27.08.2014
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Wieder sind hunderte Polizeibeamte im Einsatz, um die Flüchtlingsproteste in Berlin niederzuschlagen - obwohl allen klar sein dürfte, dass das nicht funktioniert. Unser Bild zeigt den Polizeieinsatz zur Räumung der Schule in der Ohlauer Straße im Juni, der 5 Millionen Euro gekostet haben soll. Foto: Christina Palitzsch

Den Flüchtlingen, die in Berlin die leerstehende Gerhard-Hauptmann-Schule und den Oranienplatz besetzt hatten, war eine faire Prüfung ihrer Anträge und eine Unterkunft versprochen worden, wenn sie den Platz und die Schule räumen. Viele vertrauten auf die Einigung. Jetzt werden sie vom Senat mittellos auf die Straße gesetzt.

Der Wort­bruch des Senats beim Umgang mit den Flücht­lin­gen vom Ora­ni­en­platz und der Ger­hard-Haupt­mann-Schu­le erreicht einen neu­en Höhe­punkt. Laut einem Schrei­ben des Lan­des­amts für Gesund­heit und Sozia­les (LAGe­So) an alle Bezirks­bür­ger­meis­te­rIn­nen, das dem Ber­li­ner Flücht­lings­rat vor­liegt, muss­ten alle Flücht­lin­ge, die unter das so genann­te  „Ora­ni­en­platz-Agree­ment“ fal­len und deren auf­ent­halts­recht­li­che Prü­fung angeb­lich abge­schlos­sen sei, ges­tern ihre vom Senat zuge­wie­se­nen Unter­künf­te räumen.

Zugleich sol­len die Sozi­al­leis­tun­gen des Lan­des an die Flücht­lin­ge ganz ein­ge­stellt wer­den. Noch ist unklar, wie vie­le Men­schen betrof­fen sind, von min­des­tens 100 ist die Rede. Ange­ord­net wur­de die­ses Vor­ge­hen von Sozi­al- und Gesund­heits­se­na­tor Mario Cza­ja. Die Flücht­lin­ge selbst wur­den zum Groß­teil erst am Mon­tag ledig­lich münd­lich dar­über infor­miert, dass sie am Fol­ge­tag mit­tel­los und obdach­los aus­ge­setzt werden.

„Die­ses für alle Betei­lig­ten uner­war­te­te Vor­ge­hen sei­tens des Senats ist will­kür­lich, intrans­pa­rent, men­schen­ver­ach­tend und auch rechts­wid­rig“, kom­men­tiert der Ber­li­ner Flücht­lings­rat. „Nach dem Poli­zei­recht (ASOG) darf nie­mand in die Obdach­lo­sig­keit aus­ge­setzt wer­den. Dies gebie­tet das für Deut­sche und Aus­län­der glei­cher­ma­ßen zu beach­ten­de, in der Ver­fas­sung ver­an­ker­te Men­schen­wür­de­prin­zip nach Art. 1 und Art. 20 des Grund­ge­set­zes“, so Georg Clas­sen, Spre­cher des Flücht­lings­ra­tes  Berlin.

Dem Flücht­lings­rat sind kei­ne recht­lich bestands­kräf­tig ent­schie­de­nen Ableh­nun­gen in den auf­ent­halts­recht­li­chen Ver­fah­ren der betrof­fe­nen Flücht­lin­ge bekannt. Dies steht im ekla­tan­ten Gegen­satz zu den im „Ora­ni­en­platz-Agree­ment“ zuge­sag­ten „umfas­sen­den Ein­zel­fall­prü­fun­gen im Rah­men aller recht­li­chen Mög­lich­kei­ten“. Sämt­li­che Anträ­ge an Ber­lin, die Zustän­dig­keit für vom Agree­ment betrof­fe­ne Asyl­su­chen­de aus ande­ren Bun­des­län­dern zu über­neh­men, wur­den eben­so aus­nahms­los abge­lehnt wie die Anträ­ge der „Lam­pe­du­sa-Flücht­lin­ge“ auf huma­ni­tä­re Aufenthaltstitel.

Nora Brez­ger vom Ber­li­ner Flücht­lings­rat betont: „Die zu ver­zeich­nen­de Ableh­nungs­quo­te von 100 Pro­zent ver­stößt gegen den Geist der mit Sena­to­rin Kolat aus­ge­han­del­ten Ora­ni­en­platz-Ver­ein­ba­rung, die eine wohl­wol­len­de Prü­fung von Umver­tei­lung und huma­ni­tä­rer Auf­ent­halts­er­tei­lung beinhal­te­te. Die Ver­ein­ba­rung mit dem Senat erweist sich nur wie vom Flücht­lings­rat von Anfang an befürch­tet als Mus­ter ohne Wert. Der Senat hat die Flücht­lin­ge mit einer offen­bar gänz­lich nutz­lo­sen Ver­ein­ba­rung betrogen.“

Das Vor­ge­hen des Senats ruft bei den Flücht­lin­gen Wut und Ver­zweif­lung her­vor. Vie­le betrof­fe­ne Flücht­lin­ge pro­tes­tie­ren erneut auf dem Ora­ni­en­platz. Flücht­lin­ge beset­zen zudem das Dach eines Hos­tels. Ber­lin setzt offen­bar wie­der auf die ver­fehl­te wie ver­geb­li­che Stra­te­gie, die Pro­tes­te poli­zei­lich nie­der­schla­gen zu lassen.

Der Flücht­lings­rat Ber­lin und PRO ASYL for­dern den Senat auf, die Zusa­gen gegen­über den Flücht­lin­gen end­lich in die Tat umzu­set­zen, die Anträ­ge auf Umver­tei­lung nach Ber­lin und auf huma­ni­tä­re Auf­ent­halts­er­laub­nis­se umfas­send und wohl­wol­lend zu prü­fen, und umge­hend auch die grund- und men­schen­recht­lich zwin­gend gebo­te­ne sozia­le Ver­sor­gung ein­schließ­lich Unter­brin­gung und der schon bis­her rechts­wid­rig kom­plett ver­wei­ger­ten Kran­ken­ver­sor­gung sicherzustellen.

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