23.09.2020
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Das neue Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos - Blaupause für die Pläne der Europäischen Kommission. Foto: Giorgos Moutafis

Wenn es nach den Plänen der EU-Kommission geht, die sie im Rahmen des »New Pact on Migration and Asylum« am 23. September vorgestellt hat, dann ja. Die Vorschläge würden zu einem Zwei-Klassen-Asylsystem führen, wie die Schnellanalyse von PRO ASYL ergibt.

EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en hat den soge­nann­ten »New Pact on Migra­ti­on and Asyl­um« vor­ge­stellt, einen Neu­auf­schlag für ein Gemein­sa­mes Euro­päi­sches Asyl­sys­tem (GEAS). Ers­te Reform­vor­schlä­ge der Kom­mis­si­on von 2016 schei­ter­ten an der Zer­strit­ten­heit der EU-Mit­glied­staa­ten über die Auf­nah­me und Ver­tei­lung von Schutz­su­chen­den. An die­sem Streit hat sich wenig geän­dert. Des­we­gen setzt die Kom­mis­si­on auf The­men, auf die sich alle eini­gen kön­nen: Abschie­bun­gen und Abschottung.

446 Mio

Men­schen leben in der EU

12.000

Men­schen aus Moria zu ver­tei­len war offen­bar unmöglich

Das Jahr 2020 muss­te schon bis jetzt als wei­te­rer Tief­punkt in der euro­päi­schen Geschich­te bezüg­lich der Ein­hal­tung von Men­schen­rech­ten und des Flücht­lings­schut­zes gese­hen werden:

Schüs­se an der grie­chisch-tür­ki­schen Gren­ze; die zeit­wei­se Aus­set­zung des Asyl­rechts in Grie­chen­land; gewalt­tä­ti­ge Push-Backs auf der Bal­kan­rou­te; Flücht­lings­boo­te, die von der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che zurück in tür­ki­sche Gewäs­ser gezerrt wer­den – und schließ­lich der Brand von Moria und die unwür­di­ge Ver­wei­ge­rung der Auf­nah­me von 12.000 Men­schen, die alles ver­lo­ren haben, in einer Uni­on mit einer Bevöl­ke­rungs­zahl von 446 Mil­lio­nen Menschen.

Der »New Pact« hät­te eine not­wen­di­ge Wen­de ein­läu­ten kön­nen – doch der Schutz von Men­schen steht nicht im Mittelpunkt.

Der »New Pact« hät­te eine not­wen­di­ge Wen­de ein­läu­ten kön­nen, doch der Schutz von Men­schen steht nicht im Mit­tel­punkt der Plä­ne der Kom­mis­si­on – wie bei einer ers­ten Ana­ly­se der Vor­schlä­ge deut­lich wird. Die EU-Kom­mis­si­on darf als ein­zi­ger Akteur in der EU neue Geset­ze vor­schla­gen. Mit der Vor­stel­lung des Pak­tes hat sie fünf neue Geset­zes­in­itia­ti­ven ein­ge­bracht und wei­te­re ange­kün­digt (zu den Vor­schlä­gen im Ori­gi­nal sie­he hier).

Erste Einigungen Ende des Jahres?

Die Vor­schlä­ge für neue Ver­ord­nun­gen, die mit dem »New Pact« gemein­sam vor­ge­stellt wur­de, wer­den aber ab jetzt zwi­schen der Kom­mis­si­on, dem Rat und dem Euro­päi­schen Par­la­ment ver­han­delt. Ers­te Eini­gun­gen sol­len nach dem von der Kom­mis­si­on ange­streb­ten Zeit­plan bereits Ende des Jah­res erzielt werden.

Moria 2.0 als Ausgangspunkt des »New Pact«

Am 8. Sep­tem­ber 2020 brann­te Moria, das völ­lig über­füll­te und größ­te Flücht­lings­la­ger auf den ägäi­schen Inseln aus. Moria war zuvor jah­re­lang »Hot­spot« – ein Kon­zept wel­ches sich die EU 2015 aus­ge­dacht hat­te – für ankom­men­de Flücht­lin­ge und ein Ort der Ent­wür­di­gung, Hoff­nungs­lo­sig­keit und rechts­wid­ri­gen Verfahren.

Unmit­tel­bar nach der Brand­ka­ta­stro­phe sprach sich Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel für die Errich­tung eines neu­en Lagers auf Moria unter euro­päi­scher Füh­rung aus. Der grie­chi­sche Migra­ti­ons­mi­nis­ter Mit­a­ra­kis hat vor dem grie­chi­schen Par­la­ment von neu­en, »geschlos­se­nen und kon­trol­lier­ten Struk­tu­ren« auf den Inseln gesprochen.

Das neue Moria: Die Zel­te ste­hen auf Geröll, in jedem sind dut­zen­de Men­schen unter­ge­bracht – in man­chen sogar über hundert.

Die­ses neue Lager wur­de nun auf einem ehe­ma­li­gen Waf­fen­übungs­platz errich­tet. Soldat*innen suchen noch nach Blind­gän­gern auf dem Gelän­de, wäh­rend schon 9.000 Schutz­su­chen­de gezwun­gen wer­den, sich dort auf­zu­hal­ten. Die Zel­te ste­hen auf Geröll – ein Regen­guss und das gesam­te Lager besteht nur noch aus Schlamm. In jedem Zelt sind dut­zen­de Men­schen unter­ge­bracht – in man­chen sogar über hun­dert. Die Kom­mis­si­on hat ange­kün­digt, Moria erneut zu einem Pilot­pro­jekt zuma­chen. Gemein­sam mit den Mit­glieds­staa­ten möch­te die Kom­mis­si­on eine Taskforce dafür errichten.

Die­ses Moria 2.0 unter euro­päi­scher Flag­ge ist auch zen­tral für den »New Pact«. Denn die­ser sieht wei­ter­hin vor, dass die euro­päi­schen Außen­grenz­staa­ten wie Grie­chen­land für die Mehr­heit der Asyl­ver­fah­ren von Geflüch­te­ten zustän­dig sind. Bei allen hier dar­ge­stell­ten Vor­schlä­gen darf man  die Bil­der von Moria nicht ver­ges­sen – denn die Betrof­fe­nen sol­len wei­ter in sol­chen Lagern fest sitzen.

Zwei-Klassen-Asylsystem

Die EU-Kom­mis­si­on will mit ihren Plä­nen de fac­to ein Zwei-Klas­sen-Asyl­sys­tem ein­füh­ren: Die einen bekom­men ein Schnell­ver­fah­ren an der Gren­ze, die ande­ren ein regu­lä­res Asyl­ver­fah­ren. Zunächst sol­len alle Asyl­su­chen­den in einem »Scree­ning« iden­ti­fi­ziert wer­den sowie eine Gesund­heits- und Sicher­heits­prü­fung durch­lau­fen. Dies soll in der Regel nicht län­ger als fünf Tage dau­ern, kann aber bei hohen Antrags­zah­len auf bis zu zehn Tage ver­län­gert wer­den (Art. 6 Abs. 3 Ent­wurf einer Scree­ning-VO). Dann wird pri­mär nach dem Her­kunfts­land ent­schie­den, wel­ches Ver­fah­ren für sie folgt.

Per­so­nen aus Her­kunfts­staa­ten mit euro­pa­wei­ten Schutz­quo­ten unter 20% kom­men pau­schal in das neue Grenz­ver­fah­ren. Dass die soge­nann­ten Euro­stat-Sta­tis­ti­ken – aus der die­se Daten stam­men sol­len – sehr pro­ble­ma­tisch sind, hat der Euro­päi­sche Flücht­lings­rat hier ana­ly­siert. Durch eine neue »Kri­sen-Ver­ord­nung« kann das Grenz­ver­fah­ren erheb­lich aus­ge­baut wer­den und wür­de dann auch Per­so­nen aus Län­dern mit einer Schutz­quo­te von bis zu 75% betref­fen! Auch Per­so­nen, denen vor­ge­wor­fen wird, dass sie fal­sche Infor­ma­tio­nen ange­ge­ben haben oder Infor­ma­tio­nen sowie Doku­men­te zurück hal­ten, kön­nen dem Grenz­ver­fah­ren zuge­wie­sen wer­den. Erfah­rungs­ge­mäß wird die­se Anschul­di­gung Schutz­su­chen­den gegen­über schnell gemacht, da vie­le kei­ne Doku­men­te vor­wei­sen kön­nen (Art. 40, 41 neu­er Ent­wurf für eine Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung).

Das Ziel die­ses Ver­fah­rens ist es, Flücht­lin­ge schnell abzu­leh­nen und dann schnell abzuschieben.

Das Ziel die­ses Ver­fah­rens ist es, schnell abzu­leh­nen und dann schnell abzu­schie­ben. Grenz­ver­fah­ren sind aber kei­ne fai­ren Asyl­ver­fah­ren, denn sie ermög­li­chen kei­ne gründ­li­che Prü­fung der Asyl­an­trä­ge – hier ist auch expli­zit ein »beschleu­nig­tes Ver­fah­ren« für die inhalt­li­che Prü­fung vorgesehen.

Wäh­rend die­ses Grenz­ver­fah­rens soll auch geprüft wer­den, ob die Antragsteller*innen über einen soge­nann­ten »Siche­ren Dritt­staat« ein­ge­reist sind. Wenn dem so ist, wird ihr Antrag als »unzu­läs­sig« abge­lehnt. Dies wird bereits in Grie­chen­land im Rah­men des EU-Tür­kei Deals bezüg­lich der Tür­kei prak­ti­ziert, obwohl Flücht­lin­ge in der Tür­kei nicht aus­rei­chend geschützt und sogar von unmit­tel­ba­ren Ket­ten­ab­schie­bun­gen bedroht sind. Sowohl für die ver­meint­lich »siche­ren Dritt­staa­ten« als auch für die »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« – bei denen die Ver­mu­tung gilt, dass kei­ne Ver­fol­gung vor­liegt, die Chan­ce auf Aner­ken­nung erheb­lich ver­rin­gert – sol­len EU-wei­te Lis­ten entstehen.

Grenzverfahren unter Haftbedingungen

Wäh­rend des Scree­nings und des Grenz­ver­fah­rens sol­len die Betrof­fe­nen als noch nicht ein­ge­reist gel­ten. Das bedeu­tet, dass sie kon­se­quen­ter­wei­se an einem Ort wie einer Tran­sit­zo­ne oder einer ande­ren geschlos­se­nen Ein­rich­tung fest­ge­setzt wer­den. Denn dürf­ten sie sich frei bewe­gen, wür­de das der Idee, dass sie nicht ein­ge­reist sind, zuwiderlaufen.

Das Grenz­ver­fah­ren soll maxi­mal 12 Wochen dau­ern. Direkt anschlie­ßen soll im Fall einer Ableh­nung ein Rück­füh­rungs­grenz­ver­fah­ren – eben­falls unter Haft­be­din­gun­gen. Dies soll eben­falls bis maxi­mal 12 Wochen dau­ern (Art. 41 Abs. 11, Art. 41a Abs. 2 neu­er Ent­wurf für eine Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung). Damit kommt man schon auf sechs Mona­te frei­heits­be­schrän­ken­de Maß­nah­men. Ähn­li­che Rege­lun­gen zu Zeit­fris­ten gab es bis­lang auch schon – und wur­den oft nicht ein­ge­hal­ten, zum Bei­spiel bei den aktu­el­len Grenz­ver­fah­ren in Grie­chen­land. Für man­che Betrof­fe­ne wür­de sich viel­leicht auch eine Abschie­bungs­haft direkt anschlie­ßen, wodurch sie noch län­ger in Haft wären. Die »Kri­sen-Ver­ord­nung« sieht zudem eine Ver­län­ge­rung bei­der Grenz­ver­fah­ren (für das Asyl­ver­fah­ren und für die Abschie­bung) um je zwei Mona­te vor.

Die Vor­schlä­ge der EU-Kom­mis­si­on wür­den also zu »geschlos­se­nen Zen­tren« (sprich Haft­la­gern) pri­mär an den Außen­gren­zen füh­ren – womit wir wie­der bei Moria 2.0 wären. Unter sol­chen Umstän­den sind fai­re Asyl­ver­fah­ren erst recht nicht mög­lich, ins­be­son­de­re bekom­men die Schutz­su­chen­den so nicht den not­wen­di­gen Zugang zu Rechts­be­ra­tung und –ver­tre­tung. Das ist aber ent­schei­dend für rechts­staat­li­che Ver­fah­ren. Dass außer­dem nur eine Instanz bei Kla­ge­ver­fah­ren in Grenz­ver­fah­ren vor­ge­se­hen ist und die Kla­ge kei­ne auto­ma­ti­sche auf­schie­ben­de Wir­kung haben soll (Art. 53 Abs. 9, Art. 54 Abs. 3 lit. a neu­er Ent­wurf für eine Asyl­ver­fah­rens­ver­ord­nung) ist extrem besorgniserregend.

Solidarität nach Gusto der anderen Mitgliedstaaten

Vor Ver­kün­dung des Pakts wur­de groß ange­kün­digt, dass die Dub­lin-Ver­ord­nung abge­schafft wür­de. Zwar wird tat­säch­lich eine neue Ver­ord­nung vor­ge­schla­gen – Ent­wurf für eine Ver­ord­nung zum Asyl- und Migra­ti­ons­ma­nage­ment – doch dafür sind noch erstaun­lich vie­le »Dub­lin-Ele­men­te« im neu­en Vor­schlag enthalten.

Denn die pri­mä­re Ver­ant­wor­tung für Asyl­ver­fah­ren bleibt bei den soge­nann­ten »Erst­ein­rei­se­staa­ten«, wie Ita­li­en und Grie­chen­land. Die Asyl­su­chen­den wer­den ver­pflich­tet in dem Land ihren Antrag zu stel­len, in das sie als ers­tes ein­ge­reist sind oder für das sie z.B. ein gül­ti­ges Visum haben. Sie sind auch ver­pflich­tet, sich in die­sem Mit­glied­staat auf­zu­hal­ten (Art. 9 Ent­wurf für eine Ver­ord­nung zum Asyl- und Migra­ti­ons­ma­nage­ment). Um die Zustän­dig­kei­ten noch stren­ger durch­zu­set­zen, sol­len bei Wei­ter­wan­de­rung in ande­re Mit­glied­staa­ten dort kei­ner­lei Auf­nah­me- und Unter­brin­gungs­leis­tun­gen erbracht wer­den. Das heißt: Die Per­son ist obdach­los, die Ver­elen­dung droht. Die Fris­ten bezüg­lich der Kom­mu­ni­ka­ti­on der Mit­glied­staa­ten bei Rück­über­stel­lun­gen sol­len kür­zer werden.

Das pri­mär Neue an dem Vor­schlag ist die Mög­lich­keit der Umver­tei­lung (»Relo­ca­ti­on«). Bis­lang war dies nicht expli­zit vor­ge­se­hen, son­dern wur­de ad hoc z. B. für die Auf­nah­me von aus See­not geret­te­ten Men­schen durch­ge­führt. Jetzt soll es hier­für mit dem neu­en Soli­da­ri­täts-Mecha­nis­mus ein kla­res Ver­fah­ren geben. Wenn ein Mit­glied­staat beson­ders unter Druck steht oder es Anlan­dun­gen nach See­not­ret­tungs­maß­neh­men gibt, soll die­ser Mecha­nis­mus grei­fen (Art. 45 Ent­wurf für eine Ver­ord­nung zum Asyl- und Migra­ti­ons­ma­nage­ment). Ins­ge­samt soll es fol­gen­de Soli­da­ri­täts­maß­nah­men geben:

  • Auf­nah­me bzw. Umver­tei­lung von Asyl­su­chen­den, die nicht im Grenz­ver­fah­ren sind
  • Auf­nah­me bzw. Umver­tei­lung von aner­kann­ten Flüchtlingen
  • Unter­stüt­zung bei Abschie­bun­gen (»Abschie­be-Paten­schaf­ten«, dazu s.u.)
  • Maß­nah­men zur Stär­kung der Kapa­zi­tä­ten im Bereich von Asyl­ver­fah­ren, Auf­nah­me und Rückführung

Bei Asyl­su­chen­den wür­de im auf­neh­men­den Staat noch das Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen wer­den, bereits aner­kann­te Schutz­be­dürf­ti­ge bekom­men direkt den glei­chen Sta­tus wie im vor­he­ri­gen Mit­glieds­staat (Art. 58 Ent­wurf für eine Ver­ord­nung zum Asyl- und Migra­ti­ons­ma­nage­ment).

Den Bedarf an Soli­da­ri­täts­maß­nah­men will die Kom­mis­si­on in soge­nann­ten »Migra­ti­on Manage­ment Reports« ermit­teln und dann mit den Ange­bo­ten der Mit­glied­staa­ten matchen. Wie vie­le Ange­bo­te ein Mit­glied­staat machen soll, bemisst sich an der Bevöl­ke­rungs­zahl und dem Brut­to­in­lands­pro­dukt. Ob dies in der Pra­xis funk­tio­niert, ist mehr als zwei­fel­haft. In der Ver­gan­gen­heit wur­den ähn­li­che Plä­ne, zum Bei­spiel bezüg­lich der Ver­tei­lung von Asyl­su­chen­den aus Grie­chen­land und Ita­li­en ab 2015, nur bruch­stück­haft umge­setzt. Auch die ad hoc Umver­tei­lung nach pri­va­ten See­not­ret­tungs­ein­sät­zen läuft nur schlep­pend, vie­le Zusa­gen wur­den nicht umgesetzt.

Abschiebungen, Abschiebungen, Abschiebungen…

…das scheint mitt­ler­wei­le der ein­zi­ge gemein­sa­me Nen­ner in der euro­päi­schen Flücht­lings­po­li­tik zu sein, wes­halb die EU-Kom­mis­si­on auch einen sol­chen Fokus auf die­sen The­men­be­reich legt. Schon jetzt sind vie­le Abschie­bun­gen »euro­pä­isch« und wer­den von Fron­tex, der euro­päi­schen Grenz­schutz­agen­tur, durch­ge­führt oder Kos­ten wer­den von Fron­tex erstat­tet (vgl. BT-Drs. 19/18201).

Zukünf­tig darf sich z.B. Ungarn um Abschie­bun­gen küm­mern und muss im Gegen­zug kei­ne Flücht­lin­ge aufnehmen.

Jetzt schlägt die EU-Kom­mis­si­on noch die Ein­füh­rung eines euro­päi­schen »Abschie­be-Koor­di­na­tors« vor. Beson­ders absurd: Mit­glied­staa­ten, die sich wei­gern Schutz­su­chen­de auf­zu­neh­men, sol­len dies über »Abschie­be-Paten­schaf­ten« aus­glei­chen kön­nen und ande­re Staa­ten bei Abschie­bun­gen unter­stüt­zen. Zukünf­tig darf also z.B. Ungarn unter Minis­ter­prä­si­dent Orbán sich um Abschie­bun­gen küm­mern, um mög­lichst kei­ne Flücht­lin­ge auf­neh­men zu müssen.

Und das Sterben auf dem Mittelmeer?

Wäh­rend The­men wie Abschie­bun­gen  im Fokus ste­hen und ope­ra­tiv, recht­lich und poli­tisch alles dar­an gesetzt wird, die Zahl der Aus­rei­sen zu erhö­hen, wird die dring­li­che See­not­ret­tung neben­säch­lich behan­delt. Vor­schlä­ge, wie das akti­ve Ster­ben­las­sen durch natio­nal­staat­li­che Behör­den geahn­det wird, blei­ben aus. Die Chan­ce zur Ein­füh­rung einer euro­päi­schen See­not­ret­tung wird nicht genutzt.

Erneut wird an die Bedeu­tung des Aus­baus der Grenz­schutz­agen­tur Fron­tex erin­nert, wie in vie­len Berei­chen soll die EU Agen­tur den Unter­schied machen. Die ist bereits jetzt mit Schif­fen und Luft­auf­klä­rung aktiv, jedoch bleibt die Fra­ge des Ein­satz­ge­biets zen­tral: Sind EU Schif­fe in Fron­tex oder NATO Mis­si­on fern ab von Flucht­rou­ten, ist Ret­tung eine theo­re­ti­sche Übung. Eine wich­ti­ge Fra­ge ist, was mit der Echt­zeit­auf­klä­rung passiert.

Bei­spie­le zei­gen, dass Infor­ma­tio­nen von Fron­tex zu Push­backs durch staat­li­che und semi-staat­li­che Akteu­re geführt haben. Die Tat­sa­che, dass ein EU Akteur von einem See­not­ret­tungs­fall weiß, ist schon lan­ge nicht mehr gleich­be­deu­tend mit Rettung.

Immer­hin the­ma­ti­siert die Kom­mis­si­on die Krim­mi­na­li­sie­rung von Seenotretter*innen und stellt klar, was offen­sicht­lich sein soll­te: Die EU stellt huma­ni­tä­re Hil­fe nicht unter Stra­fe. Zudem spricht sie Emp­feh­lun­gen zur Koope­ra­ti­on von Mit­glieds­staa­ten zum Umgang mit Seenotretter*innen aus – ob die­se Maß­nah­men tat­säch­lich eine Ände­rung her­bei füh­ren, bleibt fragwürdig.

Lieblingsthema: Auslagerung von Grenzen und Verantwortung 

Kom­mis­si­ons­vi­ze­prä­si­dent Mar­ga­ri­tis Schi­nas bedient sich der Meta­pher des »Hau­ses« um den Auf­bau des Pakts zu erklä­ren. Er soll­te sie lie­ber »Fes­tung« nen­nen. Die Exter­na­li­sie­rung des Flücht­lings­schut­zes ist ein zen­tra­ler Bau­stein. Kern­an­lie­gen ist es, die Flucht in die EU so schwer wie mög­lich zu machen und Abschie­bun­gen aus der EU zu erleichtern.

Die neue Kom­mis­si­on setzt im »New Pact« auf die bekann­te Part­ner­schaf­ten mit Her­kunfts- und Tran­sit­län­dern, die soge­nann­te Bekämp­fung von Flucht­ur­sa­chen und die Unter­stüt­zung von Flücht­lin­gen und auf­neh­men­den Län­dern vor Ort. Über Anrei­ze und Sank­tio­nen will die Kom­mis­si­on sicher­stel­len, dass die eige­nen Inter­es­sen wie die Rück­über­nah­me von abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den  durch­ge­setzt werden.

Kon­kret schlägt die Kom­mis­si­on etwa die Nut­zung des Visa-Regimes dafür vor. In der von der EU for­cier­ten Part­ner­schaft auf Augen­hö­he ist offen­sicht­lich neben­säch­lich, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen Über­ein­künf­te zustan­de kom­men, solan­ge die­se die Inter­es­sen der Uni­on widerspiegeln.

Laut UNHCR benö­ti­gen fast 1,45 Mil­lio­nen Flücht­lin­ge welt­weit drin­gend einen Resett­le­ment-Platz. Das Ver­fah­ren über das Umsied­lungs­ver­fah­ren (Resett­le­ment) nach Euro­pa oder in ein ande­res Auf­nah­me­land zu gelan­gen, gehört zu den weni­gen exis­tie­ren­den siche­ren Flucht­we­gen und wür­de bei einer reel­len Chan­ce auf einen der begehr­ten Plät­ze vie­le Schutz­su­chen­de von der lebens­ge­fähr­li­chen Flucht über das Meer abhal­ten. Trotz des hohen Bedarfs fällt die Emp­feh­lung der Kom­mis­si­on ambi­ti­ons­los aus. Sie schlägt vor, die für 2020 gemach­ten Zusa­gen auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie auf den Zeit­raum 2020–2021 zu strecken.