13.09.2024
Image
"Frau-Leben-Freiheit"-Proteste im Iran. Foto: Yahya S.

Yahya S. wurde im Iran zur Zielscheibe des Regimes – weil er sich für den Umweltschutz und für Menschenrechte einsetzte. Der heute in Deutschland lebende kurdisch-iranische Aktivist erzählt von der Brutalität des iranischen Regimes und den Erfahrungen auf seinem Fluchtweg durch die Wälder von Belarus.

Sie sind aus dem Iran geflüch­tet. War­um muss­ten Sie 2022 fliehen?

20 Jah­re lang enga­gier­te ich mich im Umwelt­schutz in den kur­di­schen Gebie­ten im Iran. Dafür sperr­te mich das ira­ni­sche Regime 2012 für fünf Jah­re ein. 2017 wur­de ich frei gelas­sen. Obwohl es im Gefäng­nis sehr schlimm war, arbei­te­te ich poli­tisch wei­ter bis zum Sep­tem­ber 2022. Als die Frau-Leben-Frei­heit-Pro­tes­te anfin­gen, stieg ich direkt ein. In den kur­di­schen Städ­ten fühl­te es sich an, als wäre Kriegs­zu­stand. Das Regime ging mit aller Här­te gegen uns vor. Es gab vie­le Ver­letz­te, die wegen Über­fül­lung nicht in Kran­ken­häu­sern behan­delt wer­den konn­ten. Wir grün­de­ten des­we­gen eige­ne Ers­te-Hil­fe-Grup­pen, um Ver­letz­te in pri­va­ten siche­ren Häu­sern pfle­gen zu können.

Doch dann lud mich der Geheim­dienst vor. Sie durch­such­ten mein Haus und mei­ne Arbeits­stel­le und nah­men mei­nen Lap­top und mein Han­dy mit. Kurz dar­auf schos­sen auf einer Demons­tra­ti­on ira­ni­sche Sicher­heits­kräf­te auf mich. Mit ver­letz­tem Auge und Schrot­ku­geln in mei­nem Rücken und in mei­nem lin­ken Bein beschloss ich schwe­ren Her­zens, mei­ne Hei­mat zu verlassen.

Wie ist die Lage im Iran heute?

Die Lage im Iran ist sehr schlimm – poli­tisch, recht­lich und wirt­schaft­lich – vor allem in dem kur­di­schen Gebie­ten. Frau­en und jun­ge Freiheitsaktivist*innen wur­den schon immer unter­drückt vom Regime, aber sie ste­hen wei­ter in der ers­ten Rei­he des Wider­stands und kämp­fen. Sehr zum Unmut des Regimes, das die­sen beson­ders hart an unter­drück­ten Grup­pen aus­lässt, wie an den Frau­en oder an den Kol­bar [Las­ten­trä­ger im Grenz­ge­biet Iran-Irak und Iran-Tür­kei], die in den Pro­tes­ten auch eine wich­ti­ge Rol­le spielten.

Was hat es mit den Kol­bar auf sich?

Die Kol­bar in Kur­di­stan und im ira­ni­schen Hoch­land Belut­schi­stan sind der Beweis für das Ver­sa­gen des ira­ni­schen Regimes. In den Grenz­städ­ten der ira­nisch-ira­ki­schen und ira­nisch-tür­ki­schen Gren­ze gibt es für vie­le Men­schen kei­ner­lei wirt­schaft­li­che Per­spek­ti­ven und kei­ne Unter­neh­men, in denen man arbei­ten könn­te. So arbei­ten vie­le als Las­ten­trä­ger und tra­gen Klei­dung, Schu­he, Auto­rei­fen oder Haus­halts­sa­chen – wie zum Bei­spiel Kühl­schrän­ke und Wasch­ma­schi­nen – auf ihren Rücken über die Gren­ze. Das geschieht im Auf­trag von Geschäfts­leu­ten oder auf Eigen­in­itia­ti­ve, um die Din­ge auf der ande­ren Sei­te zu ver­kau­fen und den Preis­un­ter­schied zu nut­zen, um sich Geld für etwas Essen zu verdienen.

Die Ware ist bis zu 150 kg schwer. Die Wege sind hart und steil, immer wie­der stür­zen Kol­bar die Hän­ge hin­ab oder erfrie­ren im Schnee. Zusätz­lich schießt die Isla­mi­sche Revo­lu­ti­ons­gar­de auf sie, wenn sie sie ent­deckt, denn die­se Arbeit ist offi­zi­ell ver­bo­ten. So ver­die­nen die Las­ten­trä­ger unter lebens­ge­fähr­li­chem Ein­satz ein paar Dol­lar am Tag, damit sie und ihre Fami­li­en überleben.

Die Kol­bar gehö­ren vor allem den Min­der­hei­ten der Kur­den und der Belut­schen an, die von jeher vom Regime unter­drückt wer­den. Des­we­gen konn­ten sie sich mit den Frau-Leben-Frei­heit-Pro­tes­ten gegen das Regime iden­ti­fi­zie­ren und schlos­sen sich ihnen aktiv an. Dafür rächt sich das Regime und lässt noch mehr auf sie schie­ßen. Schon meh­re­re hun­dert Kol­bar wur­den in den letz­ten Mona­ten erschos­sen, auch Min­der­jäh­ri­ge. Nie­mand wird zur Rechen­schaft gezo­gen, es wird nicht ein­mal the­ma­ti­siert. Ich habe bereits 2018 einen Doku­men­tar­film über die Kol­bar und ihre furcht­ba­re Situa­ti­on gemacht. Seit 2022 ist die Situa­ti­on aber noch bru­ta­ler. Das Regime bekämpft sie, aber auch alle ande­ren Men­schen und Grup­pen, die sich mit den Frau­en­pro­tes­ten soli­da­ri­sie­ren. So haben zum Bei­spiel die Gewerk­schaft­le­rin­nen und Arbei­ter­ak­ti­vis­tin­nen Sha­ri­fe Moham­ma­di und Pakhs­han Azi­zi kürz­lich ihre Todes­ur­tei­le erhalten.

»Ich habe immer um Gerech­tig­keit und den Umwelt­schutz gekämpft, vor mei­ner Inhaf­tie­rung und auch nach mei­ner Ent­las­sung. Bis ich mei­ne Hei­mat ver­las­sen musste.«

Was genau haben Sie als Umwelt­ak­ti­vist im Iran gemacht? 

In den kur­di­schen Gebie­ten im Iran haben wir ver­schie­de­ne Pro­ble­me, eines davon ist der Umwelt­schutz. Die Isla­mi­sche Revo­lu­ti­ons­gar­de und das Regime ver­ein­nah­men und zer­stö­ren die Res­sour­cen der kur­di­schen Gebie­te. Tau­sen­de Hekt­ar der für die dort woh­nen­den Men­schen wirt­schaft­lich wich­ti­gen Wäl­der und Fel­der haben sie in Brand gesetzt. Sie ver­trei­ben die Men­schen aus ihren Dör­fern, indem sie die Lebens­grund­la­ge ent­we­der zer­stö­ren oder sich aneig­nen. Im Umwelt­schutz aktiv zu sein ist daher sehr poli­tisch, weil es gleich­zei­tig um die Ver­trei­bung und Unter­drü­ckung von Men­schen geht. Ich habe immer um Gerech­tig­keit und den Umwelt­schutz gekämpft, vor mei­ner Inhaf­tie­rung und auch nach mei­ner Ent­las­sung. Bis ich mei­ne Hei­mat ver­las­sen muss­te. Das war eine schwie­ri­ge und schmerz­haf­te Entscheidung.

Der lan­ge und gefähr­li­che Weg nach Deutsch­land: Wie haben Sie das geschafft?

Das Regime hat­te bei der letz­ten Durch­su­chung mei­nen Pass beschlag­nahmt. Des­we­gen muss­te ich über den Land­weg zu Fuß in den Irak nach Kur­di­stan [Auto­no­me Regi­on Kur­di­stan] flüch­ten. Dort erhoff­te ich mir Schutz und medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung mei­ner Wun­den, bei­des wur­de mir ver­wehrt. Nach drei Mona­ten in pre­kä­rer Lage erklär­te mir die dor­ti­ge Geheim­dienst-Poli­zei, die Asayesh, ich müs­se das Land inner­halb von zwei Tagen ver­las­sen, sonst wür­den sie mich in den Iran abschie­ben. Denn seit Febru­ar 2023 haben Kur­di­stan, Iran und Tür­kei den Deal, dass die Tür­kei und Kur­di­stan poli­ti­schen Geflüch­te­ten aus dem Iran kei­nen Schutz ertei­len. Dass ich einen Anwalt hat­te und einen offi­zi­el­len Nach­weis der UN, dass ich ein poli­tisch ver­folgt bin, half nicht.

Image
Ver­folg­te Men­schen aus dem Iran brau­chen Schutz!

Drei Tage lang lief ich zu Fuß in Rich­tung Tür­kei. Dort hat­te ich nach weni­gen Mona­ten das glei­che Pro­blem, dass mir die Abschie­bung direkt in die Arme mei­ner Ver­fol­ger droh­te. Ich muss­te schnellst­mög­lich die Tür­kei ver­las­sen. Aber die Flucht über Grie­chen­land war gefähr­lich, denn wenn man dabei erwischt wird, kommt man ins tür­ki­sche Abschie­be­ge­fäng­nis. Ich ken­ne Ira­ner, die im Abschie­be­ge­fäng­nis in der Tür­kei sit­zen, obwohl ihnen im Iran auf Grund ihres poli­ti­schen Enga­ge­ments bei der Frau-Leben-Frei­heit-Bewe­gung zwölf Jah­re Haft oder der Tod dro­hen. Rich­tung Bul­ga­ri­en zu flie­hen, war auch kei­ne Opti­on, über­all hört man die Geschich­ten von der dor­ti­gen Miss­hand­lung an geflüch­te­ten Menschen.

Als ich die Chan­ce bekam, nach Mos­kau zu flie­gen, ergriff ich die­se. Von dort brach­te man mich ver­steckt in einem Auto nach Bela­rus. Hier muss­te ich mich ver­ste­cken, um nicht in den Iran abge­scho­ben zu wer­den. Ich dach­te, ich blei­be nur kurz, aber erst nach vie­len Mona­ten schaff­te ich es, immer noch ver­letzt und ohne medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung, bis zum Wald an der Gren­ze nach Polen.

»Was dort an der Gren­ze pas­siert, ist unvor­stell­bar und fern­ab von jeg­li­chen Menschenrechtsgesetzen.«

Das pol­nisch-bela­rus­si­sche Grenz­ge­biet gilt als beson­ders bru­ta­le Regi­on für Men­schen auf der Flucht. Wie erging es Ihnen dort? 

Was dort an der Gren­ze pas­siert, ist unvor­stell­bar und fern­ab von jeg­li­chen Men­schen­rechts­ge­set­zen. Ich ging ins­ge­samt 21 Mal in den Wald im Grenz­ge­biet und harr­te dort meh­re­re Tage aus in dem Ver­such nach Polen, Litau­en oder Lett­land in Sicher­heit zu kom­men. Sowohl die let­ti­schen, litaui­schen und pol­ni­schen als auch die bela­rus­si­schen Grenz­sol­da­ten schlu­gen uns, auch die Frau­en, mit Stö­cken, grif­fen uns mit Elek­tro­scho­ckern an und zwan­gen uns, uns aus­zu­zie­hen. Sie nah­men unse­re Schu­he und mach­ten sie kaputt. Sie stah­len unser Essen, unse­re Schlaf­sä­cke, unse­re Ruck­sä­cke, unse­re Han­dys und jag­ten uns anschlie­ßend zurück in den Wald. Bar­fuß. Ich hat­te den Ein­druck, dass sie woll­ten, dass wir im Wald ster­ben. Manch­mal fan­den wir dort erfro­re­ne Geflüch­te­te – auch gan­ze Familien.

Das ist Bru­ta­li­tät mit System.

Es ist wie ein Spiel der ver­schie­de­nen Grenz­po­li­zis­ten. Die Grenz­sol­da­ten – egal wel­cher Nati­on – schla­gen die Flücht­lin­ge und schi­cken sie zurück in den Wald. Von dort bringt sie die bela­rus­si­sche Poli­zei zunächst in ein Lager und dann zurück nach Minsk oder an die Gren­ze zu Polen. Manch­mal schla­gen sie die Men­schen so stark, dass die­se nicht mehr lau­fen kön­nen. Die Men­schen, die nach Minsk zurück­ge­bracht wer­den, ver­su­chen meis­tens trotz­dem wie­der zur Gren­ze zu kommen.

Ich habe bei jeder mei­ner 21 Fest­nah­men durch pol­ni­sche, litaui­sche und let­ti­sche Grenz­po­li­zis­ten ver­sucht mit ihnen zu spre­chen. Ich habe ihnen mei­ne Ver­let­zun­gen gezeigt und Brie­fe von der UN und einer wei­te­ren Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on, die bele­gen, dass ich poli­tisch ver­folgt bin. Nie­man­den hat das inter­es­siert, ich wur­de dann noch mehr geschla­gen und gede­mü­tigt. Es gab ein­fach kei­nen Weg.

Nach eini­gen Mona­ten erhielt ich durch Unter­stüt­zung von Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen Kon­takt zum Aus­wär­ti­gen Amt und bekam auf Grund mei­ner Nach­wei­se über mei­ne poli­ti­sche Ver­fol­gung, end­lich ein Visum für Deutsch­land und konn­te hierherkommen.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich bin hier. Jetzt kön­nen end­lich mein ver­letz­tes Auge ver­sorgt und die Schrot­ku­geln aus mei­nem Kör­per ent­fernt wer­den. Ich möch­te erst­mal gesund wer­den und dann Deutsch ler­nen. Danach habe ich den gro­ßen Wunsch auch hier für den Umwelt­schutz und für Men­schen­rech­te aktiv zu sein.

Ich bin in Sicher­heit, aber im Iran und in den Wäl­dern von Bela­rus ster­ben gleich­zei­tig immer noch Men­schen. Wir dür­fen sie nicht vergessen.