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Vermummte Sicherheitskräfte gehen im April 2016 gegen Demonstranten in Tunis vor. Amnesty International hat nun einen Bericht veröffentlicht, der sich mit der Menschenrechtslage in dem Land befasst. Foto: picture alliance/AA

Heute will Angela Merkel mit dem tunesischen Premierminister über Auffanglager in dem nordafrikanischen Land diskutieren. Ein funktionierendes Schutzsystem gibt es in Tunesien aber nicht.

Nach den jüngst auf Mal­ta beschlos­se­nen EU-Abwehr­maß­nah­men, die sich in ers­ter Linie auf die Koope­ra­ti­on mit Liby­en bezie­hen, will Ange­la Mer­kel heu­te mit ihrem tune­si­schen Amts­kol­le­gen Yous­sef Cha­hed in Ber­lin über erleich­ter­te Rück­füh­run­gen und die Ein­rich­tung von Lagern in Tune­si­en dis­ku­tie­ren. Die alt­be­kann­te Debat­te um »Lager in Nord­afri­ka« geht in die nächs­te Run­de unter dem Mot­to: Absa­ge an den Flücht­lings­schutz in Europa.

Bereits vor einer Woche for­der­te SPD-Frak­ti­ons­chef Tho­mas Opper­mann, Flücht­lin­ge in Lager nach Nord­afri­ka zurück­zu­brin­gen und hat­te damit einen Sturm der Ent­rüs­tung aus­ge­löst. Dass die Zustän­de in Liby­en für Flücht­lin­ge uner­träg­lich sind, wur­de inzwi­schen von Opper­mann und Tei­len der SPD ein­ge­se­hen. Opper­mann brach­te statt­des­sen Län­der wie Marok­ko und Tune­si­en ins Spiel.

Verantwortung für Flüchtlingsschutz wird ausgelagert

Auch Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re wirbt seit Mona­ten für Hot Spots in Tune­si­en. Schutz­su­chen­de sol­len unter allen Umstän­den dar­an gehin­dert wer­den, das euro­päi­sche Fest­land zu errei­chen und damit Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren zu bekom­men. Statt­des­sen sol­len sie in Lager in Nord­afri­ka zurück­ver­frach­tet wer­den, in denen es kei­nen Zugang zu einem fai­ren Asyl­ver­fah­ren gibt.

Flüchtlinge in Nordafrika schutzlos

Soll­ten die Plä­ne des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums Rea­li­tät wer­den, wür­den Auf­fang­la­ger in Nord­afri­ka, – etwa in Tune­si­en – der EU Tür und Tor öff­nen, ohne jeden Skru­pel suk­zes­si­ve die Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz auf Län­der zu schie­ben, in denen kein Schutz­sys­tem für Flücht­lin­ge exis­tiert. Es besteht kein Zugang zu einem Asyl­ver­fah­ren, geschwei­ge denn die Mög­lich­keit, nega­ti­ve Behör­den­ent­schei­dun­gen von einem Gericht über­prü­fen zu lassen.

Tune­si­en ver­fügt über kein funk­tio­nie­ren­des Asyl­sys­tem. Das Land mag die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on unter­zeich­net haben; ent­schei­dend ist jedoch ihre Umset­zung – und die­se ist nicht vorhanden. 

Dramatische Menschenrechtslage in Tunesien

Ein am 13. Febru­ar ver­öf­fent­lich­ter Bericht von Amnes­ty Inter­na­tio­nal unter­streicht, dass auch im lan­ge als sta­bil gel­ten­den Tune­si­en Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen ein dra­ma­ti­sches Aus­maß ange­nom­men haben. So kom­me es ins­be­son­de­re zu mas­si­ven Über­grif­fen durch die Sicher­heits­kräf­te sowie zu Fol­ter und Todes­fäl­len in Haft­an­stal­ten, berich­tet Amnesty.

Dass Mer­kel Tune­si­en mit Blick auf die Koope­ra­ti­ons­vor­ha­ben als »Hoff­nungs­pro­jekt« in der Regi­on bezeich­ne­te, grenzt an eine Täu­schung der Öffent­lich­keit. Wider bes­se­res Wis­sen ver­sucht die Bun­des­re­gie­rung seit ver­gan­ge­nem Jahr, Tune­si­en als ein »siche­res Her­kunfts­land« einzustufen.

Individuelles Asylrecht in der EU unerreichbar

Die Ein­rich­tung von Flücht­lings­la­gern in Nord­afri­ka wür­de das indi­vi­du­el­le Recht auf Asyl in der EU wei­ter unter­lau­fen. Schutz­su­chen­den blie­be der Zugang zum Asyl­ver­fah­ren auf euro­päi­schem Boden verwehrt.

Tune­si­en ver­fügt über kein funk­tio­nie­ren­des Asyl­sys­tem. Ein rechts­staat­li­ches Ver­fah­ren, in dem die indi­vi­du­el­len Flucht­grün­de gewür­digt und nega­ti­ve Behör­den­ent­schei­dun­gen von einem Gericht über­prüft wer­den, gibt es nicht. Tune­si­en mag die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on unter­zeich­net haben; ent­schei­dend ist jedoch ihre Umset­zung und die­se ist nicht vorhanden.

Legale und sichere Wege öffnen!

Mit dubio­sen Abschot­tungs­ko­ope­ra­tio­nen wird der Flücht­lings­schutz immer wei­ter aus­ge­la­gert, wäh­rend die Todes­zah­len an Euro­pas Außen­gren­ze wei­ter stei­gen. Allein in den ers­ten ein­ein­halb Mona­ten sind bereits 256 Men­schen im Mit­tel­meer ums Leben gekom­men – solan­ge kei­ne gefah­ren­freie Flucht­we­ge bestehen, wird das Mas­sen­ster­ben weitergehen.

Die EU muss end­lich Ver­ant­wor­tung über­neh­men und lega­le Wege nach Euro­pa eröff­nen: Durch die Ertei­lung huma­ni­tä­rer Visa, die Umset­zung von groß­zü­gi­gen Resett­le­ment- und huma­ni­tä­ren Auf­nah­me­pro­gram­men, die Eva­ku­ie­rung der in Liby­en unter qual­vol­len und men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen fest­sit­zen­den Schutz­su­chen­den, sowie die Ermög­li­chung von Familienzusammenführung.