Waren laut Flücht­lings­hilfs­werk der Ver­ein­ten Natio­nen Ende 2018 mehr als 70 Mil­lio­nen Men­schen auf der Flucht, stieg ihre Zahl Mit­te 2020 auf mehr als 80 Mil­lio­nen an – ein Rekord­wert. In den ver­gan­ge­nen 10 Jah­ren hat sich die Zahl der Flücht­lin­ge welt­weit ver­dop­pelt. In Deutsch­land dage­gen sind die Zah­len so nied­rig wie seit 2012 nicht mehr.

103.000

betrug die Zahl der Asy­l­erst­an­trä­ge 2019. Die Zahl der tat­säch­lich neu Ein­ge­reis­ten ist noch geringer.

Deutlicher Rückgang bei Neuzugängen

In sei­ner offi­zi­el­len Asyl­sta­tis­tik weist das BAMF 122.000 Asyl­an­trä­ge aus, dar­un­ter 103.000 Erst­an­trä­ge – nied­ri­ger lagen die Zah­len hier­zu­lan­de zuletzt 2012. Die Zahl der tat­säch­li­chen Neu­ein­rei­sen ist jedoch noch­mal deut­lich nied­ri­ger. Denn rund 20.000 Folgeantragsteller*innen befan­den sich in der Regel bereits in Deutsch­land. Zudem ent­fal­len rund 27.000 (oder 26%) aller Erst­an­trä­ge auf hier gebo­re­ne Kin­der. Damit sind nur ca. 76.000 Per­so­nen neu ein­ge­reist und haben einen soge­nann­ten  »grenz­über­schrei­ten­den Asyl­an­trag« gestellt.

Die­se Zahl gibt also ein weit­aus rea­lis­ti­sche­res Bild der tat­säch­lich neu nach Deutsch­land ein­ge­reis­ten Asyl­su­chen­den wie­der als die Daten der offi­zi­el­len Asyl­sta­tis­tik. Damit ist die Zahl der neu in Deutsch­land ange­kom­me­nen Schutz­su­chen­den das vier­te Jahr in Fol­ge deut­lich – um ein Drit­tel (32%) – gesunken.

Damit ist die Zahl der neu in Deutsch­land ange­kom­me­nen Schutz­su­chen­den das vier­te Jahr in Fol­ge deut­lich gesunken.

Humanitäre Zuwanderung im Sinkflug

See­hofer selbst hat­te den im Koali­ti­ons­ver­trag von CDU/CSU und SPD ver­ein­bar­ten »Kor­ri­dor für die Zuwan­de­rung« von 180.000 bis 220.000 Per­so­nen jähr­lich durch­ge­setzt – eine de fac­to-Ober­gren­ze für die Auf­nah­me Schutz­su­chen­der. Im letz­ten Jahr kamen mit 67.000 gera­de ein­mal ein Drit­tel davon nach Deutschland.

Denn zu den 76.000 »grenz­über­schrei­ten­den Asyl­an­trä­gen« kom­men rund 2.000 Ein­rei­sen per Resett­le­ment und ande­ren huma­ni­tä­ren Auf­nah­men sowie ca. 13.000 Visa zum Fami­li­en­nach­zug. Hier­von abge­rech­net wer­den müs­sen rund 14.000 Rück­füh­run­gen (Abschie­bun­gen plus Zurück­schie­bun­gen) sowie knapp 10.000 »frei­wil­li­ge Aus­rei­sen«, um die tat­säch­li­che Zuwan­de­rung – also 67.000 – zu ermitteln.

Dunkelziffer bei den Ausreisen

Aller­dings sind die von der Bun­des­re­gie­rung genann­ten Zah­len zur frei­wil­li­gen Aus­rei­se nur vor­läu­fig bzw. Stand Ende Sep­tem­ber, also gerin­ger als die tat­säch­li­che Gesamt­zahl der Aus­rei­sen. Die­se dürf­te aber unab­hän­gig davon noch weit höher lie­gen, da vie­le Aus­rei­sen sta­tis­tisch nicht erfasst wer­den, weil Betrof­fe­ne sich nicht zwangs­läu­fig abmel­den, son­dern ein­fach ausreisen.

Einen ent­spre­chen­den Nähe­rungs­wert kann die Zahl der­je­ni­gen Per­so­nen bie­ten, die von der Bun­des­po­li­zei mit einer Grenz­über­tritts­be­schei­ni­gung bei der Aus­rei­se erfasst wur­den: Das waren knapp 27.000 Per­so­nen. Die­se sind sicher­lich nicht alles abge­lehn­te Asyl­su­chen­de, son­dern auch ande­re Aus­rei­se­pflich­ti­ge, d.h. die Zahl der »frei­wil­lig« aus­ge­reis­ten abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den dürf­te irgend­wo zwi­schen 10.000 und 27.000 liegen.

Tatsächliche Zuwanderung noch niedriger

Dem­zu­fol­ge dürf­te die tat­säch­li­che Grö­ßen­ord­nung der huma­ni­tä­ren Zuwan­de­rung im letz­ten Jahr im Bereich von maxi­mal 55.000–60.000 gele­gen haben, wie von PRO ASYL bereits im Janu­ar in einer Schät­zung pro­gnos­ti­ziert. Mög­li­cher­wei­se ist selbst die­se Zahl zu hoch ange­setzt, zumal ein nicht unbe­trächt­li­cher Teil der per Fami­li­en­nach­zugs­vi­sa oder über ande­re huma­ni­tä­re Auf­nah­men  ein­ge­reis­ten Men­schen zur Sta­tus­klä­rung Asyl bean­tragt hat, also dop­pelt gezählt wurde.

Dem­zu­fol­ge dürf­te die tat­säch­li­che Grö­ßen­ord­nung der huma­ni­tä­ren Zuwan­de­rung im letz­ten Jahr im Bereich von maxi­mal 55.000 – 60.000 gele­gen haben.

Syrien, Afghanistan und Irak als Hauptherkunftsländer

Der Blick auf die Her­kunfts­län­der belegt, dass Auf­nah­me statt Abschot­tung das Gebot der Stun­de wäre: Abzüg­lich der hier gebo­re­nen Kin­der ent­fiel mit 25.000 Erst­an­trä­gen ein Drit­tel auf Men­schen aus Syri­en. Dahin­ter fol­gen mit Afgha­ni­stan (8.000) und dem Irak (7.000) zwei wei­te­re Kriegs- und Kri­sen­staa­ten. Allein die­se drei Her­kunfts­län­der machen mit 54% mehr als die Hälf­te aller Asyl­an­trä­ge von neu Ein­ge­reis­ten aus. Mit der Tür­kei, dem Iran, Nige­ria, Soma­lia und Eri­trea sind wei­te­re Staa­ten unter Haupt­her­kunfts­län­dern zu fin­den, in denen gra­vie­ren­de Menschenrechts­verletzungen an der Tages­ord­nung sind.

Schutzquoten auf dem Niveau des Vorjahres

Immer­hin: Die Schutz­quo­ten haben sich sta­bi­li­siert und befin­den sich auf dem Niveau des Vor­jah­res. Die offi­zi­el­le Schutz­quo­te, die von der BAMF-Sta­tis­tik aus­ge­wie­sen wird, ist sogar von 38% im Jahr 2019 auf 43% im Jahr 2020 gestie­gen. Aller­dings sind in der BAMF-Sta­tis­tik auch die for­mel­len Erle­di­gun­gen mit­ge­rech­net, die ein Vier­tel aller Asy­l­ent­schei­dun­gen aus­mach­ten, im Vor­jahr sogar noch ein Drittel.

In die­sen for­mel­len Ent­schei­dun­gen wer­den die Asyl­grün­de der Betrof­fe­nen nicht geprüft, bspw. weil ein ande­rer EU-Staat zustän­dig ist oder weil der Asyl­an­trag an einer sons­ti­gen for­ma­len Hür­de schei­tert. Um jedoch beur­tei­len zu kön­nen, wie hoch die Schutz­quo­te für ein­zel­ne Her­kunfts­län­der tat­säch­lich ist, soll­te man daher die­se for­mel­len Ver­fah­rens­er­le­di­gun­gen her­aus­rech­nen, da die­se kei­ner­lei Aus­sa­ge­kraft hin­sicht­lich der Asyl­grün­de haben.

Betrach­tet man allein die berei­nig­te Schutz­quo­te, liegt die­se mit 57% auf Vor­jah­res­ni­veau. 35% erhiel­ten Asyl nach dem Grund­ge­setz oder die Flücht­lings­an­er­ken­nung nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on zuge­spro­chen, 17% den sub­si­diä­ren Schutz und 5% ein so  genann­tes natio­na­les Abschie­bungs­ver­bot – auch bei den ein­zel­nen Schutz­for­men gab es im Ver­gleich zu 2019 kei­ne nen­nens­wer­ten Abwei­chun­gen. 43% der Asyl­su­chen­den wur­den im ver­gan­ge­nen Jahr abgelehnt.

Kaum noch Flüchtlings-Anerkennungen

Den­noch dür­fen die­se Zah­len nicht dar­über hin­weg­täu­schen, dass die BAMF-Pra­xis trotz der stark gesun­ke­nen Zugangs­zah­len wei­ter sehr restrik­tiv bleibt und es kaum noch Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen gibt, selbst wenn die­se Quo­te mit 35% bei über einem Drit­tel liegt. Grund für die­se hohe Quo­te ist näm­lich ins­be­son­de­re das soge­nann­te Fami­li­en­asyl, über das bspw. hier gebo­re­ne Kin­der oder per Fami­li­en­nach­zugs­vi­sa nach­ge­kom­me­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge, die zur Sta­tus­klä­rung Asyl bean­tra­gen, den Sta­tus von der stamm­be­rech­tig­ten Per­son ablei­ten können.

Syrer*innen bekommen fast nur subsidiären Schutz

Betrach­tet man bspw. die posi­ti­ven Ent­schei­dun­gen bei syri­schen Asyl­su­chen­den, so stellt man fest, dass zwar 55% den Flücht­lings­sta­tus erhal­ten haben, also mehr als die Hälf­te. Aller­dings sind 97% die­ser Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen kei­ne eigen­stän­di­gen Aner­ken­nun­gen, son­dern von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen abgeleitet.

In Anbe­tracht der ver­schärf­ten Aner­ken­nungs­pra­xis des BAMF seit März 2016, als der Gesetz­ge­ber den Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Geschütz­ten zunächst für über zwei Jah­re aus­ge­setzt und anschlie­ßend auf maxi­mal 1.000 Visa pro Monat kon­tin­gen­tiert hat­te, wür­den die­se Men­schen heu­te in einem eigen­stän­di­gen Asyl­ver­fah­ren in der Regel kei­nen Flücht­lings­sta­tus mehr erhal­ten. Somit geben die offi­zi­el­len wie auch die berei­nig­ten Aner­ken­nungs­quo­ten ein ver­fälsch­tes Bild der tat­säch­li­chen Ent­schei­dungs­pra­xis des BAMF über Asyl­an­trä­ge wie­der, da die­se Zah­len die hier gebo­re­nen Kin­der und nach­ge­zo­ge­ne Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge beinhalten.

Nachteile mangels Flüchtlingsanerkennung

Auch bei ande­ren wich­ti­gen Her­kunfts­län­dern, bei denen ein Fami­li­en­nach­zug in einer rele­van­ten Grö­ßen­ord­nung statt­fin­det, sieht man eine ähn­li­che Ent­schei­dungs­la­ge: Bei Afgha­ni­stan sind 69% der Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen abge­lei­tet, beim Irak sind es 94%, bei Eri­trea sogar 98%. Für alle Her­kunfts­län­der ergibt sich ein Wert von 80% abge­lei­te­ten Flücht­lings­an­er­ken­nun­gen, d.h. über 30.000 der ins­ge­samt 38.000 Aner­ken­nun­gen als Flücht­lin­ge sind basie­rend auf Aner­ken­nun­gen von bereits hier leben­den engen Ange­hö­ri­gen. Die Aner­ken­nungs­pra­xis des BAMF führ­te im ver­gan­ge­nen Jahr also den seit 2016 ein­ge­schla­ge­nen Weg fort und bleibt restriktiv.

Familiennachzug: Um die Hälfte reduziert

Zu die­ser Pra­xis des BAMF kom­men im Visums­ver­fah­ren wei­te­re Restrik­tio­nen und büro­kra­ti­sche Hür­den hin­zu, die Flücht­lin­ge und sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te beim Ver­such des Nach­ho­lens ihrer Ange­hö­ri­gen bei den Bot­schaf­ten und Kon­su­la­ten haben: Nur noch 12.500 Fami­li­en­nach­zugs­vi­sa wur­den im ver­gan­ge­nen Jahr für Ange­hö­ri­ge von Flücht­lin­gen und sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten erteilt – ein Rück­gang um 50%.

Die­ser ist zwar teil­wei­se mit den Beschrän­kun­gen des Rei­se­ver­kehrs und der Visums­be­ar­bei­tung in den Bot­schaf­ten infol­ge der Coro­na-Pan­de­mie zu erklä­ren; aller­dings kann dies nicht die allei­ni­ge Ursa­che sein, da die Zahl der Visa zum Fami­li­en­nach­zug ins­ge­samt (also bspw. aus­län­di­sche Ehegatt*innen von deut­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen) »nur« um 29% rück­läu­fig war. Dem­nach spielt Coro­na den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen  in die Hän­de, um den Fami­li­en­nach­zug klein zu hal­ten – und hier­für die Pan­de­mie vor­schie­ben zu können.

Von den gesetz­lich fest­ge­leg­ten 12.000 Visa für Ange­hö­ri­ge von sub­si­di­är Geschütz­ten (maxi­mal 1.000 pro Monat) wur­den im letz­ten Jahr weni­ger als 5.300 erteilt. Ob die nicht erteil­ten 6.700 Visa nach­träg­lich erteilt wer­den, bleibt ungewiss.

Weniger Asylentscheidungen, aber keine Besserung der Verfahrensqualität 

Qua­li­täts­män­gel bei BAMF-Ent­schei­dun­gen ste­hen seit Jah­ren in der Kri­tik. Obwohl das BAMF mit 145.000 Ent­schei­dun­gen über Asyl­ver­fah­ren im Ver­gleich zum Vor­jahr rund 21% weni­ger Ent­schei­dun­gen zu tref­fen hat­te, zudem in einem Vier­tel aller Fäl­le das weit weni­ger ver­fah­rens­auf­wän­di­ge Fami­li­en­asyl gewährt wer­den konn­te, stieg die Qua­li­tät der Asy­l­ent­schei­dun­gen nicht an.

Vie­le der BAMF-Ent­schei­dun­gen erwie­sen sich auch 2020 als feh­ler­haft oder falsch und wur­den von den Gerich­ten aufgehoben.

Im Gegen­teil: Vie­le der Ent­schei­dun­gen erwie­sen sich auch 2020 als feh­ler­haft oder falsch und wur­den von den Gerich­ten auf­ge­ho­ben. Bis Ende Mai 2020 wur­den mit knapp 8.000 Asyl­be­schei­den fast ein Drit­tel (30%) aller inhalt­lich über­prüf­ten BAMF-Ent­schei­dun­gen durch die Gerich­te kor­ri­giert, ein leich­ter Anstieg im Ver­gleich zu 2019 (26%). Hin­zu kom­men über 1.000 Beschei­de, in denen das BAMF sei­ne Ent­schei­dung selbst kor­ri­gier­te und den ursprüng­li­chen Bescheid aufhob.

60 Prozent falsche Afghanistan-Bescheide

Auch für das Gesamt­jahr dürf­te sich nur wenig zum Bes­se­ren getan haben, wie allein die Zah­len zu Afgha­ni­stan ver­deut­li­chen: Lag die Quo­te der auf­ge­ho­be­nen Afgha­ni­stan-Beschei­de bis Ende Mai noch bei 55%, stieg die­se im Gesamt­jahr 2020 auf 60% an. Dass beim BAMF eine vom Innen­mi­nis­te­ri­um behaup­te­te »durch­ge­hen­de Über­prü­fung der Qua­li­tät der Asy­l­ent­schei­dun­gen« erfol­gen soll, lässt sich aus die­sen Zah­len jeden­falls nicht able­sen. Viel­mehr bele­gen der­ar­tig ver­hee­ren­de Zah­len den eigent­li­chen BAMF-Skan­dal.

Obwohl seit Jah­ren bezüg­lich Afgha­ni­stan in einer Viel­zahl von Ver­fah­ren falsch ent­schie­den wird, wird beim BAMF offen­sicht­lich nicht nach­ge­bes­sert. Damit ver­la­gert das BAMF die Ver­fah­ren auf die Ver­wal­tungs­ge­rich­te und ist für deren Über­las­tung mit­ver­ant­wort­lich. Bei einer solch hohen Feh­ler­quo­te müss­ten bereits ergan­ge­ne ableh­nen­de Asyl­be­schei­de eigent­lich erneut über­prüft wer­den, um die über­las­te­ten Gerich­te zu ent­las­ten und die Ver­fah­ren zu beschleunigen.

Zermürbung durch lange Klageverfahren

Die im Schnitt mitt­ler­wei­le fast zwei Jah­re (22 Mona­te, Jan-Mai 2020) dau­ern­den  Kla­ge­ver­fah­ren füh­ren zu einem abschre­cken­den Neben­ef­fekt: Vie­le Betrof­fe­ne kom­men erst nach Jah­ren des War­tens zu ihrem Recht und kön­nen in die­ser Zeit ihre Fami­lie nicht oder nur unter sehr erschwer­ten Bedin­gun­gen nach­ho­len oder sie wer­den von der über Jah­re andau­ern­den Unsi­cher­heit, ob sie blei­ben kön­nen oder nicht, zermürbt.

Ein sol­cher Schwe­be­zu­stand bedeu­tet für die Betrof­fe­nen teils mas­si­ve Pro­ble­me beim Zugang zu Sprach- und Inte­gra­ti­ons­kur­sen sowie zum Arbeits­markt und wirkt sich mas­siv inte­gra­ti­ons­feind­lich auf die Men­schen, die trotz einer sol­chen Pra­xis zum gro­ßen Teil in Deutsch­land blei­ben wer­den, aus.

Trotz Corona viele Dublin-Verfahren

Auch die Zahl der so genann­ten Dub­lin-Ver­fah­ren bleibt hoch: Über 30.000 Über­nah­me­er­su­che bedeu­ten, dass in 29% aller Asyl­ver­fah­ren ein ande­rer euro­päi­scher Staat für zustän­dig erach­tet wur­de. Die­se Dub­lin-Ver­fah­ren wur­den über das Jahr hin­weg durch­ge­führt, obwohl zwi­schen­zeit­lich durch den ers­ten Coro­na-Lock­down die inner­eu­ro­päi­schen Gren­zen geschlos­sen und Über­stel­lun­gen in ande­re EU-Län­der über­haupt nicht mög­lich waren. Sobald die­se mög­lich wur­den, schob Deutsch­land auch selbst bei hohem Infek­ti­ons­ge­sche­hen ins inner­eu­ro­päi­sche Ziel­land ab.

Kaum Überstellungen, an Dublin wird trotzdem festgehalten

Die Zahl der Dub­lin-Über­stel­lun­gen sank 2020 auf 3.000, was den nied­rigs­ten Wert seit 2011 dar­stellt. Dies hat­te vor allem mit besag­ten Grenz­schlie­ßun­gen ab März 2020 zu tun. Im Hin­blick auf die Zahl der Über­nah­me­er­su­chen ist das Dub­lin-Ver­fah­ren ein für das BAMF höchst auf­wän­di­ges und vor allem voll­kom­men inef­fi­zi­en­tes Ver­fah­ren, wenn in weni­ger als 10% der ein­ge­lei­te­ten Dub­lin-Ver­fah­ren eine Über­stel­lung erfolgt. Dass das BAMF aber den­noch und trotz der zwi­schen­zeit­lich über­haupt nicht mög­li­chen Über­stel­lun­gen mit Vehe­menz und mit recht­lich frag­wür­di­gen Stra­te­gien an Dub­lin fest­hielt, ist ein wei­te­rer Beleg für die restrik­ti­ve Linie gegen­über Geflüchteten.

Der Unsinn der Dub­lin-Ver­fah­ren lässt sich beson­ders gut am Bei­spiel Grie­chen­land ver­deut­li­chen: Rund 22% aller Dub­lin-Ver­fah­ren und damit mit Abstand die meis­ten betra­fen allein die­ses mit der Flücht­lings­auf­nah­me völ­lig über­for­der­te Land. Fast 7.000 Über­nah­me­er­su­che wur­den Rich­tung Grie­chen­land gestellt. Dort­hin über­stellt wur­den indes vier Personen.

Eine sol­che rein der Abschre­ckung die­nen­de Pra­xis führt im Ergeb­nis vor allem zu künst­lich in die Län­ge gezo­ge­nen Asyl­ver­fah­ren. Ins­be­son­de­re die tau­sen­de Men­schen, denen erst stark ver­zö­gert Schutz gewährt wird, sind Leid­tra­gen­de die­ser unsäg­li­chen Pra­xis. Und dass im Gegen­zug auch Dub­lin-Über­stel­lun­gen nach Deutsch­land statt­fin­den, die gegen­ge­rech­net wer­den müs­sen, bedeu­tet, dass Geflüch­te­te mit hohem büro­kra­ti­schen Auf­wand, aber mit wenig Sinn, zwi­schen den EU-Staa­ten hin- und her­ge­scho­ben werden.

Wenig Besserung im Flughafenverfahren 

Auch im Flug­ha­fen­asylver­fah­ren hat sich nur wenig zum Bes­se­ren getan. Das Flug­ha­fen­ver­fah­ren ist ein Schnell­ver­fah­ren, bei dem Men­schen im Flug­ha­fen­tran­sit fest­ge­hal­ten wer­den und als nicht ein­ge­reist gel­ten. Inner­halb von zwei Tagen muss ent­we­der über den Asyl­an­trag ent­schie­den oder die Ein­rei­se erlaubt werden.

Im Rah­men die­ses Schnell­ver­fah­rens darf eine Ableh­nung nur als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« erfol­gen, d.h. die Ableh­nung und die Unbe­gründ­etheit des Antrags müs­sen sich dem BAMF gera­de­zu auf­drän­gen. Im Hin­blick auf die oft­mals sehr kom­ple­xen Sach­ver­hal­te in Asyl­ver­fah­ren kön­nen also bspw. klei­ne­re Wider­sprü­che oder Unklar­hei­ten im Vor­trag der Betrof­fe­nen gera­de nicht zu einer Ableh­nung als »offen­sicht­lich unbe­grün­det« führen.

Ablehnungsquote im Flughafenverfahren drastisch gestiegen

Den­noch ist die Ableh­nungs­quo­te an den deut­schen Flug­hä­fen in den letz­ten Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich gestie­gen. Lag sie 2014 noch bei 9% gemes­sen an den Ent­schei­dun­gen, ist sie auf bis zu 51 % im Jahr 2019 gestie­gen. Im ver­gan­ge­nen Jahr war erst­ma­lig wie­der ein Rück­gang auf 46% zu ver­zeich­nen. Den­noch: Bei fast jedem zwei­ten Asyl­an­trag drängt sich dem BAMF die Ableh­nung offen­bar gera­de­zu auf, dar­un­ter bspw. in vie­len Fäl­len von Asyl­su­chen­den aus dem Iran oder dem Irak.

Im Hin­blick dar­auf, dass ähn­lich frag­wür­di­ge Model­le an den EU-Außen­gren­zen geplant sind (sie­he »New Pact on Asyl­um and Migra­ti­on«), muss zwin­gend  auf die Män­gel des deut­schen Flug­ha­fen­ver­fah­rens hin­ge­wie­sen werden.

Das »Bundesamt für Widerrufsverfahren«

Fast zwei Drit­tel aller BAMF-Ent­schei­dun­gen, rund 253.000, sind im ver­gan­ge­nen Jahr in Wider­rufs­ver­fah­ren ergan­gen – nur ein Drit­tel waren Ent­schei­dun­gen in Asyl­ver­fah­ren.  Wei­te­re 149.000 sol­cher Wider­rufs­prüf­ver­fah­ren waren Ende 2020 anhängig.

In die­sen gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Ver­fah­ren wird anlass­los geprüft, ob Schutz­be­rech­tig­te noch schutz­be­dürf­tig sind, also ob sich bei­spiels­wei­se die Situa­ti­on in ihrem Her­kunfts­land gra­vie­rend geän­dert hat und sie zurück­keh­ren könnten.

97%

der Wider­rufs­ver­fah­ren enden mit der Bestä­ti­gung des Schutzstatus

Kaum Widerrufe, aber die Angst unter Flüchtlingen ist da

Im Hin­blick dar­auf, dass 87% die­ser Ver­fah­ren Men­schen aus Syri­en, dem Irak, Afgha­ni­stan und Eri­trea betref­fen, also Staa­ten, in denen in den ver­gan­ge­nen Jah­ren kaum rele­van­te Ver­än­de­run­gen zu einer bes­se­ren men­schen­recht­li­chen Lage fest­zu­stel­len sind, ist dies ein unhalt­ba­rer Zustand. Dem­entspre­chend kommt es auch in fast 97% der Fäl­le nicht zu einem Widerruf.

Unter  Geflüch­te­ten sor­gen die­se Wider­rufs­prü­fun­gen für Angst und Schre­cken sowie gro­ße Ver­un­si­che­rung um die eige­ne Zukunft, zumal Zehn­tau­sen­de zu per­sön­li­chen Anhö­run­gen ins BAMF vor­ge­la­den wur­den. Die gerin­ge Anzahl an Wider­ru­fen macht die Nutz­lo­sig­keit sol­cher anlass­lo­sen Über­prü­fun­gen deut­lich, bei gleich­zei­ti­gem enor­men Auf­wand beim BAMF. Die­se Kapa­zi­tä­ten soll­ten statt­des­sen bes­ser in die Ver­bes­se­rung der tat­säch­li­chen Asyl­ver­fah­ren gesteckt werden.

Weniger Abschiebungen durch Corona

Die Zahl der Abschie­bun­gen ging im ver­gan­ge­nen Jahr – ins­be­son­de­re pan­de­mie­be­dingt –deut­lich zurück. Mit knapp 11.000 hat sie sich im Ver­gleich zu 2019 hal­biert; die meis­ten Abschie­bun­gen gin­gen nach Geor­gi­en, Alba­ni­en und Ser­bi­en. Die gesun­ke­nen Zah­len kön­nen jedoch kaum Beleg für eine ver­min­der­te Här­te sein: Auch 2020 gab es unzäh­li­ge Berich­te über Fäl­le unbarm­her­zi­ger Abschie­bun­gen – selbst Alte und schwer Kran­ke oder Men­schen, die hier gebo­ren und auf­ge­wach­sen sind, blie­ben nicht davon verschont.

Zeit für menschenrechtsbasierte Flüchtlingspolitik!

In Zei­ten zuneh­men­der Kriegs- und Kri­sen­her­de und ange­sichts dra­ma­tisch stei­gen­der Flücht­lings­zah­len in der Welt, kann Abschre­ckung und die sich zuneh­mend ver­schär­fen­de Abschot­tung von Deutsch­land und Euro­pa kei­ne zukunfts­fä­hi­ge Ant­wort sein. Zumal auch die welt­wei­te Pan­de­mie und der in den Hin­ter­grund gedräng­te Kli­ma­wan­del dazu bei­tra­gen wer­den, dass sich die Zahl derer, die gezwun­gen sein wer­den ihre Hei­mat zu ver­las­sen, in abseh­ba­rer Zeit nicht ver­rin­gern wird.

Vie­le Men­schen wer­den ange­sichts der Situa­ti­on in den Flücht­lings­her­kunfts­län­dern dau­er­haft hier blei­ben. Hier­vor wei­ter­hin die Augen zu ver­schlie­ßen oder gar nach rechts zu schie­len, ist poli­tisch verantwortungslos!

Nach­dem der Paro­le »Wir schaf­fen das« von Kanz­le­rin Mer­kel fünf Jah­re lang Restrik­tio­nen und Geset­zes­ver­schär­fun­gen gefolgt sind, und auch auf euro­päi­scher Ebe­ne eine Eini­gung höchs­tens bei Ver­schär­fun­gen zu erzie­len war, ist es end­lich wie­der an der Zeit für zukunfts­fä­hi­ge Konzepte.

Dazu zählt nicht nur, die neu ein­rei­sen­den Asyl­su­chen­den nicht län­ger mit aller­lei gesetz­li­chen und admi­nis­tra­ti­ven Schi­ka­nen sys­te­ma­tisch in ihren Rech­ten ein­zu­schrän­ken, son­dern auch die bereits hier leben­den Schutz­be­rech­tig­ten nicht in einem stän­di­gen Sta­tus des Nicht-Will­kom­men-Seins und der Unsi­cher­heit zu belas­sen und ihnen statt­des­sen Sicher­heit zu bie­ten sowie den unbü­ro­kra­ti­schen Nach­zug ihrer Fami­li­en zu ermög­li­chen. Die­se Men­schen wer­den ange­sichts der Situa­ti­on in den Flücht­lings­her­kunfts­län­dern dau­er­haft hier blei­ben.  Hier­vor wei­ter­hin die Augen zu ver­schlie­ßen oder gar nach rechts zu schie­len, ist poli­tisch verantwortungslos.

Dirk Mor­lok

Fahne aus Rettungsdecke auf Demonstration in Frankfurt

Asyl in Zahlen 2019

Welt­weit wer­den im Durch­schnitt 37.000 Men­schen pro Tag aus ihrer Hei­mat ver­trie­ben. Ende des Jah­res 2018 waren damit erst­mals mehr als 70 Mio. Men­schen auf der Flucht. Mit ins­ge­samt 70,8 Mio. Flücht­lin­gen, Ver­trie­be­nen und Asyl­su­chen­den ist die Zahl gegen­über dem Vor­jahr um 2,3 Mio. gestiegen. 

Asyl in Zahlen 2018

2015 war es in Deutsch­land weit ver­brei­te­te Über­zeu­gung, dass die zu uns Geflüch­te­ten ein Anrecht auf Schutz und Auf­nah­me haben. Inzwi­schen hat sich die öffent­li­che Stim­mung gedreht – ohne dass an der Not der Men­schen, die zu uns kom­men, irgend­et­was anders wäre. 

Anerkennungen / Ablehnungen: Warum man die bereinigte Schutzquote heranziehen sollte

Immer wie­der spielt in öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen die Schutz­quo­te für Flücht­lin­ge eine Rol­le. Die Zah­len unter­schei­den sich dabei jedoch gele­gent­lich, denn die deut­schen Behör­den ver­wen­den eine Dar­stel­lungs­wei­se, die nicht nur inhalt­lich getrof­fe­ne Ent­schei­dun­gen mit ein­be­zieht – die soge­nann­te »Gesamt­schutz­quo­te« – auch aus poli­ti­schem Kalkül.