23.06.2016
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Flüchtlingen droht in Ungarn eine unmenschliche Behandlung. Sollten die geplanten Dublin-IV-Regelungen eintreten, könnten sie jederzeit nach Ungarn abgeschoben werden. Foto: © UNHCR/Åke Ericson

In den kommenden Monaten wird über die Reform des Dublin-Systems verhandelt. Die EU-Kommission plant eine massive Verschärfung des geltenden Dublin-Systems. Sie will die Regelungen, die im bisherigen System eine humanitäre Korrektur des Dublin-Systems ermöglichen, abschaffen.

Hier­zu hat die EU-Kom­mis­si­on hat am 4. Mai 2016 einen Ent­wurf für eine neue Dub­lin-IV-Ver­ord­nung vor­ge­legt. Abschie­bun­gen in ande­re EU-Staa­ten, in denen unmensch­li­che Bedin­gun­gen auf Flücht­lin­ge war­ten, ver­hin­dert wer­den – kön­nen bis­lang ver­hin­dert wer­den z.B. mit der Durch­set­zung der Selbst­ein­tritts-Klau­sel. Dies soll künf­tig nicht mehr mög­lich sein. PRO ASYL warnt davor, die Vor­schlä­ge der EU-Kom­mis­si­on umzusetzen.

Fristablauf soll abgeschafft werden, Dublin-Abschiebungen drohen auch nach Jahren

Was bis­lang oft­mals der letz­te Aus­weg war, um eine Dub­lin-Abschie­bung zu ver­hin­dern, soll künf­tig nicht mehr mög­lich sein: Es soll künf­tig kein Zustän­dig­keits­wech­sel mehr durch den Ablauf der im Dub­lin-Ver­fah­ren vor­ge­se­he­nen Fris­ten statt­fin­den (S. 58  und 63 des Ent­wurfs). Bis­lang muss­te ein Mit­glied­staat, der eine Dub­lin-Abschie­bung durch­set­zen möch­te, dabei bestimm­te Fris­ten ein­hal­ten. Wird z.B. die Über­stel­lungs­frist von sechs Mona­ten nicht ein­ge­hal­ten, geht die Zustän­dig­keit auf den Staat, in dem sich der Flücht­ling auf­hält, über.

Wenn die­se Rege­lung abge­schafft wird, kön­nen Flücht­lin­ge künf­tig auch noch nach Jah­ren abge­scho­ben wer­den – huma­ni­tä­re Spiel­räu­me bestehen nicht mehr.  Die Betrof­fe­nen wären nur noch gedul­det und wür­den in der stän­di­gen Angst leben, doch noch nach Bul­ga­ri­en, Ungarn oder Ita­li­en zurück zu müs­sen. Letzt­end­lich wären sie sog. „refu­gees in orbit“ – also schutz­be­dürf­ti­ge Flücht­lin­ge, die kei­nen Zugang zum Flücht­lings­schutz haben: Im Staat, in dem sie sich auf­hal­ten, wird ihnen das Asyl­ver­fah­ren ver­wehrt. In dem Staat, der laut Dub­lin-Ver­ord­nung für sie zustän­dig ist, haben sie kei­ne men­schen­wür­di­gen Überlebenschancen.

Selbsteintrittsrecht wird beschränkt: nur noch in Familienkonstellationen möglich

Außer­dem soll die Selbst­ein­tritts-Klau­sel auf die Anwen­dung auf fami­liä­re Kon­stel­la­tio­nen beschränkt wer­den (S. 49 des Ent­wurfs). Bis­lang stand die Aus­übung des Selbst­ein­tritts­rechts im Ermes­sen des jewei­li­gen Staa­tes. In Deutsch­land wur­de es vor allem auf beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge Grup­pen ange­wandt. Dies soll nicht mehr mög­lich sein.

Drittstaatenregelung hebelt Recht auf Familienzusammenführung aus

Vor­ge­se­hen ist außer­dem, dass vor jeder Zustän­dig­keits­prü­fung zunächst ein Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren durch­ge­führt wer­den soll, in dem fest­ge­stellt wer­den soll, ob ein Asyl­su­chen­der nicht in einen „siche­ren Dritt­staat“ oder „ers­ten Asyl­staat“ abge­scho­ben wer­den kann (S. 39f des Ent­wurfs). Das Recht auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung bei­spiels­wei­se soll auf die­sem Weg von der Dritt­staa­ten­re­ge­lung aus­ge­he­belt wer­den. Asyl­su­chen­de, die in Grie­chen­land ankom­men, sol­len also nicht mehr zu ihren Ange­hö­ri­gen wei­ter­rei­sen dürfen.

Abschiebungen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Wenn ein Min­der­jäh­ri­ger ohne Eltern oder Ver­wand­te in die EU ein­reist, hat er nach dem gel­ten­den Dub­lin-Sys­tem das Recht, in dem EU-Staat zu blei­ben, in dem er sich auf­hält. Er darf nicht abge­scho­ben wer­den. Künf­tig soll er in den EU-Staat abge­scho­ben wer­den, wo er erst­mals einen Antrag gestellt hat. Abschie­bun­gen von unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen ist mit dem Kin­des­wohl nicht vereinbar.

Dublin-Reform: Schutzlosstellen von Flüchtlingen

Die­se geplan­te Ver­schär­fung des Dub­lin-Sys­tems wür­de den Druck auf die Flücht­lin­ge und sie unter­stüt­zen­den Struk­tu­ren mas­siv ver­schär­fen. Die EU wür­de eine äußerst hohe Zahl an irre­gu­lä­ren Flücht­lin­gen pro­du­zie­ren, die in der EU ohne Schutz­sta­tus umher­ir­ren (Refu­gees in orbit). Der ver­wehr­te Schutz ver­hin­dert auch die Inte­gra­ti­on in den Auf­ent­halts­län­dern. Nur mit einem lega­len Rechts­sta­tus haben die Betrof­fe­nen die Mög­lich­keit, in den Län­dern Fuß zu fas­sen – sich eine Per­spek­ti­ve auf­zu­bau­en, zu arbei­ten und Teil der Gesell­schaft zu werden.