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Was unternommen werden muss, um das Sterben im Mittelmeer zu stoppen
Immer noch ertrinken Menschen im Mittelmeer– und wenn sie von privaten Seenotretter*innen davor bewahrt werden, wiederholt sich das gleiche unwürdige Schauspiel: Die Schiffe kreuzen wochenlang auf dem Meer, bis die EU-Staaten sich zu einer Lösung durchringen. Es muss endlich eine europäische Initiative zur Rettung & Aufnahme von Flüchtlingen geben!
Das Risiko, auf der Flucht über das zentrale Mittelmeer zu sterben, wird größer und größer. 2015 bis 2018 ertranken dort 12.748 Menschen – und das sind nur die offiziell registrierten Todesfälle. Für dieses massenhafte Sterben ist die Europäische Union mitverantwortlich. EU-Staaten wie Italien verhindern die zivile Seenotrettung und sperren ihre Häfen. Schiffe dürfen gerettete Menschen nicht an Land bringen.
Gleichzeitig finanziert die EU die sog. »libysche Küstenwache«. 2017 und 2018 haben Warlords und Menschenhändler im Interesse der EU mehr als 30.000 Bootsflüchtlinge auf dem Meer aufgegriffen. Im Rahmen von Patrouillen wird Gewalt gegen Männer, Frauen und Kinder angewendet, Flüchtlinge werden zurück nach Libyen gebracht und dort eingesperrt. Laut UN-Berichten wird in den libyschen Haftlagern erpresst, gefoltert, vergewaltigt und gemordet. Angaben und Schätzungen über die Zahl der inhaftierten Flüchtlinge schwanken stark und sind schwer zu verifizieren – vermutlich sind es Zehntausende.
»Wenn Europa die Bootsflüchtlinge nicht rettet, hat es sein Herz und seine Seele verloren.«
Dieses Vorgehen verstößt sowohl gegen das Folterverbot in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), als auch gegen das Refoulement-Verbot in Art. 33, Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Durch das Delegieren an die »libysche Küstenwache« versucht die EU aber, das zu umgehen.
Italiens unrühmliche Rolle
Mit Unterstützung der EU übernimmt Italien aktuell eine besonders unrühmliche Rolle. Italienische Einheiten zur Überwachung des Mittelmeerraumes helfen libyschen Patrouilleneinheiten beim Orten von Flüchtlingen. Die Verzweifelten landen oft erneut in den Folterlagern, denen sie kurz zuvor entronnen sind. Und auch die EU-Grenzagentur Frontex steht im Verdacht, die »libysche Küstenwache« aktiv mit Informationen über die Position von Flüchtlingsbooten zu versorgen.
Zentral gelegene EU-Staaten schieben Verantwortung ab
Der starke Druck, den die zentral gelegenen EU-Länder durch das systematische Ab- und Zurückschieben von Flüchtlingen an die Außengrenzen der EU ausüben, verschärft die Situation unter anderem im Mittelmeerraum. Humanitäre »Gnadenakte« wie die Aufnahme von Bootsflüchtlingen aus einzelnen Rettungsaktionen täuschen über die systematische Verletzung von Menschen- und Flüchtlingsrechten durch die EU hinweg.
»Wir können diese Tragödie beenden, wenn wir den Mut und den Weitblick haben, über das nächste Boot hinauszublicken.«
Europa braucht einen Plan!
Die Europäische Union kann und darf sich ihrer menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtung nicht entziehen. Sie baut darauf auf, dass sich Bürgerinnen und Bürger ebenso wie geflüchtete Menschen auf unveräußerliche Rechte berufen können. Dazu zählt das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit ebenso wie das Folter- und das Refoulement-Verbot. Dazu zählt die Pflicht zur Seenotrettung und zur Ausschiffung geretteter Menschen in sichere Häfen.
Um diese Verpflichtungen umzusetzen, muss sich eine Koalition aufnahmebereiter EU-Staaten zusammenfinden, die den Notfallplan für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen untereinander organisiert. Die einzelnen ineinander greifenden Schritte des Plans:
1. Die Europäische Union muss unverzüglich einen eigenen flächendeckenden Seenotrettungsdienst aufbauen
2. Die Blockade und Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung muss ein Ende haben.
3. Die Zusammenarbeit mit der »libyschen Küstenwache« und der damit verbundene fortlaufende Völkerrechtsbruch im Mittelmeer muss sofort gestoppt werden. In Libyen festsitzende Flüchtlinge müssen umgehend evakuiert und in der EU in Sicherheit gebracht werden.
4. Es dürfen keine Abkommen mit Staaten außerhalb der EU geschlossen werden, um Flüchtlinge dort festzusetzen oder von der EU aus zurückzuschieben. Ausschiffungen in nordafrikanische Häfen darf es nicht geben.
5. Es müssen sichere und legale Fluchtwege nach Europa geschaffen werden (humanitäre Visa, Resettlementprogramme, Familienzusammenführung, etc.) – dies gilt auch für die Familienangehörigen von Kriegsflüchtlingen.
6. Bootsflüchtlingen ist nach der Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine menschenwürdige Aufnahme und der Zugang zu einem fairen Asylverfahren in einem EU-Mitgliedsstaat zu gewähren. Dies gilt auch für alle Schutzsuchenden, die auf anderen Wegen Zugang zur Europäischen Union finden.
7. Hotspots und Transitzentren an den Außengrenzen der EU sind Orte der Inhumanität und Rechtlosigkeit, sie müssen geschlossen werden. Die Inhaftierung schutzsuchender Menschen ist sofort zu beenden.
8. Die Verteilung angekommener Flüchtlinge in den kooperierenden EU-Staaten muss einem festgelegten Solidarmechanismus folgen und darf nicht mehr von Fall zu Fall ausgehandelt werden. Schutzsuchenden mit familiären Bindungen wird die Weiterreise zu ihren Angehörigen ermöglicht.
9. Zahlreiche Städte, Regionen und Gemeinden in Deutschland und Europa haben bereits ihre Aufnahmebereitschaft signalisiert. Für sie muss die Möglichkeit geschaffen werden, Bootsflüchtlinge in Rahmen eines Relocation-Programms aufzunehmen.
Um die verantwortlichen Politiker*innen zum Handeln zu bewegen, haben wir eine Postkartenaktion an die designierte Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gestartet. Die Postkarten können HIER bestellt werden!