17.10.2013
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Dass sich die Flüchtlinge der Gruppe "Lampedusa in Hamburg" verstecken würden, kann niemand behaupten. Das Bild zeigt eine Demonstration im August. Foto: flickr / Rasande Tyskar

Die Situation der Flüchtlinge, die vor dem libyschen Bürgerkrieg über Lampedusa nach Hamburg flohen, spitzt sich zu. Der Hamburger Senat versucht die Betroffenen durch rassistische Polizeikontrollen zu identifizieren, um sie nach Italien abschieben zu können. Das Vorgehen stößt auf breiten Protest. Der Senat verweigert sich einer konstruktiven Lösung.

Mit einem offe­nen Brief  haben sich die Betrof­fe­nen nun noch­mals an den Ham­bur­ger Senat gewandt und dar­in ihr Gesprächs­an­ge­bot erneu­ert. Wäh­rend der Senat den 80 in der Kir­che von Sankt Pau­li unter­ge­kom­me­nen Flücht­lin­gen vor­wirft, sie wür­den ihre Iden­ti­tä­ten nicht offen­le­gen, schrei­ben die Betrof­fe­nen: „Nicht wir ver­ste­cken unse­re Iden­ti­tät, son­dern die euro­päi­schen Regie­run­gen ver­ste­cken sich vor der Ver­ant­wor­tung, sich der Rea­li­tät zu stellen.“

Die Rea­li­tät, die den Flücht­lin­gen in Ita­li­en nach ihrer Abschie­bung dro­hen wür­de, ist gut doku­men­tiert. Ein Teil der Betrof­fe­nen hat in Ita­li­en einen Schutz­sta­tus erhal­ten, doch der hilft ihnen nicht wei­ter: In Ita­li­en leben Flücht­lin­ge nach wie vor in Elend und Obdach­lo­sig­keit. In über 270 Fäl­len haben Ver­wal­tungs­ge­rich­te die­ser Tat­sa­che Rech­nung getra­gen und soge­nann­te Dub­lin-Abschie­bun­gen nach Ita­li­en gestoppt. Auch der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te hat der Bun­des­re­gie­rung deut­lich gemacht, dass eine Dub­lin-Abschie­bung nach Ita­li­en eine unmensch­li­che Behand­lung dar­stel­len kann.

Doch dar­auf, dass sie an ein Gericht gera­ten, das die men­schen­un­wür­di­ge Situa­ti­on von Flücht­lin­gen in Ita­li­en berück­sich­tigt, wol­len die Flücht­lin­ge, die aus ver­schie­de­nen afri­ka­ni­schen Staa­ten stam­men und bis zum Aus­bruch des liby­schen Bür­ger­krie­ges in Liby­en leb­ten, nicht ver­trau­en und for­dern eine kol­lek­ti­ves Blei­be­recht. Recht­li­che Mög­lich­kei­ten dazu gibt es. Die Betrof­fe­nen und ihre Unter­stüt­ze­rin­nen und Unter­stüt­zer ver­wei­sen auf  Para­graph 23 des Auf­ent­halts­ge­set­zes. „Die obers­te Lan­des­be­hör­de kann aus völ­ker­recht­li­chen oder huma­ni­tä­ren Grün­den (…) anord­nen, dass Aus­län­dern aus bestimm­ten Staa­ten oder in sons­ti­ger Wei­se bestimm­ten Aus­län­der­grup­pen eine Auf­ent­halts­er­laub­nis erteilt wird“, heißt es dar­in. Dies ist nicht die ein­zi­ge recht­li­che Mög­lich­keit, mit der der Senat den Betrof­fe­nen einen lega­len Sta­tus zuspre­chen könn­te, doch der Senat lehnt eine sol­che Lösung bis­lang ab.

Was der Ham­bur­ger Innen­se­na­tor von den Betrof­fe­nen ver­langt, klingt zwar zunächst harm­los: Sie müss­ten end­lich ihren Namen nen­nen und ihre Flucht­grün­de dar­le­gen. Doch der Ver­laut­ba­rung des Senats, nach einer Regis­trie­rung kön­ne je nach Fall even­tu­ell eine Auf­ent­halts­per­spek­ti­ve gefun­den wer­den, miss­trau­en die Betrof­fe­nen aus guten Grün­den. Die Ham­bur­ger Flücht­lings­be­ra­tung Flucht­punkt weist dar­auf hin, dass vor weni­gen Tagen erst einem Betrof­fe­nen beim Besuch der Aus­län­der­be­hör­de sofort eine Aus­rei­se­ver­fü­gung mit einer Abschie­be­an­dro­hung über­ge­ben wor­den sei.

Da sich die Betrof­fe­nen daher bis­her einer indi­vi­du­el­len Regis­trie­rung ver­wei­gern, setz­te der Senat in den ver­gan­ge­nen Tagen dar­auf, ihrer durch Poli­zei­ein­sät­ze hab­haft zu wer­den, bei denen gezielt Men­schen auf­grund ihrer Haut­far­be kon­trol­liert wer­den. Was Innen­se­na­tor Neu­mann gegen­über dem NDR als „Schwer­punkt­ein­sät­ze“ bezeich­ne­te, ist eine nicht nur frag­wür­di­ge Pra­xis: Soge­nann­tes „racial pro­fil­ing“ ist ras­sis­tisch dis­kri­mi­nie­rend sowie rechts­wid­rig. Bis Diens­tag nahm die Poli­zei zwölf Betrof­fe­ne wegen des Ver­dachts des ille­ga­len Auf­ent­halts in Gewahr­sam, acht Flücht­lin­ge wur­den der Aus­län­der­be­hör­de vorgeführt.

Auch ange­sichts der bei­den gro­ßen Flücht­lings­ka­ta­stro­phen vor Lam­pe­du­sa mit ver­mut­lich über 500 Todes­op­fern, die der Euro­päi­schen Öffent­lich­keit das Ster­ben an den EU-Außen­gren­zen, die men­schen­un­wür­di­gen Lebens­be­din­gun­gen von Flücht­lin­gen in Ita­li­en und die Gefah­ren ins Bewusst­sein geru­fen haben, die die Über­le­ben­den auf sich genom­men haben, um nach Euro­pa zu flie­hen, ist es erschre­ckend, dass der Ham­bur­ger Senat die Situa­ti­on der­art eska­lie­ren lässt.

In Ham­burg set­zen sich zahl­rei­che Men­schen mit gro­ßem Enga­ge­ment für die Lam­pe­du­sa-Flücht­lin­ge ein. Erst ges­tern demons­trier­ten wie­der über 1100 Men­schen gegen die geplan­ten Abschie­bun­gen. Auf­grund vie­ler Nach­fra­gen von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern, die den Betrof­fe­nen hel­fen möch­ten, hat der NDR dazu Infor­ma­tio­nen zusam­men­ge­stellt. Obwohl Ham­burgs Innen­se­na­tor Neu­mann den Hel­fe­rin­nen und Hel­fern auf sei­ner Home­page droht, die Hil­fe­leis­tung sei als Bei­hil­fe zum ille­ga­len Auf­ent­halt straf­bar, ist die Soli­da­ri­tät unge­bro­chen. Ange­sichts des­sen fragt das Blog Publikative.org in einem Bericht über Lam­pe­du­sa in Ham­burg: „War­um sind Tau­sen­de Men­schen in die­ser Stadt bereit zu hel­fen, nicht aber der mit abso­lu­ter Mehr­heit bestell­te SPD-Senat?“

Wei­te­re Medi­en­be­rich­te und Links:

Lam­pe­du­sa in Hamburg

Spie­gel: Streit um Lampedusa-Gruppe

NDR: Lam­pe­du­sa-Flücht­lin­ge bean­tra­gen Bleiberecht

NDR: Ein­satz für Flüchtlinge

Taz: Flücht­lings­pro­tes­te in Deutschland

Taz: Poli­zei­kon­trol­len gegen Afrikaner

Taz: Ein­spruch gegen die Hetzjagd

 Inter­na­tio­nal ver­netzt, lokal ein­ge­bun­den: Flücht­lings­pro­tes­te gehen wei­ter (02.02.15)

 Refu­gees: Pro­tes­te gehen wei­ter (06.05.14)