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Nach dem EU-Innenministertreffen: Flüchtlingsabwehr soll Schengen retten
Das Dublin-System ist kaputt, Schengen geht gerade kaputt. Und das EU-Innenministertreffen vom 14. September bringt keine Lösung. Eine Einigung über die Verteilung von Flüchtlingen ist nicht in Sicht, Konsens sind dagegen Maßnahmen zur Abschottung der EU- Außengrenzen. Die wichtigsten Entscheidungen im Überblick.
Deutschlands Wiedereinführung von Grenzkontrollen, die die Einreise von Flüchtlingen aus Ungarn und Österreich stoppen und andere EU-Mitgliedstaaten unter Druck setzen sollte, haben längst einen Domino-Effekt ausgelöst: Österreich kontrolliert an der Grenze zu Ungarn, die Slowakei und Tschechien an der österreichischen Grenze, Polen und die Niederlande wollen Kontrollen einrichten, Italien und Dänemark hatten schon in den vergangenen Tagen die durch das Schengener Abkommen garantierte Reisefreiheit in Europa durch Grenzkontrollen eingeschränkt.
Schengen – nach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker „ein einzigartiges Symbol der europäischen Integration“ – ist an vielen Grenzabschnitten innerhalb der EU faktisch außer Kraft. Die Krise der EU-Asylpolitik und die Krise der europäischen Integration gehen Hand in Hand.
Keine Einigung bei der Verteilung von Schutzsuchenden in der EU
Wie weit die EU von einer Lösung der beiden korrespondierenden Krisen entfernt ist, zeigte sich auch am Montag beim Treffen der EU-Innenminister. Die EU-Kommission versucht, das gescheiterte Dublin-System durch eine verbindliche Quotenregelung zur Umverteilung von Flüchtlingen zu ersetzen – nach und nach, zunächst in Form von zahlenmäßig beschränkten „Notfallmaßnahmen“.
Doch schon der Plan, vorerst 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland, Ungarn und Italien auf andere EU-Staaten zu verteilen, scheitert am Widerstand vieler Mitgliedstaaten, die nicht bereit sind, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bislang. Nur die für die Mitgliedstaaten freiwillige „Relocation“ von 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien, die bereits im Juli diskutiert wurde, wurde beschlossen.
Die finale Entscheidung über die Verteilung der restlichen 120.000 Schutzsuchenden wurde am Montag auf ein Folgetreffen am 8. Oktober 2015 in Luxemburg vertagt. Von dem von der EU-Kommission vorgesehenen permanenten und verpflichtenden Verteilungsmechanismus war auf dem Treffen nicht die Rede.
„Hot-Spots“-Verteilungs-Zentren an den Außengrenzen sollen dennoch kommen
Indes bekräftigten die Innenminister das Vorhaben, an den EU-Außengrenzen Griechenlands, Italiens und später weiterer EU-Staaten wie Ungarn so genannte Hot-Spots einzurichten. Dort sollen die Flüchtlinge festgehalten und registriert werden. Schutzsuchende mit guten Aussichten auf einen Schutzstatus sollen weiterverteilt werden, Flüchtlinge „ohne Bleibeperspektive“ sollen abgeschoben werden (Mehr zum Thema Hot-Spots und Quotenregelung).
Obwohl ein permanenter Verteilungsmechanismus nicht in Sicht ist, sollen die Betroffenen schon mal in den Hot-Spot-Zentren festgehalten werden – nach dem Motto: Hauptsache, die Flüchtlinge verbleiben in den Staaten an den Außengrenzen. In Griechenland und Italien sind die Hot-Spot-Zentren, die sich schnell zu Masseninternierungslagern entwickeln könnten, bereits in Vorbereitung.
Forcierte Abschiebungen und Stärkung von Frontex, insbesondere in Griechenland
Im Rahmen des Hot-Spot-Konzepts wie auch generell sollen Abschiebungen ausgeweitet werden, Frontex soll hierbei eine wichtigere Rolle übernehmen. Die europäische Grenzagentur soll gestärkt werden, die Frontex-Operationen Triton und Poseidon sollen ausgeweitet werden. An den Abschnitten der Außengrenzen, an denen viele Flüchtlinge nach Europa gelangen, soll Frontex mit so genannten Rapid Border Intervention Teams (RABIT) in Stellung gebracht werden, insbesondere in Griechenland.
Die Herausforderungen Griechenlands, wo ein Großteil der Flüchtlinge zunächst anlandet, seien europäische, heißt es in der Pressemeldung zum EU-Innenministertreffen. Griechenland soll daher bei seinen Bemühungen unterstützt werden, Aufnahmeplätze zu schaffen, das faktisch kaum existente Asylsystem zu stärken und die Außengrenze zu „managen“ – unter „voller Berücksichtigung von Menschenrechten und Sicherheitserfordernissen“, so der EU-Rat. Tatsächlich dürfte die Intention der EU-Mitgliedstaaten sein, die EU-Außengrenze Griechenlands wieder verstärkt gegen Schutzsuchende abzuschotten.
“Sichere Herkunftsstaaten” und Kooperation mit Drittstaaten
Bereits im Oktober wollen sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine Liste gemeinsamer „sicherer Herkunftsstaaten“ einigen. Unter anderem Kosovo ist für die Liste nominiert. Das Vorhaben, auch die Türkei, in der derzeit gewaltsame Konflikte eskalieren, zum „sicheren Herkunftsstaat“ zu erklären, wurde mittlerweile wieder fallengelassen. Die Türkei wird jedoch als zentraler Partner der EU beim „Management“ der Migrationsbewegungen angesehen, entsprechende Kooperationen im Bereich der Grenzsicherung und Schleuserbekämpfung sollen ausgeweitet werden.
Ebenso sollen die Kooperationen mit den westlichen Balkanstaaten ausgebaut werden, die bislang die zentralen Transitländer auf der Fluchtroute von Griechenland Richtung Ungarn sind. Die Staaten sollen von der EU dabei unterstützt werden, ihre Grenzen zu kontrollieren und funktionierende Asylsysteme einzurichten. Die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz soll, geht es nach der EU, so weit wie irgend möglich auf Drittstaaten abgewälzt werden.
Resettlement und Hilfe für Flüchtlinge in den Erstaufnahmestaaten
Nach Gesprächen mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM), hat sich der EU-Rat geeinigt, die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen („Resettlement“) weiterzuentwickeln. Konkrete Zahlen, wie viele Flüchtlinge die EU-Staaten im Rahmen des vom UNHCR organisierten Resettlement aufzunehmen bereit sind, wurden nicht genannt. Dies lässt befürchten, dass die bislang eher geringe Zahl an Resettlement-Plätzen in der EU nicht substantiell ausgebaut wird. Zuletzt hatten sich die EU-Staaten zur Aufnahme von rund 20.000 Flüchtlingen aus der Krisenregion im Nahen Osten bereit erklärt – gemessen an der Zahl der Mitgliedstaaten sowie an der Zahl der Flüchtlinge, die in den Erstaufnahmestaaten ausharren, ein mehr als bescheidenes Ergebnis.
Sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten haben zugesagt, ihre Hilfen für die Flüchtlinge aufzustocken, die in vom UNHCR betriebenen Flüchtlingslagern im Irak, in Jordanien, Libanon und der Türkei festsitzen. Angesichts der dramatischen Notlage von Schutzsuchenden in den Erstaufnahmestaaten ist die Erhöhung der Hilfen dringend geboten.
Die Hilfszusagen für die Erstaufnahmestaaten sind indes meist an die Erwartung verknüpft, damit verhindern zu können, dass Flüchtlinge aus diesen Staaten weiter nach Europa fliehen. Angesichts der Tatsache, dass die Betroffenen größtenteils mittlerweile seit Jahren in Flüchtlingscamps ausharren, die meisten von ihnen die Hoffnung auf eine baldiges Ende des Bürgerkrieg in Syrien aufgegeben haben und sie in den Erstaufnahmestaaten keine Perspektive haben, sich ein neues eigenständiges Leben aufzubauen, dürfte diese Erwartung enttäuscht werden. Ginge es tatsächlich um eine Entlastung der Nachbarländer Syriens und eine tatsächliche Schutzperspektive für die Betroffenen, wäre in erster Linie die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen gefragt.
Keine Lösung in Sicht
„Wir müssen die Grenzen innerhalb der EU offen halten, aber gleichzeitig brauchen wir mehr gemeinsame Bemühungen, unsere Außengrenzen abzusichern“, heißt es im Statement der EU-Kommission zum Abschluss des EU-Ratstreffens. Längst sollte auch auf EU-Ebene angekommen sein: Die Abriegelung der Außengrenze verhindert nicht, dass Flüchtlinge Schutz in Europa suchen, sondern führt zu einer Verlagerung der Fluchtrouten. In der Regel werden sie länger und gefährlicher. Es ist indes nicht zu erwarten, dass die forcierte Abschottungspolitik den Konflikt zwischen den EU-Staaten um die Verteilung von Asylsuchenden entschärft. Ebenso wenig ist eine strukturelle Lösung des Konflikts in Sicht: „Dublin wird in Kraft bleiben“, heißt es auf der Pressekonferenz des EU-Rates. Die Schlagbäume an den innereuropäischen Grenzen dürften daher erstmal unten bleiben.
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