News
Dreiklang der Abschottung: Was die Koalitionsbeschlüsse bedeuten
Die Vereinbarung der Großen Koalition setzt bei der Abwehr von Flüchtlingen im Wesentlichen auf drei Maßnahmen: Rechtswidrige Zurückweisungen an den Binnengrenzen, Druck auf die ohnehin schon überforderten EU-Randstaaten, Ausbau der Abschiebemaschinerie im Inland.
Die GroKo hat sich geeinigt – und als Beschluss steht fest: An der deutsch-österreichischen Grenze sollen Schutzsuchende zukünftig, wie von Horst Seehofer gefordert, zurückgewiesen werden. Auch direkt nach Österreich – obwohl man dort ebenfalls nach der Dublin-Verordnung nicht für das Asylverfahren zuständig ist. Dafür soll eine Vereinbarung geschaffen werden.
Sich auf Dublin berufen – aber Dublin ignorieren?
Bloß: Die Dublin-III-Verordnung ist das maßgebliche Regelwerk, welches bestimmt, wie die Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten ablaufen. Diese Vorgaben können auch nicht durch nationale Regelungen oder bilaterale Abkommen wie zwischen Deutschland und Österreich ersetzt oder umgedeutet werden. Zwar gibt es unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit von Vereinbarungen zur Verfahrenseffizienz, nicht aber zur Verfahrensabschaffung (Artikel 36 Dublin-III-Verordnung).
Für die Schnellverfahren sollen Transitzonen eingerichtet und das sogenannte Flughafenverfahren angewendet werden. Das ist zwar grundsätzlich rechtlich möglich – aber nicht an den Binnen‑, sondern eben nur an EU-Außengrenzen. Innerhalb des Dublin-/Schengen-Raumes wären solche Zonen unvereinbar mit dem Europäischen Recht. Es ist keine Lappalie, wenn die sogenannte »Nichteinreisefiktion«, die für den Flughafen-Transitbereich im Asylgesetz geregelt ist, ohne Gesetzgebungsverfahren auf das Inland übertragen werden soll.
Für Schutzsuchende, die mit dem Flugzeug einreisen und aus so genannten »sicheren Herkunftsländern« stammen oder ohne / mit gefälschten Papieren einreisen, gibt es das so genannte Flughafenverfahren. Die Betroffenen müssen dann direkt am Flughafen in einer geschlossenen Einrichtung verbleiben und werden dort einem beschleunigten Asylverfahren mit verkürzten Rechtsfristen unterworfen. Um das zu ermöglichen, gelten sie offiziell als nicht eingereist (»Fiktion der Nichteinreise«).
Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) innerhalb von zwei Tagen eine ablehnende Entscheidung als offensichtlich unbegründet trifft, wird dem Asylsuchenden die Einreise verweigert. Kann das BAMF innerhalb dieser Frist keine Entscheidung treffen, muss der Person die Einreise nach Deutschland gewährt werden. Gegen einen negativen Bescheid können die Betroffenen einen Eilantrag innerhalb von drei Tage einreichen. Für dessen Begründung gibt es eine weitere Frist von vier Tagen, das Verwaltungsgericht soll dann binnen 14 Tagen entscheiden. Insgesamt dauert das Flughafen-Asylverfahren also maximal 23 Tage.
Asylsuchende dürfen nicht einfach inhaftiert werden
Das Bundesverfassungsgericht hat 1996 geurteilt, dass Betroffene in solchen beschleunigten Sonderverfahren einen Anspruch auf kostenlose Asylberatung und anwaltliche Unterstützung haben müssen, zumindest nach einer Ablehnung. Davon findet sich in den Vereinbarungen der Koalition nichts und es ist fraglich, wie das in den Transitzonen, in denen nun binnen 48 (!) Stunden entschieden werden soll, gewährleistet werden kann.
Die Überforderung der Randstaaten und die Probleme, die Asylsuchende in diesen Staaten haben, zu ihrem Recht zu kommen, werden einfach ausgeblendet.
Auch diese Inhaftierung über 48 Stunden widerspricht übrigens geltendem Recht: Asylsuchende dürfen nicht allein deswegen in Haft genommen werden, weil sie einen Asylantrag stellen (Erwägungsgrund 15 der Aufnahme-Richtlinie, Artikel 28 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung) und ohnehin verlangt das Grundgesetz »unverzüglich« eine richterliche Anordnung für jede individuelle Inhaftierung, allerspätestens hat eine Freilassung ohne richterliche Entscheidung am Folgetag der Einsperrung zu erfolgen.
Schaffung von Grauzonen nicht nur an der deutsch-österreichischen Grenze
Im gesamten Bundesgebiet möchte man Menschen, die bereits in anderen Staaten registriert wurden, möglichst schnell abschieben – dazu dienen nicht nur die Transitzentren, sondern auch die geplanten AnkER-Zentren, in denen ebenfalls »beschleunigte Verfahren« durchgeführt werden sollen. Damit werden diese Zentren offenbar zu sogenannten »besonderen Aufnahmeeinrichtungen«.
Die »beschleunigten Verfahren« nach §30a AsylG wurden im sogenannten Asylpaket II eingeführt. Sie gelten aber bislang nur für:
- Asylsuchende aus »sicheren Herkunftsstaaten«,
- Personen, die die Behörden durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen bzw. Zurückhaltung von Informationen offensichtlich getäuscht haben,
- Personen, die Identitätsdokumente mutwillig vernichtet oder beseitigt haben oder bei denen die Umstände die Vermutung hierfür nahelegen,
- Folgeantragssteller/innen
- Personen, die den Antrag nur zur Verzögerung oder Behinderung einer bereits getroffenen Entscheidung, die zur Abschiebung führen würde, gestellt haben
- Personen, die sich weigern ihre Fingerabdrücke für die EURODAC-Datei abzugeben
- Personen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen wurden.
Um künftig auch bei Dublin-Fällen solche Schnellverfahren durchzuführen, benötigt es zunächst eine Gesetzesinitiative.
Möglich gemacht werden soll der Plan – mangels fester Grenzkontrollen im Schengenraum – durch »einen verstärkten Einsatz von Schleierfahndungen und sonstige intelligente grenzpolizeiliche Handlungsansätze«. Offenbar sollen die Regelungen im Schengener Abkommen also gezielt umgangen werden, ein EuGH-Urteil aus 2017 hält Kontrollen im Grenzgebiet – die grundsätzlich bis zu 30km ins Inland möglich sind – nur unter der Voraussetzung für zulässig, dass sie in der Praxis nicht wirkungsgleich zu regulären, stationären (und im Schengenraum abgeschafften) Grenzkontrollen sind, also in einem Gebiet jederzeit und dauerhaft stattfinden. Das lässt Raum für bayerische Interpretationen.
Der Druck auf Staaten an der Außengrenze wird erhöht
Die anvisierte »deutliche Steigerung« der Quote von Dublin-Rücküberstellungen heißt: Es sollen noch mehr Flüchtlinge in die ohnehin schon überforderten Staaten an der EU-Außengrenze geschickt werden, vor allem nach Italien und Griechenland, aber auch nach Ungarn oder Bulgarien. Dabei werden sowohl die Probleme, die Asylsuchende in diesen Staaten haben, zu ihrem Recht zu kommen, als auch die Überforderung der Randstaaten mit Unterbringung und Versorgung, Durchführung eines fairen Verfahrens und anschließender Integration, einfach ausgeblendet.
Es drohen menschenunwürdige Zustände großen Ausmaßes!
Aus gutem Grund unterbinden Verwaltungsgerichte nach wie vor in vielen Fällen in Eilbeschlüssen Dublin-Überstellungen. Bei jeder vierten Entscheidung zu geplanten Überstellungen nach Italien erhalten die Kläger im Eilverfahren recht. Bei Überstellungen nach Bulgarien sind es sogar mehr als zwei Drittel aller Entscheidungen, die die Überstellung stoppen.
Noch katastrophalere Zustände in Ersteinreisestaaten drohen
Es ist absehbar, dass Staaten wie Griechenland nicht in der Lage sind, die dort registrierten Asylsuchenden wieder aufzunehmen, ein faires Asylverfahren zu gewährleisten und die anerkannten Flüchtlinge zu integrieren. Es drohen menschenunwürdige Zustände großen Ausmaßes, die katastrophalen Zustände auf den griechischen Ägäis-Inseln werden erst der Anfang sein – denn der Anteil der Dublin-Verfahren an den Asylverfahren in Deutschland steigt massiv: 2018 lag er bereits bei 38,1 Prozent (2017: 32,4 Prozent, 2016: 7,7 Prozent).
AnkER-Zentren sollen den Ländern schmackhaft gemacht werden
Zu schlechter Letzt enthält das Papier auch noch einen Plan, der sich als großzügiges Angebot an die Bundesländer liest. Die Zuständigkeit für Dublin-Abschiebungen soll auf die Bundespolizei übergehen – wenn das jeweilige Bundesland das wünscht und die betreffenden Personen in AnkER-Einrichtungen untergebracht sind. Die jedoch wünschen viele Bundesländer bislang gerade nicht, der Köder für widerstrebenden Bundesländer: Wir nehmen euch die ärgerliche und brachiale Prozedur des Abschiebens ab, wenn ihr euch dafür bereit erklärt, AnkER-Zentren einzurichten.
Der Verhandlungserfolg der SPD
Die Koalitionsbeschlüsse von vor fünf Monaten zum Einwanderungsgesetz – das mit dem Schutz von Flüchtlingen nichts zu tun hat – sollen umgesetzt werden.
Um weitere sachdienliche Hinweise wird gebeten.
(mk)