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Abschottung der Außengrenzen als einziger Konsens: Thomas De Maizière und sein französischer Kollege Cazeneuve nach dem Treffen der EU-Innenminister. Foto: European Council

Das Dublin-System ist kaputt, Schengen geht gerade kaputt. Und das EU-Innenministertreffen vom 14. September bringt keine Lösung. Eine Einigung über die Verteilung von Flüchtlingen ist nicht in Sicht, Konsens sind dagegen Maßnahmen zur Abschottung der EU- Außengrenzen. Die wichtigsten Entscheidungen im Überblick.

Deutsch­lands Wie­der­ein­füh­rung von Grenz­kon­trol­len, die die Ein­rei­se von Flücht­lin­gen aus Ungarn und Öster­reich stop­pen und ande­re EU-Mit­glied­staa­ten unter Druck set­zen soll­te, haben längst einen Domi­no-Effekt aus­ge­löst: Öster­reich kon­trol­liert an der Gren­ze zu Ungarn, die Slo­wa­kei und Tsche­chi­en an der öster­rei­chi­schen Gren­ze, Polen und die Nie­der­lan­de wol­len Kon­trol­len ein­rich­ten, Ita­li­en und Däne­mark hat­ten schon in den ver­gan­ge­nen Tagen die durch das Schen­ge­ner Abkom­men garan­tier­te Rei­se­frei­heit in Euro­pa durch Grenz­kon­trol­len eingeschränkt.

Schen­gen – nach EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­dent Jean-Clau­de Jun­cker „ein ein­zig­ar­ti­ges Sym­bol der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on“ – ist an vie­len Grenz­ab­schnit­ten inner­halb der EU fak­tisch außer Kraft. Die Kri­se der EU-Asyl­po­li­tik und die Kri­se der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on gehen Hand in Hand.

Kei­ne Eini­gung bei der Ver­tei­lung von Schutz­su­chen­den in der EU

Wie weit die EU von einer Lösung der bei­den kor­re­spon­die­ren­den Kri­sen ent­fernt ist, zeig­te sich auch am Mon­tag beim Tref­fen der EU-Innen­mi­nis­ter. Die EU-Kom­mis­si­on ver­sucht, das geschei­ter­te Dub­lin-Sys­tem durch eine ver­bind­li­che Quo­ten­re­ge­lung zur Umver­tei­lung von Flücht­lin­gen zu erset­zen – nach und nach, zunächst in Form von zah­len­mä­ßig beschränk­ten „Not­fall­maß­nah­men“.

Doch schon der Plan, vor­erst 160.000 Flücht­lin­ge aus Grie­chen­land, Ungarn und Ita­li­en auf ande­re EU-Staa­ten zu ver­tei­len, schei­tert am Wider­stand vie­ler Mit­glied­staa­ten, die nicht bereit sind, mehr Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men als bis­lang. Nur die für die Mit­glied­staa­ten frei­wil­li­ge „Relo­ca­ti­on“ von 40.000 Flücht­lin­gen aus Grie­chen­land und Ita­li­en, die bereits im Juli dis­ku­tiert wur­de, wur­de beschlossen.

Die fina­le Ent­schei­dung über die Ver­tei­lung der rest­li­chen 120.000 Schutz­su­chen­den wur­de am Mon­tag auf ein Fol­ge­tref­fen am 8. Okto­ber 2015 in Luxem­burg ver­tagt. Von dem von der EU-Kom­mis­si­on vor­ge­se­he­nen per­ma­nen­ten und ver­pflich­ten­den Ver­tei­lungs­me­cha­nis­mus war auf dem Tref­fen nicht die Rede.

„Hot-Spots“-Verteilungs-Zentren an den Außen­gren­zen sol­len den­noch kommen

Indes bekräf­tig­ten die Innen­mi­nis­ter das Vor­ha­ben, an den EU-Außen­gren­zen Grie­chen­lands, Ita­li­ens und spä­ter wei­te­rer EU-Staa­ten wie Ungarn so genann­te Hot-Spots ein­zu­rich­ten. Dort sol­len die Flücht­lin­ge fest­ge­hal­ten und regis­triert wer­den. Schutz­su­chen­de mit guten Aus­sich­ten auf einen Schutz­sta­tus sol­len wei­ter­ver­teilt wer­den, Flücht­lin­ge „ohne Blei­be­per­spek­ti­ve“ sol­len abge­scho­ben wer­den (Mehr zum The­ma Hot-Spots und Quo­ten­re­ge­lung).

Obwohl ein per­ma­nen­ter Ver­tei­lungs­me­cha­nis­mus nicht in Sicht ist, sol­len die Betrof­fe­nen schon mal in den Hot-Spot-Zen­tren fest­ge­hal­ten wer­den – nach dem Mot­to: Haupt­sa­che, die Flücht­lin­ge ver­blei­ben in den Staa­ten an den Außen­gren­zen. In Grie­chen­land und Ita­li­en sind die Hot-Spot-Zen­tren, die sich schnell zu Mas­sen­in­ter­nie­rungs­la­gern ent­wi­ckeln könn­ten, bereits in Vorbereitung.

For­cier­te Abschie­bun­gen und Stär­kung von Fron­tex, ins­be­son­de­re in Griechenland

Im Rah­men des Hot-Spot-Kon­zepts wie auch gene­rell sol­len Abschie­bun­gen aus­ge­wei­tet wer­den,  Fron­tex soll hier­bei eine wich­ti­ge­re Rol­le über­neh­men. Die euro­päi­sche Grenz­agen­tur soll gestärkt wer­den, die Fron­tex-Ope­ra­tio­nen Tri­ton und  Posei­don sol­len aus­ge­wei­tet wer­den. An den Abschnit­ten der Außen­gren­zen, an denen vie­le Flücht­lin­ge nach Euro­pa gelan­gen, soll Fron­tex mit so genann­ten Rapid Bor­der Inter­ven­ti­on Teams (RABIT) in Stel­lung gebracht wer­den, ins­be­son­de­re in Griechenland.

Die Her­aus­for­de­run­gen Grie­chen­lands, wo ein Groß­teil der Flücht­lin­ge zunächst anlan­det, sei­en euro­päi­sche, heißt es in der Pres­se­mel­dung  zum EU-Innen­mi­nis­ter­tref­fen. Grie­chen­land soll daher bei sei­nen Bemü­hun­gen unter­stützt wer­den, Auf­nah­me­plät­ze zu schaf­fen, das fak­tisch kaum exis­ten­te Asyl­sys­tem zu stär­ken und die Außen­gren­ze zu „mana­gen“ – unter „vol­ler Berück­sich­ti­gung von Men­schen­rech­ten und Sicher­heits­er­for­der­nis­sen“, so der EU-Rat. Tat­säch­lich dürf­te die Inten­ti­on der EU-Mit­glied­staa­ten sein, die EU-Außen­gren­ze Grie­chen­lands wie­der ver­stärkt gegen Schutz­su­chen­de abzuschotten.

“Siche­re Her­kunfts­staa­ten” und Koope­ra­ti­on mit Drittstaaten

Bereits im Okto­ber wol­len sich die EU-Mit­glied­staa­ten auf eine Lis­te gemein­sa­mer „siche­rer Her­kunfts­staa­ten“ eini­gen. Unter ande­rem  Koso­vo ist für die Lis­te nomi­niert. Das Vor­ha­ben, auch die Tür­kei, in der der­zeit gewalt­sa­me Kon­flik­te eska­lie­ren, zum „siche­ren Her­kunfts­staat“ zu erklä­ren, wur­de mitt­ler­wei­le wie­der fal­len­ge­las­sen. Die Tür­kei wird jedoch als zen­tra­ler Part­ner der EU beim „Manage­ment“ der Migra­ti­ons­be­we­gun­gen ange­se­hen, ent­spre­chen­de Koope­ra­tio­nen im Bereich der Grenz­si­che­rung und Schleu­ser­be­kämp­fung  sol­len aus­ge­wei­tet werden.

Eben­so sol­len die Koope­ra­tio­nen mit den west­li­chen Bal­kan­staa­ten aus­ge­baut wer­den, die bis­lang die zen­tra­len Tran­sit­län­der auf der Flucht­rou­te von Grie­chen­land Rich­tung Ungarn sind. Die Staa­ten sol­len von der EU dabei unter­stützt wer­den, ihre Gren­zen zu kon­trol­lie­ren und funk­tio­nie­ren­de Asyl­sys­te­me ein­zu­rich­ten. Die Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz soll, geht es nach der EU, so weit wie irgend mög­lich auf Dritt­staa­ten abge­wälzt werden.

Resett­le­ment und Hil­fe für Flücht­lin­ge in den Erstaufnahmestaaten

Nach Gesprä­chen mit dem UN-Hoch­kom­mis­sa­ri­at für Flücht­lin­ge (UNHCR) und der Inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­ti­on für Migra­ti­on (IOM), hat sich der EU-Rat geei­nigt, die frei­wil­li­ge Auf­nah­me von Flücht­lin­gen („Resett­le­ment“) wei­ter­zu­ent­wi­ckeln.  Kon­kre­te Zah­len, wie vie­le Flücht­lin­ge die EU-Staa­ten im Rah­men des vom UNHCR orga­ni­sier­ten Resett­le­ment auf­zu­neh­men bereit sind, wur­den nicht genannt. Dies lässt befürch­ten, dass die bis­lang eher gerin­ge Zahl an Resett­le­ment-Plät­zen in der EU nicht sub­stan­ti­ell aus­ge­baut wird. Zuletzt hat­ten sich die EU-Staa­ten zur Auf­nah­me von rund 20.000 Flücht­lin­gen aus der Kri­sen­re­gi­on im Nahen Osten bereit erklärt – gemes­sen an der Zahl der Mit­glied­staa­ten sowie an der Zahl der Flücht­lin­ge, die in den Erst­auf­nah­me­staa­ten aus­har­ren, ein mehr als beschei­de­nes Ergebnis.

Sowohl die EU als auch die Mit­glied­staa­ten haben zuge­sagt, ihre Hil­fen für die Flücht­lin­ge auf­zu­sto­cken, die in vom UNHCR betrie­be­nen Flücht­lings­la­gern im Irak, in Jor­da­ni­en, Liba­non und der Tür­kei fest­sit­zen. Ange­sichts der dra­ma­ti­schen Not­la­ge von Schutz­su­chen­den in den Erst­auf­nah­me­staa­ten ist die Erhö­hung der Hil­fen drin­gend geboten.

Die Hilfs­zu­sa­gen für die Erst­auf­nah­me­staa­ten sind indes meist an die Erwar­tung ver­knüpft, damit ver­hin­dern zu kön­nen, dass Flücht­lin­ge aus die­sen Staa­ten wei­ter nach Euro­pa flie­hen. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Betrof­fe­nen größ­ten­teils mitt­ler­wei­le seit Jah­ren in Flücht­lings­camps aus­har­ren, die meis­ten von ihnen die Hoff­nung auf eine bal­di­ges Ende des Bür­ger­krieg in Syri­en auf­ge­ge­ben haben und sie in den Erst­auf­nah­me­staa­ten kei­ne Per­spek­ti­ve haben, sich ein neu­es eigen­stän­di­ges Leben auf­zu­bau­en, dürf­te die­se Erwar­tung ent­täuscht wer­den. Gin­ge es tat­säch­lich um eine Ent­las­tung der Nach­bar­län­der Syri­ens und eine tat­säch­li­che Schutz­per­spek­ti­ve für die Betrof­fe­nen, wäre in ers­ter Linie die Bereit­schaft zur Auf­nah­me von Flücht­lin­gen gefragt.

Kei­ne Lösung in Sicht

„Wir müs­sen die Gren­zen inner­halb der EU offen hal­ten, aber gleich­zei­tig brau­chen wir mehr gemein­sa­me Bemü­hun­gen, unse­re Außen­gren­zen abzu­si­chern“, heißt es im State­ment der EU-Kom­mis­si­on zum Abschluss des EU-Rats­tref­fens. Längst soll­te auch auf EU-Ebe­ne ange­kom­men sein: Die Abrie­ge­lung der Außen­gren­ze ver­hin­dert nicht, dass Flücht­lin­ge Schutz in Euro­pa suchen, son­dern führt zu einer Ver­la­ge­rung der Flucht­rou­ten.  In der Regel wer­den sie län­ger und gefähr­li­cher. Es ist indes nicht zu erwar­ten, dass die for­cier­te Abschot­tungs­po­li­tik den Kon­flikt zwi­schen den EU-Staa­ten um die Ver­tei­lung von Asyl­su­chen­den ent­schärft. Eben­so wenig ist eine struk­tu­rel­le Lösung des Kon­flikts in Sicht: „Dub­lin wird in Kraft blei­ben“, heißt es auf der Pres­se­kon­fe­renz des EU-Rates. Die Schlag­bäu­me an den inner­eu­ro­päi­schen Gren­zen dürf­ten daher erst­mal unten bleiben.

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