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Pushbacks an bosnisch-kroatischer Grenze: Enthemmte Gewalt und erniedrigende Behandlung

Während der Corona-Pandemie gehen brutale Pushbacks an der bosnisch-kroatischen Grenze weiter. Von der EU Kommission erhält die kroatische Regierung Rückendeckung. Mit einem Appell richten sich Menschenrechtsorganisationen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, sich für die Einhaltung von Menschenrechten an den EU-Außengrenzen einzusetzen.
Die massenhaften rechtswidrigen Zurückweisungen, sogenannte Pushbacks, von Kroatien nach Bosnien-Herzegowina gehen auch während der Corona-Pandemie weiter. Der Zusammenschluss Border Violence Monitoring Network dokumentiert den fortlaufenden Völkerrechtsbruch und die Gewalt gegen Schutzsuchende. Allein 2020 gab es Pushbacks von hunderten Schutzsuchenden.
Die Pushbacks werden mit massiver Gewaltanwendung und Erniedrigungen durchgeführt. Ende Mai 2020 wird eine Gruppe Schutzsuchender von der kroatischen Polizei festgesetzt. Die Schutzsuchenden werden mit Schlagstöcken und Pistolen malträtiert. In die offenen Kopfwunden schmieren die Polizisten Ketchup, Mayonnaise und Zucker.
»Dieses Vorgehen scheint speziell darauf ausgerichtet zu sein, Migranten der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung auszusetzen, die nach dem Völkerrecht verboten ist«, kommentiert Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter über Folter. Melzer und der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten, Felipe González Morales, fordern am 19. Juni 2020 Kroatien auf, die Menschenrechtsverletzungen an der Grenze zu verfolgen und zu bestrafen.
»Dieses Vorgehen scheint speziell darauf ausgerichtet zu sein, Migranten der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung auszusetzen, die nach dem Völkerrecht verboten ist.«
Einen Tag vor der Presseerklärung der beiden Sonderberichterstatter wurden zwei kroatische Polizisten wegen Körperverletzung gegen einen afghanischen Schutzsuchenden festgenommen. Es ist das erste Mal seit der massiven Polizeibrutalität gegen Schutzsuchende an Kroatiens Grenzen, dass sich kroatische Vollzugsbeamte mit Ermittlungen konfrontiert sehen. Die Strafverfolgung einzelner Polizist*innen ist dringend notwendig, beendet wird die brutale Praxis dadurch jedoch nicht. Bei den gewaltvollen Pushbacks handelt es sich nicht nur um die Willkür einzelner Polizisten.
»Anweisungen des Polizeichefs, der Leitung und der Verwaltung sind, jeden ohne Papiere zurückzuführen, keine Spuren zu hinterlassen, ihr Geld zu nehmen, ihre Handys zu zerstören oder selbst einzustecken und die Flüchtlinge gewaltsam nach Bosnien zu bringen« beschreibt ein kroatischer Polizist im März 2019 in einem Beschwerdebrief an die Ombudsfrau die Anordnungen an die Einsatzkräfte.
Keine Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen –Kommission versucht zu vertuschen
Die EU Kommission unterstützt Kroatiens Grenzschutz seit Dezember 2018 mit 6,8 Millionen Euro. 300.000€ sollen für die Einrichtung eines Mechanismus zur Menschenrechtsbeobachtung verwendet werden.
Die kroatische Regierung gab an, der UNHCR und das Croatian Law Centre würden die Gelder erhalten und die Menschenrechtsbeobachtung umsetzen. Nachdem beide Organisationen klarstellten, dass sie keine Gelder erhalten haben, forderte die Europaparlamentarierin Clare Daly die Kommission auf, für Klarheit zu sorgen.
Laut Informationen des Guardian plante die kroatische Regierung von den für den Mechanismus vorgesehenen 300.000€ lediglich 102.000€ ein. Davon gingen knapp 60.000€ an Nichtregierungsorganisationen, 17.500€ wurden dem Innenministerium gutgeschrieben.
In der Kommission ist man sich der Brisanz der zurückgehaltenen Mittel bewusst. Doch anstatt zu erwägen, die Auszahlung weiterer finanziellen Mittel an die Einrichtung eines unabhängigen Mechanismus zur Menschenrechtsbeobachtung zu koppeln, befürchten die Mitarbeiter der Kommission einen Skandal.
Dem Guardian liegen Auszüge eines Mailverkehrs zwischen Mitarbeitern der Kommission vor. Darin wird die Möglichkeit erwogen, noch ein paar Änderungen an dem Bericht der kroatischen Regierung vorzunehmen.
Ein erster Schritt in Richtung einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik wäre für die Bundesregierung, die systematischen Menschenrechtsverstöße der kroatischen Polizei als solche anzuerkennen und klar zu verurteilen.
Für Kroatiens Regierung ist der Schengenbeitritt das vorrangige Ziel. Von Seiten der Kommission gab es im Oktober 2019 »grünes Licht« für die Vollmitgliedschaft Kroatiens im Schengen-Raum. Eklatante Menschenrechtsverletzungen nimmt die »Hüterin der Verträge« dabei wissentlich in Kauf und will sich nun offenbar auch noch an deren Vertuschung beteiligen.
Einsatz der Bundesregierung für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit an Außengrenzen während EU-Ratspräsidentschaft gefordert
Auch die Bundesregierung unterstützt Kroatiens Grenzschutz trotz der Gewalt gegen Schutzsuchende. Im Januar 2020 übergab Bundesinnenminister, Horst Seehofer, technisches Gerät im Wert von 350.000€ an seinen kroatischen Amtskollegen.
Ein erster Schritt in Richtung einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik wäre für die Bundesregierung, die systematischen Menschenrechtsverstöße der kroatischen Polizei als solche anzuerkennen und klar zu verurteilen.
In einem gemeinsamen Statement appelliert PRO ASYL gemeinsam mit weiteren u.a. deutschen und kroatischen Organisationen an die Bundesregierung, sich während der EU-Ratspräsidentschaft für die Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit an den EU-Außengrenzen einzusetzen:
Fünf Jahre nach dem »March of Hope« aus Budapest fordern die unterzeichnenden Menschenrechtsorganisationen und Aktivistengruppen die Bundesregierung dazu auf, sich während der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands für ein Ende der Gewalt gegen Schutzsuchende und die Einhaltung des Rechts auch an den EU-Außengrenzen einzusetzen und die massiven und bestens dokumentierten Menschenrechtsverletzungen nicht länger zu unterstützen und zu tolerieren.
(dm)