Verfolgte Menschen brauchen Schutz! Aufrüstung an den EU-Außengrenzen, Verschärfung der Dublin-Regelungen, keine Prüfung der Asylgründe, Aussetzung des Familiennachzugs, Verschlechterung der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende: Aktuell geht es in Europa und Deutschland um das Bestehen grundlegender Flüchtlings- und Menschenrechte.
In unserer Kampagne sprechen Flüchtlinge über ihre Erfahrungen auf der Flucht, in Europa und in Deutschland – und erzählen, welche Themen besondere Bedeutung haben:
»Mein Bruder war zuerst in Ägypten, dann wieder im Libanon, dann im Sudan – weil er kein Visum bekam, um zu mir nach Deutschland zu kommen. Vom Sudan ist er dann durch die Sahara nach Libyen. Das war gefährlich, in der Wüste waren Milizen. Danach von Libyen nach Italien. Und dann nach Deutschland.«
Die Mitgliedsstaaten der EU versuchen alles Erdenkliche, um Schutzsuchenden den Zugang in die Europäische Union zu verwehren. Fluchtwege werden versperrt, Visa werden verweigert, Familienzusammenführungen verzögert, Deals mit Staaten wie der Türkei zur Fluchtverhinderung abgeschlossen. Schutzsuchenden Menschen bleibt somit keine Wahl – sie müssen sich auf lebensgefährliche Wege begeben.
Gegenwärtige Entwicklung: Wer EU-Boden betritt, hat zurzeit noch einen Rechtsanspruch auf ein Asylverfahren in einem EU-Staat. Dieses Recht soll umgangen werden. Deals mit Staaten außerhalb der EU nach Blaupause des Türkei-Deals sollen folgen, um Menschen an der Flucht zu hindern oder sie zurückzuschicken.
Nach Vorstellung der EU-Kommission und des deutschen Innenministers sollen Schutzsuchende dann sogar ohne Prüfung der Fluchtgründe in Nicht-EU-Staaten abgeschoben werden können. In solchen angeblich »sicheren Drittstaaten« muss noch nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention gelten. Flüchtlingen wird somit der Zugang zum Menschenrecht auf Asyl genommen.
Wie weit die Staaten der EU mit ihren Plänen gehen, zeigt das Beispiel Libyen. Dort werden Flüchtlinge und Migranten unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Folter und sexuelle Gewalt sind an der Tagesordnung, auch in den Haftlagern der von Europa anerkannten Regierung.
Der Expertenbericht des UN-Sicherheitsrats vom 1. Juni 2017 dokumentiert Verbindungen zwischen bewaffneten Gruppen, kriminellen Netzwerken und der von der EU geförderten libyschen Küstenwache. Dennoch konzipieren die EU-Innenminister »Legalitätsinseln« im zerrütteten Libyen, in die abgeschoben werden soll.
»Wir fuhren in einem kleinen Fischerboot mit Platz für ca. 30 Leute, aber wir waren über 300… Du spürst die Wellen und merkst, wie gefährlich die Situation ist. Am vierten Tag dachte ich, dass wir sterben müssen. Ich hatte meine Kinder auf dem Schoß und fragte mich immer wieder, wie ich sie über Wasser halten kann.«
Bis Mitte August 2017 schätzte UNHCR die Zahl der toten Bootsflüchtlinge im Mittelmeer auf über 2400 allein in diesem Jahr. Die wachsende Zahl Toter ist auch darauf zurückzuführen, dass sich die europäischen Schiffe mehr und mehr aus der Seenotrettung zurückziehen – nur noch 12 Prozent der Rettungen im Mittelmeer erfolgen durch Marineschiffe europäischer Staaten. Zunehmend werden Flüchtlinge stattdessen bereits auf dem offenen Meer von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurücktransportiert – trotz schwerster Menschenrechtsverletzungen in libyschen Gefängnislagern.
Gegenwärtige Entwicklung: Die sogenannte Einheitsregierung in Tripolis hat eine »Seenotrettungszone« ausgerufen, die weit über die libyschen Hoheitsgewässer hinausgeht. Humanitäre Organisationen werden ausdrücklich davor gewarnt, sich in diese Zone zu begeben – aufgrund dieser Bedrohung ziehen sich die Helfer zurück. Der UN-Expertenbericht vom 1. Juni 2017 dokumentiert, dass die libysche Küstenwache mehrfach Flüchtlingsboote beschossen und Flüchtlinge misshandelt hat.
Italien entsendet Kriegsschiffe, um die libysche Küstenwache (die von der deutschen Marine ausgebildet wird) beim Zurückschaffen von Bootsflüchtlingen zurück in die Haftlager zu unterstützen. Dies ist ein Bruch des Völkerrechts. Flüchtlinge sollen in Staaten außerhalb der EU zurückgeschoben werden, Menschenrechte werden dabei missachtet: Generell orientieren sich all diese Pläne der EU am Deal mit der Türkei.
»In Malta kam ich sofort in Haft – obwohl ich nichts verbrochen hatte. In der Zelle waren Männer, Frauen, Kinder. Es war eng, es gab nur wenig zu essen, die hygienischen Verhältnisse waren schlimm. Für mich ist die Dublin-Regelung ein großes Problem – dass man so einfach zurückgeschickt werden kann. Man muss den Menschen doch wenigstens eine Chance geben und ihnen erstmal zuhören!«
Die von den Mitgliedsstaaten der EU vereinbarte Dublin-Regelung besagt, dass in der Regel dasjenige EU-Land für ein Asylverfahren zuständig ist, das ein Flüchtling als erstes betritt. Damit werden vor allem die EU-Staaten an den Außengrenzen – z.B. Italien, Griechenland oder Bulgarien – für die Flüchtlingsaufnahme verantwortlich gemacht. Schutzsuchende, die innerhalb der EU weiterreisen, werden in die Staaten der Erstaufnahme zurückgebracht.
Gegenwärtige Entwicklung: Bislang gab es eine zeitliche Befristung von sechs Monaten, in der Schutzsuchende wieder in den Erstaufnahmestaat zurückgeschickt werden durften. Diese Frist soll nach Plänen der EU-Kommission sowie der deutschen Innenministerkonferenz ersatzlos gestrichen werden. Damit könnten Flüchtlinge auf Jahre hinaus jederzeit in das Land ihrer EU-Einreise abgeschoben werden.
Die Folge dieser Bestimmung wäre Rechtlosigkeit: Das EU-Einreiseland hat in der Regel das Asylverfahren der betroffenen Menschen längst geschlossen, der Staat der Weiterreise hat es gar nicht erst eröffnet. Es gibt somit niemanden mehr, der die Fluchtgründe der Menschen inhaltlich prüft, die Illegalisierung ist vorprogrammiert.
»Wir müssen das Recht auf Familie gegen alle migrationspolitischen Einschränkungen unbedingt auch öffentlich verteidigen. Wir verteidigen damit generell die Gültigkeit der Grundrechte, unsere eigenen Standards. Es ist wichtig, dass die Menschen das Vertrauen in das Grundgesetz nicht verlieren.«
Artikel 6 des Grundgesetzes besagt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Menschen, die als Flüchtlinge anerkannt sind, haben also das Recht, mit ihrer Familie zusammenzuleben. Für »subsidiär Schutzberechtigte«, also überwiegend Kriegsflüchtlinge aus Syrien, wurde 2016 der Familiennachzug bis 18. März 2018 ausgesetzt.
Gegenwärtige Entwicklung: CDU und CSU wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte über den 18. März 2018 hinaus unterbinden. Welche Belastung dies für Menschen bedeutet, die schon seit Jahren auf ihre Angehörigen warten, ist kaum vorstellbar: Sie würden für sich und ihre Familie gerne eine neue Lebensperspektive aufbauen, aber ihre Angehörigen sind in Kriegs- und Krisengebieten häufig auf unabsehbare Zeit lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt.
»An meinem zweiten Tag im Flüchtlingswohnheim habe ich recherchiert, wo es Sprachkurse gibt. Ich habe mir sofort zwei Kurse ausgesucht. Bezahlt habe ich das von den 320 Euro, die ich monatlich zum Lebensunterhalt vom Sozialamt bekam. Hinzu kam die Fahrkarte. Der Rest musste zum Leben ausreichen.«
Im immer wieder verschärften Aufenthaltsrecht wurden in Deutschland während der letzten beiden Jahre erhebliche neue Auflagen und Einschränkungen für Asylsuchende festgelegt. Ein Beispiel: Wem die Behörden – noch vor Prüfung der Asylgründe – keine »gute Bleibeperspektive« attestieren, kann an den vom Bund finanzierten Integrationskursen nicht teilnehmen. Auch Menschen wie Najem Al Khalaf erhalten zu diesen Kursen keinen Zugang.
Weitere Verschärfungen: Termine für Abschiebungen dürfen nicht mehr angekündigt werden, zudem wird per Gesetz grundsätzlich angenommen, dass es keine gesundheitlichen Gründe gibt, die der Abschiebung entgegenstehen.
Gegenwärtige Entwicklung: Zusätzliche Einschränkungen der für Asylsuchende in Deutschland stehen bevor. So ermächtigt das vom Bundestag beschlossene »Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht« die Bundesländer, grundsätzlich alle Asylsuchenden zu verpflichten, bis zu zwei Jahre in Erstaufnahmeeinrichtungen zu bleiben – für manche soll dies sogar unbefristet gelten. Bayern hat mit der Dauerunterbringung in Lagern faktisch bereits begonnen.
»Alle wissen, Afghanistan ist kein sicheres Land und trotzdem wird abgeschoben. Die Menschen haben jetzt richtig Angst, viele haben keine Kraft mehr. Wenn ich ihnen sage „Bitte lernt Deutsch, sucht eine Arbeit“, sagen sie „Warum, wenn ich keine Chance habe und zurück muss?“«
Dass Afghanistan sicher ist, daran glaubt nicht einmal die Bundesregierung. »Nicht die Lage in Afghanistan hat sich geändert, sondern die innenpolitische Diskussion«, so die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler im Februar 2017. Die Aussage macht deutlich, was der wahre Hintergrund der im Dezember 2016 gestarteten Sammelabschiebungen nach Afghanistan ist. Es geht um Wählerstimmen: Stimmungsmache ersetzt reflektiertes politisches Handeln.
Gegenwärtige Entwicklung: Neben den Abschiebungen steigen auch die Ablehnungszahlen afghanischer Asylsuchender in Deutschland stark an. 2017 wurden alleine bis Juli mehr als 43.000 Asylgesuche von Afghan*innen abgelehnt. Hinter dieser Entwicklung ist eine politische Absicht erkennbar: Den Schutzsuchenden wird entgegen der Faktenlage vorgehalten, sie könnten in angeblich sichere Gebiete in Afghanistan gehen.
Nachdem am 31. Mai 2017 das Zentrum von Kabul sowie die deutsche Botschaft von einem schweren Anschlag erschüttert wurden, sind weitere geplante Sammelabschiebungen verschoben worden – bis auf Weiteres. Afghanische Schutzsuchende leben mittlerweile in Deutschland in großer Angst, abgeschoben zu werden und damit erneut Gewalt und Elend ausgesetzt zu sein.