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Haftlager: BMI plant, Griechenland handelt
Das BMI verkauft seine Inhaftierungspläne an den EU-Grenzen als großen Wurf. Das ist die de facto Abschaffung des Rechtsstaats. Bereits erprobte und gescheiterte Konzepte sollen zu Kernaspekten der Reform zu werden – mit dramatischen Konsequenzen für schutzsuchende Menschen in Europa.
Griechenland will die Elendslager auf den griechischen Inseln in Haftlager umwandeln. Von dort aus soll abgeschoben werden. Wenige Tage zuvor berichten deutsche Medien über Seehofers Eckpunktepapier zu einer Reform genannten Änderung des Europäischen Asylsystems.
Das Bundesministerium für Inneres (BMI) prescht im Vorfeld der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 mit Vorschlägen für eine Reform des Europäischen Asylsystems voran. Kernelemente: Grenzverfahren, geschlossene Zentren an den Grenzen, Zwangsverteilung ohne Rechtsschutz. Zwar erkennt das BMI an, dass die Dublin-Verordnung in ihrer bisherigen Konzeption gescheitert ist – doch erneut wird ein bereits gescheitertes Modell als neu verkauft.
Vorsortierung an der Grenze in Haftlagern
Ein zentraler Aspekt des Vorschlags des BMI sind besondere Verfahren an den Grenzen. Dafür gibt es unterschiedliche Überlegungen, die jedoch alle problematisch sind.
Statt eines Zugangs zum Recht auf Asyl gibt es eine Vorsortierung. An den Grenzen sollen unterschiedliche Prüfungen je nach der Schutzquote des Herkunftslandes vorgesehen werden. Demnach würden Personen aus Ländern mit einer hohen Schutzquote, vermutlich Syrer*innen und Eritreer*innen und weitere je nach Limit, nur eine kurze Prüfung durchlaufen und danach einreisen und verteilt werden. Hier würde wahrscheinlich primär die Registrierung, Sicherheitsüberprüfung und Verteilungsentscheidung stattfinden.
Für Staatsangehörige von Ländern mit niedrigen Schutzquoten würde eine intensivere Prüfung durchgeführt werden – oder gar die einzige Prüfung, wenn sie als »unzulässig« oder »offensichtlich unbegründet« abgelehnt werden. Offensichtlich unzulässige oder unbegründete Anträge sollen unmittelbar an der Außengrenze abgelehnt werden. Auch bei widersprüchlichen oder falschen Angaben soll die Einreise verweigert werden.
Eine Europäische Asylagentur soll eigenständig die Vorprüfungen durchführen. Die Schutzsuchenden bleiben in Haft.
Die kurzen Fristen erschweren es, gegen eine solche Entscheidung vorzugehen. So drohen Menschen in Gefahrensituationen abgeschoben zu werden.
Rechtsschutz soll ausgehebelt werden
Zudem stellt sich die Frage, wie überhaupt an den EU-Außengrenzen Tausenden ankommende Menschen der Rechtsweg eröffnet werden kann. Solche Prüfungen in Grenz- oder Transitverfahren haben eins gemeinsam: Sie sollen besonders schnell ablaufen und auch die Rechtsbehelfsfristen sind sehr kurz. Das erhöht die Chancen, dass eine schutzbedürftige Person zu Unrecht abgelehnt wird, besonders wenn ihr in dem Verfahren per se »schlechte Aussichten« bescheinigt wurden. Die kurzen Fristen erschweren es, gegen eine solche Entscheidung vorzugehen und gerade bei großen Lagern an der Grenze steht dafür kaum Unterstützung zur Verfügung. So drohen Menschen in Gefahrensituationen abgeschoben zu werden.
Wohin soll zurückgewiesen werden?
Das BMI scheint in seiner Konzeptionierung davon auszugehen, dass manche Asylsuchenden über »sichere Drittstaaten« einreisen und deswegen dort Schutz in Anspruch nehmen können und diesen in Europa nicht brauchen. Hierzu empfiehlt sich ein Blick auf die Landkarte. Tatsächlich ist die EU gerade von unsicheren Drittländern umgeben.
Um nach europäischem Recht als »sicherer Drittstaat« zu gelten, müssen nämlich folgende Kriterien erfüllt werden: Das völkerrechtliche Abschiebungsverbot muss eingehalten werden (Non-Refoulement-Gebot), die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) muss ratifiziert sein und die Person die darin garantierten Rechte in Anspruch nehmen können und ihr darf in dem Land keine asylrelevante Verfolgung drohen.
Mit dem EU-Türkei Deal wurde politisch entschieden, die Türkei sei ein solcher »sicherer Drittstaat«. Weder rechtlich noch faktisch ist sie dies, denn sie hat die GFK nur eingeschränkt ratifiziert und schiebt völkerrechtswidrig Menschen nach Syrien ab. Die Realität in der Türkei sieht so aus.
Transitzentren im Niemandsland?
Das BMI schlägt de facto vor, Transitzentren an europäischen Grenzen einzurichten. Denn das BMI spricht davon, dass bei Schutzsuchenden, die über »sichere Drittstaaten« eingereist sind oder bei Personen, die angeblich falsche Angaben machen, die Einreise verweigert werden könnte. Das erfordert einen Ort, der zwar schon auf europäischem Boden ist, der aber rechtlich ausgeklammert wird. Das ist beispielsweise an Flughäfen im Transitbereich der Fall oder in den umstrittenen ungarischen Transitzentren.
Auch bei den sogenannten Seehofer-Deals mit Griechenland und Spanien wird eine Nichteinreise fingiert, obwohl die Betroffenen bereits in Deutschland angekommen sind. Vor deutschen Verwaltungsgerichten werden diese Einreiseverweigerungen aber zum Teil wieder eingesackt. Die europarechtswidrigen Seehofer-Deals waren ein Kompromiss der Großen Koalition, nachdem Bundesinnenminister Seehofer eigentlich Transitzentren an deutscher Grenze durchsetzen wollte. Will er diese Idee nun an europäischen Grenzen durchsetzen?
Ungarische Transitzonen: Essen nur nach Klage
In Ungarn wurden unter dem rechtspopulistischen Regierungschef Orbán Transitzonen an der Grenze zu Serbien eingerichtet. An zwei Grenzübergängen werden Asylsuchende in Containern interniert – jeden Tag dürfen nur wenige überhaupt in die Zone, wo sie während der Prüfung inhaftiert sind. Mehrfach ist es bereits dazu gekommen, dass das Ungarische Helsinki Komitee bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen musste, damit diese mit einer Eilentscheidung anordnen, dass in den Transitzonen untergebrachte Personen Essen bekommen. Das zeigt, dass solche Zonen schnell zu Zonen der Entrechtung werden.
Zwangsverteilung und ewige Zuständigkeit
Das BMI konstatiert zu Recht, dass das Dublin-System gescheitert ist. Das System ist bislang so konzipiert, dass die Ersteinreisestaaten – also primär Griechenland, Italien, Spanien – in der Regel für die Asylverfahren zuständig sind. Nur aufgrund von Vorschriften zum Familiennachzug, Fristenablauf und Möglichkeiten zum Selbsteintritt ist dies in der Praxis so bislang nicht geschehen. Es hätte auch zum Kollaps der Asylsysteme und Aufnahmemöglichkeiten geführt – schon so sind diese besonders in Griechenland und Italien sehr schlecht. Das BMI ignoriert völlig, dass in Europa Gerichte wiederholt wegen Verletzungen der EMRK Überstellungen etwa nach Griechenland gestoppt haben. Ist eine Zuständigkeit einmal festgelegt, soll dieses Land auf ewig zuständig bleiben.
Das BMI ignoriert völlig, dass in Europa Gerichte wiederholt wegen Verletzungen der EMRK Überstellungen etwa nach Griechenland gestoppt haben.
Kriterien der Verteilung
Dem BMI schwebt nun ein europäisches Verteilungssystem ähnlich dem deutschen Königsteiner Schlüssel vor, nach dem entsprechend einer festgelegten Quote Asylsuchende in ganz Europa verteilt werden. Das Problem am Konzept: Die berechtigten Interessen der Asylsuchenden werden ausgeblendet. Das Zuständigkeitsregime soll rigoros durchgesetzt werden. Wer einen zuständigen Staat verlässt, soll nach einem sogenannten »Notifizierungsverfahren« auf schnellst möglichem Wege zurückverfrachtet werden.
Die Verteilung soll mit drastischen Mitteln erzwungen werden: Es soll keinen Rechtsschutz gegen eine Verteilentscheidung geben und soziale Leistungen würden nur im zugeteilten Staat gezahlt werden.
Wenn im zugeteilten Zuständigkeitsstaat den Betroffenen unmenschliche Behandlung droht oder der Staat systemische Mängel aufweist, haben die Betroffenen keinerlei Möglichkeit, gegen die Zwangsüberstellung in den besagten Staat effektiv zu klagen.
(gb/wj/kk)