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International vernetzt, lokal eingebunden: Flüchtlingsproteste gehen weiter
Während die kaum über Dresden hinausgekommene rassistische Pegida-Bewegung seit Wochen bundesweit volle Aufmerksamkeit von Medien und Politik erhält, ist es um die Proteste von Flüchtlingen eher still geworden. Dabei geht der Kampf für ein Bleiberecht, gegen rassistische Ausgrenzung und Abschottungspolitik weiter – lokal wie international. Ein Überblick.
Seit Wochen dominieren die Pegida-Proteste die öffentliche Aufmerksamkeit, Spitzenpolitiker von CDU und SPD zeigten sich angesichts der Demonstrationen in Dresden „dialogbereit“ und gehen auf die von rassistischen Ressentiments geprägte Bewegung zu. „Die Obsession für Pegida wirft ein übelerregendes Schlaglicht darauf, wer in der Bundesrepublik Verständnis und Aufmerksamkeit erwarten kann“, schreibt dazu Protestforscher Simon Teune in der Süddeutschen Zeitung und stellt leider zu Recht fest: „Kein Parteivorsitzender hat vor Fernsehkameras die Arme für die seit Jahren protestierenden Flüchtlinge ausgebreitet“.
Während es allenthalben heißt, man müsse die „diffusen Ängste“ der Pegida-Anhänger ernst nehmen, werden die Proteste von Flüchtlingen – von Menschen, die nicht von „diffusen Ängsten“, sondern von existenziellen Sorgen erfüllt sind – derzeit geflissentlich ignoriert. Dabei sind die selbstorganisierten Flüchtlingsproteste, die von Anfang 2012 an lange Zeit große Aufmerksamkeit erhielten und das gesellschaftliche Klima gegenüber Flüchtlingen ohne Frage positiv prägten, nicht zu Ende. An vielen Orten kämpfen Flüchtlinge weiterhin für ihre Rechte. Hier folgt ein Überblick – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Hannover: Bald ein Jahr Protestcamp auf dem Weißekreuzplatz
Erstes Beispiel: In Hannover protestieren Flüchtlinge mit einem Protestcamp am Weißekreuzplatz, und das schon seit Mai 2014. Mit einem Hungerstreik machten sie im November auf die Willkürherrschaft in ihrem Herkunftsland Sudan aufmerksam und fordern die Anerkennung ihrer Fluchtgründe, ein Bleiberecht und die Erlaubnis, zu arbeiten. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember waren zwei Zelte vollständig niedergebrannt, die Flüchtlinge vermuten Brandstiftung. Am 20. Dezember demonstrierten Hundert e Flüchtlinge und Unterstützende unter anderem für die Aufklärung des Vorfalls. Um mehr Resonanz zu erhalten werden die Flüchtlinge nun in Berlin aktiv, am 31. Januar informieren sie dort über ihre Situation, am 14. Februar ist eine Demonstration zur sudanesischen Botschaft geplant.
München: Flüchtlingscamp wegen Pegida-Ableger geräumt
Auch in München gibt es nach wie vor Proteste von Flüchtlingen. Mit verschiedenen Aktionen und einem Infozelt kämpfen Teilnehmende des ehemaligen Protestcamps am Rindermarkt und weitere Flüchtlinge für ihre Rechte. Im November waren rund 30 Aktivisten in einen nach vier Tagen auch trockenen Hungerstreik getreten. Auf dem Blog refugeestruggle.org informieren sie über ihre Forderungen: „Wir wollen unsere grundlegenden Menschenrechte haben, wir fordern nicht nur ein sicheres Leben, wir fordern auch, als Menschen behandelt zu werden, jene Rechte zu erhalten, wie freie Personen sie besitzen“. Ein Großaufgebot der Polizei hatte das Camp nach fünf Tagen geräumt und den Streik gewaltsam beendet.
Befremden erweckt eine Anweisung der Polizei am 26. Januar, das Infozelt vorübergehend wegen einer „Bagida“-Kundgebung zu räumen. Die Sicherheit der Geflüchteten könne nicht gewährt werden, so die Polizei, die in den vorausgegangenen Wochen die Versammlungsfreiheit von Bagida teils durch Hunderte Beamte zu schützen wusste. Erst am 22. Januar war das Zelt von einem Angreifer schwer beschädigt und die anwesenden Flüchtlinge rassistisch beleidigt worden.
Flüchtlingsproteste in Chemnitz zeitgleich mit rassistischem Aufmarsch
Auch in Chemnitz überrascht eine Polizeientscheidung: Seit dem Herbst gibt dort die Gruppe „Asylum Seekers‘ Movement“ mit Infoständen Flüchtlingen eine eigene Stimme gegen ihre Ausgrenzung. Die Polizei hatte einen von der Gruppe angemeldete Demonstration wegen Sicherheitsbedenken abgesagt und die Flüchtlinge zu einem anderen Termin und einer kürzeren Demonstrationsroute überredet. Später stellte sich heraus, dass zum nun genehmigten Termin der Demonstration der Flüchtlinge zeitgleich eine rassistische Kundgebung des Bündnisses „Chemnitz wehrt sich“ genehmigt worden war.
Erst Brüssel, jetzt Berlin: Internationales Netzwerk stellt EU-Asylpolitik in den Fokus
Ob in Hannover, Berlin oder Chemnitz – bei den Protesten der Flüchtlinge geht es stets um mehr als die schwierigen Lebensbedingungen der Betroffenen vor Ort. Vielen der Flüchtlinge drohen auf der Grundlage der Dublin-III-Verordnung Abschiebungen in andere EU-Staaten, in denen ihnen Obdachlosigkeit oder Haft droht. Die gescheiterte EU-Asylpolitik ist daher überall ein Thema. „Das Thema Lampedusa muss auf europäischer Ebene verhandelt werden“, sagt Claudio Feliciani aus der Berliner Gruppe des internationalen Netzwerks CISPM, das in Berlin Anfang Februar Aktionstage gegen die menschenverachtende und tödliche EU-Abschottungspolitik veranstaltet – anlässlich des Jahrestags eines brutalen Einsatzes der spanischen Guardia Civil vor Ceuta, bei dem mindestens 15 Menschen starben.
Die tödliche Abschottungspolitik der EU steht im engen Zusammenhang mit der Dublin-III-Verordnung: Da sie nach dem „Verursacherprinzip“ jenen EU-Staat für Flüchtlinge verantwortlich erklärt, der sie in die EU hineingelassen hat, motiviert die Regelung die EU-Randstaaten zur brutalen Flüchtlingsabwehr. Das Dublin-System erklärt sich für Feliciani nur, wenn man dabei die Interessen Deutschlands als treibende Kraft in der europäischen Migrationspolitik betrachtet. Dass das Internationale Netzwerk nach Brüssel – dort hatte die internationale Vernetzung der Gruppe nach dem Protestmarsch der Flüchtlinge nach Brüssel begonnen – nun in Berlin zum Protest aufruft, ist daher kein Zufall.
Berliner Zermürbungstaktik: Trifft hart, geht aber nicht auf
Den Berliner Senat dürften die geplanten Protestaktionen kaum erfreuen, sind diese doch ein weiterer Beweis, dass die gegenüber den für ihre Rechte eintretenden Flüchtlingen eingeschlagene Zermürbungstaktik nicht aufgeht – so hart sie die Betroffenen auch treffen mag.
Nach zweijährigem Protest, Besetzungen und Hungerstreiks war den Flüchtlingen im April in dem sognannten „Oranienplatz-Agreement“ eine Einzelfallprüfung, Unterbringung und Versorgung zugesichert worden. Doch die Behörden brachen das Versprechen, zwangen zahlreiche Betroffene in die Obdachlosigkeit und handelte bei den versprochenen Einzelfallprüfungen so restriktiv, dass nur drei von 540 Oranienplatzflüchtlingen, deren Fälle in Berlin geprüft wurden, nun bleiben dürfen.
Die Protestierenden vom ehemaligen Protestcamp am Oranienplatz bewahrt einzig die Solidarität einzelner Kirchengemeinden und privater Unterstützenden vor der Obdachlosigkeit. Auch der Bezirk Kreuzberg hielt nicht Wort und verfügte die Räumung der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule. Die Räumung wurde per einstweiliger Verfügung gestoppt. Ob die Bewohnerinnen und Bewohner dauerhaft bleiben dürfen, ist weiterhin unklar.
Aus dem Marsch der Flüchtlinge nach Berlin 2012 und dem Camp auf dem Oranienplatz ist trotz aller Repressionen und Enttäuschungen eine dynamische Protestbewegung hervorgegangen, die neuen Zulauf erhält. Geflüchtete aus Syrien, Tschetschenien, Afghanistan und anderen Ländern organisieren im Aktionsbündnis gegen Dublin III mit weiteren antirassistischen Initiativen Proteste gegen die repressive EU-Asylpolitik, zu deren Instrumenten Lagerhaft und Abschiebungen gehören. Die Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe African Youth Community protestieren gegen die Ausbeutung der afrikanischen durch europäische Staaten und machen auf die Situation in ihre Herkunftsländern aufmerksam.
Hamburg: Recht auf Stadt – Never mind the Papers!
So global ihre Perspektive ist – die Flüchtlingsproteste sind mittlerweile lokal verwurzelt: In Berlin wie in Hamburg engagieren sich Flüchtlinge innerhalb lokaler Netzwerke gegen Rassismus, für bezahlbaren Wohnraum, Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung. Unter dem Schirm der Kampagne „Recht auf Stadt“ demonstrierten in Hamburg am 31. Januar Tausende unter dem Motto „Never mind the Papers“ für einen besseren Zugang zu Krankenversorgung und Wohnungen sowie uneingeschränkte Arbeitserlaubnisse für alle. Die Flüchtlinge von Lampedusa in Hamburg kämpfen zudem weiter mit einem Informations- und Protestzelt am Hauptbahnhof und verschiedenen anderen Aktionen die Anerkennung ihrer italienischen Papiere und eine Arbeitserlaubnis in Deutschland. Bislang hat der Senat keine Lösung für sie geschaffen. Nur dank der Solidarität von Wohnprojekten, Stadteilzentren, kirchlichen Gruppen und Privatleuten haben zumindest einige von ihnen einen Schlafplatz.
Unterstützung dringend erforderlich
Dass die Forderungen der Protestbewegung aktuell wie eh und je sind, daran besteht angesichts der Verschärfungen im deutschen Asylrecht und dem Ausbau der europäischen Abschottungspolitik kein Zweifel. Kein Zweifel besteht auch daran, dass die Proteste weitergehen werden. Der „Rückzug ins Private“ ist für die Protestierenden, die statt eines Wohnzimmers in vielen Fällen oft nur einen Schlafplatz in einer Sammelunterkunft haben, gar keine Option.
Aber unklar bleibt, ob es die Flüchtlingsproteste schaffen, dass die regierenden Parteien die „Ängste und Sorgen“ der Protestierenden endlich ernst nehmen. Damit das gelingt, brauchen die Proteste der Betroffenen breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft. Die Antwort auf die rassistische Hetze der Pegida-Bewegung und die Tatsache, dass die Zahl rassistisch motivierter Angriffe stark steigt, muss aktive Solidarität mit Flüchtlingen und Migranten sein – und mit ihren lokalen wie internationalen Protesten.
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