02.02.2024
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In einigen Geschäften ist immer noch nur Bargeldzahlung möglich. Ein Problem für Asylbewerber in Zukunft. Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Die Bundesländer haben mit der Bezahlkarte ein Diskriminierungsinstrument konzipiert, das geflüchteten Menschen in Deutschland das Leben schwer machen soll. PRO ASYL appelliert an die Bundesländer, die vorhandenen Spielräume positiv zu nutzen.

Die ein­heit­li­che Bezahl­kar­te statt Bar­geld für Geflüch­te­te kommt – das ist die aktu­el­le Bot­schaft der Bun­des­län­der. 14 der 16 Län­der hät­ten sich auf »Stan­dards« der Bezahl­kar­te und ein gemein­sa­mes Ver­ga­be­ver­fah­ren geei­nigt, teil­te die Hes­si­sche Staats­kanz­lei am 31. Janu­ar mit. Fak­tisch bekun­den die Län­der mit die­ser Erklä­rung zur Bezahl­kar­te den Wil­len, ein Dis­kri­mi­nie­rungs­in­stru­ment für Geflüch­te­te zu installieren.

Wie genau die ein­zel­nen Län­der die Bezahl­kar­te aus­stat­ten wer­den,  ist noch offen. Das vor­geb­li­che Ziel – die Sen­kung der Asyl­zah­len – wer­den die Ver­ant­wort­li­chen jeden­falls nicht errei­chen. Was offen­bar den­noch bei der Bevöl­ke­rung ankom­men soll, ist das kaum ver­hoh­le­ne Signal: Wir tun etwas gegen Geflüch­te­te. Und damit las­sen sich Politiker*innen der demo­kra­ti­schen Par­tei­en von denen trei­ben,  die schutz­su­chen­de Men­schen  gene­rell von Deutsch­land fern­hal­ten oder aus dem Land ver­trei­ben wollen.

Erklärter Zweck der Bezahlkarte: Abschreckung

Mit der Bezahl­kar­te sol­len die Bar­geld­ver­fü­gung für geflüch­te­te Men­schen ein­ge­schränkt und Über­wei­sun­gen unmög­lich wer­den. Hes­sens Regie­rungs­chef Boris Rhein erklärt die Eini­gung für die Bezahl­kar­te zu einem »wich­ti­gen Schritt, Anrei­ze für ille­ga­le Migra­ti­on nach Deutsch­land zu sen­ken«. Folg­lich wird damit ver­sucht, den Betrof­fe­nen das Leben hier schwer zu machen, um Men­schen von der Flucht nach Deutsch­land abzuhalten.

Schon auf ihrer Kon­fe­renz am 6. Novem­ber 2023 hat­ten die Regierungschef*innen von Bund und Län­dern betont, »Anrei­ze für eine Sekun­där­mi­gra­ti­on … nach Deutsch­land« und gene­rell die Asyl­an­trags­zah­len »deut­lich und nach­hal­tig« sen­ken zu wol­len. In sozi­al­po­li­ti­schen Ver­schär­fun­gen, zu denen die Bezahl­kar­te gehört, sehen sie dazu offen­bar ein legi­ti­mes Mittel.

Das ist nicht nur schä­big, son­dern auch men­schen­recht­lich zwei­fel­haft: Schon allein die­ses Motiv, der Abschre­ckungs­ge­dan­ke, wirft Fra­gen auf. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat in einer Ent­schei­dung von 2012 die Gewähr­leis­tung eines men­schen­wür­di­gen Exis­tenz­mi­ni­mums für jeden Men­schen aus­drück­lich fest­ge­hal­ten und erklärt, dass die Men­schen­wür­de nicht »aus migra­ti­ons­po­li­ti­schen Grün­den rela­ti­viert« wer­den dür­fe (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Mit die­ser Ent­schei­dung hat­te das höchs­te deut­sche Gericht damals die Höhe der gerin­gen Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen annä­hernd auf Sozi­al­hil­fe­ni­veau ange­ho­ben – bis die Regie­rung die Leis­tun­gen eini­ge Jah­re spä­ter wie­der senkte.

Je mehr Beschrän­kun­gen auf der Bezahl­kar­te sind, des­to dras­ti­scher grei­fen die staat­li­chen Maß­nah­men in das All­tags­le­ben und die per­sön­li­che Frei­heit der Betrof­fe­nen ein. Bei der Ver­hin­de­rung von Über­wei­sun­gen schei­nen sich die Län­der bereits auf die restrik­tivs­te Linie fest­ge­legt zu haben.

Was bedeutet die Karte für die Betroffenen?

Die nun beschlos­se­nen angeb­li­chen Stan­dards der Bezahl­kar­te sind kei­ne Stan­dards, son­dern ledig­lich der kleins­te gemein­sa­me Nen­ner, auf den sich die Bun­des­län­der eini­gen konn­ten. Auf die­ser Grund­la­ge kön­nen die ein­zel­nen Län­der die Kar­te mit tech­ni­schen Nut­zungs­ein­schrän­kun­gen ver­se­hen, müs­sen dies aber nicht.

Klar ist: Je mehr Beschrän­kun­gen auf der Bezahl­kar­te sind, des­to dras­ti­scher grei­fen die staat­li­chen Maß­nah­men in das All­tags­le­ben und die per­sön­li­che Frei­heit der Betrof­fe­nen ein. Bei der Ver­hin­de­rung von Über­wei­sun­gen schei­nen sich die Län­der bereits auf die restrik­tivs­te Linie fest­ge­legt zu haben. Frag­lich ist noch, wie es um den Daten­schutz der Kar­te und ins­be­son­de­re um den Schutz vor Miss­brauch der Daten und der Zugriffs­mög­lich­kei­ten durch die Behör­den aus­se­hen wird.

Drei der größ­ten Pro­ble­me sind folgende:

Kei­ne Über­wei­sun­gen: Die Bezahl­kar­te ist nicht mit einem Bank­kon­to ver­knüpft, eine Über­wei­sungs­mög­lich­keit soll expli­zit aus­ge­schlos­sen sein. Über­wei­sun­gen sind heut­zu­ta­ge aber unent­behr­lich – etwa für einen Han­dy­ver­trag, für den Abschluss einer Haft­pflicht­ver­si­che­rung oder man­che klei­ne Ein­käu­fe im Inter­net. Geflüch­te­te müs­sen ins­be­son­de­re die Raten für ihre drin­gend benö­tig­ten Rechts­bei­stän­de per Über­wei­sung bezah­len kön­nen. Nicht alle Anwält*innen ver­fü­gen über ein Debit­kar­ten­ter­mi­nal. Und dass die Geflüch­te­ten jeden Monat zur Abbu­chung oder zur Bar­zah­lung zu ihrem Rechts­bei­stand rei­sen, ist auf­wen­dig und kos­tet wie­der­um Geld. Ohne Über­wei­sungs­mög­lich­keit wer­den Geflüch­te­te aus einem wich­ti­gen Bereich des Lebens aus­ge­grenzt und ihrer Selb­stän­dig­keit beraubt.

Beschrän­kung von Bar­geld: Die Län­der haben sich nicht ein­mal auf einen rele­van­ten Min­dest­be­trag ver­stän­digt, der von den Betrof­fe­nen in bar abge­ho­ben wer­den kann. Wer in Deutsch­land ohne Bar­geld lebt und nur weni­ge Din­ge in bestimm­ten Läden kau­fen kann, ver­liert an Selbst­be­stim­mung und macht demü­ti­gen­de Erfah­run­gen, etwa wenn der Euro für die öffent­li­che Toi­let­te oder der Bei­trag für die Klas­sen­kas­se fehlt. Beim Gemein­de­fest oder in der Schul­ca­fé­te­ria kann man mit der Bezahl­kar­te nichts kaufen.

Im Sozi­al­recht ist aner­kannt, dass Men­schen selbst­stän­dig wirt­schaf­ten und selbst ent­schei­den sol­len, wel­chen Teil ihres Gel­des sie wofür aus­ge­ben. Eine Beschrän­kung des Bar­geld­be­trags schränkt die Ver­fü­gungs­ge­walt der Men­schen über die selbst­stän­di­ge Gestal­tung ihres Lebens ein. Letzt­lich greift ein Bar­geld­ent­zug in Ver­bin­dung mit einer beschränk­ten Zahl­mög­lich­keit der Geld­kar­te die Men­schen­wür­de der Betrof­fe­nen an.

Regio­na­le Beschrän­kung: Die Bezahl­kar­te kann so ein­ge­stellt wer­den, dass sie nur inner­halb eines bestimm­ten Post­leit­zah­len­be­reichs funk­tio­niert. Die regio­na­le Ein­schrän­kung der Kar­te stellt offen­kun­dig den Ver­such dar, die Frei­zü­gig­keit der Betrof­fe­nen durch die Hin­ter­tür zu beschrän­ken: Wer Ver­wand­te oder Freund*innen besucht oder einen wei­ter ent­fern­ten Fach­arzt oder eine Bera­tungs­stel­le auf­su­chen möch­te, kann in erns­te Schwie­rig­kei­ten gera­ten, wenn er*sie nicht ein­mal eine Fla­sche Was­ser kau­fen kann.

Eine diskriminierungsfreie Bezahlkarte wäre möglich – ist aber nicht gewollt

Neben die­sen Beschrän­kun­gen sind wei­te­re vor­ge­se­hen: Bestimm­te Bran­chen oder Geschäf­te kön­nen aus­ge­schlos­sen wer­den, auch der Aus­schluss bestimm­ter Waren kann pro­gram­miert wer­den. Wei­te­re indi­vi­du­el­le Beschrän­kun­gen oder Sank­tio­nen sind tech­nisch möglich.

Wie die Län­der die Kar­te letzt­lich umset­zen wer­den, wel­che Ent­schei­dun­gen sie den Kom­mu­nen über­las­sen, ist offen. So kön­nen sie auch libe­ra­le Rege­lun­gen tref­fen und bei­spiels­wei­se die Kom­mu­nen per Erlass bin­den, die Aus­zah­lung des gesam­ten Geld­be­trags zu ermöglichen.

Länder müssen Spielraum positiv nutzen

Tat­säch­lich könn­te die Bezahl­kar­te auch dis­kri­mi­nie­rungs­frei ein­ge­setzt wer­den: Als unbe­schränk­tes digi­ta­les Zah­lungs­mit­tel für eine Über­gangs­zeit zu Beginn, solan­ge die ankom­men­den Men­schen noch kein Kon­to haben. So macht es der­zeit die Stadt Han­no­ver vor – offen­bar zur all­sei­ti­gen Zufrie­den­heit. Bis­lang hän­di­gen die Behör­den in der Anfangs­zeit Bar­geld aus – eine auf­wän­di­ge Pro­ze­dur. Der in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen aus­ge­zahl­te Betrag ist dabei sehr nied­rig (204 Euro im Monat für eine*n allein­ste­hen­de Erwachsene*n, fak­tisch oft weni­ger), weil dort ein gro­ßer Teil der Leis­tun­gen bereits der­zeit als Sach­leis­tung – in Form von Unter­kunft, Kan­ti­nen­es­sen, Alt­klei­dern und ande­rem gewährt wird. Die Bar­aus­zah­lung zu Beginn des Auf­ent­halts könn­te durch die Bezahl­kar­te sinn­voll ersetzt wer­den und Ver­wal­tungs­auf­wand sparen.

Dazu müs­sen Län­der und Kom­mu­nen Beschrän­kun­gen und Miss­bräu­che unter­las­sen, strikt den Daten­schutz beach­ten und die noch vor­han­de­nen Spiel­räu­me posi­tiv und huma­ni­tär nut­zen. Dabei ist es vor allem wich­tig, den betrof­fe­nen Per­so­nen­kreis klein und die Anwen­dungs­dau­er kurz zu hal­ten: Sobald die Men­schen ein nor­ma­les Giro­kon­to haben oder erhal­ten kön­nen, sind Bezahl­kar­ten nicht mehr nötig. Die nor­ma­le Giro­kar­te ist dis­kri­mi­nie­rungs­frei, ver­fas­sungs­kon­form und sogar für die Ver­wal­tun­gen die ein­fachs­te und güns­tigs­te Lösung.

Vorgeschobene Argumente

Zur Recht­fer­ti­gung der Bezahl­kar­te wer­den vor­ge­scho­be­ne Argu­men­te vor­ge­bracht. Die zen­tra­le Idee, weni­ger Geld oder mehr Drang­sa­lie­rung wür­den zu weni­ger Asyl­su­chen­den füh­ren, ist so alt wie falsch – das hat schon die alte sozia­le Abschre­ckungs­po­li­tik ab den 1990er Jah­ren gelehrt. Kein Kriegs­flücht­ling wird die Flucht auf­ge­ben, weil in Deutsch­land Bezahl­kar­ten statt Bar­geld war­ten. Auch künf­tig wer­den Geflüch­te­te aus man­chen euro­päi­schen Län­dern wie Grie­chen­land oder Ita­li­en hier­her kom­men, weil sie andern­orts gar kei­ne Unter­stüt­zung bekom­men, zum Teil sogar ohne Obdach und Ver­sor­gung, hun­gernd, frie­rend und nicht sel­ten krank um ihr nack­tes Über­le­ben ban­gen. An die­ser Rea­li­tät wer­den wir auch künf­tig nicht vor­bei kom­men. Das Pro­blem ist nicht, dass Deutsch­land zu hohe Sozi­al­stan­dards hat, son­dern dass man­che Län­der mit­ten in Euro­pa die Men­schen­rech­te nicht einhalten.

Die Bezahl­kar­te reiht sich ein in poli­ti­sche Maß­nah­men ein, die in einer auf­ge­heiz­ten gesell­schaft­li­chen Stim­mung zwei­fel­haf­te Signa­le an res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne Tei­le der Bevöl­ke­rung senden.

Eine wei­te­re Begrün­dung für die Bezahl­kar­te lau­tet: Man wol­le den Trans­fer von Geld unter­bin­den – wahl­wei­se zu den Hei­mat­fa­mi­li­en oder zu Schlep­pern. Dabei wird über­se­hen: Bereits heu­te erhal­ten Geflüch­te­te, beson­ders in der Anfangs­zeit in den Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen der Län­der, vor allem Sach­leis­tun­gen und nur einen sehr gerin­gen Geld­be­trag. Die Idee, von den gerin­gen Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen könn­te noch Geld in die Her­kunfts­län­der geschickt wer­den, ist völ­lig realitätsfern.

Die Bezahl­kar­te reiht sich ein in poli­ti­sche Maß­nah­men ein, die in einer auf­ge­heiz­ten gesell­schaft­li­chen Stim­mung zwei­fel­haf­te Signa­le an res­sen­ti­ment­ge­la­de­ne Tei­le der Bevöl­ke­rung sen­den. Die Umset­zung wird vie­ler­orts abseh­bar zu Ärger und Frust im All­tag geflüch­te­ter Men­schen füh­ren und ihr Ankom­men und die Inte­gra­ti­on für eine lan­ge Zeit behin­dern. Das ist kei­ne ratio­na­le, kon­struk­ti­ve Asylpolitik.

(ak)