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Romafamilien protestieren am 5. März 2015 gegen die Zerstörung ihrer Häuser und ihre Zwangsräumungen im albanischen Selita. Viele Minderheitsangehörige leiden in Albanien unter massiver Diskriminierung und bitterer Not. Foto: Civil Rights Defenders

Die SPD will ein Einwanderungsgesetz. Die Union will die Liste sicherer Herkunftsstaaten ausweiten um Flüchtlingen leichter ablehnen zu können. Nun wird ein Deal auf Kosten von Schutzsuchenden vorgeschlagen. Auch der grüne Ministerpräsident Kretschmann zeigt sich offen.

Koso­vo und Alba­ni­en als siche­re Herkunftsstaaten?

Der stell­ver­tre­ten­de Par­tei­vor­sit­zen­de der SPD, Thors­ten Schä­fer-Güm­bel, hat der CDU/CSU ange­bo­ten, wei­te­re Län­der zu siche­ren Her­kunfts­staa­ten zu erklä­ren, soll­te die Uni­on einem Ein­wan­de­rungs­ge­setz zustim­men. Schä­fer-Güm­bel erklär­te, zwi­schen bei­den The­men gebe es „einen kla­ren Zusam­men­hang“. Auch der grü­ne Minis­ter­prä­si­dent von Baden-Würt­tem­berg, Win­fried Kret­sch­mann, zeig­te sich offen für mehr siche­re Her­kunfts­staa­ten, wenn dies sinn­haft sei und etwas brin­ge. Ange­dacht ist die Ein­stu­fung von Alba­ni­en und dem Koso­vo als siche­re Herkunftsstaaten.

Neue Kuh­han­del auf Kos­ten eines Grundrechts

Nur ein Jahr nach dem umstrit­te­nen „Asyl­kom­pro­miss“ zwi­schen Bun­des­re­gie­rung und den von SPD und Grü­nen regier­ten Län­dern soll also erneut die Eis­tu­fung von Her­kunfts­län­dern von Flücht­lin­gen als „sicher“ zum Gegen­stand eines Kuh­han­dels gemacht wer­den. Eine Aus­wei­tung der Lis­te angeb­lich siche­rer Staa­ten um den Koso­vo und Alba­ni­en wäre mit den Vor­ga­ben des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts und dem EU-Recht nicht ver­ein­bar, da nicht ein­mal eine Über­prü­fung der Men­schen­rechts­la­ge in die­sen Län­dern vor­ge­se­hen ist. Mit einem rechts­staat­li­chen Ver­fah­ren hat das Vor­ge­hen der Poli­ti­ker von SPD und Bünd­nis 90/Die Grü­nen nichts gemein. Schä­fer-Güm­bel und Kret­sch­mann machen das Grund­recht auf Asyl zur rei­nen poli­ti­schen Ver­hand­lungs­mas­se. Die Men­schen­rechts­la­ge in den Län­dern, etwa gegen­über Roma, spielt bei dem poli­ti­schen Kal­kül offen­bar gar kei­ne Rol­le. Von Glaub­wür­dig­keit in Grund­satz­fra­gen kann ange­sichts eines sol­chen Vor­ge­hens kei­ne Rede sein.

Ein­wan­de­rung ermög­li­chen, Asyl­recht bewahren

Der von Schä­fer-Güm­bel behaup­te­te Zusam­men­hang zwi­schen dem Ein­wan­de­rungs­ge­setz und einer Aus­wei­tung der Lis­te siche­rer Her­kunfts­staa­ten ist indes nicht gege­ben. Denn das indi­vi­du­el­le Recht auf ein fai­res Asyl­ver­fah­ren ist von den poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen zu Ein­wan­de­rungs­fra­gen getrennt zu betrach­ten. Das Asyl­recht ist gera­de kein Gegen­stand für poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen nach poli­ti­scher Groß­wet­ter­la­ge. Wenn man neue Ein­wan­de­rungs­mög­lich­kei­ten schaf­fen möch­te, muss dies getrennt vom Asyl­recht behan­delt und auf den Weg gebracht werden.

PRO ASYL hat­te bereits die Ein­stu­fung von Ser­bi­en, Maze­do­ni­en und Bos­ni­en-Her­ze­go­wi­na im Sep­tem­ber 2014 gerügt. Ein Gut­ach­ten von Dr. Rein­hard Marx und Dr. Karin Warin­go aus dem ver­gan­gen Jahr erläu­ter­te die ver­fas­sungs­recht­li­chen Vor­ga­ben und die men­schen­recht­li­che Situa­ti­on in den ein­zel­nen Län­dern. Die aktu­el­le ange­spann­te Situa­ti­on in Maze­do­ni­en zeigt, dass bei den dama­li­gen Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren die schon abseh­ba­re Insta­bi­li­tät des Lan­des voll­kom­men aus­ge­blen­det wur­de. Das Kon­zept der siche­ren Her­kunfts­staa­ten hat mit der Lebens­rea­li­tät nichts zu tun.

Hohe Schutz­quo­ten in ande­ren Staaten

Die Aner­ken­nungs­zah­len von Flücht­lin­gen vom West­bal­kan aus ande­ren euro­päi­schen Staa­ten zeigt, wie schief die Debat­te in Deutsch­land ist. In Finn­land lie­gen die Schutz­quo­ten für Asyl­su­chen­de aus dem Koso­vo bei 40 Pro­zent, bei Antrags­stel­lern aus Ser­bi­en in der Schweiz bei 37 Pro­zent. Bos­ni­sche Antrags­stel­ler erhal­ten in Frank­reich und Bel­gi­en zu 20 Pro­zent einen Schutz­sta­tus und alba­ni­sche Asyl­su­chen­de zu 18 Pro­zent in Groß­bri­tan­ni­en. Die Zah­len aus ande­ren euro­päi­schen Staa­ten zei­gen: Die nied­ri­gen Aner­ken­nungs­quo­ten in Deutsch­land für Asyl­su­chen­de vom West­bal­kan sind poli­tisch moti­viert. Die dra­ma­ti­sche Situa­ti­on für Min­der­hei­ten auf dem Bal­kan und die pre­kä­re sozia­le Lage sind Aus­druck einer geschei­ter­ten Bal­kan-Poli­tik, an der auch Deutsch­land eine Haupt­last der Ver­ant­wor­tung trägt. Die nun dis­ku­tier­ten Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen gehen in die fal­sche Richtung.

PRO ASYL-Gut­ach­ten zur Aus­wei­tung des Gesetz­ge­bungs­vor­ha­bens der Gro­ßen Koali­ti­on zur Ein­stu­fung von West­bal­kan­staa­ten als „siche­re Her­kunfts­staa­ten“ auf die Län­der Alba­ni­en und Mon­te­ne­gro“ (Juni 2014)

Sind Koso­vo und Alba­ni­en wirk­lich „siche­re Her­kunfts­län­der“? (27.04.15)

Flucht aus dem Koso­vo: Armut, Dis­kri­mi­nie­rung, Per­spek­tiv­lo­sig­keit (03.03.15)

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