26.10.2023
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Die Station der Bundespolizei in Passau. Von hier finden vermehrt Kontrollen an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich statt. Foto: Wiebke Judith/ PRO ASYL

Die jüngst ausgeweiteten Grenzkontrollen sollen »irreguläre Migration« nach Deutschland verringern. Die Einhaltung geltenden Rechts droht dabei zunehmend ins Hintertreffen zu geraten. PRO ASYL befürchtet, dass Schutzsuchende regelmäßig in den Kontrollen abgewiesen werden. Berichte und Statistiken bestärken die Sorge.

Nun doch: Am Mon­tag, 16. Okto­ber 2023, mel­de­te die Bun­des­re­gie­rung nach lan­gem Hin und Her Bin­nen­grenz­kon­trol­len an den Land­gren­zen zu Polen, Tsche­chi­en und der Schweiz bei der Euro­päi­schen Uni­on an. Bereits ein­ge­führ­te Maß­nah­men wie die Aus­wei­tung der Schlei­er­fahn­dung und fle­xi­ble Schwer­punkt­kon­trol­len sol­len so ergänzt wer­den. Zunächst wur­den die jetzt neu­en Grenz­kon­trol­len für zehn Tage ange­kün­digt, dies wur­de bereits um wei­te­re zwan­zig Tage ver­län­gert. Ange­kün­digt ist eine Höchst­dau­er der Maß­nah­men von zwei Mona­ten. Ange­sichts der aktu­el­len öffent­li­chen Debat­te ist aller­dings davon aus­zu­ge­hen, dass es nicht dabei bleibt. Eben­so wur­den die bereits 2015 ein­ge­führ­ten und tur­nus­mä­ßig ver­län­ger­ten Kon­trol­len an der Gren­ze zu Öster­reich erneut für wei­te­re sechs Mona­te ange­mel­det– aus Sicht von PRO ASYL ist das auch auf­grund eines Urteils des Euro­päi­schen Gerichts­hofs rechtswidrig.

Auch in der anhal­ten­den Debat­te um die Aus­wei­tun­gen von Grenz­kon­trol­len knick­te die Bun­des­re­gie­rung damit vor der laut­star­ken For­de­rung der CDU ein. CDU-Vertreter*innen sehen in der Aus­wei­tung sta­tio­nä­rer Grenz­kon­trol­len eine ein­fa­che Mög­lich­keit, um gegen »irre­gu­lä­re Migra­ti­on« vor­zu­ge­hen und die Asyl­an­trags­zah­len in Deutsch­land zu redu­zie­ren. Um aber damit die Zahl der hier ankom­men­den Schutz­su­chen­den tat­säch­lich zu sen­ken, müss­ten bei den Kon­trol­len vie­le Men­schen an den Gren­zen zurück­ge­wie­sen wer­den. Sol­che Zurück­wei­sun­gen an Bin­nen­gren­zen sind aber nur unter gewis­sen Umstän­den erlaubt. Defi­ni­tiv ver­bo­ten sind Zurück­wei­sun­gen, sobald ein Asyl­ge­such geäu­ßert wird. Dar­in besteht auch bei der Bun­des­re­gie­rung kein Zwei­fel (sie­he Anfra­ge von DIE LINKE, BT-Druck­sa­che20/5674, Ant­wort auf Fra­ge 11).

Auch Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser selbst hat in der Ver­gan­gen­heit sta­tio­nä­re Grenz­kon­trol­len als »rei­ne Sym­bol­po­li­tik« abge­tan. Es ist tat­säch­lich frag­lich, ob mit sta­tio­nä­ren Kon­trol­len die ange­streb­ten Erfol­ge bei der Bekämp­fung von »Schleu­ser­kri­mi­na­li­tät« erzielt wer­den kön­nen. Jedoch haben die ver­schärf­ten Kon­trol­len das Poten­ti­al, Asyl­su­chen­den trotz der ein­deu­ti­gen gesetz­li­chen Lage zum Ver­häng­nis zu werden.

Grund­sätz­lich hat Deutsch­land das Recht, Men­schen, die die Ein­rei­se­vor­aus­set­zun­gen nicht erfül­len, an der Gren­ze bezie­hungs­wei­se im grenz­na­hen Bereich abzu­wei­sen und sie in das Land zurück­zu­schi­cken, aus dem sie ein­rei­sen wol­len oder ein­ge­reist sind oder des­sen Staats­an­ge­hö­rig­keit sie besit­zen. Mög­lich sind zum einen soge­nann­te Zurück­schie­bun­gen in den Nach­bar­staat oder ins Her­kunfts­land (§ 57 Auf­enthG), also »auf­ent­halts­be­en­den­de Maß­nah­men«, wenn eine Per­son bereits ein­ge­reist ist und grenz­nah auf­ge­grif­fen wird. Zum ande­ren sind Zurück­wei­sun­gen direkt an der Gren­ze, also »ein­rei­se­ver­hin­dern­de Maß­nah­men« mög­lich, falls die Per­son die Gren­ze noch nicht über­quert hat (§ 15 AufenthG).

Äußert eine Per­son an der Gren­ze bei der Bun­des­po­li­zei jedoch ein Asyl­ge­such, darf sie unter kei­nen Umstän­den zurück­ge­schickt wer­den, auch dann nicht, wenn sie nicht über die erfor­der­li­chen Doku­men­te zur Ein­rei­se ver­fügt. Ein Asyl­ge­such liegt vor, wenn eine Per­son schrift­lich, münd­lich oder auf ande­re Wei­se – z. B. durch Ges­ten – zum Aus­druck bringt, dass sie Schutz in Deutsch­land sucht (§ 13 AsylG). In die­sem Fall ist die Bun­des­po­li­zei als Grenz­be­hör­de ver­pflich­tet, die schutz­su­chen­de Per­son an das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) weiterzuleiten.

Dies gilt auch dann, wenn Deutsch­land mög­li­cher­wei­se gar nicht für die Prü­fung des Asyl­an­trags zustän­dig ist, weil die Per­son über einen ande­ren euro­päi­schen Staat gereist ist. Das BAMF prüft ohne­hin zunächst nicht den Asyl­an­trag, son­dern ob Deutsch­land oder ein ande­res euro­päi­sches Land für die Durch­füh­rung des Asyl­ver­fah­rens gemäß der so genann­ten Dub­lin-Ver­ord­nung zustän­dig ist. Auch für die­ses Ver­fah­ren muss die Bun­des­po­li­zei die asyl­su­chen­de Per­son ans BAMF wei­ter­lei­ten und darf sie nicht im Rah­men von Grenz­kon­trol­len zurück­wei­sen, weil sie aus einem ver­meint­lich zustän­di­gen Dub­lin­staat ein­zu­rei­sen versucht.

Im Übri­gen: Die Rege­lung in § 18 Absatz 2 Asyl­ge­setz im natio­na­len Recht, nach der die Ein­rei­se aus siche­ren Dritt­staa­ten oder wenn ande­re EU-Län­der für die Asyl­prü­fung zustän­dig sind ver­wei­gert und die betref­fen­de Per­son nach § 15 Auf­enthG zurück­ge­wie­sen wer­den darf, kommt nicht zur Anwen­dung, da das Euro­pa­recht in Form der Dub­lin-Ver­ord­nung vor­ran­gig gilt.

Dar­über hin­aus gilt das Ver­bot der Kol­lek­tiv­aus­wei­sung von Schutz­su­chen­den an der Gren­ze, das in Arti­kel 4 des IV. Zusatz­pro­to­kolls der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on zu fin­den ist. Es besagt, dass schutz­su­chen­de Per­so­nen nicht pau­schal abge­wie­sen wer­den dür­fen, son­dern ihre indi­vi­du­el­len Umstän­de berück­sich­tigt wer­den müs­sen. Für eine sol­che Prü­fung hat die Bun­des­po­li­zei kei­ne Kompetenz.

Schließ­lich ver­bie­tet auch die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on über das soge­nann­te Refou­le­ment-Ver­bot in Arti­kel 33 Absatz 1, Flücht­lin­ge zurück­zu­wei­sen. Zwar droht den Schutz­su­chen­den nicht direkt eine Zurück­wei­sung in das Land, aus dem sie geflo­hen sind, wenn sie an der deut­schen Gren­ze abge­wie­sen wer­den. Das Refou­le­ment-Ver­bot ver­langt aller­dings auch, sicher­zu­stel­len, dass nie­mand Opfer einer Ket­ten­ab­schie­bung wird. Auch das muss indi­vi­du­ell vom BAMF geprüft werden.

Ob an der Gren­ze zu Polen, zu Tsche­chi­en, zu Öster­reich oder an der Gren­ze zu der Schweiz: Praktiker*innen ist seit lan­gem bekannt, dass Men­schen, die ver­sucht haben, einen Asyl­an­trag zu stel­len, trotz­dem abge­wie­sen wur­den. Zusätz­lich näh­ren vor­lie­gen­de Sta­tis­ti­ken den Ver­dacht, dass an ein­zel­nen Grenz­ab­schnit­ten sys­te­ma­tisch rechts­wid­rig zurück­ge­wie­sen wird.

Statistiken und Berichte weisen auf systematische Zurückweisungen hin

In der poli­zei­li­chen Ein­gangs­sta­tis­tik der Bun­des­po­li­zei (PES) wer­den Auf­grif­fe durch die Bun­des­po­li­zei erfasst (sie­he Anfra­gen von DIE LINKE, BT-Druck­sa­che 20/5674, Ant­wort auf Fra­ge 1, 5, 7; für das ers­te Halb­jahr 2023 sie­he BT-Druck­sa­che 20/8274). Dem­nach wur­den allei­ne an der deut­schen Gren­ze zu Öster­reich, wo es bereits seit Jah­ren sta­tio­nä­re Grenz­kon­trol­len gibt, im Jahr 2022 über 14.500 Mal Men­schen zurück­ge­wie­sen – eine Ver­dopp­lung im Ver­gleich zum Vor­jahr. An der Gren­ze zur Schweiz, wo bun­des­po­li­zei­li­che Kon­trol­len in Abstim­mung mit der Schweiz bereits auf schwei­ze­ri­schen Boden statt­fin­den, stieg die Zahl der Zurück­wei­sun­gen von 94 im Jahr 2021 auf 3.664 im Jahr 2022 – eine dras­ti­sche Stei­gung um den Fak­tor 39. Von den ins­ge­samt über 25.500 Zurück­wei­sun­gen an deut­schen Gren­zen waren vor allem afgha­ni­sche (5.094), syri­sche (3.528) und tür­ki­sche (2.187) Staats­an­ge­hö­ri­ge betroffen.

Sicher­lich äußern nicht alle Per­so­nen an der Gren­ze ein Asyl­ge­such, etwa dann nicht, wenn sie eigent­lich in ein ande­res Ziel­land wol­len und Deutsch­land nur Durch­gangs­land ist. Dass aller­dings über 8.600 Men­schen aus Afgha­ni­stan und Syri­en kein Schutz­ge­such an der Gren­ze geäu­ßert haben sol­len, obwohl sie im Asyl­ver­fah­ren eine über 99-pro­zen­ti­ge Chan­ce auf Schutz haben, wenn der Asyl­an­trag in Deutsch­land geprüft wird, erklärt sich nicht.

Anlass zur Skep­sis bie­tet auch die auf­fäl­lig gerin­ge Anzahl an Asyl­ge­su­chen von Men­schen, die nach bereits erfolg­ter Ein­rei­sen an der Gren­ze zu Öster­reich auf­ge­grif­fen wurden.

Anlass zur Skep­sis bie­tet auch die auf­fäl­lig gerin­ge Anzahl an Asyl­ge­su­chen von Men­schen, die nach bereits erfolg­ter Ein­rei­sen an der Gren­ze zu Öster­reich auf­ge­grif­fen wur­den: Bei ins­ge­samt 22.824 fest­ge­stell­ten »uner­laub­ten Ein­rei­sen« im Jahr 2022 wur­den nur 2.771 Asyl­ge­su­che regis­triert (also 12 Pro­zent der »uner­laubt Ein­ge­reis­ten«). An ande­ren Land­gren­zen, wie bei­spiels­wei­se an der Gren­ze zur Schweiz (57 Pro­zent), zu Tsche­chi­en (52 Pro­zent) oder zu Polen (63 Pro­zent) stell­ten mehr als die Hälf­te der nach einer »uner­laub­ten Ein­rei­se« Auf­ge­grif­fe­nen ein Asyl­ge­such. Die­se Ten­denz setz­te sich im ers­ten Halb­jahr 2023 fort: An der deutsch-öster­rei­chi­schen Gren­ze stell­ten mit nur 17 Pro­zent der nach einer »uner­laub­ten Ein­rei­se« auf­ge­grif­fe­nen Per­so­nen (1.403 von 8.059 Auf­grif­fe) auf­fal­lend weni­ge ein Asyl­ge­such. An den Gren­zen zur Schweiz (62 Pro­zent), zu Tsche­chi­en (41Prozent) und zu Polen (62 Pro­zent) lag die Quo­te deut­lich darüber.

Eine nach­voll­zieh­ba­re Erklä­rung für die­se gra­vie­ren­den Unter­schie­de gibt es nicht. Der Ver­dacht: Die Bun­des­po­li­zei scheint an der Gren­ze zu Öster­reich in vie­len Fäl­len Asyl­ge­su­che zu igno­rie­ren oder zu ver­un­mög­li­chen, um die Men­schen direkt an der Gren­ze zurück­wei­sen oder nach erfolg­ter Ein­rei­se ohne ein lang­wie­ri­ges Dub­lin-Ver­fah­ren beim BAMF schnell zurück­schie­ben zu können.

Ins­ge­samt sechs Berich­te von syri­schen Schutz­su­chen­den, die zwi­schen Novem­ber und Dezem­ber 2022 ver­geb­lich ver­such­ten in Deutsch­land einen Asyl­an­trag zu stel­len, ver­öf­fent­lich­ten der Baye­ri­sche Flücht­lings­rat, Push­back Alarm Aus­tria und das Netz­werk Bor­der Vio­lence Moni­to­ring im April 2023. Die Schil­de­run­gen ähneln sich. Die betrof­fe­nen Kriegs­flücht­lin­ge beschrei­ben im Auto, in der Bahn oder zu Fuß im Rah­men der poli­zei­li­chen Kon­trol­len in Frei­las­sing, Pas­sau und Mün­chen auf­ge­grif­fen wor­den zu sein. Obwohl sie nach eige­nen Anga­ben gegen­über den deut­schen Beamt*innen und in der Regel im Bei­sein von Dol­met­schen­den arti­ku­lier­ten, einen Asyl­an­trag in Deutsch­land stel­len zu wol­len, folg­te meist am nächs­ten Tag die Zurück­schie­bung auf Basis eines Rück­über­nah­me­ab­kom­mens mit Öster­reich. Ein Asyl­ver­fah­ren wur­de nicht ein­ge­lei­tet. Statt­des­sen wur­den Ver­fah­ren auf­grund der uner­laub­ten Ein­rei­se und des uner­laub­ten Auf­ent­halts ein­ge­lei­tet und Ein­rei­se- und Auf­ent­halts­ver­bo­te ver­hängt. Anschlie­ßend wur­den die Schutz­su­chen­den öster­rei­chi­schen Beamt*innen über­ge­ben – die sie erneut auf die Stra­ße setzten.

Den ver­wehr­ten Zugang zum Asyl­ver­fah­ren und die auf­grund der Asyl­an­trags­stel­lung rechts­wid­ri­gen Zurück­schie­bun­gen kön­nen die Betrof­fe­nen nicht nach­wei­sen. Denn aus den bis­lang vor­lie­gen­den Pro­to­kol­len geht nicht her­vor, dass sie einen Asyl­an­trag gestellt haben. Auf Anfra­ge von Juli­an Pahl­ke (Grü­ne) im Bun­des­tag zur Auf­klä­rung des Sach­ver­halts kamen kei­ne wei­te­ren Erkennt­nis­se ans Tages­licht. Es steht Aus­sa­ge gegen Aussage.

Bereits vor der tem­po­rä­ren Ein­füh­rung sta­tio­nä­rer Grenz­kon­trol­len an der deut­schen Gren­ze zur Schweiz beschrieb Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin Fae­ser die Zurück­wei­sungs­pra­xis hier als »bei­spiel­haft«. Die Zahl der Ver­hin­de­rung von »uner­laub­ten Ein­rei­sen« direkt an der deut­schen Gren­ze zur Schweiz lag im ers­ten Halb­jahr 2023 sogar höher als an der Gren­ze zu Öster­reich. Mit 4.787 Zurück­wei­sun­gen gab es schon in der ers­ten Jah­res­hälf­te über 30 Pro­zent mehr Zurück­wei­sun­gen als im gesam­ten Vor­jahr. Setzt man die­se »Ein­rei­se­ver­hin­de­run­gen« ins Ver­hält­nis zu den »uner­laub­ten Ein­rei­sen«, fällt auf, dass sich das Ver­hin­dern der Ein­rei­se von 35 Pro­zent im Jahr 2022 auf 80 Pro­zent im ers­ten Halb­jahr 2023 mehr als ver­dop­pelt hat. Die­ser Anstieg mag sich in Tei­len durch die seit Herbst 2022 ver­schärf­ten Kon­trol­len oder mög­li­cher­wei­se ver­än­der­ten Migra­ti­ons­rou­ten erklä­ren. Aller­dings muss auch hier befürch­tet wer­den, dass die­ser dras­ti­sche Anstieg der Zurück­wei­sun­gen auf ein Igno­rie­ren oder Ver­un­mög­li­chen von Asyl­ge­su­chen zurück­zu­füh­ren sein könnte.

Am Rhein hat sich eine grenz­po­li­zei­li­che Zusam­men­ar­beit eta­bliert, die zum Teil die Zunah­me der Zurück­wei­sun­gen erklä­ren dürf­te. Ein aus­führ­li­cher Arti­kel vom März 2023 ergibt fol­gen­den skur­ri­len Ein­blick, der durch die Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf die klei­ne Anfra­ge der Frak­ti­on die Lin­ke bestä­tigt wird (sie­he Anfra­ge von DIE LINKE, BT-Druck­sa­che 20/8274, insb. Ant­wort auf Fra­ge 13).

Dem­nach fin­den in Abstim­mung mit der Schweiz Kon­trol­len bereits auf schwei­ze­ri­schen Boden statt. Die recht­li­che Basis dafür bil­det ein Abkom­men zwi­schen Deutsch­land und der Schweiz aus dem Jahr 1961. Deut­sche Bundespolizist*innen stei­gen im Bahn­hof Basel SBB in Züge Rich­tung Deutsch­land ein. In den weni­gen Minu­ten, bis der Zug am Basel Badi­scher Bahn­hof hält, kon­trol­lie­ren sie alle Zug­rei­sen­den, die in ihr Ras­ter pas­sen. Offen ist, ob dabei sys­te­ma­tisch Racial Pro­fil­ing ange­wandt wird. Wer die Ein­rei­se­vor­aus­set­zun­gen nicht erfüllt, wird am Basel Badi­scher Bahn­hof aus dem Zug geführt. Geo­gra­phisch ist die deut­sche Gren­ze damit nicht übertreten.

Von hier aus wer­den die Per­so­nen ent­we­der in einer ent­spre­chen­den Bear­bei­tungs­stra­ße am Badi­schen Bahn­hof regis­triert oder nach Deutsch­land in die Poli­zei­in­spek­ti­on Efrin­gen-Kir­chen gebracht. Dort wur­de eine Ver­fah­rens­stra­ße ein­ge­rich­tet in der die Auf­ge­grif­fe­nen im Akkord abge­fer­tigt wer­den. Nach der erken­nungs­dienst­li­chen Behand­lung erfolgt die Zurück­wei­sung in die Schweiz. Obwohl die Men­schen durch den Trans­port nach Efrin­gen-Kir­chen geo­gra­phisch die deut­sche Gren­ze längst über­quert haben, gel­ten sie als nicht ein­ge­reist und kön­nen des­we­gen zurück­ge­wie­sen wer­den, als wären sie noch nicht auf deut­schem Boden. Die Bun­des­po­li­zei bedient sich dabei der so genann­ten »Fik­ti­on der Nicht-Ein­rei­se« gemäß § 13 Abs. 2 Auf­enthG.

Ein Groß­teil der Men­schen kommt laut Medi­en­be­rich­ten aus Afgha­ni­stan, vie­le in der Hoff­nung, einen Asyl­an­trag in Deutsch­land zu stel­len, etwa auf­grund von fami­liä­ren Bezü­gen nach Deutsch­land. In dem Sze­na­rio, dass der Asyl­an­trag bei der Kon­trol­le auf schwei­ze­ri­schen Boden gegen­über deut­schen Beamt*innen geäu­ßert wird, zieht sich die Bun­des­re­gie­rung auf Arti­kel 20 Absatz 4 Dub­lin-III-Ver­ord­nung zurück, wonach in sol­chen Fäl­len das Asyl­ge­such an die schwei­ze­ri­schen Behör­den wei­ter­ge­lei­tet wird (sie­he Anfra­ge von DIE LINKE BT-Druck­sa­che 20/8274, insb. Ant­wort auf Fra­ge 13). Wird der Asyl­an­trag aber in Efrin­gen-Kir­chen gestellt, müss­te ein Ver­weis an das zustän­di­ge Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) erfol­gen. Ob das prak­tisch auch so gehand­habt wird, bleibt jedoch fraglich.

An den deut­schen Gren­zen zu Polen und Tsche­chi­en gab es bis­her im Jahr 2023 wie bereits im Jahr 2022 nahe­zu kei­ne Zurück­wei­sun­gen (16 nach Polen, 26 nach Tsche­chi­en). Mit der Aus­wei­tung sta­tio­nä­rer Grenz­kon­trol­len sind dort künf­tig ähn­li­che hohe Zurück­wei­sungs­zah­len und deut­lich weni­ger Asyl­ge­su­che zu erwar­ten. PRO ASYL befürch­tet dadurch eine wei­te­re Kri­mi­na­li­sie­rung Schutz­su­chen­der, die kei­ne Mög­lich­keit einer lega­len Ein­rei­se haben, und denen der Zugang zum Asyl­ver­fah­ren in Deutsch­land im Rah­men der Grenz­kon­trol­len ver­sperrt bleibt – und damit ein wei­te­res Absin­ken oder gar Umge­hen rechts­staat­li­cher Min­dest­stan­dards. Dies könn­te tau­sen­de Men­schen etwa aus Syri­en und Afgha­ni­stan treffen.

PRO ASYL fordert: Notbremse zum Schutz von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten ziehen! 

PRO ASYL ist besorgt ange­sichts der sich ver­dich­ten­den Hin­wei­se zu mut­maß­lich rechts­wid­ri­gen Zurück­wei­sun­gen und Zurück­schie­bun­gen an den deut­schen Grenzen.

Die dar­ge­stell­ten Sta­tis­ti­ken und Berich­te bestä­tig­ten, dass es Schutz­su­chen­de an den deut­schen Gren­zen häu­fig nicht gelingt, ihr Schutz­ge­such effek­tiv zu äußern und Zugang zum Asyl­ver­fah­ren zu erlan­gen. Die Beob­ach­tung steht in unmit­tel­ba­ren Zusam­men­hang zu den aus­ge­wei­te­ten Grenz­kon­trol­len und dem poli­ti­schen Ziel, »unrecht­mä­ßi­ge Ein­rei­sen« zu redu­zie­ren. Sie zeigt, dass die erhöh­te Poli­zei­prä­senz nicht zu mehr Rechts­si­cher­heit führt. Im Gegen­teil stellt sich die Fra­ge, ob rechts­staat­li­che Kri­te­ri­en an den deut­schen Gren­zen noch gewahrt werden.

Das Ver­spre­chen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag, ille­ga­le Zurück­wei­sun­gen an den Außen­gren­zen zu been­den, muss auch an den eige­nen Gren­zen umge­setzt wer­den. Die Pra­xis rechts­wid­ri­ger Push­backs ist trau­ri­ger All­tag an euro­päi­schen Außen­gren­zen. Es ist erschre­ckend und zutiefst besorg­nis­er­re­gend, dass sich Hin­wei­se auf eine deut­sche Spiel­art die­ser Push­backs verdichten.

dmo, mz