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»Masterplan«: Deutschland macht dicht
Im nun öffentlich gewordenen »Masterplan Migration« von Horst Seehofer wird deutlich: Ein faires Verfahren für schutzsuchende Menschen soll auf möglichst vielen Ebenen verhindert werden, der Willen zur Abschottung schwingt in allen Bereichen des Papiers mit. Eine Analyse einiger wichtiger Punkte.
Dass wir bei Flüchtlingen vor allem von Menschen sprechen, die aufgrund von Krieg, Terror und schweren Menschenrechtsverletzungen ihre Heimat verlassen mussten, gerät in der aktuellen Debatte allzu oft in den Hintergrund. Auch Horst Seehofer ignoriert das in seinem »Masterplan« völlig, dabei müsste gerade er als Bundesinnenminister es besser wissen: 2017 hat mehr als die Hälfte der Asylbewerber*innen einen Schutzstatus erhalten, in den Vorjahren waren es sogar noch mehr. Und die zunächst vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnten Personen haben oftmals noch vor Gericht Schutz zugesprochen bekommen.
»Wir wollen nicht, dass du hier bist, aber integrier‘ dich gefälligst«?
Der gesamte Tonfall des Seehofer‘schen Papiers trägt dem jedoch keinerlei Rechnung. Flüchtlinge sollen – wenn sie denn überhaupt noch nach Deutschland gelangen – in Massenunterkünften kaserniert werden, aus denen man sie möglichst schnell wieder abschieben kann und in denen sie nur noch Sachleistungen erhalten. Auch der Zugang zu fairen Verfahren wird selbst denjenigen, denen doch noch die Möglichkeit gegeben wird, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, so schwer wie möglich gemacht. Während in der Präambel das Vertrauen in den Rechtsstaat betont wird, sind es gerade die Grundprinzipien des Rechtsstaates, die durch diesen Plan in Frage gestellt werden.
Lager allüberall
In den gesamten Duktus passt es da auch, dass mit Worthülsen wie »Mitmenschlichkeit ist für uns nicht verhandelbar« (S.4) ein Kapitel eingeleitet wird, das die Verantwortung für die existierenden Probleme »Partnerländern« in den Krisenregionen zuschustern will und die dortigen Staaten adressiert wie Befehlsempfänger.
Bereits in der Präambel zu Kapitel I werden Phrasen und halbgare Projekte aufeinandergetürmt. Reformpartnerstaaten werden in einem Jargon des »Förderns und Forderns«, mit dem Deutschland die »Entwicklung ausgewählter Partnerländer gezielt vorantrieben« will, adressiert wie Befehlsempfänger. Bei dieser Prioritätensetzung wirken das Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern und die Festschreibung einer Quote für die Entwicklungshilfe wie aufgesetzt. In Wirklichkeit sind die Staaten nur Mittel zum Zweck: Europa möchte mit seiner Verantwortung für die existierenden Probleme möglichst nicht direkt konfrontiert werden, dafür werden dann eben »Partnerländer« eingekauft.
Die »temporäre Beschäftigung« (Punkt 2) war einstmals begrifflich reserviert für die Idee, temporäre Arbeitsmigration in die EU zu ermöglichen. Möglich ist, dass man damit nun mittlerweile primär Anreize gegen die Weiterflucht schaffen möchte, schließlich ist im Papier nicht von Herkunftsländern, sondern nur von der »Heimatregion« die Rede. Das Konzept bietet aber angesichts der schwierigen Situation der Flüchtlinge in den Erstaufnahmestaaten eine nur begrenzt nachhaltige Perspektive. Es beinhaltet die Gefahr, dass eine wirkliche Integration trotz jahrelanger Fluchtsituation nicht stattfindet.
Während von Befriedung oder gar Stabilität im Nahen Osten fast nirgendwo gesprochen werden kann, plant Seehofer eine sogenannte »Beschäftigungsoffensive Nahost«. Abgesehen vom fragwürdigen militärischen Jargon in der Debatte über eine Region, die in weiten Teilen ein Schlachtfeld ist, ist die Rückkehr von Millionen Flüchtlingen ein hehres Ziel. Das mindeste wäre, die Hürden zu benennen. Bereits jetzt haben zahlreiche Binnenflüchtlinge große Schwierigkeiten, in Sicherheit und Würde – wie es das Flüchtlingsrecht vorsieht – in ihre Heimatorte zurückzukehren.
Ein Freibrief zur engen Zusammenarbeit mit Diktaturen und menschenrechtsverletzenden Regimen, die ja längst begonnen hat.
Punkt 6: Hier soll offenbar die inakzeptable Praxis einer staatlichen Zwangsberatung zur »freiwilligen« Rückkehr festgeschrieben und bundesweit vereinheitlicht werden. Mit der geplanten Verortung der ersten Ansprache zur Rückkehrberatung bereits beim BAMF geschieht das während oder sogar vor dem regulären Asylverfahren.
Auf die Beteiligung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) mit seiner Beratungs- und Angebotsstruktur in den Herkunftsländern darf man gespannt sein. Bisher gibt es im Irak, im Kosovo, in Ghana, Serbien, Albanien, Tunesien, Marokko und Senegal Zentren, die angeblich »Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramme« vor Ort koordinieren. Haupttätigkeit in diesen Zentren dürfte wie bisher – mangels Masse an Programmplätzen und Perspektiven in vielen der Staaten – sein, über »die Gefahren der illegalen Migration und die Möglichkeiten einer legalen Zuwanderung« zu informieren.
»Weitere bewährte Reintegrationsangebote« soll es derweil in den Hauptherkunftsstaaten geben. Man beachte: Das sind nicht die oben gelisteten, in denen es Beratungszentren gibt. Bewährte Reintegrationsangebote in Afghanistan, in Eritrea, im Irak, in Syrien? Es gibt da wenig bis nichts, was sich bewährt hat oder vor dem Hintergrund fortdauernder Kriege und Unsicherheit kurzerhand zu schaffen wäre.
Punkt 9 sieht vor, die Herkunftsländer »bei der Identifikation ihrer Staatsangehörigen« zu unterstützen, die sie daraufhin in Transitländern mit Ersatzreisepapieren ausstatten und wieder aufnehmen. Ein Freibrief zur engen Zusammenarbeit mit Diktaturen und menschenrechtsverletzenden Regimen, die ja längst begonnen hat. Dahinter steht die Fiktion: Deutsche Gerichte haben doch alles geprüft. Da kann es nicht verwerflich sein, Menschen in willfährige Transitstaaten zu expedieren, von wo aus sie dann weiter »nach Hause« können. Im Rückübernahmeabkommen mit Äthiopien ist dabei in Deutschland z.B. bereits die Beteiligung des äthiopischen Geheimdienstes N.I.S.S. am Rücknahmeverfahren vorgesehen.
In Punkt 10 wird die Katze schließlich aus dem Sack gelassen. Letztendlich geht es um effektive Fluchtverhinderung in möglichst globalem Maßstab. Deutsche Polizeipräsenz soll durch den Aufbau des Verbindungsbeamtennetzwerks bis in die Herkunftsländer ausgedehnt werden. »Direkte Kommunikation mit den Herkunftsländern zur Verhinderung von illegaler Migration«, so nennt sich das dann im Papier. Im konkreten Fall werden deutsche Polizisten zu indirekt Mitwirkenden an Verfolgungshandlungen, Auslandseinsätze der Polizei erhalten einen noch größeren Stellenwert und werden durch die Förderung eines »wirksamen Grenzmanagements« finanziell flankiert.
Eine Reflexion über die Wirksamkeit militärisch-polizeilicher Interventionen etwa in Afghanistan sucht man vergeblich. Mehr vom selben, mit welchen Partnern auch immer.
Die geplanten Lager im Inland finden hier ihre Entsprechung in sogenannten »Ausschiffungsplattformen« in Nordafrika – oder wie es bei Horst Seehofer heißt: »Sicheren Orten«. Dass diese Orte nicht qua Erklärung aus Deutschland sicher sind, weiß man auch im Bundesinnenministerium (BMI), weshalb gleichzeitig Sorge für eine »robuste Sicherung« dieser Orte getragen werden soll.
Der Dauerbrenner: Punkt 11 sieht die Einrichtung von »Sicheren Orten« zur Verhinderung weiterer Flucht- und Migrationsbewegungen vor. Das von vielen EU-Staaten mitgetragene Konzept, die EU aus dem System des internationalen Flüchtlingsschutzes herauszulösen, wird deutlich. Ohne Bezugnahme auf die Interessen der betroffenen Staaten sollen sie im besten neokolonialen Stil bloße Standorte für europäische »Ausschiffungsplattformen«, Aufnahmelager, »Sichere Orte« sein, die mit der Erwartung verbunden sind, dass sie Eingriffe in ihre nationale Souveränität hinnehmen.
Die Interessenlage der ins Auge gefassten Staaten wird überhaupt nicht in den Blick genommen. In weiten Teilen Westafrikas herrscht beispielsweise traditionell Bewegungsfreiheit, die nun durch Europa, das beispielsweise Interesse an einem »Identitätsmanagement« in der Region hat, in Frage gestellt wird.
Mit wechselnden Begrifflichkeiten werden Ideen für Aufnahmezentren in Nordafrika seit 2002 (Schily/Blair) hin- und hergewälzt. Das heftige negative Echo aus den betroffenen Staaten zur Neuauflage dieser Pläne im Vorfeld des Masterplans hat Seehofer nicht abhalten können. Mit der Absichtserklärung, eine »robuste Sicherung dieser Orte« gewährleisten zu wollen, ist man im Bereich der militärischen Intervention. Offen bleibt, wer und wo dabei genau in welcher Form intervenieren soll.
Die bewaffnete Schaffung von Sicherheit wird flankiert durch ein ominöses »Erwartungsmanagement« hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Weiterreise nach Europa, das wohl in der Regel in die Rückführung/Abschiebung münden soll, auch wenn auch die Rede von Resettlement (dauerhafte Aufnahme von Anerkannten aus Erstaufnahmestaaten) ist. Ein solches Resettlement soll aber von den Gesamtzugangszahlen nach Deutschland abhängig sein. Im Klartext: Von deren politischer Interpretation und ohne jegliche feste Aufnahmezusage. Es bleibt im Dunkeln, wer denn die Akteure in diesen externalisierten Sicherheitszonen sein sollen.
Soll damit der Bundesaußenminister zum bloßen Grüßaugust in der Region gemacht werden?
Punkt 13: »Aufklärung über Fluchtfolgen« nennt man die Einrichtung von Rückkehrzentren, wie bereits in Agadez (Niger) bestehend. Das Ziel ist, die Flucht aus den subsaharischen Staaten nah an den Ausgangsorten zu unterbinden. Pauschal wird diese als »chancenlos« bezeichnet, sämtliche möglicherweise vorliegenden Fluchtgründe auch gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) dabei offenbar ignoriert.
In diesem Geiste des repressiven Internationalismus sollen internationale Schulungseinrichtungen für Grenzpolizisten unterstützt werden, mit Schüler*innen aus aller Herren und Diktatoren Länder. (Punkte 14 – 16) Für die Haupttransitländer fließt dabei Geld für die Abschottungsinfrastruktur. Auch einen Kapazitätsaufbau in Sachen Asyl(recht) hätte man gern in den Transitländern. Aber die Saaten sind in diesem Punkt nicht mit Europa zu vergleichen, kaum eines der Länder ist, wenn es denn überhaupt die GFK unterzeichnet hat, in der Lage, eine große Zahl an Menschen aufzunehmen und ihnen ein Asylverfahren nach europäischen Grundsätzen, humanitär adäquate Unterbringung und Perspektiven zu bieten.
Punkt 17: Die Planungshoheit für die sogenannte »Nordafrikastrategie« scheint das BMI für sich zu reklamieren. Soll damit der Bundesaußenminister zum bloßen Grüßaugust in der Region gemacht werden?
Kettenreaktion von Grenzschließungen
Auf europäischer Ebene erhöht der Plan den Druck auf die – ohnehin überforderten – Randstaaten der Europäischen Union, ungeachtet überfüllter Lager, systemischer Mängel im Asylverfahren und Misshandlungen von Schutzsuchenden. Werden die Vorhaben in die Realität umgesetzt, wird das eine Kettenreaktion von Grenzschließungen in Gang setzen – mit tödlichen Folgen. Schon die weitgehende Schließung der Balkanroute in Verbindung mit dem EU-Türkei-Deal sorgte dafür, dass die Türkei schlicht ihre Grenzen zu Syrien dicht machte. Gleiches gilt nun für Jordanien, wodurch Hunderttausende nicht mehr aus dem Land entkommen können.
Ein ähnliches Schauspiel bietet sich bereits in Italien, wo nicht nur den privaten Seenotretter*innen sondern nun auch Schiffen im Rahmen internationaler Einsätze die Einfahrt mit geretteten Flüchtlingen in italienische Häfen verwehrt bleiben soll. Die Folge: Im Juni sind im Mittelmeer ungefähr so viele Flüchtlinge ertrunken, wie in den fünf Monaten zuvor zusammengenommen.
In Kapitel III findet sich der Versuch, die EU-Staaten auf die Intentionen der Maßnahmen aus Kapitel II zu verpflichten: Fluchtverhinderung bis in die Herkunftsstaaten. Gleichzeitig werden nationale Alleingänge angedroht, wenn das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) nicht das leistet, was Horst Seehofer vorschwebt.
Dazu wird in den Punkten 18 & 19 (mal wieder) der personelle Ausbau von Frontex und die geografische Ausweitung der Einsätze gefordert. Dazu sollen zusätzliche operative Befugnisse kommen, ohne näher zu definieren, wie das konkret aussehen wird. Nicht nur an die Präsenz deutscher Bundespolizisten und Verbindungsbeamter in allen möglichen Ländern soll man sich gewöhnen, sondern auch an Frontex als Europäische Grenzpolizei out of area.
Punkt 20: Das BMI möchte schnelle Asylverfahren nach EU-einheitlichen Standards. Unklar bleibt, wie sich diese Forderung zu den bereits existierenden EU-Richtlinien verhält, die einen Rahmen setzen. Die Entwicklung eines vollkommen vereinheitlichten Systems ist vor dem Hintergrund unterschiedlicher Justizsysteme und Traditionen in den EU-Mitgliedsstaaten utopisch. Selbst Deutschland hält sich schließlich nicht komplett an europäische Vorschriften. Immerhin: Die Forderung nach gemeinsamen Standards auf EU-Ebene verträgt sich nicht mit nationalen Alleingängen zu Transitzentren oder Zurückweisungen an Binnengrenzen.
Offen bleibt, auf der Basis welcher Standards diese Angleichung geschehen soll? Der Elendsversorgung in den griechischen Hotspots, der faktischen Leistungsverweigerung in einigen Staaten, der »systemischen Mängel« Bulgariens?
Das BMI möchte weiter eine Angleichung der Aufnahmebedingungen und Asylleistungen (gemeint ist wohl: Sozialleistungen) in den Mitgliedstaaten. Offen bleibt, auf der Basis welcher Standards diese Angleichung geschehen soll? Der Elendsversorgung in den griechischen Hotspots, der faktischen Leistungsverweigerung in einigen Staaten? Sollen die, von vielen Gerichten festgestellten und abgemahnten, »systemischen Mängel« Bulgariens der Standard werden?
In einigen südeuropäischen Staaten haben selbst Einheimische keinen oder kaum Zugang zu sozialen Grundleistungen. Für Deutschland gilt der Maßstab des Bundesverfassungsgerichtes. Demnach muss der Gesetzgeber belegen, welchen Bedarf Asylsuchende im Vergleich zu Einheimischen nicht haben. Bei existenzsichernden Leistungen muss existierender Bedarf gedeckt werden. Das gebietet die Menschenwürde, die migrationspolitisch nicht zu relativieren ist, so besagt es ein Urteil aus dem Jahr 2012. Unklar ist also auch, wie eine »Leistungsabsenkung bei Aufenthalt im unzuständigen Mitgliedsstaat« aussehen soll, klar ist aber ihre Stoßrichtung: Die Sanktionierung und Zurückdrängung von Menschen, die gute Gründe haben, sich gegen Abschiebungen in Staaten zu wehren, die ihnen fundamentale Rechte nicht gewähren.
Die Verantwortung soll, das wird deutlich, weiter bei den Außengrenzstaaten liegen, allerdings im Rahmen einer »fairen Lastenteilung« aller Mitgliedsstaaten. Die Unausgewogenheiten der Dublin-Verordnung, die die Randstaaten benachteiligen, sollen durch einen irgendwie gearteten Krisenmechanismus ergänzt werden. Systematisch bleibt dabei der Druck auf die Randstaaten und die betroffenen Personen erhalten. (Punkt 21)
Ausgeweitet werden soll das verheerende und zu Menschenrechtsverletzungen führende Konzept der Hotspots. Nach Griechenland soll Personal der Mitgliedsstaaten – auch das eine alte und längst beschlossene Forderung. Zu ergänzen wäre: Um den Griechen auf die Finger zu schauen, damit sie möglichst niemanden aus den Insellagern aufs Festland lassen.
Die Elends-Hotspots sollen sogleich zum EU-»Standardmodell« werden. (Punkt 23) Ein Großteil der Asylsuchenden in der EU würde dadurch langfristig de facto interniert.
Das Ziel dahinter ist auch die Abschiebung der Menschen ganz aus der EU hinaus, das wird in den Punkten 24 und 25 deutlich. Die griechische Inselwelt dient dabei als Archipel der Internierung, es soll verhindert werden, dass Menschen aus den völlig überfüllten Lagern mit katastrophalen Lebensbedingungen zumindest aufs griechische Festland gelassen werden. Denn das würde die Vereinbarungen im EU-Türkei-Deal (Abschiebungen in die Türkei sind demnach nur von den griechischen Inseln möglich) zunichtemachen, zu dem sich das Papier bekennt – ungeachtet der Tatsache, dass sich der Vertragspartner auf dem Weg in Richtung parlamentarisch flankierter Diktatur befindet und ungeachtet der Tatsache, dass seit Bestehen des Deals nur wenige tausend Menschen via Resettlement aus der Türkei nach Deutschland übernommen wurden. Die anderen EU-Staaten dürften da erfahrungsgemäß nicht fleißiger sein.
Abschrecken und herausekeln
Im Kapitel zu den Maßnahmen im Inland finden sich vorrangig Maßnahmen, die Flüchtlinge abschrecken oder – wenn sie schon in Deutschland sind – wieder herausekeln sollen. Neben den schon genannten AnkER-Zentren soll beispielsweise das diskriminierende Sonderregime des AsylbLG auf drei Jahre ausgeweitet werden. Hierbei wird auch in die eigentliche Zuständigkeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingegriffen – nicht die erste Übergriffigkeit im »Masterplan«, der auch tief in die Arbeitsbereiche des Auswärtigen Amtes oder des Entwicklungshilfeministeriums eindringt.
Bereits in der Einleitung wird – trotz immer weiter zurückgehender Ankunftszahlen von Flüchtlingen in Deutschland – von einer »nationalen Bedrohungslage« gesprochen. Damit soll offenbar ein Szenario konstruiert werden, in dem die Regierung Gesetze für einen herbeigeredeten Notstand erlässt, welche aber nicht etwa vorübergehend gelten, sondern sich dann verstetigen.
Punkt 27 war das große Streitthema in der Koalition, die Zurückweisungen an der Grenze. Dabei gilt: Wird an der Grenze zu Deutschland ein Asylgesuch vorgebracht, muss nach EU-Recht (Dublin-III-Verordnung) ein förmliches Verfahren durchgeführt werden, um den Staat zu bestimmen, der für das Asylverfahren zuständig ist. Der Vorrang des EU-Rechts ist auch im deutschen Asylgesetz (§ 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG) vorgeschrieben: Von der Einreiseverweigerung oder Zurückschiebung ist im Falle der Einreise aus den Mitgliedstaaten abzusehen, soweit Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU zuständig ist.
Die »intensive Schleierfahndung« (Punkt 28) soll dafür sorgen, dass Grenzkontrollen faktisch in großem Ausmaß stattfinden, ohne dass der Schengener Grenzkodex verletzt wird. Mehr als fraglich ist dabei, ob die anvisierten »Maßnahmen unterhalb der Schwelle von vorübergehenden Binnengrenzkontrollen« und ihre Auswirkungen rechtmäßig sind. Umgehungsstrategien sind bayerische Begleiterscheinungen von Bekenntnissen zur Gesetzestreue.
Die bundespolizeilichen Befugnisse in Sachen unerlaubte Einreisen sollen auf bedeutende Verkehrswege ausgeweitet werden. (Punkt 30) Nun soll die Bundespolizei also auch an Autobahnen und Binnenwasserstraßen Einreisen kontrollieren und verhindern? Die bisher schon existierende Überdehnung des Einsatzbereiches der Bundespolizei dürfte neue Aufgabenzuschreibungen nur schwer verkraften – vor allem, da zusätzlich ja geplant wird, die Zuständigkeit für Abschiebungen mehr und mehr von den Ländern auf die Bundespolizei zu übertragen.
Auch die »AnkER«-Zentren aus Punkt 32 sind längst bekannt. Allerdings sollen dort jetzt offenbar zunächst alle Schutzsuchenden untergebracht werden, nicht nur, wie bislang kolportiert, diejenigen mit angenommener »geringer Bleibeperspektive« – und das bis zu 18 Monate lang. Hinzu kommt, dass nach dem Willen des Innenministers dort zukünftig nach Möglichkeit nur noch Sachleistungen ausgezahlt werden, die Menschen werden also nicht nur in Massenunterkünften kaserniert, ihnen wird auch die Möglichkeit genommen, über ihre wenigen dort realisierbaren Bedürfnisse selbstbestimmt zu entscheiden. Nach aller Erfahrung wird sich ein Betreiber finden, der behauptet, den religiösen und ethnischen Besonderheiten Rechnung zu tragen und gutes Geld daran verdient, dass Flüchtlingen vorenthalten wird, was jeder sich in einer Flüchtlingssituation wünschen würde: Ein Minimum an Wahlfreiheit bei der Selbstsorge unter Umständen, die für mehr absichtlich keinen Raum lassen wollen.
Die »AnkER«-Zentren sollen schon mal provisorisch in Betrieb gehen. Ggf. erforderliche Rechtsänderungen, so der Masterplan, gibt es evtl. erst später »im Lichte der dabei gesammelten Erfahrungen«. Ein interessantes Rechtsstaatsverständnis.
Obwohl im Asylprozessrecht ohnehin die Rechtsmittelmöglichkeiten und Fristen eingeschränkt sind, sollen diese Zeiträume außerdem nochmalig verkürzt werden, Verwaltungsgerichte müssen »schnellstmöglich entscheiden«. Dabei sind die Gerichte aufgrund der fehlerhaften Entscheidungspraxis des Bundesamtes der letzten Jahre schon jetzt überlastet.
Verwaltungsgerichte müssen »schnellstmöglich entscheiden«. Dabei sind die Gerichte aufgrund der fehlerhaften Entscheidungspraxis des Bundesamtes der letzten Jahre schon jetzt überlastet.
Was im Masterplan in Punkt 33 zum Thema Qualitätssicherung folgt, sind Vorschläge, die zum Teil bereits seit September 2017 (von der damaligen BAMF-Chefin) öffentlich gemacht wurden, als das BAMF schon eine Skandalgeschichte in Sachen Qualität hinter sich hatte, die nicht erst mit Bremen begann. Anderes ist offenbar eine Reaktion auf die Bremer Vorgänge. Nun sollen die Anerkennungsquoten bundeseinheitlich kontrolliert werden. Nach allen Erfahrungen steht zu erwarten, dass man dabei nicht auf die Überprüfung unterdurchschnittlicher Anerkennungsquoten in Außenstellen mit flüchtlingsfeindlichem Kleinklima abzielt. Nichts einzuwenden ist hingegen gegen lückenlose Sicherheitsprüfungen mit ED-Behandlung und die umfassende Schulung des Personals, das man nach 2015 unzureichend ausgebildet und ohne effektive Kontrolle direkt in den Einsatz gebracht hat.
Neu im Masterplan aus dem Bundesinnenministerium: Die Prüfung der Einführung von Videoaufzeichnungen bei der Anhörung. Unklar ist, was mit solchen Aufzeichnungen erreicht werden soll. Bereits vor mehreren Jahren wurde die Idee einer Anhörung per Video-Konferenz oder die Zuschaltung zumindest von Dolmetschern per Video bei der Anhörung propagiert. Tatsächlich kommt es bei der Gestaltung der Anhörung darauf an, dass gewährleistet wird, dass das über den Schutzanspruch entscheidende Personal im direkten Gespräch ein Bild von der Glaubhaftigkeit der Antragstellenden machen kann. Es muss dabei auch berücksichtigt werden, dass insbesondere Personen mit traumatischen Erfahrungen vor einer Kamera möglicherweise nicht frei sprechen können und damit die notwendige Atmosphäre in der Anhörung nicht gewährleistet werden kann. Wenn es dem BAMF darauf ankäme, die Qualität der Protokollierung zu verbessern, würden Tonaufzeichnungen ausreichen. Aus diesen Gründen muss befürchtet werden, dass undurchsichtige Nebenzwecke verfolgt werden.
Punkt 35: Erweiterung der beschleunigten Asylverfahren nach § 30a AsylG. Ein beschleunigtes Verfahren soll nun bei allen Personen durchgeführt werden, die keine Identitätsdokumente vorweisen können. Das war im vergangenen Jahr nach Schätzung des BAMF rund die Hälfte aller Betroffenen. Das bedeutet: Das BAMF muss diese Fälle innerhalb einer Woche entscheiden. Zusätzlich müssen Schutzsuchende bis zur möglichen Ausreise in besonderen Aufnahmeeinrichtungen wohnen bleiben.
Das BMI zielt auf eine Ablauforganisation, die ein faires Asylverfahren systematisch verhindert. Innerhalb des beschleunigten Verfahrens nach § 30a AsylG wird es in dieser kurzen Zeit kaum möglich, einen Rechtsbeistand zu erreichen, die oftmals fehlerhaften Entscheidungen des Bundesamtes werden rechtlich nicht überprüft werden können. Dabei forderte das Bundesverfassungsgericht 1996, dass Schutzsuchende bei beschleunigten Sonderverfahren, die schon damals am Flughafen erfolgten, einen Anspruch auf eine kostenlose asylrechtliche Beratung und anwaltliche Unterstützung haben müssen.
Europarechtlich steht diese Ausweitung auf pauschal alle Menschen ohne Identitätsdokumente Art. 31 Abs. 8 der Verfahrensrichtlinie entgegen, da ihnen ist kein fehlerhaftes Verhalten vorzuwerfen ist. Das hat auch seinen Grund: Dass die Betroffenen keine Dokumente vorweisen können, liegt oftmals nicht an ihnen, sondern gehört zu den fluchttypischen Umständen, die zu berücksichtigen sind. Zudem gibt es in vielen Ländern auch kein Personenstands- und Passwesen, das deutschen Anforderungen genügen würde.
Nicht zu erkennen ist auch, wie in diesem kurzen Zeitraum eine individuelle Asylverfahrensberatung möglich sein soll oder aber den besonderen Bedürfnissen vulnerabler Betroffener entsprochen wird. Eigentlich wurde in der Koalition daher auch eine »spezielle Rechtsberatung für besondere vulnerable Fluchtgruppen« für Menschen, die unter § 30a AsylG fallen, vereinbart. Dieser Paragraph gilt nämlich bereits jetzt für Asylsuchende aus angeblich sicheren Herkunftsländern. Eine spezielle Rechtsberatung für Vulnerable würde in Sachen Maghreb-Staaten etwa der Tatsache Rechnung tragen können, dass es zum Beispiel Homosexuelle sind, die in diesen »sicheren« Staaten staatlich und zum Teil gesellschaftlich verfolgt werden.
Übrigens: Im gesamten Masterplan findet sich kein Hinweis auf die im Koalitionsvertrag vereinbare flächendeckende und unabhängige Asylverfahrensberatung
Übrigens: Im gesamten Masterplan findet sich kein Hinweis auf die im Koalitionsvertrag vereinbare flächendeckende und unabhängige Asylverfahrensberatung, die von der Zivilgesellschaft einhellig begrüßt wurde. Das BMI hat nun beim Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz im Juni 2018 angekündigt, dass das BAMF selbst diese Beratung durchführen wird.
Punkt 36, die verbindliche medizinische Altersfeststellung, war bereits bei den Koalitionsverhandlungen ein vieldiskutiertes Thema. Breiter Protest kam damals von Verbänden und Ärztevertreter*innen, so wird nicht nur die tatsächliche Genauigkeit der Methode in Frage gestellt, auch die Auswirkungen auf die Betroffenen durch Strahlenbelastung bei pauschaler Untersuchung und die Tatsache, dass die Zuständigkeit nicht mehr bei Jugendämtern läge, werden kritisiert.
Wer nach Auffassung der Behörden in seinem Asylverfahren nicht genügend »mitwirkt«, dem werden die die Leistungen gekürzt, so will es Punkt 38. Die bayerische Praxis wird damit bundesweiter Maßstab. Dort läuft das wie folgt ab: Die Ausländerbehörden – oder, nach Seehofers Vorstellungen, künftig zentrale Behörden / die Bundespolizei – behaupten schlicht, ein Asylsuchender habe seine Mitwirkungspflichten verletzt und sanktionieren schon mal. Nicht jeder Betroffene findet einen Anwalt, der leistungsrechtliche Fragen bearbeitet und um die Frage, welche Mitwirkung verlangt werden darf, zu streiten gewillt ist. Bayerische Praxis ist ja auch, solche »Mitwirkungsverweigerer« zum Beispiel auf Afghanistan-Abschiebungsflüge zu buchen.
Die Beziehung von Asylbewerberleistungen soll von derzeit 15 Monaten auf 36 Monate erweitert werden (Punkt 39) – eine Verschärfung, die über die Beschlüsse im Koalitionsvortrag hinausgeht. Dabei soll zunächst das Prinzip der Sachleistungen angewandt werden, Leistungskürzungen werden erweitert. Das diskriminierende Sonderregime nach dem AsylbLG wird in inakzeptabler Weise auf drei Jahre ausgeweitet, das BMI greift dabei auch in die eigentliche Zuständigkeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) ein. Außerdem erwägt man die Einführung einer neuen „Regelbedarfsstufe“ für Ausreisepflichtige – man kann nur mutmaßen, ob damit weitere Kürzungen unterhalb der im AsylbLG vorgesehenen Leistungen verbunden wären, was das Bundesverfassungsgericht bereits 2012 für verfassungswidrig erklärt hatte: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“.
In Punkt 40 werden erneut europäische Vorgaben ignoriert: Der »Masterplan« sieht vor, dass trotz eingelegter Rechtsmittel Betroffene abgeschoben werden sollen. Dabei hat erst am 19. Juni der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich entschieden, dass während einer Klage gegen die Ablehnung samt Ausreiseentscheidung nicht abgeschoben werden darf – das gebiete schon die Grundrechtecharta der Europäischen Union. Hier müssten vielmehr die schon heute bestehenden Einschränkungen dringend gesetzlich aufgehoben werden.
Ebenso soll die Beteiligung der Schutzsuchenden an Gerichtskosten geprüft werden. Bisher werden im Sozial- und Asylrecht keine Gerichtskosten für die Verfahren erhoben – das gilt im Übrigen nicht nur für die Schutzsuchenden, sondern auch für das BAMF, wenn es unterliegt. Schließlich sollen die finanziellen Hürden den Gang zum Gericht nicht verhindern, wenn – wie in der Regel im Sozial- und Asylrecht – die Betroffenen mittellos sind. Schließlich findet sich der Vorschlag wieder, dass das Bundesverwaltungsgericht in einer Art »Vorabentscheidung« Grundsatzfragen entscheiden soll, wobei das auch Tatsachenfragen umfassen könnte, für das es sonst nicht zuständig ist. Das widerspricht schon der deutschen Rechtssystematik: Ein solche Vorlagefrage bzw. ein solches Vorabverfahren kann vor dem EuGH oder dem BVerfG eingeholt werden, die europarechtliche Verträge bzw. das Grundgesetz zum Prüfungsmaßstab haben. Ein solches Gerüst hätte ein Bundesverwaltungsgericht nicht, dass sich dann mit Tatsachenfragen auseinandersetzen müsste, die das Auswärtige Amt oder Gutachter zu beantworten haben.
Punkt 42 ist erneut ein alter Vorschlag, der aus guten Gründen 2016 im Bundesrat bereits scheiterte. Die Maghreb-Staaten sollen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, ergänzt diesmal noch durch Georgien. Dabei wird fortwährend ignoriert, dass landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen die Sicherheit vor politischer Verfolgung bestehen muss, wie in den Kriterien des Bundesverfassungsgerichts nachzulesen ist. Es muss u.a. gewährleistet sein, dass im Herkunftsland keine Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung droht. Das ist in den Maghreb-Staaten nicht der Fall.
Dementsprechend sind auch die bereinigten Schutzquoten aus diesen Staaten nicht unbeträchtlich. 2017 erhielten 6,3 Prozent der Antragsteller*innen aus Algerien und 5,9 der Asylsuchenden aus Tunesien einen Schutzstatus, bei Marokko lag die Quote gar bei 10,6 Prozent (jeweils bereinigte Schutzquote). Die Zahlen für 2018 sehen bislang ähnlich aus: Zwischen Januar und Mai betrug die Schutzquote für Algerien 5,5 Prozent, für Tunesien 7,1 Prozent und für Marokko rund 10 Prozent.
Gleichzeitig fordert der Bundesheimatminister aber vehement Integration ein, während es sich im zugehörigen Kapitel fast ausschließlich um Sanktionierungsmöglichkeiten dreht. Das Gesamtwerk »Masterplan Migration« zu nennen, ist schon deshalb verfehlt. Es ist überwiegend eine Liste von Repressionen gegen Flüchtlinge mit Auswirkungen für andere Migrant*innen.
Bezeichnenderweise taucht das Thema Integration erst auf Seite 18 des »Masterplans« auf. Das macht die Stoßrichtung des Papiers ebenso deutlich, wie die Tatsache, dass der Großteil der Punkte hier auf Sanktionen ausgelegt ist. Integration durch Restriktion, nicht durch die Schaffung zusätzlicher Angebote oder gar durch ein Menschen- und Flüchtlingsbild, das nicht auf Misstrauen und grundsätzlicher Ablehnung fußt. Der Tenor: Wir wollen nicht, dass du hier bist, aber integrier‘ dich gefälligst. Wie das funktionieren soll, ist völlig schleierhaft.
Ebenso ist nicht erkennbar, dass den erweiterten Sanktionen als »Lösung« eine seriöse Problemanalyse zugrunde läge. Es gibt kein Massenproblem des unentschuldigten Wegbleibens und ähnlicher Phänomene. Es gibt keine empirischen Untersuchen, die die Probleme der Integrationskurse vorrangig bei den Teilnehmer*innen und deren Verhalten verorten. Evaluiert werden soll die Qualität der Integrationskurse erst jetzt, nachträglich (Punkt 44). Die Aussagen über die angeblich schuldhaften Versäumnisse der Teilnehmer*innen hat Seehofer jedoch schon einmal in die Welt gesetzt. Im Integrationskapitel findet sich ganz überwiegend fast nichts zum weiten Feld der Integration.
Deutlich wird: Der Fokus liegt doch eher auf dem anschließenden Kapitel, in dem es um »Rückkehr« (ergo: Abschiebungen) geht. Auch hier wird, wenig überraschend, auf Verschärfungen gesetzt, die sogar europäischem Recht widersprechen.
Punkt 53 will eine »Bescheinigung unterhalb der Duldung« schaffen. Bisher erhalten diejenigen, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, eine Duldung. Für Ausreisepflichtige, denen nach Ansicht der Behörden die Rückführungshindernisse selbst zuzurechnen sind, soll nun eine neue Kategorie eingeführt werden. Besonders drastisch: Liest man diesen Punkt zusammen mit dem nächsten Punkt 54, wonach das Vorliegen von gültigen Reisedokumenten in die alleinige Verantwortlichkeit der Betroffenen gestellt wird, – obwohl beispielsweise die Probleme an den Botschaften und den Herkunftsländern liegen kann – kann auch der Anwendungsbereich zur Bescheinigung unterhalb der Duldung enorm ausgeweitet werden. So werden Menschen in die Illegalität getrieben.
Punkt 55 – die Ausweisung von Straftätern – lässt bewusst offen, ab welchem Strafmaß dies zukünftig geschehen soll, angekündigt wird lediglich eine Verschärfung, in welcher Form auch immer.
Bei Punkt 56 wird deutlich, dass bei der Beratung zur sogenannten freiwilligen Rückkehr die Wohlfahrtsverbände ausgebootet werden sollen. Deren Angebote werden durch eine staatliche Zwangsberatung ersetzt, die nicht ergebnisoffen, sondern mit dem klaren Ziel der Ausreise berät.
Die Polemik der vergangenen Monate gegen die angebliche »Abschiebungsverhinderungsindustrie« hat in gewisser Weise Eingang in den Masterplan gefunden.
Die Polemik der vergangenen Monate gegen die angebliche »Abschiebungsverhinderungsindustrie« hat in gewisser Weise Eingang gefunden in den Masterplan, so in Punkt 58 »Handlungsfähigkeit des Rechtsstaats bewahren«. Es sollen Sanktionsmöglichkeiten geschaffen werden, sollte die Durchsetzung der Ausreisepflicht durch Dritte verhindert werden, und die Möglichkeiten zum Missbrauch von ärztlichen Attesten sollen weiter eingeschränkt werden. Die Punkte sind so formuliert, dass unklar ist, gegen wen sich die Sanktionen richten und welche das genau sind. Während in Ungarn die Kriminalisierung von Flüchtlingen und ihren Unterstützer*innen offen zutage tritt und öffentliche Proteste hörbar sind, scheinen hierzulande ähnliche Ansätze als Beitrag zum rechtsstaatlichen Handeln Programm zu werden.
Punkt 59: Abschiebungshaft. Auch hier will der Bundesinnenminister sich gegen europäisches Recht stellen und die EU-Rückführungsrichtlinie, die die Bedingungen für Abschiebungshaft regelt, aussetzen. Das wäre ein klarer Verstoß gegen europäisches Recht. Schon gar nicht kann mit einer Notlage argumentiert werden. Abschiebungshaftplätze sollen ausgebaut und sogar in Strafanstalten eingerichtet werden. Wer abgeschoben werden soll, hat sich aber strafrechtlich nicht zwangsläufig etwas zu Schulden kommen lassen – es ist nicht einmal immer abschließend geklärt, ob die Person nicht vielleicht legitime Fluchtgründe besitzt. In Abschiebungshaft kommen nämlich auch Menschen, die gemäß der Dublin-Verordnung in einen anderen EU-Staat überstellt werden sollen um dort ihr Asylverfahren zu durchlaufen. Dort können sie also noch als Schutzberechtigte anerkannt werden. Abschiebungshaft ist daher keine Strafhaft, diese (auch räumliche) Trennung ist nicht umsonst vorgeschrieben.
Disclaimer: Da der Innenminister Punkte nach Gutdünken abändert, Vorbehalte der Koalitionspartner ignoriert und auch die Koalitions-Beschlüsse vom 05. Juli 2018 nicht in seinen Masterplan aufgenommen hat, ist unklar, welche Punkte nun tatsächlich wie umgesetzt werden – abgesehen davon, dass sich durch die anstehenden internationalen Verhandlungen weitere Änderungen ergeben können.
(bm / mk / beb)