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Die Zivilgesellschaft in Ungarn gibt nicht auf. Gigantisches Protest-Herz bei einer Aktion in Budapest, an der auch Márta Pardavi, Co-Vorsitzende des Hungarian Helsinki Committee, teilgenommen hat. Foto: Amnesty International

Ausgerechnet am Weltflüchtlingstag verabschiedete das ungarische Parlament drakonische Gesetze, die Menschenrechtsarbeit in Ungarn massiv erschweren. Im Windschatten des europäischen Rechtsrucks wird die Arbeit von Flüchtlingshelfer*innen in Ungarn kriminalisiert. »Rote Linien« seiner europäischen Partner ignoriert Orbán.

Das soge­nann­te »Stop Soros«-Gesetzepaket wird die Arbeit von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen mas­siv erschwe­ren.  Grund­le­gen­de Men­schen­rechts­ar­beit und huma­ni­tä­re Hil­fe wer­den kri­mi­na­li­siert. Aktivist*innen wer­den auf­grund ihrer Arbeit, die die Venice Com­mis­si­on des Euro­pa­rats und die OSCE (Orga­ni­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Euro­pa) laut Reu­ters in ihrem lan­ge erwar­te­ten, bis­her unver­öf­fent­lich­ten Bericht als »voll­kom­men legi­ti­me Arbeit« bezeich­nen, mit Gefäng­nis­stra­fen bedroht.

Ein zwei­tes zugleich beschlos­se­nes Gesetz sieht zudem eine Ände­rung der unga­ri­schen Ver­fas­sung vor. Es wird ein neu­es Gericht geschaf­fen, das Ent­schei­dungs­kom­pe­ten­zen vom Ver­fas­sungs­ge­richt in ver­wal­tungs­recht­li­chen Fäl­len erhält. Der Prä­si­dent des Gerichts wird vom Par­la­ment ernannt und die Rich­ter sol­len haupt­säch­lich aus der öffent­li­chen Ver­wal­tung kommen.

Das Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee (HHC)  befürch­tet auf­grund die­ser Zusam­men­set­zung und der Tren­nung des neu­en Ver­wal­tungs­ge­richts vom rest­li­chen Gerichts­we­sen poli­ti­sche Ein­fluss­nah­me auf poli­tisch sen­si­ble Fälle.

Im Windschatten der europäischen Rechten

Fidesz gehört seit Regie­rungs­über­nah­me 2010 zum Wort­füh­rer des euro­päi­schen Rechts­rucks. Woll­te die Regie­rung ein Gesetz durch­brin­gen, war ein Mus­ter zu erken­nen: Fidesz prä­sen­tier­te einen Ent­wurf, euro­päi­sche Insti­tu­tio­nen und Part­ner kri­ti­sier­ten und rüg­ten. Fidesz änder­te dar­auf­hin die Ent­wür­fe und beschloss Geset­ze, die der Kri­tik Rech­nung trugen.

Auch vor den gest­ri­gen Geset­zes­än­de­run­gen gab es diver­se Kri­tik. Die Euro­pa­par­la­ments­ab­ge­ord­ne­te Sar­gen­ti­ni ver­öf­fent­lich­te im April einen aus­führ­li­chen Bericht zur poli­ti­schen Situa­ti­on in Ungarn. Sie zieht das Fazit, dass die Wer­te, auf denen die EU gegrün­det wur­de, in Gefahr sind. Mit­glie­der der CDU knüpf­ten Fidesz‘ Mit­glied­schaft in der Euro­päi­schen Volks­par­ter (EVP) an die Bedin­gung, die Bewer­tung der Geset­ze durch die Venice Com­mis­si­on abzu­war­ten. Der EVP-Frak­ti­ons­chef Man­fred Weber sprach von »roten Lini­en« bei den Maß­nah­men gegen Nichtregierungsorganisationen.

Doch die­ses Mal waren Orbán die­se Dro­hun­gen egal. Er ließ ges­tern Geset­ze im Par­la­ment abstim­men, die sogar Ver­schär­fun­gen zu ihren Vor­gän­ger­ver­sio­nen beinhal­ten. Orbán fährt im Wind­schat­ten der Abschot­tungs­dis­kur­se in Ber­lin, der Rechts­po­pu­lis­ten in Rom und dem gesam­ten euro­päi­schen Rechts­ruck, dem von libe­ra­ler und kon­ser­va­ti­ver Sei­te nichts ent­ge­gen­ge­setzt wird.

Die Zivilgesellschaft lässt sich nicht einschüchtern

Wäh­rend in Ungarn eine neue Ära der Angst befürch­tet wird, wie man sie seit Ende der kom­mu­nis­ti­schen Dik­ta­tur nicht erlebt hat, emp­fängt Hei­ko Maas am 05.06.18 sei­nen unga­ri­schen Amts­kol­le­gen und begnügt sich damit, sei­ne Beden­ken noch ein­mal vor­zu­tra­gen. »Die Zusi­che­rung der unga­ri­schen Regie­rung, die Stel­lung­nah­me der Vene­dig Kom­mis­si­on des Euro­pa­rats abzu­war­ten«, die Maas in einer Pres­se­er­klä­rung nach dem Tref­fen begrüßt, wur­de nicht ein­ge­hal­ten. Die deut­lichs­ten Wor­te fand bis­her der UN-Hoch­kom­mis­sar für Men­schen­rech­te. Er brach­te auf den Punkt, mit wem man es bei Orbán zu tun hat: mit einem Ras­sis­ten, der Ungarn zuneh­mend auto­ri­tär regiert.

Nach Ver­ab­schie­dung der Geset­ze fass­te das Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee zusam­men, um was es der unga­ri­schen Regie­rung geht: Ein­schüch­te­rung. Um die­ses Ziel zu errei­chen, ver­letzt die Regie­rung das Euro­pa­recht, die unga­ri­sche Ver­fas­sung, die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on und ver­stößt gegen die Grund­wer­te der EU. Am Welt­flücht­lings­tag, so Már­ta Par­da­vi, Co-Vor­sit­zen­de des Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee, »ent­schied die unga­ri­sche Regie­rung, anstatt Flücht­lin­ge vor Ver­fol­gung zu schüt­zen, selbst den Rei­hen der Ver­fol­ger beizutreten.«

Das HHC leis­tet Flücht­lin­gen in Ungarn recht­li­chen Bei­stand und ist eine der größ­ten Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen im Land. Genau sol­che Orga­ni­sa­tio­nen wer­den zur Ziel­schei­be der neu­en Geset­ze. Doch das HHC ist ent­schlos­sen sei­ne Arbeit fort­zu­set­zen und gegen das Gesetz vorzugehen.

»Das Hun­ga­ri­an Hel­sin­ki Com­mit­tee wird alle mög­li­chen recht­li­chen und poli­ti­schen Mög­lich­kei­ten aus­schöp­fen, um die­ses Gesetz anzu­fech­ten. Das Gesetz bricht mit grund­le­gen­den Rech­ten und ver­letzt das Euro­pa­recht. Die EU-Kom­mis­si­on soll­te des­halb zeit­nah Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Ungarn ein­lei­ten. Soll­ten Mit­ar­bei­ter des HHC oder Anwäl­te, mit denen wir arbei­ten, straf­recht­lich ver­folgt wer­den, wird das HHC ihnen zur Sei­te ste­hen und sie mit allen recht­li­chen Mit­teln ver­tei­di­gen. Des Wei­te­ren wer­den wir recht­li­che Bera­tung für all jene bereit­stel­len, die auf Grund­la­ge der neu­en Geset­ze straf­recht­lich belangt wer­den sol­len, weil sie Asyl­su­chen­den Hil­fe leisten.«

Um die­se wich­ti­ge Arbeit in schwe­ren Zei­ten zu unter­stüt­zen, hat die Stif­tung PRO ASYL in die­sem Jahr die bei­den Vor­sit­zen­den des HHC, Már­ta Par­da­vi und András Kádár, mit ihrem Men­schen­rechts­preis ausgezeichnet.