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Protest gegen das hessische Abschiebegefängnis in Darmstadt-Eberstadt im März 2018. Foto: Community for all

Immer mehr Menschen landen hinter Gittern, ohne eine Straftat begangen zu haben: Die Zahl der Menschen in Abschiebungshaft steigt. Die Haftbedingungen sind miserabel und entsprechen oft nicht den rechtsstaatlichen Standards. Der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung ist entscheidend, denn vielfach wird die Abschiebungshaft rechtswidrig angeordnet.

Da der Begriff »Haft« mit der Bege­hung von Straf­ta­ten asso­zi­iert wird, kann es nicht oft genug betont wer­den: Men­schen in Abschie­bungs­haft sind weder ver­ur­teil­te Straftäter*innen noch wer­den sie einer Straf­tat ver­däch­tigt – den­noch wer­den sie bis zu 18 Mona­te ein­ge­sperrt. Ihr ein­zi­ges »Ver­ge­hen«: Sie sind Ausländer*innen, voll­zieh­bar aus­rei­se­pflich­tig und Behör­den und Gerich­te fürch­ten, dass sie sich ihrer bevor­ste­hen­den Abschie­bung ent­zie­hen könn­ten, wenn ihnen nicht selbst die Frei­heit ent­zo­gen wird.

Für die Anord­nung von Abschie­bungs­haft gel­ten kla­re Regeln: Sie darf nur auf rich­ter­li­che Anord­nung erfol­gen, es müs­sen ein­deu­ti­ge Ver­dachts­mo­men­te einer Ver­ei­te­lung der Abschie­bung vor­lie­gen, der*die Betrof­fe­ne muss vor einer Ent­schei­dung ange­hört und der Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit gewahrt wer­den. Doch aus­ge­rech­net bei den­je­ni­gen, die ohne Straf­tat weg­ge­sperrt wer­den, schei­nen Behör­den und Gerich­te es mit rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en nicht so genau zu nehmen.

Abschiebungshaft im Fokus

In den öffent­li­chen Fokus rück­te die Abschie­bungs­haft vor allem auf­grund eines viel­fach behaup­te­ten, ver­meint­li­chen »Voll­zugs­de­fi­zits« bei Abschie­bun­gen. Vor dem Hin­ter­grund des ter­ro­ris­ti­schen Anschlags im Dezem­ber 2016 in Ber­lin spitz­te sich die Debat­te zu. Im Janu­ar 2017 for­der­te Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel eine »natio­na­le Kraft­an­stren­gung« bei der Voll­zie­hung von Abschie­bun­gen und begrub damit die ver­blie­be­nen Res­te »ihrer« Will­kom­mens­kul­tur. Deutsch­land müs­se schnel­ler und rigo­ro­ser abschie­ben, so der Tenor. Auch Abschie­bungs­haft müs­se häu­fi­ger ver­hängt wer­den. Obwohl die Daten­la­ge schwie­rig ist, zei­gen gestie­ge­ne Inhaf­tie­rungs­zah­len und erwei­ter­te Haft­ka­pa­zi­tä­ten, dass die meis­ten Bun­des­län­der die­sen For­de­run­gen inzwi­schen nach­ge­kom­men sind.

Immer mehr Menschen in Abschiebungshaft

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Per­so­nen waren allein in Büren im Jahr 2017 durch­schnitt­lich pro Tag in Abschie­bungs­haft – 95 % mehr als im Vorjahr.

Bei­spiel­haft sei hier die Ent­wick­lung in ein­zel­nen Bun­des­län­dern und Haft­ein­rich­tun­gen dar­ge­stellt: In der Unter­brin­gungs­ein­rich­tung für Aus­rei­se­pflich­ti­ge (UfA) im nord­rhein-west­fä­li­schen Büren waren im Jahr 2017 pro Tag durch­schnitt­lich 113 Aus­rei­se­pflich­ti­ge inhaf­tiert. Das sind 95 Pro­zent mehr als im Vor­jahr. Zeit­gleich wur­de die Zahl der Haft­plät­ze von 100 auf 140 erhöht, wei­te­re 35 sol­len fol­gen. Auch im Abschie­bungs­ge­fäng­nis im nie­der­säch­si­schen Lan­gen­ha­gen stieg die Zahl der durch­schnitt­lich Inhaf­tier­ten um 98 Pro­zent im Ver­gleich zu 2016. Die Zahl der Haft­plät­ze wur­de von 16 auf 58 aufgestockt.

Im April 2016 wur­de in Baden-Würt­tem­berg das Abschie­bungs­ge­fäng­nis Pforz­heim mit 36 Haft­plät­zen in Betrieb genom­men. Ein wei­te­rer Aus­bau der Inhaf­tie­rungs­ka­pa­zi­tä­ten ist geplant. Ham­burg hat im Okto­ber 2016 am Flug­ha­fen Fuhls­büt­tel einen Aus­rei­se­ge­wahr­sam mit 20 Haft­plät­zen ein­ge­rich­tet. Die mons­trö­ses­ten Plä­ne hat Bay­ern 2017 unter Füh­rung des jet­zi­gen Bun­desinnenministers Horst See­ho­fer beschlos­sen: Bei Pas­sau soll unmit­tel­bar an der deutsch-öster­rei­chi­schen Gren­ze eine kom­bi­nier­te Abschie­bungs- und Straf­haft­an­stalt mit jeweils 200 Haft­plät­zen entstehen.

Bun­des­län­der ohne eige­nes Abschie­bungs­ge­fäng­nis kön­nen Haft­platz­kon­tin­gen­te in ande­ren Bun­des­län­dern reser­vie­ren. Mit Aus­nah­me Thü­rin­gens und des Saar­lands haben inzwi­schen alle bis­lang »unter­ver­sorg­ten« Bun­des­län­der ange­kün­digt, eige­ne Abschie­bungs­haft­an­stal­ten errich­ten zu wollen.

Verschlechterung der Haftbedingungen

Die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung in Abschie­bungs­haft­ge­fäng­nis­sen ist bun­des­weit man­gel­haft. Dies gilt vor allem in Bezug auf psy­chi­sche Erkran­kun­gen. Ärzt­li­che Unter­su­chun­gen fin­den, wenn über­haupt, in der Regel ohne pro­fes­sio­nel­le Dolmetscher*innen statt. Zudem ver­fügt das medi­zi­ni­sche Per­so­nal oft nicht über die erfor­der­li­chen Kennt­nis­se im Umgang mit flucht­be­ding­ten Traumatisierungen.

Vie­ler­orts wur­den die Haft­be­din­gun­gen gene­rell ver­schärft. So wur­den in der Gewahr­sams­ein­rich­tung für Aus­rei­se­pflich­ti­ge im rhein­land­pfäl­zi­schen Ingel­heim vor den Fens­tern Draht­net­ze gespannt, auch der Gefäng­nis­zaun wur­de um 1,50 Meter erhöht und mit Nato-Draht ver­se­hen. Zusätz­lich wur­de die Video­über­wa­chung aus­ge­wei­tet und den Gefan­ge­nen der Han­dy­be­sitz ver­bo­ten. Die Ein­schluss­zeit in den Zel­len wur­de ver­län­gert, die Zeit des Hof­gangs hin­ge­gen ver­kürzt. Im Abschie­bungs­haft­ge­fäng­nis im baye­ri­schen Eich­stätt wur­den in etli­chen Zel­len schall­däm­men­de, abschließ­ba­re Fens­ter ein­ge­baut, nach­dem sich Anwohner*innen über den nächt­li­chen Lärm beschwert hat­ten. Teil­wei­se wer­den auch eige­ne Regeln über gel­ten­des Recht gestellt: In der UfA Büren wer­den Gefan­ge­ne bei­spiels­wei­se von 22 Uhr bis 14 Uhr in ihren Zel­len ein­ge­sperrt. Nach nord­rhein-west­fä­li­schem Gesetz dürf­ten die Zel­len nur bis 7 Uhr mor­gens ver­schlos­sen bleiben.

Hohe Fehlerquote vor Gericht

Auch die Anord­nung von Abschie­bungs­haft erweist sich häu­fig als rechts­wid­rig. Von Anfang August 2016 bis Ende Juli 2017 haben Mit­ar­bei­ten­de des nie­der­säch­si­schen Flücht­lings­rats über 200 Abschie­bungs­haft­ge­fan­ge­ne bera­ten und 124 Haft­ver­fah­ren beglei­tet, von denen 39 noch offen sind. In 42 Pro­zent aller Ver­fah­ren (52 von 124) wur­de aber bereits jetzt nach erneu­ter gericht­li­cher Prü­fung fest­ge­stellt, dass die Inhaf­tie­rung zu Unrecht erfolgte.

Eine der­art hohe Feh­ler­quo­te wür­de in ande­ren Berei­chen des Rechts für Ent­set­zen sor­gen und For­de­run­gen nach einer unver­züg­li­chen Behe­bung der Defi­zi­te nach sich ziehen. 

In meh­re­ren Fäl­len gaben Amts­ge­rich­te den Betrof­fe­nen erst Gele­gen­heit, sich zur Sach­la­ge zu äußern, nach­dem sie die Inhaf­tie­rung ange­ord­net hat­ten. Im Klar­text: Das Urteil stand bereits vor dem Pro­zess fest. Dies stellt einen ekla­tan­ten Ver­stoß gegen den Anhö­rungs­grund­satz dar. In den meis­ten Fäl­len fehl­ten zudem kon­kre­te Ver­dachts­mo­men­te, die eine Abschie­bungs­haft recht­lich gerecht­fer­tigt hät­ten. So wur­de der Haft­be­schluss gegen einen ira­ni­schen Betrof­fe­nen, der nach­weis­lich unter mul­ti­plen psy­chi­schen Erkran­kun­gen lei­det und gemäß der Dub­lin-III-Ver­ord­nung nach Kroa­ti­en über­stellt wer­den soll­te, nach 14 Tagen auf­ge­ho­ben und sei­ne Ent­las­sung angeordnet.

Auch der Ver­ein »Hil­fe für Men­schen in Abschie­bungs­haft Büren e.V.« hat von Mai 2015 bis Dezem­ber 2017 ins­ge­samt 221 Abschie­bungs­haft­ver­fah­ren beglei­tet, von denen bereits 119 rechts­kräf­tig abge­schlos­sen sind. In 60 Pro­zent der Ver­fah­ren war die Inhaf­tie­rung rechtswidrig.

Eine der­art hohe Feh­ler­quo­te wür­de in ande­ren Berei­chen des Rechts für Ent­set­zen sor­gen und For­de­run­gen nach einer unver­züg­li­chen Behe­bung der Defi­zi­te nach sich zie­hen. Es drängt sich der Ein­druck auf, dass rechts­staat­li­che Maß­stä­be nicht für Abschie­bungs­haft­ge­fan­ge­ne gelten.

Muz­af­fer Öztür­ky­il­maz, Flücht­lings­rat Niedersachsen

(Die­ser Arti­kel erschien erst­mals im Heft zum Tag des Flücht­lings 2018.)


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