Menschenrechte sind nicht verhandelbar! 

Argu­men­te für Fair­ness und Offen­heit in der Flüchtlingspolitik

Wir alle erle­ben es gegen­wär­tig: Die Fol­gen der kri­sen­haf­ten Ent­wick­lun­gen welt­weit haben längst Euro­pa und auch Deutsch­land erreicht. Bedenk­li­che Anzei­chen sind die Schwä­chung demo­kra­ti­scher und offe­ner Gesell­schaf­ten, das Erstar­ken der Rech­ten mit ihren angeb­lich so ein­fa­chen »natio­na­len Lösun­gen« und die Häu­fung von Fake News in vie­len Medienkanälen.

Die­se Ent­wick­lung betrifft auch die euro­päi­sche und deut­sche Flücht­lings­po­li­tik. Kein Tag ver­geht, an dem nicht die Angst vor geflüch­te­ten Men­schen geschürt wird. Häu­fig geht es in der Debat­te nicht mehr um tat­säch­li­che Lösun­gen, son­dern nur noch dar­um, abzu­schre­cken und abzuschieben.

Flücht­lings­po­li­ti­sche Fra­gen wer­den miss­braucht, um die Ver­ant­wor­tung für gesamt­ge­sell­schaft­li­che Ver­säum­nis­se und infra­struk­tu­rel­le Män­gel auf ande­re zu schie­ben. Jedoch: Wenn sich Mehr­hei­ten zusam­men­fin­den, um Min­der­hei­ten ihre Rech­te zu neh­men, ero­die­ren zugleich Rechts­staat­lich­keit und Demo­kra­tie. Genau das ist gegen­wär­tig der Fall!

Wir ver­mis­sen im öffent­li­chen Dis­kurs kon­struk­ti­ve und men­schen­rechts­ge­lei­te­te Vor­schlä­ge. Ver­ges­sen wer­den dabei auch die Erfol­ge der Flücht­lings­auf­nah­me nach 2015 oder die Auf­nah­me von einer Mil­li­on Men­schen, die 2022 aus der Ukrai­ne flüch­te­ten. Dabei zei­gen die Bei­spie­le: Die Gesell­schaft kann viel, wenn die Poli­tik die rich­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen schafft. Dazu gehört auch, die immense Arbeit der Zivil­ge­sell­schaft zu wür­di­gen und in jeder Hin­sicht zu unterstützen.

Unse­re Posi­ti­on in die­ser Kri­se ist und bleibt klar: Men­schen­rech­te und Menschenwürde sind Kern­be­stand­tei­le unse­res Zusam­men­le­bens, die wir nie­mals auf­ge­ben dür­fen. Wenn wir grund­sätz­li­che Wer­te rela­ti­vie­ren, indem wir sie Men­schen abspre­chen, die um Asyl bit­ten, ver­lie­ren wir unse­ren mora­li­schen Kom­pass. Her­kunft, Reli­gi­on, Haut­far­be, sexu­el­le Iden­ti­tät – nichts davon kann und darf bei der Auf­nah­me asyl­su­chen­der Men­schen eine Rol­le spie­len. Es gibt kei­ne Flücht­lin­ge ers­ter und zwei­ter Klasse.

Unse­re Posi­ti­on in die­ser Kri­se ist und bleibt klar: Men­schen­rech­te und Menschenwürde sind Kern­be­stand­tei­le unse­res Zusam­men­le­bens, die wir nie­mals auf­ge­ben dürfen.

Das Recht auf Asyl, der Schutz vor Zurück­wei­sung sind unver­äu­ßer­lich. Völ­ker­recht­lich ist das in der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on, der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, der Grund­rech­te-Char­ta der EU und ande­ren Men­schen­rechts­ab­kom­men verankert.

Wir haben Argumente zusammengestellt, die in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen weiterhelfen.

#1: Behaup­tung aus der Poli­tik: Wir schaf­fen das nicht. Die Gren­ze der Auf­nah­me­fä­hig­keit ist erreicht.

PRO ASYL sagt dazu:

Die Auf­nah­me von schutz­su­chen­den Men­schen in Deutsch­land liegt in der Ver­ant­wor­tung der Län­der und Kom­mu­nen. Zwar ist die Lage nahe­zu über­all ange­spannt, aber es gibt den­noch Unter­schie­de. Dort, wo Struk­tu­ren, Netz­wer­ke, Run­de Tische und Per­so­nal­stel­len in der Inte­gra­ti­ons- oder Flücht­lings­so­zi­al­ar­beit nach 2016 nicht abge­baut wur­den, sind die Kom­mu­nen aktu­ell bes­ser gerüs­tet. Dies zei­gen auch die jün­ge­ren Erfah­run­gen: Wo die betref­fen­den Struk­tu­ren bei­be­hal­ten oder sogar wei­ter­ent­wi­ckelt wur­den, war man im Jahr 2022 bes­ser auf die Auf­nah­me von bun­des­weit einer Mil­li­on Geflüch­te­ter aus der Ukrai­ne sowie knapp 200.000 Asyl­su­chen­den eingestellt.

Die Erfah­run­gen aus dem ver­gan­ge­nen Jahr zei­gen auch deut­lich, wie dem Man­gel an behörd­lich orga­ni­sier­ten men­schen­wür­di­gen Unter­brin­gun­gen zumin­dest teil­wei­se erfolg­reich begeg­net wer­den kann: Wenn Geflüch­te­te ihren Wohn­ort frei wäh­len kön­nen, wie die Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne, fin­den sie auch über pri­va­te Kon­tak­te Unter­kunft. Dies bedeu­tet in der Pra­xis: Der Auf­ent­halt Asyl­su­chen­der in der Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung soll­te gene­rell auf eine mög­lichst kur­ze Dau­er begrenzt sein. Allen soll­te mög­lichst schnell eine pri­va­te Unter­brin­gung, zum Bei­spiel bei Freund*innen und Ver­wand­ten, ermög­licht wer­den. Dies führt zu einer deut­li­chen Ent­las­tung des kom­mu­na­len Aufnahmesystems.

Dar­über hin­aus muss die Auf­nah­me und Inte­gra­ti­on schutz­su­chen­der Men­schen in den Kom­mu­nen finan­zi­ell end­lich nach­hal­tig und aus­rei­chend geför­dert werden.

#2: Behaup­tung aus der Poli­tik: Wir brau­chen mehr Abschie­bun­gen, um die Kom­mu­nen zu entlasten. 

PRO ASYL sagt dazu:

Zunächst ist Fol­gen­des fest­zu­hal­ten: Der­zeit bekom­men über 70 Pro­zent der Men­schen, deren Asyl­grün­de vom Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge geprüft wer­den, Schutz in Deutsch­land. Die Quo­te liegt damit auf Rekord­ni­veau und beweist, dass der aller­größ­te Teil der Men­schen, die nach Deutsch­land kom­men und Schutz suchen, sehr gute Asyl­grün­de hat. Des­halb soll­te der Fokus von Poli­tik und Gesell­schaft auf ihrer Auf­nah­me und Teil­ha­be und nicht auf Abschie­bun­gen liegen.

>70 %

berei­nig­te Schutz­quo­te in D

Nun zur hohen Zahl der ver­meint­lich Abzu­schie­ben­den: Die­se Zahl ver­zerrt die Rea­li­tät und ist bewusst irre­füh­rend. Denn wenn man von den angeb­lich cir­ca 262.000 Aus­rei­se­pflich­ti­gen die Men­schen mit einer Dul­dung abzieht, blei­ben gera­de ein­mal etwas mehr als 51.000 voll­zieh­bar Aus­rei­se­pflich­ti­ge ohne Dul­dung übrig. Von die­sen stam­men am Ende etwas mehr als 19.000 aus einem abge­lehn­ten Asyl­ver­fah­ren, alle ande­ren sind zum Bei­spiel Men­schen mit abge­lau­fe­nem Besuchs­vi­sum und aus­rei­se­pflich­ti­ge EU-Bürger*innen (BT-DRS 20/8046, Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf klei­ne Anfra­ge von Die Linke).

Wich­tig ist in die­sem Zusam­men­hang auch, dass es für eine Dul­dung gewich­ti­ge Grün­de gibt – unter ande­rem fol­gen­de: Men­schen haben eine Dul­dung, weil sie krank, schwan­ger, in Aus­bil­dung oder kurz vor einem Schul­ab­schluss sind. Außer­dem gibt es Län­der, die aus­rei­se­pflich­ti­ge Staats­an­ge­hö­ri­ge nicht zurück­neh­men und Län­der, in die nicht abge­scho­ben wer­den darf.

Eine neue Per­spek­ti­ve ergibt sich auch aus der Tat­sa­che, dass aller Vor­aus­sicht nach noch rund 100.000 der Men­schen, die in Deutsch­land gedul­det sind, von einer groß­zü­gi­gen Anwen­dung des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts pro­fi­tie­ren kön­nen. Das wür­de ihnen zu einer Auf­ent­halts­er­laub­nis ver­hel­fen und die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen erneut dras­tisch ver­rin­gern. Bis Ende August erhiel­ten bereits 37.000 Men­schen den Chan­cen-Auf­ent­halt. Die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen ist ins­be­son­de­re dadurch erst­mals seit vie­len Jah­ren zurück­ge­gan­gen, mit 14 Pro­zent sogar sehr deutlich.

Die For­de­rung nach Abschie­bun­gen im »gro­ßen Stil« (Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz, Spie­gel Online 20.10.2023) stellt ange­sichts der rea­len Zah­len dem­nach eine unnö­ti­ge popu­lis­ti­sche Ver­schär­fung dar. Das geplan­te »Gesetz zur Ver­bes­se­rung der Rück­füh­rung« wird dazu füh­ren, dass Abschie­bun­gen bru­ta­ler wer­den, eine Ent­las­tung der Kom­mu­nen fin­det nicht statt.

PRO ASYL Social Media Pos­ting vom 20.10. als Reak­ti­on auf den Spie­gel Titel.
PRO ASYL Social Media Pos­ting vom 20.10. als Reak­ti­on auf den Spie­gel Titel.
PRO ASYL Social Media Pos­ting vom 20.10. als Reak­ti­on auf den Spie­gel Titel.

#3: Behaup­tung aus der Poli­tik: Wenn Sach­leis­tun­gen an die Stel­le von Bar­geld­aus­zah­lun­gen gesetzt wer­den, sinkt für Flücht­lin­ge der Anreiz, nach Deutsch­land zu kommen.

Men­schen flie­hen vor Kri­sen, Krieg oder Ver­fol­gung, allen vor­an aus Syri­en, Afgha­ni­stan oder der Tür­kei. Wenn in Deutsch­land Sozi­al­leis­tun­gen gekürzt wer­den, hat das kei­ner­lei Ein­fluss auf die Flucht­ent­schei­dun­gen der Men­schen. Zudem wer­den Geflüch­te­te durch die­se Form der Bevor­mun­dung als Min­der­heit öffent­lich stig­ma­ti­siert und in ihrer Men­schen­wür­de verletzt.

Es gibt auch kei­ne sach­li­chen Anhalts­punk­te dafür, dass die Ent­schei­dung zur Flucht dadurch beein­flusst wird, ob es im Auf­nah­me­land Geld, Gut­schei­ne oder Bezahl­kar­ten zum Über­le­ben gibt. Und es exis­tie­ren auch kei­ne Bele­ge dafür, dass eine Sach­leis­tungs­ver­sor­gung und ein Absen­ken der Sozi­al­leis­tun­gen zu weni­ger Flücht­lin­gen führt (sie­he Wis­sen­schaft­li­cher Dienst des Bun­des­tags 2020 oder Fak­ten­fin­der der Tages­schau).

Es gibt kei­ne sach­li­chen Anhalts­punk­te dafür, dass die Ent­schei­dung zur Flucht dadurch beein­flusst wird, ob es im Auf­nah­me­land Geld, Gut­schei­ne oder Bezahl­kar­ten zum Über­le­ben gibt.

Aus unse­rer Erfah­rung wis­sen wir: Eine Flucht- oder Migra­ti­ons­ent­schei­dung wird indi­vi­du­ell und unter Abwä­gun­gen getrof­fen. Nach einer Unter­su­chung für das Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge sind vor allem der Auf­ent­halts­ort von Freund*innen, Fami­lie oder Com­mu­ni­ty, die Spra­che und auch die mut­maß­li­chen Chan­cen auf dem Arbeits­markt maß­geb­li­che Grün­de für Flücht­lin­ge, den Weg nach Deutsch­land zu suchen.

Und das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt urteil­te bereits 2012 im Zusam­men­hang mit ver­wei­ger­ten Bar­geld­zah­lun­gen, dass der voll­stän­di­ge Ent­zug von Bar­geld nicht mit Arti­kel 1 (Men­schen­wür­de) und mit Arti­kel 20 (Sozi­al­staats­prin­zip) des Grund­ge­set­zes ver­ein­bar ist.

#4: Behaup­tung aus der Poli­tik: Das aus­ge­zahl­te Bar­geld wird von Asyl­su­chen­den dazu miss­braucht, Fami­li­en im Her­kunfts­land zu unter­stüt­zen und Schul­den bei Schleu­sern abzustottern.

PRO ASYL sagt dazu:

Nach der jetzt bereits vor­han­de­nen Sach­leis­tungs­pra­xis und den gel­ten­den Regel­sät­zen des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes ist die Behaup­tung rele­van­ter Geld­trans­fers schlicht rea­li­täts­fern. Der monat­li­che Betrag, der in bar an Asyl­su­chen­de aus­ge­zahlt wird, liegt deut­lich unter dem Sozi­al­hil­fe­satz. Es ist kaum mög­lich, davon Geld an Ange­hö­ri­ge oder Schlep­per zu schi­cken. Erst, wenn die betrof­fe­nen Men­schen hier ent­spre­chen­de Arbeits­ein­künf­te haben, kön­nen sie ihren in Not zurück­ge­blie­be­nen Fami­li­en womög­lich spür­bar helfen.

#5: Behaup­tung aus der Poli­tik: Um die Sozi­al­kas­sen zu ent­las­ten, müs­sen Asyl­su­chen­de zur gemein­nüt­zi­gen Arbeit gezwun­gen werden.

PRO ASYL sagt dazu:

Der Gedan­ke, mehr Geflüch­te­te in Arbeit zu brin­gen, ist rich­tig. Ein Zwang zur gemein­nüt­zi­gen Arbeit ist hin­ge­gen öko­no­misch wenig sinn­voll und über­dies men­schen­recht­lich nicht ver­tret­bar. Viel bes­ser wäre es, vor­han­de­ne büro­kra­ti­sche Hür­den abzu­bau­en, damit Geflüch­te­te leich­ter in Arbeit kom­men. Dies for­dern wir seit vie­len Jah­ren. Aller­dings wur­de von staat­li­cher Sei­te bis­lang vor allem des­we­gen an den Arbeits­ver­bo­ten fest­ge­hal­ten, weil eine Ver­fes­ti­gung des Auf­ent­hal­tes und damit eine staat­lich nicht gewoll­te »vor­ei­li­ge« Inte­gra­ti­on ver­hin­dert wer­den sollte.

Ein kur­zer Blick in die Lage: Geflüch­te­te unter­lie­gen nach wie vor einem Arbeits­ver­bot. Bis­her dür­fen Asyl­su­chen­de in der Regel erst nach neun Mona­ten arbei­ten, zumin­dest grund­sätz­lich. Die­se War­te­frist will die Bun­des­re­gie­rung nun auf sechs Mona­te ver­kür­zen. Selbst wenn Geflüch­te­te arbei­ten dürf­ten, schei­tern sie häu­fig dar­an, dass die Aus­län­der­be­hör­den die Ertei­lung der Arbeits­er­laub­nis restrik­tiv hand­ha­ben. Bis Asyl­su­chen­de sich über­haupt auf den Weg zu den Arbeits­agen­tu­ren machen kön­nen, ver­ge­hen so in der Regel min­des­tens zwei Jahre.

Wei­te­re Pro­ble­me, denen sich arbeits­su­chen­de Flücht­lin­ge gegen­über­se­hen: Aus­län­di­sche Schul- und Uni­ver­si­täts­ab­schlüs­se wer­den oft nicht aner­kannt; auf der Flucht ver­lo­ren­ge­gan­ge­ne Zeug­nis­se und Doku­men­te füh­ren zu lang­wie­ri­gen büro­kra­ti­schen Ver­fah­ren; häu­fig lie­gen die Wohn­hei­me, in denen Schutz­su­chen­de zwangs­wei­se unter­ge­bracht sind, weit weg von Städ­ten mit ent­spre­chen­den Arbeits­platz­an­ge­bo­ten; Wohn­sitz­auf­la­gen erschwe­ren den Umzug zum mög­li­chen Arbeitsplatz.

All dies hat unter ande­rem auch zur Fol­ge, dass das Arbeits­platz­an­ge­bot für Flücht­lin­ge häu­fig nicht ihrer Qua­li­fi­zie­rung ent­spricht. Eine Ärz­tin als Kell­ne­rin, ein Phy­si­ker als Taxi­fah­rer, das ist kei­ne Seltenheit.

Unse­re Schluss­fol­ge­rung: Flücht­lin­ge gera­ten in vie­len Fäl­len völ­lig unver­schul­det in pre­kä­re Arbeits­ver­hält­nis­se oder auch in die Lage, län­ger staat­li­che Leis­tun­gen bezie­hen zu müs­sen. Dass Asyl­su­chen­de zu gemein­nüt­zi­ger Arbeit gezwun­gen wer­den sol­len, statt end­lich die genann­ten büro­kra­ti­schen Hür­den zu besei­ti­gen, ist weder gesell­schafts­po­li­tisch noch wirt­schaft­lich klug.

#6: Behaup­tung aus der Poli­tik: Um die »ille­ga­le Migra­ti­on« zu been­den, müs­sen die Gren­zen geschlos­sen wer­den. Ob an der euro­päi­schen Außen­gren­ze oder national.

An den euro­päi­schen Außen­gren­zen, zum Bei­spiel in Polen, Ungarn, Grie­chen­land und den spa­ni­schen Exkla­ven Ceu­ta und Mel­il­la, gibt es bereits hoch­ge­rüs­te­te Grenz­an­la­gen. Dies führt kaum dazu, dass weni­ger Flücht­lin­ge kom­men – es erhöht nur das Risi­ko, dass mehr Men­schen auf dem Flucht­weg ster­ben, weil sie die Zäu­ne und Mau­ern auf gefähr­li­chen Wegen umge­hen müs­sen. Wer Schutz vor Ver­fol­gung, Elend und Tod sucht, lässt sich durch Grenz­hin­der­nis­se nicht dau­er­haft aufhalten.

Aktu­ell wer­den 70% der inhalt­lich beur­teil­ten Asyl­an­trä­ge posi­tiv beschie­den. Aber auch die­se Schutz­be­rech­tig­ten muss­ten »ille­gal« ein­rei­sen, weil Euro­pa kei­ne gefah­ren­frei­en, regu­lä­ren Wege für Flücht­lin­ge eröffnet.

Auch natio­nal wird eine Grenz­schlie­ßung Deutsch­lands wenig bewir­ken, es sei denn, auch alle recht­li­chen und mora­li­schen Wer­te wür­den zugleich auf­ge­ge­ben. Denn nach wie vor gilt: Men­schen, die an einer deut­schen Gren­ze ankom­men und Asyl suchen, dür­fen nicht abge­wie­sen wer­den. Sie haben ein ver­brief­tes Anrecht dar­auf, dass ihr Asyl­an­trag geprüft wird. Und dass die­se zumeist berech­tigt sind, beweist der hohe Pro­zent­satz aner­kann­ter Anträ­ge von zur­zeit 70. Die­se Schutz­be­rech­tig­ten muss­ten »ille­gal« ein­rei­sen, weil Euro­pa kei­ne gefah­ren­frei­en, regu­lä­ren Wege für Flücht­lin­ge eröffnet.

#7: Behaup­tung aus der Poli­tik: Eine Ober­gren­ze für Asyl muss ein­ge­führt wer­den. Die­se Ober­gren­ze von 200.000 Flücht­lin­gen rich­tet sich danach, was für das Land ver­kraft­bar ist.

Wer das for­dert muss auch die Fra­ge beant­wor­ten, was pas­siert, wenn der 200.001. Schutz­su­chen­de an unse­rer Gren­ze steht: Bleibt dann die Gren­ze dicht, wird Asyl verweigert?

Ver­ant­wort­li­che Politiker*innen wis­sen sehr genau, dass die­se For­de­rung nur umsetz­bar wäre, wenn völ­ker­recht­li­che Ver­ein­ba­run­gen wie zum Bei­spiel die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on, die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on, die Euro­päi­sche Grund­rech­te­char­ta und Tei­le des Grund­ge­set­zes der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land außer Kraft gesetzt würden.

Gesetzt, all die­se Aus­stiegs­sze­na­ri­en wür­den rea­li­siert, blie­be am Ende immer noch eine ent­schei­den­de Fra­ge: Wol­len wir als Bür­ge­rin­nen und Bür­ger wirk­lich selbst in einer Gesell­schaft leben, in der grund­sätz­li­che Men­schen­rech­te nicht mehr gelten?

#8: Behaup­tung aus der Poli­tik: Das bestehen­de indi­vi­du­el­le Asyl­recht ist nicht mehr prak­ti­ka­bel. Es soll­te durch ver­ein­bar­te, fes­te Auf­nah­me­kon­tin­gen­te ersetzt werden.

PRO ASYL sagt dazu:

Kon­tin­gen­te wie die orga­ni­sier­te Auf­nah­me von Schutz­su­chen­den aus Dritt­staa­ten (Resett­le­ment) sind wich­ti­ge Ele­men­te und Instru­men­te des glo­ba­len Flücht­lings­schut­zes. Sie unter­schei­den sich jedoch grund­le­gend vom indi­vi­du­el­len Asyl­recht und dür­fen es nicht erset­zen. Wenn jeman­dem akut die Inhaf­tie­rung im Fol­ter­ge­fäng­nis droht, dann kann die Per­son nicht Mona­te bis Jah­re auf eine huma­ni­tä­re Auf­nah­me war­ten – sie muss sofort flie­hen und Schutz bekom­men kön­nen. Die spon­ta­ne Flucht darf des­we­gen nicht ver­bo­ten bezie­hungs­wei­se ver­hin­dert wer­den, oft kann nur sie Men­schen das Leben retten.

#9: Behaup­tung aus der Poli­tik: Abkom­men mit Tran­sit­län­dern sind die Lösung, um Men­schen von Euro­pa fernzuhalten.

PRO ASYL sagt dazu:

Sol­che Deals sind recht­lich, huma­ni­tär und mora­lisch inak­zep­ta­bel. Die Blau­pau­se für die­se Art Abkom­men ist der EU-Tür­kei-Deal von Ange­la Mer­kel und Recep Tayyip Erdoğan. Für Flücht­lin­ge hat­te die­ser Deal schwe­re und teil­wei­se tod­brin­gen­de Fol­gen. In der Tür­kei wur­den sie in Lagern fest­ge­setzt und immer wie­der auch ille­gal und mit bru­ta­ler Gewalt über die tür­kisch-syri­sche Gren­ze zurück in die Kriegs­ge­bie­te gezwungen.

In Grie­chen­land lös­te der Deal eine per­ma­nen­te huma­ni­tä­re Kri­se aus. In den EU- finan­zier­ten Flücht­lings­la­gern auf den Ägä­is-Inseln wur­den und wer­den Schutz­su­chen­de ihrer Rech­te beraubt, phy­sisch und psy­chisch verletzt.

Über all die­se Ver­fes­ti­gung des Unrechts hin­aus mach­te sich Euro­pa erpress­bar, denn sobald es zu Unstim­mig­kei­ten zwi­schen den Ver­trags­par­tei­en kam, öff­ne­te Erdoğan die Gren­zen Rich­tung Grie­chen­land. Schutz­su­chen­de Men­schen wur­den so zum Spiel­ball eines auto­kra­ti­schen Regimes, das inzwi­schen selbst auf dem drit­ten Platz der Her­kunfts­län­der von Asyl­su­chen­den in Deutsch­land steht. In Grie­chen­land stieg sowohl an der Land­gren­ze als auch in der Ägä­is die Zahl ille­ga­ler und töd­li­cher Zurück­wei­sun­gen auf eine trau­ri­ge Rekordhöhe.

Ein wei­te­res Abkom­men schloss die EU im Juli 2023 mit dem tune­si­schen Macht­ha­ber Kais Sai­ed ab, der aus sei­ner ras­sis­ti­schen Hal­tung gegen­über Flücht­lin­gen vor allem aus der Sahel-Zone kei­ner­lei Hehl macht. Bei der Unter­zeich­nung des Deals in Tunis blen­de­ten die EU-Repräsentant*innen die Tat­sa­che aus, dass schutz­su­chen­de Men­schen von tune­si­schen Sicher­heits­kräf­ten über die Gren­ze hin­aus in die Wüs­te depor­tiert wur­den und dort qual­voll verdursteten.

#10: Behaup­tung aus der Poli­tik: Die Euro­päi­sche Uni­on und ihre Mit­glieds­staa­ten wer­den durch »irre­gu­lä­re Migra­ti­ons­be­we­gun­gen« so stark unter Druck gesetzt, dass es statt­haft ist, ihnen »mit phy­si­scher Gewalt« zu begegnen.

PRO ASYL sagt dazu:

Die­se Behaup­tung bedeu­tet im Klar­text nichts ande­res als: Wenn es zum Bei­spiel einer Flücht­lings­fa­mi­lie mit zwei klei­nen Kin­dern gelingt, die EU-Außen­gren­ze zu über­win­den, darf sie mit Gewalt über die Gren­ze zurück­ge­schafft wer­den. Die enorm hohe Zahl ille­ga­ler Zurück­wei­sun­gen an den EU-Außen­gren­zen zeigt, dass dies bereits umfas­sen­de Pra­xis ist. Trau­rig genug an die­sem Sach­ver­halt ist schon heu­te, dass sich invol­vier­te Staa­ten wie z.B. Grie­chen­land, Bul­ga­ri­en, Ungarn oder Ita­li­en nicht mal mehr beson­ders viel Mühe geben, die Gewalt­ta­ten zu verschleiern.

Jedoch: Wenn sol­che Gewalt­maß­nah­men nun tat­säch­lich auch noch legi­ti­miert wer­den, ist eine wei­te­re exzes­si­ve Zunah­me bru­ta­ler Über­grif­fe abseh­bar. Neben all dem Leid und Schre­cken, die zu befürch­ten sind, stel­len wir uns die Fra­ge, wohin das füh­ren soll. Aus dem Rechts­raum EU wür­de defi­ni­tiv ein Unrechts­raum, der sich kaum mehr von auto­kra­ti­schen Regi­men unter­schei­den wür­de: Alle bege­hen schwe­re Gewalt­ta­ten vor allem gegen­über schutz­lo­sen Min­der­hei­ten – und am Ende sind sich alle dar­in gleich.