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Warum die Einstufung weiterer „sicherer Herkunftsländer“ eine Scheinmaßnahme ist
Um den Zuzug von Asylsuchenden zu bremsen drängt die Bundesregierung darauf, jetzt auch noch Kosovo, Albanien und Montenegro als „sichere Herkunftsstaaten“ einzustufen. Doch die Zugangsstatistik für den August 2015 zeigt, dass die Regierung eine Phantomdebatte führt. Die Zahl der Ankommenden aus dem Balkan spielt fast keine Rolle mehr. Der Großteil der Schutzsuchenden kommt aus Kriegs- und Krisengebieten.
Im Koalitionsbeschluss vom 6. September drängen SPD und CDU/CSU neben anderen restriktiven Maßnahmen darauf, weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten einzustufen – diesmal Albanien, Kosovo und Montenegro. Dies ignoriert nicht nur die prekäre Menschenrechtslage in diesen Staaten, sondern suggeriert darüber hinaus, als dränge weiterhin eine hohe Zahl von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten nach Deutschland – und die geplante Einstufung von zu sicheren Herkunftsstaaten sei dagegen ein probates Mittel.
Tatsächlich zeigen bislang unveröffentlichte Statistiken, dass diese Maßnahme vor allem als Ablenkungsmanöver zu werten ist: Die Zahl der Asylsuchenden aus Albanien war im August mit 8,1 Prozent stark rückläufig (Juli: 20,9 Prozent), Asylsuchende aus Serbien (2,1 Prozent) und Mazedonien (1,3 Prozent) machen nur einen Bruchteil aller Flüchtlinge aus. Kosovo, Bosnien und Montenegro tauchen in den Top 10 der Herkunftsländer aller Asylsuchenden nicht einmal mehr auf.
Mehr als 70 Prozent aus Kriegs und Krisengebieten
Fakt ist: Mehr als 70 Prozent der im August nach Deutschland Eingereisten stammen aus Kriegs- und Krisengebieten. Flüchtlinge aus Syrien (44,5 Prozent), Afghanistan (11 Prozent) und dem Irak (8,9 Prozent) machen zwei Drittel aller Schutzsuchenden hierzulande aus. Es ist wahrscheinlich, dass die überwiegende Mehrheit dieser Menschen in Deutschland bleiben wird.
Die Beschlüsse der Großen Koalition vom 6. September sind angesichts dieser Zahlen überholt und auf falscher Grundlage entstanden. Das Vorhaben des Bundes, jetzt 150.000 Erstaufnahmeplätze zu schaffen, reicht bei weitem nicht aus. Desaströs ist vor allem der Beschluss, den aktuellen Engpass an Unterbringungsplätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen noch zu verschärfen: Künftig sollen Asylsuchende nicht mehr bis zu drei, sondern bis zu sechs Monaten in den Erstaufnahmelagern verbleiben. Asylsuchende aus „sicheren Herkunftsstaaten“ gar bis zu Entscheidung ihres Asylverfahrens – und da diese fast ausnahmslos abgelehnt werden, auf unbestimmte Zeit bis zu ihrer Abschiebung. Damit wird in Kauf genommen, dass sich die jetzt schon menschenunwürdigen Zustände in den Unterkünften weiter zuspitzen.
Aufnahme- und Integrationsprogramm statt Abwehrpolitik
Wenn aktuell mehr als 70 Prozent der Ankommenden aus Kriegs- und Krisengebieten stammen, muss sich der Bund darauf konzentrieren, die Mittel für ein Integrations- und Aufnahmekonzept bereitzustellen. Im Klartext: Ein schneller Auszug aus den Erstaufnahmeunterkünften, Sprachförderung und Hilfestellungen bei der Arbeits- und Ausbildungssuche.
Doch ein durchdachtes und durchfinanziertes Integrations- und Aufnahmeprogramm gibt es nicht. Die Debatte um sichere Herkunftsländer lenkt daher vor der wahren Herausforderung ab. Zudem sorgt sie dafür, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Hauptproblem sei der Zuzug von Flüchtlingen aus den Balkanstaaten, denen Bayerns Innenminister Seehofer bereits öffentlich „massenhaften Asylmissbrauch“ unterstellte. Die Maßnahme ist daher ein fatales Signal, das letztlich zur Stigmatisierung aller Flüchtlinge beiträgt.
Informationen zur Menschenrechtslage in Albanien und Montenegro
Informationen zur Menschenrechtslage im Kosovo
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