

Auch auf ande­ren Rou­ten hat sich die Situa­ti­on für Geflüch­te­te 2024 zusätz­lich ver­schärft. Bei­spiel pol­nisch-bela­rus­si­sche Gren­ze: Asyl­ge­su­che wer­den hier wei­ter­hin größ­ten­teils igno­riert; zudem ver­üben pol­ni­sche und bela­rus­si­sche Sicher­heits­kräf­te rechts­wid­ri­ge und oft­mals bru­ta­le Push­backs sowie Miss­hand­lun­gen. Wer sei­ne Hoff­nun­gen auf die neue pol­ni­sche Regie­rung gesetzt hat­te, wur­de ent­täuscht: Regie­rungs­chef Donald Tusk ging im Okto­ber 2024 noch einen Schritt wei­ter, als er ankün­dig­te, das Recht auf Asyl an der Ost­gren­ze vor­über­ge­hend aus­set­zen zu wollen.

Statt gegen die sys­te­ma­ti­schen Rechts­ver­let­zun­gen an den EU-Außen­gren­zen vor­zu­ge­hen, hat die neue EU-Kom­mis­si­on in ihrer ers­ten Amts­hand­lung nach ihrer Wahl durch das EU-Par­la­ment ver­kün­det, bei »hybri­den Bedro­hun­gen« durch Geflüch­te­te schwer­wie­gen­de Ein­grif­fe in das Grund­recht auf Asyl zu erlau­ben. Damit gibt sie ins­be­son­de­re EU-Mit­glied­staa­ten mit Gren­ze zu Bela­rus und Russ­land de fac­to grü­nes Licht für Push­backs. Bereits 2024 haben vie­le Län­der rechts­wid­ri­ge Prak­ti­ken eta­bliert. Es ist zu befürch­ten, dass der här­te­re Kurs der neu­en Kom­mis­si­on 2025 zu noch mehr Gewalt gegen Flücht­lin­ge und völ­ker­rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen an Gren­zen füh­ren wird.

Kurz vor der Euro­pa­wahl im Mai 2024 wur­de sie noch beschlos­sen: die größ­te Asyl­rechts­ver­schär­fung der EU. Die Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) ist ein his­to­ri­scher Tief­punkt der EU, die künf­tig selbst Kin­der in Grenz­ver­fah­ren an den Außen­gren­zen inhaf­tie­ren will. Bis zum Som­mer 2026 haben die Mit­glied­staa­ten Zeit, die Ver­schär­fun­gen in ihr natio­na­les Recht umzu­set­zen und ihre Pra­xis anzu­pas­sen. In Deutsch­land beschloss die Ampel-Regie­rung zwar kurz vor ihrem Aus noch den Ent­wurf für ein Umset­zungs­ge­setz der Reform in natio­na­les Recht, weil es aber dafür kei­ne Mehr­heit im Bun­des­tag mehr gibt, wird es in die­ser Legis­la­tur nicht mehr verabschiedet.

Nicht nur wird das Umset­zungs­ge­setz dann wohl – in viel­leicht noch ver­schärf­ter Form – eines der ers­ten Pro­jek­te der neu­en Bun­des­re­gie­rung wer­den, auch wird die Umstel­lung des deut­schen Asyl­sys­tems 2025 ein wich­ti­ges The­ma für die Behör­den (sie­he den gele­ak­ten Ent­wurf für einen »Natio­na­len Umset­zungs­plan«). So wird es um die Fra­ge gehen, an wel­chen Stand­or­ten in Deutsch­land die umstrit­te­nen Grenz­ver­fah­ren umge­setzt wer­den sol­len. Die Ampel-Regie­rung hat­te in ihrem Vor­schlag vor­ge­se­hen, die Anwen­dung der Grenz­ver­fah­ren vor­zu­zie­hen – ob dies von der neu­en Regie­rung auch ver­folgt wird, bleibt abzu­war­ten. PRO ASYL wird sich wei­ter für eine Anwen­dung ein­set­zen, die stets die Men­schen­rech­te wahrt!

Aber auch die EU ist im Asyl­be­reich noch nicht mit der Recht­set­zung fer­tig. So soll die Rege­lung zu den soge­nann­ten siche­ren Dritt­staa­ten bis zum Juni 2025 eva­lu­iert wer­den. Meh­re­re Mit­glied­staa­ten – und auch die CDU – for­dern, das soge­nann­te Ver­bin­dungs­kri­te­ri­um zu strei­chen, um dann Asyl­su­chen­de auch in Län­der abschie­ben zu kön­nen, in denen sie noch nie waren (sie­he mehr bei Abschnitt zu den Exter­na­li­sie­rungs­ver­su­chen). Zudem will die Kom­mis­si­on inner­halb der ers­ten 100 Tage ihrer Amts­zeit einen neu­en Vor­schlag für eine Reform der Rück­füh­rungs­richt­li­nie vor­stel­len. Es ist zu befürch­ten, dass die­ser Vor­schlag star­ke Ein­schrän­kun­gen der Rech­te der Betrof­fe­nen (zum Bei­spiel bei der Abschie­bungs­haft) ent­hal­ten wird. Auch die Fron­tex-Ver­ord­nung soll erneut aktua­li­siert wer­den, wohl mit dem Ziel, das Man­dat der Grenz­be­hör­de noch wei­ter auszuweiten.

Vie­le EU-Staa­ten wol­len Asyl­ver­fah­ren in Dritt­staa­ten aus­la­gern. 2024 heiz­ten auch deut­sche Politiker*innen, allen vor­an die CDU, popu­lis­ti­sche Debat­ten über eine mög­li­che Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes in Län­der außer­halb der Euro­päi­schen Uni­on an. Das Ziel: die Abwehr von Flüchtlingen.

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) führ­te auf Wunsch der Ministerpräsident*innenkonferenz Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­run­gen durch, um zu klä­ren, ob Deutsch­land Asyl­ver­fah­ren in Dritt­staa­ten aus­la­gern kann. Eine Mehr­heit der Expert*innen – dar­un­ter auch PRO ASYL – zeig­te sich über­wie­gend kri­tisch und lehn­te die dis­ku­tier­ten Model­le ab. Sie mach­ten deut­lich, dass eine Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes weder ziel­füh­rend noch rea­lis­tisch umsetz­bar ist, sowohl aus recht­li­chen als auch aus prak­ti­schen Grün­den. Das BMI hat ange­kün­digt, noch 2024 einen neu­en Bericht zu dem The­ma zu veröffentlichen.

In der Pra­xis bestä­tig­te sich die Ein­schät­zung der ange­hör­ten Expert*innen gleich mehr­fach: Der UK-Ruan­da-Deal wur­de im Juli 2024 von der neu­en bri­ti­schen Regie­rung unter Pre­mier­mi­nis­ter Keir Star­mer end­gül­tig gestoppt, nach­dem er zuvor auf­grund recht­li­cher Hür­den lan­ge nicht in Gang gekom­men war. Damit fand unter dem Deal kei­ne ein­zi­ge Abschie­bung nach Ruan­da statt.

Auch Ita­li­ens Plan, extra­ter­ri­to­ria­le Asyl­ver­fah­ren in dem Nicht-EU-Staat Alba­ni­en durch­zu­füh­ren, schei­ter­te 2024 kra­chend: In zwei Ver­su­chen wur­den ins­ge­samt 23 Schutz­su­chen­de aus Ban­gla­desch und Ägyp­ten aus inter­na­tio­na­len Gewäs­sern nach Alba­ni­en gebracht. Bei­de Male durch­kreuz­ten ita­lie­ni­sche Gerich­te die Plä­ne der post-faschis­ti­schen Regie­rung unter Gior­gia Melo­ni – die Asyl­su­chen­den muss­ten aus den alba­ni­schen Haft­zen­tren nach Ita­li­en gebracht werden.

Trotz­dem ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Ver­su­che der Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren und Schutz­ver­ant­wor­tung wei­ter­ge­hen wer­den. So soll die »siche­re Drittstaaten«-Regel bis Mit­te 2025 eva­lu­iert wer­den (sie­he wei­ter oben Abschnitt zur GEAS-Reform). Zudem hat Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin von der Ley­en die Idee von »Return Hubs«, Abschie­be­zen­tren in Dritt­staa­ten, ins Spiel gebracht. In der EU abge­lehn­te Asyl­su­chen­de sol­len hier – ver­mut­lich in Haft – auf ihre Abschie­bung war­ten. Das Kon­zept bleibt bis­her sehr vage und es wur­den kei­ne Län­der genannt, die dafür in Fra­ge kom­men könn­ten. Doch vie­le Mit­glieds­staa­ten zei­gen sich interessiert.

PRO ASYL wird sich die­sem gefähr­li­chen Unsinn wei­ter klar entgegenstellen.

Nur weni­ge ver­folg­te und bedroh­te Men­schen haben die Mög­lich­keit, sicher nach Deutsch­land ein­zu­rei­sen. Denn wei­ter­hin gibt es zu weni­ge siche­re und lega­le Zugangs­we­ge – und abseh­bar wer­den es sogar noch weni­ger. Schließ­lich pla­nen CDU/CSU laut ihrem Wahl­pro­gramm, alle »frei­wil­li­gen Auf­nah­me­pro­gram­me« zu beenden.

Auch eines der Pres­ti­ge­pro­jek­te der Ampel-Regie­rung, das Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm Afgha­ni­stan, steht vor dem Aus – und konn­te bis­her nur erschre­ckend wenig Auf­nah­men ver­zeich­nen: Statt wie geplant pro Monat 1.000 Afghan*innen eine siche­re Flucht vor dem Tali­ban­re­gime zu ermög­li­chen, wur­den von Okto­ber 2022 bis Anfang Dezem­ber 2024 nur rund 1.020 Per­so­nen auf­ge­nom­men. Schon seit dem Som­mer 2024 wur­den kei­ne neu­en Auf­nah­me­zu­sa­gen mehr erteilt, Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wur­den gebe­ten, kei­ne neu­en Fäl­le einzureichen.

Nun läuft nur noch die Abwick­lung des Pro­gramms. Cir­ca 2.000 Afghan*innen haben bereits eine Auf­nah­me­zu­sa­ge und sol­len noch nach Deutsch­land geholt wer­den. Im Stich gelas­sen wer­den die wohl noch 17.000, Per­so­nen, die sich im Pro­zess der Antrag­stel­lung befinden.

Nur weni­ge ver­folg­te und bedroh­te Men­schen haben die Mög­lich­keit, sicher nach Deutsch­land ein­zu­rei­sen. Denn wei­ter­hin gibt es zu weni­ge siche­re und lega­le Zugangs­we­ge – und abseh­bar wer­den es sogar noch weniger.

Über ande­re recht­li­che Wege wur­de nach der Macht­über­nah­me der Tali­ban bis Ende 2024 ins­ge­samt etwa 35.000 Men­schen aus Afgha­ni­stan die Ein­rei­se ermög­licht. Dies war also deut­lich effek­ti­ver als das Bundesaufnahmeprogramm.

Für die Jah­re 2024 und 2025 stellt Deutsch­land bis zu 6.500 Plät­ze für Resett­le­ment, huma­ni­tä­re Auf­nah­men aus der Tür­kei und zwei Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me (Ber­lin, Bran­den­burg) zur Ver­fü­gung. Bis zum Som­mer 2025 müs­sen die Mit­glied­staa­ten neue Zusa­gen für das UN-Resett­le­ment-Pro­gramm auf euro­päi­scher Ebe­ne machen. Auch die neue Bun­des­re­gie­rung muss dann fest­le­gen, wel­che Zusa­gen sie macht.

Eine wich­ti­ge Ergän­zung zu Bun­des­auf­nah­me­pro­gram­men waren stets die Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me, über die schutz­be­rech­tig­te Per­so­nen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge nach Deutsch­land holen konn­ten. In Ber­lin gab es 2024 noch Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me für Afgha­ni­stan, Irak und Syri­en – doch laut Medi­en­be­rich­ten wird die­se abseh­bar nicht erneu­ert. Auch in Schles­wig-Hol­stein fehlt bis­lang eine Ver­län­ge­rung des Auf­nah­me­pro­gramms für Syrer*innen. In Thü­rin­gen sieht der neue Koali­ti­ons­ver­trag kei­ne Erneue­rung der Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me für Syri­en und Afgha­ni­stan vor. Damit wer­den wei­te­re siche­rer Zugangs­weg versperrt.

Gera­de in Zei­ten von flücht­lings­feind­li­chen Debat­ten, per­ma­nen­ten Geset­zes­ver­schär­fun­gen und ent­grenz­ter Gewalt gegen Geflüch­te­te kommt der Jus­tiz als men­schen- und grund­recht­li­ches Kor­rek­tiv eine enor­me Bedeu­tung zu. Posi­ti­ve Gerichts­ent­schei­dun­gen, durch die Grund­rech­te von Geflüch­te­ten gestärkt wer­den, fal­len nicht vom Him­mel, son­dern müs­sen in lang­wie­ri­gen und auf­wen­di­gen Ver­fah­ren hart erkämpft werden.

Im Hin­blick auf die unsäg­li­che Debat­te über Zurück­wei­sun­gen von Schutz­su­chen­den an den deut­schen Gren­zen konn­te im Okto­ber in einer auch von PRO ASYL unter­stütz­ten Kla­ge ein weg­wei­sen­der Erfolg erreicht wer­den: Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) urteil­te im Fall eines Syrers, der 2018 von Deutsch­land auf Grund­la­ge einer bila­te­ra­len Ver­ein­ba­rung mit Grie­chen­land ohne Ver­fah­ren direkt von der deut­schen Gren­ze nach Grie­chen­land abge­scho­ben wor­den war ein­deu­tig: Eine sol­che Zurück­wei­sung ver­stößt gegen das Ver­bot unmensch­li­cher und ernied­ri­gen­der Behand­lung. Damit ist höchst­rich­ter­lich geklärt, dass Deutsch­land ver­pflich­tet ist, men­schen­recht­li­che Stan­dards zu wah­ren und den Zugang zu rechts­staat­li­chen Asyl­ver­fah­ren auch an deut­schen Gren­zen zu gewähr­leis­ten. PRO ASYL hat­te zusam­men mit Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen die Kla­ge des Syrers durch eine Ein­ga­be vor Gericht unterstützt.

Ein wich­ti­ger Sieg im Kampf um Gerech­tig­keit für Geflüch­te­te, die von der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che bru­tal miss­han­delt oder sogar getö­tet wer­den, konn­te im Janu­ar von der PRO ASYL-Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on in Grie­chen­land, Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), eben­falls vor dem EGMR erreicht wer­den. Geklagt hat­te die Wit­we eines Syrers, der 2014 durch einen Kopf­schuss von der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che getö­tet wor­den war. Grie­chen­land wur­de nicht nur wegen des Schuss­waf­fen­ein­sat­zes, son­dern auch wegen feh­len­der rechts­staat­li­cher Auf­klä­rung des Falls vom EGMR in allen Punk­ten ver­ur­teilt. Es ist bereits die zwei­te von RSA erstrit­te­ne Ver­ur­tei­lung von Grie­chen­land wegen schwers­ter Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen durch die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che, wei­te­re Ver­fah­ren sind noch anhängig.

Neue Rechts­kämp­fe ste­hen in Deutsch­land auch 2025 durch die 2023 ein­ge­führ­te Mög­lich­keit der soge­nann­ten Tat­sa­chen­re­vi­si­on beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt an. Das Gericht hat nun die Kom­pe­tenz, nicht mehr nur in pro­zes­sua­len Fra­gen Recht zu spre­chen, son­dern für alle deut­schen Gerich­te bin­dend zu ent­schei­den, wel­che Per­so­nen­grup­pen in wel­ches Land abge­scho­ben wer­den dür­fen. Eine ers­te für Schutz­su­chen­de nega­ti­ve Ent­schei­dung zu Asyl­su­chen­den, die in Ita­li­en einen Schutz­sta­tus haben, hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt im Novem­ber getrof­fen: »Allein­ste­hen­den, erwerbs­fä­hi­gen und nicht­vul­ner­ablen inter­na­tio­nal Schutz­be­rech­tig­ten dro­hen aktu­ell bei einer Rück­kehr nach Ita­li­en kei­ne ernied­ri­gen­den oder unmensch­li­chen Lebensbedingungen«.

Wei­te­re Ver­fah­ren sind anhän­gig, unter ande­rem zu der Fra­ge, ob Asyl­su­chen­de, die nach ihrer Flücht­lings­an­er­ken­nung in Grie­chen­land nach Deutsch­land wei­ter­flie­hen und hier erneut einen Asyl­an­trag stel­len, wie­der nach Grie­chen­land abge­scho­ben wer­den dür­fen. Die Ver­fah­ren wer­den von PRO ASYL und der grie­chi­schen Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on RSA unterstützt.

(ak, ame, dmo, hk, jb, mz, nb, wj)