News
Sind Kosovo und Albanien wirklich „sichere Herkunftsländer“?

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge drängt darauf, Kosovo und Albanien als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ einzustufen, um die Anträge von Schutzsuchende aus den beiden Staaten in Schnellverfahren bearbeiten und die Betroffenen schnell abschieben zu können. Der Vorstoß droht das Recht auf ein individuelles Asylverfahren weiter auszuhöhlen.
Der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, hat sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung für die Einstufung der Staaten Kosovo und Albanien als „sichere Herkunftsländer“ ausgesprochen. Aufgrund steigender Asylanträge aus dem Kosovo im Jahr 2014 pocht er mit seinem Vorstoß auf schnellere Asylverfahren und damit einhergehend schnellere Abschiebungen.
Bemerkenswert ist Schmidts Aussage, es gebe im Kosovo „keine systematische Verfolgung und damit keinen Grund für Asyl.“ Verfolgung ist jedoch nicht erst dann asylrechtlich relevant, wenn sie „systematisch“ geschieht – etwa muss auch nicht-staatliche Verfolgung bei der Prüfung eines Schutzgesuchs berücksichtigt werden. Tatsächlich werden Angehörige der Roma-Minderheit und anderer Minderheiten im Kosovo und anderen Balkanstaaten in vielen Fällen massiv diskriminiert und dabei aus fast allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen ausgeschlossen, sodass im Asylverfahren zu prüfen ist, ob eine asylrechtlich relevante „kumulative Verfolgung“ vorliegt. Durch eine Einstufung ihres Herkunftslandes als „sicher“ verlören die Betroffenen de facto die Chance auf ein solches individuelles, rechtsstaatlich überprüfbares Asylverfahren.
Generell gilt: Einstufungen als „sichere Herkunftsstaaten“ vorzunehmen, weil die Zugangszahlen aus einem Staat oder einer Region steigen, sind, wie ein Rechtsgutachten von PRO ASYL zeigt, mit verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Das Konzept der sicheren Herkunfststaaten droht nun einmal mehr darauf hinauszulaufen, dass nach politischem Gutdünken gefällte Pauschalurteile über ganze Staaten den Grundgedanken der asyl- und flüchtlingsrechtlich garantierten individuellen Einzelfallprüfung aushebeln.
Armut, Perspektivlosigkeit, politische Hoffnungslosigkeit
Bereits im März hat PRO ASYL auf die verheerende Situation im Kosovo hingewiesen: Ein Drittel der Bevölkerung lebt im Elend, ihr Leben ist von Mangelernährung, Obdachlosigkeit und mangelnder medizinischer Versorgung geprägt. Die Hoffnung auf eine Besserung der Lebenssituation haben die meisten der 1,8 Millionen Bürgerinnen und Bürger des Zwergstaats längst aufgegeben. Der Kosovo leidet an massiven Defiziten bezüglich fast aller Strukturen, die Staatlichkeit ausmachen. Die dortige Politik ist verflochten in ein undurchsichtiges Netz aus Korruption und organisierter Kriminalität.
Im Kosovo haben nach dem Kosovokrieg im Zuge der ethnischen Segregation härteste Verfolgungen von Roma, Ashkali und Ägypter stattgefunden. Der Minderheitenexodus als Folge systematischer Ausgrenzung und Diskriminierung ging der aktuellen Auswanderungswelle der Kosovoalbaner voraus.
Auch in Albanien, das BAMF-Chef Schmidt als „sicheres Herkunftsland“ ins Gespräch bringt, ist die Situation für viele Menschen fatal. Sowohl das Auswärtige Amt wie auch der Kommissar für Menschenrechte des Europarates stellen ein hohes Maß an „Korruption, Nepotismus und organisiertes Verbrechen und eine Kultur der Straflosigkeit und fehlenden Implementierung der vorhandenen Regelwerke“ fest. Diese schwerwiegenden Defizite würden das wirksame Funktionieren des Gerichtssystems ernsthaft beeinträchtigen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit aushöhlen. Das Auswärtige Amt berichtet ferner über erhebliche gesellschaftliche Diskriminierungen von Roma und „Ägyptern“. Diese würden nicht nur gesellschaftlich ausgegrenzt, sondern seien auch Opfer einer diskriminierenden Verwaltungspraxis. Weiterhin werde der Zugang zum Arbeitsmarkt, Schulsystem und zur Gesundheitsversorgung für Roma in diskriminierender Weise eingeschränkt.
Damit sind im Einzelfall Sachverhalte berührt, die nach EU-Recht im Asylverfahren zu einer Anerkennung führen können. In manchen Regionen Albaniens ist der Staat faktisch nicht präsent, was Kriminalität wie auch die wiederauflebende Blutrache begünstigt.
Asylrechtsverschärfung ist keine Lösung
Aus diesen ökonomischen wie politischen Gründen werden weiterhin zahlreiche Bürgerinnen und Bürger der beiden Staaten versuchen, nach Deutschland oder in andere EU-Staaten zu migrieren. Bislang existieren für die Betroffenen kaum anderen legale Möglichkeiten, als über das Asylsystem in die EU einzuwandern – obwohl viele derjenigen, die nach Deutschland kommen Chancen haben, sich hier eine neue eigenständige Existenz aufzubauen: Viele Kosovarinnen und Kosovaren haben Bezüge nach Deutschland und sind oft gut qualifiziert – manchmal sogar durch deutsche Schul- oder Ausbildungs- und Studienabschlüsse. Für die Betroffenen legale Einwanderungswege jenseits des Asylsystems zu schaffen, wäre eine Möglichkeit, die Realität anzuerkennen, das sich die Migration aus dem Kosovo und anderen Balkanstaaten kaum durch restriktive Maßnahmen verhindern lässt.
SPD und Grüne auf Abwegen: Wird das Asyl-Grundrecht erneut Teil eines Deals? (28.07.15)
Stimmungsmache und Stigmatisierung: Bayern will Abschiebelager einrichten (22.07.15)
Im „sicheren Herkunftsland“ Mazedonien droht ein Bürgerkrieg (22.05.15)
Ziviler Ungehorsam gegen die „Abschiebepraxis auf Basis der Heimlichkeit“ (07.05.15)
Flucht aus dem Kosovo: Armut, Diskriminierung, Perspektivlosigkeit (03.03.15)
„Ich war ein Kind. Ein Kind, verdammt!“ (25.11.14)