Ver­folg­te Men­schen brau­chen Schutz! Auf­rüs­tung an den EU-Außen­gren­zen, Ver­schär­fung der Dub­lin-Rege­lun­gen, kei­ne Prü­fung der Asyl­grün­de, Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs,  Ver­schlech­te­rung der Auf­nah­me­be­din­gun­gen für Schutz­su­chen­de: Aktu­ell geht es in Euro­pa und Deutsch­land um das Bestehen grund­le­gen­der Flücht­lings- und Menschenrechte.

In unse­rer Kam­pa­gne spre­chen Flücht­lin­ge über ihre Erfah­run­gen auf der Flucht, in Euro­pa und in Deutsch­land – und erzäh­len, wel­che The­men beson­de­re Bedeu­tung haben:

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Moha­mad Hadid flüch­te­te 2013 aus Syri­en. Im Inter­view berich­tet er über die gro­ßen Schwei­rig­kei­ten sei­ner Fami­lie, in Sicher­heit zu gelan­gen. Sei­ne Mut­ter und sei­ne Schwes­ter schaff­ten es erst im zwei­ten Ver­such über die Ägä­is – beim ers­ten Mal ken­ter­te das Boot. Sein Bru­der hat eine Odys­see durch Afri­ka hin­ter sich. Foto: Tim Wegner

»Mein Bru­der war zuerst in Ägyp­ten, dann wie­der im Liba­non, dann im Sudan – weil er kein Visum bekam, um zu mir nach Deutsch­land zu kom­men. Vom Sudan ist er dann durch die Saha­ra nach Liby­en. Das war gefähr­lich, in der Wüs­te waren Mili­zen. Danach von Liby­en nach Ita­li­en. Und dann nach Deutschland.«

Moha­mad Hadid

Die Mit­glieds­staa­ten der EU ver­su­chen alles Erdenk­li­che, um Schutz­su­chen­den den Zugang in die Euro­päi­sche Uni­on zu ver­weh­ren. Flucht­we­ge wer­den ver­sperrt, Visa wer­den ver­wei­gert, Fami­li­en­zu­sam­men­füh­run­gen ver­zö­gert, Deals mit Staa­ten wie der Tür­kei zur Flucht­ver­hin­de­rung abge­schlos­sen. Schutz­su­chen­den Men­schen bleibt somit kei­ne Wahl – sie müs­sen sich auf lebens­ge­fähr­li­che Wege begeben.

Gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung: Wer EU-Boden betritt, hat zur­zeit noch einen Rechts­an­spruch auf ein Asyl­ver­fah­ren in einem EU-Staat. Die­ses Recht soll umgan­gen wer­den. Deals mit Staa­ten außer­halb der EU nach Blau­pau­se des Tür­kei-Deals sol­len fol­gen, um Men­schen an der Flucht zu hin­dern oder sie zurückzuschicken.

Nach Vor­stel­lung der EU-Kom­mis­si­on und des deut­schen Innen­mi­nis­ters sol­len Schutz­su­chen­de dann sogar ohne Prü­fung der Flucht­grün­de in Nicht-EU-Staa­ten abge­scho­ben wer­den kön­nen. In sol­chen angeb­lich »siche­ren Dritt­staa­ten« muss noch nicht ein­mal die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on gel­ten. Flücht­lin­gen wird somit der Zugang zum Men­schen­recht auf Asyl genommen.

Wie weit die Staa­ten der EU mit ihren Plä­nen gehen, zeigt das Bei­spiel Liby­en. Dort wer­den Flücht­lin­ge und Migran­ten unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen inhaf­tiert. Fol­ter und sexu­el­le Gewalt sind an der Tages­ord­nung, auch in den Haft­la­gern der von Euro­pa aner­kann­ten Regierung.

Der Exper­ten­be­richt des UN-Sicher­heits­rats vom 1. Juni 2017 doku­men­tiert Ver­bin­dun­gen zwi­schen bewaff­ne­ten Grup­pen, kri­mi­nel­len Netz­wer­ken und der von der EU geför­der­ten liby­schen Küs­ten­wa­che. Den­noch kon­zi­pie­ren die EU-Innen­mi­nis­ter »Lega­li­täts­in­seln« im zer­rüt­te­ten Liby­en, in die abge­scho­ben wer­den soll.

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Maya Alk­he­chen ist zwar in Deutsch­land auf­ge­wach­sen, kehr­te aber nach Syri­en zurück. Eini­ge Jah­re spä­ter zwang der Krieg sie, das Land wie­der zu ver­las­sen. Um aber erneut nach Deutsch­land zu gelan­gen, muss­te sie mit ihren Kin­dern den gefähr­li­chen Weg über das Mit­tel­meer neh­men. Foto: Tim Wegner

»Wir fuh­ren in einem klei­nen Fischer­boot mit Platz für ca. 30 Leu­te, aber wir waren über 300… Du spürst die Wel­len und merkst, wie gefähr­lich die Situa­ti­on ist. Am vier­ten Tag dach­te ich, dass wir ster­ben müs­sen. Ich hat­te mei­ne Kin­der auf dem Schoß und frag­te mich immer wie­der, wie ich sie über Was­ser hal­ten kann.«

Maya Alk­he­chen
2400

Men­schen sind im Jahr 2017 geschätzt auf der Flucht übers Mit­tel­meer ertrunken.

Bis Mit­te August 2017 schätz­te UNHCR die Zahl der toten Boots­flücht­lin­ge im Mit­tel­meer auf über 2400 allein in die­sem Jahr. Die wach­sen­de Zahl Toter ist auch dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass sich die euro­päi­schen Schif­fe mehr und mehr aus der See­not­ret­tung zurück­zie­hen – nur noch 12 Pro­zent der Ret­tun­gen im Mit­tel­meer erfol­gen durch Mari­ne­schif­fe euro­päi­scher Staa­ten. Zuneh­mend wer­den Flücht­lin­ge statt­des­sen bereits auf dem offe­nen Meer von der liby­schen Küs­ten­wa­che abge­fan­gen und zurück­trans­por­tiert – trotz schwers­ter Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in liby­schen Gefängnislagern.

Gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung: Die soge­nann­te Ein­heits­re­gie­rung in Tri­po­lis hat eine »See­not­ret­tungs­zo­ne« aus­ge­ru­fen, die weit über die liby­schen Hoheits­ge­wäs­ser hin­aus­geht. Huma­ni­tä­re Orga­ni­sa­tio­nen wer­den aus­drück­lich davor gewarnt, sich in die­se Zone zu bege­ben – auf­grund die­ser Bedro­hung zie­hen sich die Hel­fer zurück. Der UN-Exper­ten­be­richt vom 1. Juni 2017 doku­men­tiert, dass die liby­sche Küs­ten­wa­che mehr­fach Flücht­lings­boo­te beschos­sen und Flücht­lin­ge miss­han­delt hat.

Ita­li­en ent­sen­det Kriegs­schif­fe, um die liby­sche Küs­ten­wa­che (die von der deut­schen Mari­ne aus­ge­bil­det wird) beim Zurück­schaf­fen von Boots­flücht­lin­gen zurück in die Haft­la­ger zu unter­stüt­zen. Dies ist ein Bruch des Völ­ker­rechts. Flücht­lin­ge sol­len in Staa­ten außer­halb der EU zurück­ge­scho­ben wer­den, Men­schen­rech­te wer­den dabei miss­ach­tet: Gene­rell ori­en­tie­ren sich all die­se Plä­ne der EU am Deal mit der Türkei.

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Sarah Yus­suf Moham­med (33) floh 2008 vor Zwangs­ver­hei­ra­tung und Ter­ror der Al-Shabaah-Miliz aus Soma­lia. Deutsch­land erreich­te sie 2016 – über Äthio­pi­en, den Sudan, Liby­en, Mal­ta und Nor­we­gen. In Mal­ta war sie mona­te­lang unter schlim­men Bedin­gun­gen in Haft. Foto: Tim Wegner

»In Mal­ta kam ich sofort in Haft – obwohl ich nichts ver­bro­chen hat­te. In der Zel­le waren Män­ner, Frau­en, Kin­der. Es war eng, es gab nur wenig zu essen, die hygie­ni­schen Ver­hält­nis­se waren schlimm. Für mich ist die Dub­lin-Rege­lung ein gro­ßes Pro­blem – dass man so ein­fach zurück­ge­schickt wer­den kann. Man muss den Men­schen doch wenigs­tens eine Chan­ce geben und ihnen erst­mal zuhören!«

Sarah Yus­suf Mohammed

Die von den Mit­glieds­staa­ten der EU ver­ein­bar­te Dub­lin-Rege­lung besagt, dass in der Regel das­je­ni­ge EU-Land für ein Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist, das ein Flücht­ling als ers­tes betritt. Damit wer­den vor allem die EU-Staa­ten an den Außen­gren­zen – z.B. Ita­li­en, Grie­chen­land oder Bul­ga­ri­en – für die Flücht­lings­auf­nah­me ver­ant­wort­lich gemacht. Schutz­su­chen­de, die inner­halb der EU wei­ter­rei­sen, wer­den in die Staa­ten der Erst­auf­nah­me zurückgebracht.

Gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung: Bis­lang gab es eine zeit­li­che Befris­tung von sechs Mona­ten, in der Schutz­su­chen­de wie­der in den Erst­auf­nah­me­staat zurück­ge­schickt wer­den durf­ten. Die­se Frist soll nach Plä­nen der EU-Kom­mis­si­on sowie der deut­schen Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz ersatz­los gestri­chen wer­den. Damit könn­ten Flücht­lin­ge auf Jah­re hin­aus jeder­zeit in das Land ihrer EU-Ein­rei­se abge­scho­ben werden.

Die Fol­ge die­ser Bestim­mung wäre Recht­lo­sig­keit: Das EU-Ein­rei­se­land hat in der Regel das Asyl­ver­fah­ren der betrof­fe­nen Men­schen längst geschlos­sen, der Staat der Wei­ter­rei­se hat es gar nicht erst eröff­net. Es gibt somit nie­man­den mehr, der die Flucht­grün­de der Men­schen inhalt­lich prüft, die Ille­ga­li­sie­rung ist vorprogrammiert.

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Karim al Wasi­ti flüch­te­te 1998 als Regime­kri­ti­ker aus dem Irak. Er ist seit vie­len Jah­ren deut­scher Staats­bür­ger und berät Flücht­lin­ge unter ande­rem zu Fra­gen der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung. Foto: Tim Wegner

»Wir müs­sen das Recht auf Fami­lie gegen alle migra­ti­ons­po­li­ti­schen Ein­schrän­kun­gen unbe­dingt auch öffent­lich ver­tei­di­gen. Wir ver­tei­di­gen damit gene­rell die Gül­tig­keit der Grund­rech­te, unse­re eige­nen Stan­dards. Es ist wich­tig, dass die Men­schen das Ver­trau­en in das Grund­ge­setz nicht verlieren.«

Karim Al Wasiti

Arti­kel 6 des Grund­ge­set­zes besagt, dass Ehe und Fami­lie unter dem beson­de­ren Schutz der staat­li­chen Ord­nung ste­hen. Men­schen, die als Flücht­lin­ge aner­kannt sind, haben also das Recht, mit ihrer Fami­lie zusam­men­zu­le­ben. Für »sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te«, also über­wie­gend Kriegs­flücht­lin­ge aus Syri­en, wur­de 2016 der Fami­li­en­nach­zug bis 18. März 2018 ausgesetzt.

Gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung: CDU und CSU wol­len den Fami­li­en­nach­zug für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te über den 18. März 2018 hin­aus unter­bin­den. Wel­che Belas­tung dies für Men­schen bedeu­tet, die schon seit Jah­ren auf ihre Ange­hö­ri­gen war­ten, ist kaum vor­stell­bar: Sie wür­den für sich und ihre Fami­lie ger­ne eine neue Lebens­per­spek­ti­ve auf­bau­en, aber ihre Ange­hö­ri­gen sind in Kriegs- und Kri­sen­ge­bie­ten häu­fig auf unab­seh­ba­re Zeit lebens­be­droh­li­chen Gefah­ren ausgesetzt.

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Der 23jährige Najem Al Khal­af stu­diert in Han­no­ver Foto­gra­fie und unter­stützt ehren­amt­lich ande­re Flücht­lin­ge. Er selbst floh 2012 aus Syri­en. Weil er in Bul­ga­ri­en Asyl erhal­ten hat­te, hat er in Deutsch­land kein Recht dar­auf gehabt, an einem Inte­gra­ti­ons­kurs teil­zu­neh­men. Foto: Tim Wegner

»An mei­nem zwei­ten Tag im Flücht­lings­wohn­heim habe ich recher­chiert, wo es Sprach­kur­se gibt. Ich habe mir sofort zwei Kur­se aus­ge­sucht. Bezahlt habe ich das von den 320 Euro, die ich monat­lich zum Lebens­un­ter­halt vom Sozi­al­amt bekam. Hin­zu kam die Fahr­kar­te. Der Rest muss­te zum Leben ausreichen.«

Najem Al Khalaf

Im immer wie­der ver­schärf­ten Auf­ent­halts­recht wur­den in Deutsch­land wäh­rend der letz­ten bei­den Jah­re erheb­li­che neue Auf­la­gen und Ein­schrän­kun­gen für Asyl­su­chen­de fest­ge­legt. Ein Bei­spiel: Wem die Behör­den – noch vor Prü­fung der Asyl­grün­de – kei­ne »gute Blei­be­per­spek­ti­ve« attes­tie­ren, kann an den vom Bund finan­zier­ten Inte­gra­ti­ons­kur­sen nicht teil­neh­men. Auch Men­schen wie Najem Al Khal­af erhal­ten zu die­sen Kur­sen kei­nen Zugang.

Wei­te­re Ver­schär­fun­gen: Ter­mi­ne für Abschie­bun­gen dür­fen nicht mehr ange­kün­digt wer­den, zudem wird per Gesetz grund­sätz­lich ange­nom­men, dass es kei­ne gesund­heit­li­chen Grün­de gibt, die der Abschie­bung entgegenstehen.

Gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung: Zusätz­li­che Ein­schrän­kun­gen der für Asyl­su­chen­de in Deutsch­land ste­hen bevor. So ermäch­tigt das vom Bun­des­tag beschlos­se­ne »Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« die Bun­des­län­der, grund­sätz­lich alle Asyl­su­chen­den zu ver­pflich­ten, bis zu zwei Jah­re in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen zu blei­ben – für man­che soll dies sogar unbe­fris­tet gel­ten. Bay­ern hat mit der Dau­er­un­ter­brin­gung in Lagern fak­tisch bereits begonnen.

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Der Jour­na­list Ramin Moha­bat, 28, floh im August 2015 vor den Tali­ban aus Afgha­ni­stan. Sein Asyl­an­trag wur­de abge­lehnt, Moha­bat klagt nun dage­gen. Er weiß: Wie ihm geht es vie­len sei­ner Lands­leu­te. Foto: Tim Wegner

»Alle wis­sen, Afgha­ni­stan ist kein siche­res Land und trotz­dem wird abge­scho­ben. Die Men­schen haben jetzt rich­tig Angst, vie­le haben kei­ne Kraft mehr. Wenn ich ihnen sage „Bit­te lernt Deutsch, sucht eine Arbeit“, sagen sie „War­um, wenn ich kei­ne Chan­ce habe und zurück muss?“«

Ramin Moha­bat

Dass Afgha­ni­stan sicher ist, dar­an glaubt nicht ein­mal die Bun­des­re­gie­rung. »Nicht die Lage in Afgha­ni­stan hat sich geän­dert, son­dern die innen­po­li­ti­sche Dis­kus­si­on«, so die Men­schen­rechts­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung Bär­bel Kof­ler im Febru­ar 2017. Die Aus­sa­ge macht deut­lich, was der wah­re Hin­ter­grund der im Dezem­ber 2016 gestar­te­ten Sam­mel­ab­schie­bun­gen nach Afgha­ni­stan ist. Es geht um Wäh­ler­stim­men: Stim­mungs­ma­che ersetzt reflek­tier­tes poli­ti­sches Handeln.

Gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung: Neben den Abschie­bun­gen stei­gen auch die Ableh­nungs­zah­len afgha­ni­scher Asyl­su­chen­der in Deutsch­land stark an. 2017 wur­den allei­ne bis Juli mehr als 43.000 Asyl­ge­su­che von Afghan*innen abge­lehnt. Hin­ter die­ser Ent­wick­lung ist eine poli­ti­sche Absicht erkenn­bar: Den Schutz­su­chen­den wird ent­ge­gen der Fak­ten­la­ge vor­ge­hal­ten, sie könn­ten in angeb­lich siche­re Gebie­te in Afgha­ni­stan gehen.

Nach­dem am 31. Mai 2017 das Zen­trum von Kabul sowie die deut­sche Bot­schaft von einem schwe­ren Anschlag erschüt­tert wur­den, sind wei­te­re geplan­te Sam­mel­ab­schie­bun­gen ver­scho­ben wor­den – bis auf Wei­te­res. Afgha­ni­sche Schutz­su­chen­de leben mitt­ler­wei­le in Deutsch­land in gro­ßer Angst, abge­scho­ben zu wer­den und damit erneut Gewalt und Elend aus­ge­setzt zu sein.