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Geplante Reform des Dublin-Systems: Verschärfungen stellen Flüchtlinge schutzlos
In den kommenden Monaten wird über die Reform des Dublin-Systems verhandelt. Die EU-Kommission plant eine massive Verschärfung des geltenden Dublin-Systems. Sie will die Regelungen, die im bisherigen System eine humanitäre Korrektur des Dublin-Systems ermöglichen, abschaffen.
Hierzu hat die EU-Kommission hat am 4. Mai 2016 einen Entwurf für eine neue Dublin-IV-Verordnung vorgelegt. Abschiebungen in andere EU-Staaten, in denen unmenschliche Bedingungen auf Flüchtlinge warten, verhindert werden – können bislang verhindert werden z.B. mit der Durchsetzung der Selbsteintritts-Klausel. Dies soll künftig nicht mehr möglich sein. PRO ASYL warnt davor, die Vorschläge der EU-Kommission umzusetzen.
Fristablauf soll abgeschafft werden, Dublin-Abschiebungen drohen auch nach Jahren
Was bislang oftmals der letzte Ausweg war, um eine Dublin-Abschiebung zu verhindern, soll künftig nicht mehr möglich sein: Es soll künftig kein Zuständigkeitswechsel mehr durch den Ablauf der im Dublin-Verfahren vorgesehenen Fristen stattfinden (S. 58 und 63 des Entwurfs). Bislang musste ein Mitgliedstaat, der eine Dublin-Abschiebung durchsetzen möchte, dabei bestimmte Fristen einhalten. Wird z.B. die Überstellungsfrist von sechs Monaten nicht eingehalten, geht die Zuständigkeit auf den Staat, in dem sich der Flüchtling aufhält, über.
Wenn diese Regelung abgeschafft wird, können Flüchtlinge künftig auch noch nach Jahren abgeschoben werden – humanitäre Spielräume bestehen nicht mehr. Die Betroffenen wären nur noch geduldet und würden in der ständigen Angst leben, doch noch nach Bulgarien, Ungarn oder Italien zurück zu müssen. Letztendlich wären sie sog. „refugees in orbit“ – also schutzbedürftige Flüchtlinge, die keinen Zugang zum Flüchtlingsschutz haben: Im Staat, in dem sie sich aufhalten, wird ihnen das Asylverfahren verwehrt. In dem Staat, der laut Dublin-Verordnung für sie zuständig ist, haben sie keine menschenwürdigen Überlebenschancen.
Selbsteintrittsrecht wird beschränkt: nur noch in Familienkonstellationen möglich
Außerdem soll die Selbsteintritts-Klausel auf die Anwendung auf familiäre Konstellationen beschränkt werden (S. 49 des Entwurfs). Bislang stand die Ausübung des Selbsteintrittsrechts im Ermessen des jeweiligen Staates. In Deutschland wurde es vor allem auf besonders schutzbedürftige Gruppen angewandt. Dies soll nicht mehr möglich sein.
Drittstaatenregelung hebelt Recht auf Familienzusammenführung aus
Vorgesehen ist außerdem, dass vor jeder Zuständigkeitsprüfung zunächst ein Zulässigkeitsverfahren durchgeführt werden soll, in dem festgestellt werden soll, ob ein Asylsuchender nicht in einen „sicheren Drittstaat“ oder „ersten Asylstaat“ abgeschoben werden kann (S. 39f des Entwurfs). Das Recht auf Familienzusammenführung beispielsweise soll auf diesem Weg von der Drittstaatenregelung ausgehebelt werden. Asylsuchende, die in Griechenland ankommen, sollen also nicht mehr zu ihren Angehörigen weiterreisen dürfen.
Abschiebungen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Wenn ein Minderjähriger ohne Eltern oder Verwandte in die EU einreist, hat er nach dem geltenden Dublin-System das Recht, in dem EU-Staat zu bleiben, in dem er sich aufhält. Er darf nicht abgeschoben werden. Künftig soll er in den EU-Staat abgeschoben werden, wo er erstmals einen Antrag gestellt hat. Abschiebungen von unbegleiteten Minderjährigen ist mit dem Kindeswohl nicht vereinbar.
Dublin-Reform: Schutzlosstellen von Flüchtlingen
Diese geplante Verschärfung des Dublin-Systems würde den Druck auf die Flüchtlinge und sie unterstützenden Strukturen massiv verschärfen. Die EU würde eine äußerst hohe Zahl an irregulären Flüchtlingen produzieren, die in der EU ohne Schutzstatus umherirren (Refugees in orbit). Der verwehrte Schutz verhindert auch die Integration in den Aufenthaltsländern. Nur mit einem legalen Rechtsstatus haben die Betroffenen die Möglichkeit, in den Ländern Fuß zu fassen – sich eine Perspektive aufzubauen, zu arbeiten und Teil der Gesellschaft zu werden.