30.10.2014
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Die Bundesregierung blendet Menschenrechtsverletzungen in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina systematisch aus, um Flüchtlinge aus diesen Staaten leichter abschieben zu können. Unser Bild zeigt eine Protestpostkarte der Initiative <a href="http://www.alle-bleiben.info/">alle-bleiben"</a>

Der „Asylkompromiss“ zwischen der grünen Landesregierung Baden-Württembergs und der Bundesregierung wurde gestern im Kabinett als Gesetzentwurf beschlossen. Damit wird der Deal zwischen Ministerpräsident Kretschmann und der Bundesregierung, der Verbesserungen im Asylbereich auf dem Rücken von Flüchtlingen aus den Westbalkanstaaten erkauft, nun umgesetzt.

Trotz Pro­tes­ten von zahl­rei­chen Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie  auch aus den eige­nen Rei­hen hat­te Baden-Würt­tem­bergs grü­ner Minis­ter­prä­si­dent  Kret­sch­mann im Sep­tem­ber durch sei­ne Zustim­mung im Bun­des­rat ein Lieb­lings­pro­jekt der Kon­ser­va­ti­ven ermög­licht:  Die Ein­stu­fung der West­bal­kan­staa­ten als „siche­re Her­kunfts­län­der“, die das Grund­recht auf Asyl von Schutz­su­chen­den aus den betrof­fe­nen Staa­ten aushebelt. 

Asyl­su­chen­de aus Ser­bi­en, Maze­do­ni­en und Bos­ni­en und Her­ze­go­wi­na, bei denen es sich vor allem um Ange­hö­ri­ge der dort ras­sis­tisch schwer dis­kri­mi­nier­ten Roma-Min­der­heit han­delt, müs­sen nun mit einer noch schnel­le­ren Ableh­nung ihrer Asyl­an­trä­ge rech­nen. Heu­te wur­de der Kom­pro­miss im Kabi­nett unter dem Titel „Ent­wurf eines Geset­zes zur Ver­bes­se­rung der Rechts­stel­lung von asyl­su­chen­den und gedul­de­ten Aus­län­dernbeschlos­sen.

Um wel­chen Preis wur­de das Grund­recht der betrof­fe­nen Asyl­su­chen­den geopfert? 

Vor­ge­se­hen ist, dass die räum­li­che Beschrän­kung für Asyl­su­chen­de und Gedul­de­te – die so genann­te Resi­denz­pflicht – ab dem vier­ten Monat des Auf­ent­halts abge­schafft wird. Das klingt gut. Denn die Resi­denz­pflicht ver­bie­tet den Betrof­fe­nen das Rei­sen inner­halb Deutsch­land unter Straf­an­dro­hung – eine gra­vie­ren­de, euro­pa­weit ein­ma­li­ge Schi­ka­ne, gegen die Flücht­lings­in­itia­ti­ven seit Jah­ren ankämpfen. 

Resi­denz­pflicht – von der pau­scha­len Schi­ka­ne zur will­kür­li­chen Sanktion

Der Gesetz­ent­wurf der Bun­des­re­gie­rung setzt die­ses Anlie­gen jedoch nur man­gel­haft um. Denn für die Gedul­de­ten ist vor­ge­se­hen, dass die Resi­denz­pflicht aus­nahms­wei­se doch ange­wandt wer­den kann, wenn „auf­ent­halts­be­en­den­de Maß­nah­men …kon­kret bevorstehen“.

Mit die­ser angeb­li­chen Aus­nah­me könn­te die Resi­denz­pflicht für Gedu­del­te durch die Hin­ter­tür wie­der zum Regel­fall wer­den. Denn die Dul­dung besagt ja, dass der Betrof­fe­ne aus­rei­se­pflich­tig bleibt und sei­ne Abschie­bung theo­re­tisch jeder­zeit durch­ge­führt wer­den kann. Zumin­dest restrik­ti­ve Aus­län­der­be­hör­den dürf­ten daher von der Schi­ka­ne „Resi­denz­pflicht“ – bleibt es bei die­ser Rege­lung – wei­ter­hin regen Gebrauch machen.

Arbeits­markt­zu­gang erleich­tert – aber Arbeits­ver­bo­te gibt es weiterhin

Außer­dem ist vor­ge­se­hen, den Arbeits­markt­zu­gang zu erleich­tern. Das Arbeits­ver­bot soll auf drei Mona­te befris­tet wer­den. Nach 15 Mona­ten Auf­ent­halt in Deutsch­land soll auch die  Vor­rang­prü­fung ent­fal­len, wonach Deut­sche und Uni­ons­bür­ger zu erst mit offe­nen Stel­len zu ver­sor­gen sind.

Aber auch hier gibt es einen gra­vie­ren­den Haken: Denn es bleibt eine Rege­lung unan­ge­tas­tet, wonach Aus­län­der­be­hör­den gene­rell die Arbeits­auf­nah­me ver­bie­ten kön­nen, wenn den Betrof­fe­nen vor­ge­wor­fen wird, sie sei­en selbst Schuld, dass sie bis­her nicht abge­scho­ben wer­den kön­nen. Auch hier belässt man den restrik­ti­ven Behör­den gro­ße Spiel­räu­me. Wer die Betrof­fe­nen drang­sa­lie­ren will, der hat recht­lich alle Mit­tel dazu.

Für Jugend­li­che ist dies beson­ders bit­ter. Denn es gilt das Prin­zip der „Sip­pen­haft“: Wenn die Eltern einem Arbeits­ver­bot unter­lie­gen, so gilt für die Kin­der ein Aus­bil­dungs­ver­bot – eine abso­lut  unge­recht­fer­tig­te Sank­ti­on mit gra­vie­ren­den Fol­gen für die Ent­wick­lungs­chan­cen der Betroffenen.

Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz: Nur das Sach­leis­tungs­prin­zip soll entfallen

Als drit­tes Ele­ment der geplan­ten Reform soll das das Sach­leis­tungs­prin­zip im Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz auf­ge­ho­ben wer­den. Das ist ein Fort­schritt, aber ein sehr begrenz­ter, hat sich doch etwa selbst das asyl­po­li­tisch extrem restrik­ti­ve Bay­ern davon ver­ab­schie­det, Flücht­lin­ge mit Lebens­mit­tel­pa­ke­ten abzu­spei­sen. Ange­stan­den hät­te die end­gül­ti­ge Abschaf­fung des gesam­ten „Asyl­bLG“,  das immer noch ein zen­tra­les Instru­ment zur Dis­kri­mi­nie­rung und Aus­gren­zung von Flücht­lin­gen ist – mit beträcht­li­chen Fol­gen, auch im Bereich der medi­zi­ni­schen Versorgung.

Es ist längst an der Zeit, die Ver­sor­gung von hilfs­be­dürf­ti­gen Flücht­lin­gen so zu regeln wie die Ver­sor­gung ande­rer hilfs­be­dürf­ti­ger Men­schen auch. Erhiel­ten Flücht­lin­ge nor­ma­le Sozi­al­leis­tun­gen nach dem Sozi­al­ge­setz­buch, wür­de übri­gens die Kos­ten­zu­stän­dig­keit auf den Bund über­ge­hen. Das wür­de Län­der und die oft klam­men Kom­mu­nen ent­las­ten und damit bes­se­re Vor­aus­set­zung dafür schaf­fen, dass Flücht­lin­ge vor Ort nicht als „Last“ an den Rand gedrängt, son­dern Will­kom­men gehei­ßen werden.

Der Preis: Bruch mit den Grund­prin­zi­pi­en des Asylrechts

Ins­ge­samt gilt: Die Erleich­te­run­gen grei­fen viel zu kurz. Sie recht­fer­ti­gen nie­mals den von der grü­nen Lan­des­re­gie­rung Baden-Würt­tem­bergs ermög­lich­ten Bruch mit den Grund­prin­zi­pi­en des Asyl­rechts:  Der indi­vi­du­el­len Asyl­prü­fung als Kern­stück des Asyl­ver­fah­rens. Für die Flücht­lin­ge aus den als sicher eti­ket­tier­ten Staa­ten wird die Prü­fung ihrer Flucht­grün­de nun end­gül­tig durch die Kari­ka­tur eines Asyl­ver­fah­rens ersetzt.

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