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Mahnwache der »Seebrücke« in Hamburg am 18. April 2020 für zivile Seenotrettung und die Aufnahme Geflüchteter aus den Lagern an den EU-Außengrenzen. Foto: Rasande Tyskar auf flickr/CC BY-NC 2.0

Seit zwei Jahren gibt es in Deutschland eine breite Debatte um die Aufnahme von Schutzsuchenden. Kommunen und Bundesländer erklären ihre Aufnahmebereitschaft. Dieser wird das zuständige Bundesinnenministerium jedoch nur scheinbar gerecht. Ein Überblick über die Bewegung für die Aufnahme Schutzsuchender sowie die aktuellen Aufnahmeprogramme.

In Deutsch­land gibt es zahl­rei­che Initia­ti­ven in Bun­des­län­dern und Kom­mu­nen zur Auf­nah­me schutz­su­chen­der Men­schen. Die signa­li­sier­te Auf­nah­me­be­reit­schaft ist bit­ter nötig, sieht man sich die ambi­ti­ons­lo­sen Auf­nah­me­pro­gram­me des Bun­des und deren schlep­pen­de Umset­zung an.

Spä­tes­tens seit den Schlie­ßun­gen der ita­lie­ni­schen Häfen im Som­mer 2018 durch den dama­li­gen Innen­mi­nis­ter, Matteo Sal­vi­ni, und die Bil­der blo­ckier­ter See­not­ret­tungs­schif­fe vor den Küs­ten Ita­li­ens und Mal­tas woll­ten eini­ge kom­mu­na­le und lan­des­po­li­ti­sche Akteur*innen in Deutsch­land nicht län­ger taten­los zusehen.

Mehr als 150 Kom­mu­nen haben sich seit­dem zum »Siche­ren Hafen« erklärt und damit ihre Bereit­schaft, Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men, signa­li­siert. In den Bun­des­län­dern sind Bemü­hun­gen, eige­ne Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me zu schaf­fen um Men­schen über die bestehen­den Ver­pflich­tun­gen hin­aus auf­zu­neh­men, unter­schied­lich weit fortgeschritten.

Auch die Absichts­er­klä­run­gen der »Siche­ren Häfen« sowie der ein­zel­nen Län­der sind zum Teil sehr unter­schied­lich. Nach­dem 2018 und 2019 der Fokus auf dem zen­tra­len Mit­tel­meer und von zivi­len See­not­ret­tungs­schif­fen aus See­not Geret­te­ten lag, hat sich dies ange­sichts der kata­stro­pha­len Situa­ti­on in den Lagern auf den grie­chi­schen Inseln in den letz­ten Mona­ten auf die Auf­nah­me von Asyl­su­chen­den aus Grie­chen­land ver­scho­ben. Zudem wird auch die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen gefor­dert, die sich außer­halb Euro­pas befinden.

Bootsflüchtlinge: Mangelhafte Umsetzung zugesagter Aufnahmen

Kurz nach Amts­an­tritt, im Juni 2018, schließt der rechts­ra­di­ka­le Innen­mi­nis­ter Ita­li­ens, Matteo Sal­vi­ni, die Häfen des Lan­des für Schif­fe, die Men­schen aus See­not geret­tet haben. Die mal­te­si­sche Regie­rung tut es ihm wenig spä­ter gleich.

In der Fol­ge kommt es wie­der­holt zu wochen­lan­gen Hän­ge­par­tien, in denen geret­te­te Boots­flücht­lin­ge zur Ver­hand­lungs­mas­se degra­diert wer­den. Wäh­rend EU-Staa­ten über ihre Auf­nah­me strei­ten, müs­sen die Men­schen auf den Schif­fen aus­har­ren; immer wie­der kommt es ledig­lich zu Eva­ku­ie­run­gen medi­zi­ni­scher Notfälle.

In Euro­pa und allen vor­an in Deutsch­land kommt es dar­auf­hin zu Pro­tes­ten gegen die­se men­schen­ver­ach­ten­de Poli­tik. Die Bewe­gung »See­brü­cke« wird ins Leben geru­fen und orga­ni­siert meh­re­re Groß­de­mons­tra­tio­nen. Die ers­ten Städ­te und Kom­mu­nen erklä­ren sich zu »Siche­ren Häfen« für Schutzsuchende.

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Horst See­ho­fer blockt aller­dings jeg­li­che kom­mu­na­le Initia­ti­ve ab. Sein Ziel sei eine »euro­päi­sche Lösung«. Eine klei­ne Vari­an­te einer sol­chen kommt erst am 23. Sep­tem­ber 2019 auf Mal­ta zustan­de. Dort eini­gen sich vier EU-Staa­ten auf eine klein­tei­li­ge Rege­lung zur Auf­nah­me von im zen­tra­len Mit­tel­meer durch zivi­le See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen geret­te­ter Menschen.

Doch nicht nur die poli­ti­schen Lösungs­an­sät­ze sind eng geführt, auch die Umset­zung der Auf­nah­me­zu­sa­gen geschieht äußerst lang­sam. Schutz­su­chen­de müs­sen meh­re­re Mona­te nach ihrer Aus­schif­fung in Mal­ta oder Ita­li­en auf ihre Ver­tei­lung in ande­re euro­päi­sche Staa­ten warten.

Durch den mitt­ler­wei­le abge­lau­fe­nen Mal­ta-Mecha­nis­mus soll­ten aus See­not Geret­te­te inner­halb von vier Wochen nach ihrer Aus­schif­fung über­stellt wer­den. Bis heu­te wur­de jedoch kein ein­zi­ger der Schutz­su­chen­den, die nach Sep­tem­ber 2019 im Mit­tel­meer geret­tet wur­den, nach Deutsch­land überstellt.

Ins­ge­samt hat Deutsch­land seit Juni 2018 die Über­nah­me von über 1.000 Schutz­su­chen­den aus Ita­li­en und Mal­ta zuge­sagt. Bis­her wur­den davon ledig­lich 502 Schutz­su­chen­de überstellt.

Ambitionsloses Aufnahmeprogramm aus griechischen Elendslagern

Im Herbst 2019 spitzt sich die Lage in den chro­nisch über­füll­ten EU-Hot­spots auf den grie­chi­schen Inseln erneut zu. Über Mona­te hin­weg gibt es brei­te For­de­run­gen aus der Zivil­ge­sell­schaft und von kom­mu­na­len und lan­des­po­li­ti­schen Akteu­ren, Schutz­su­chen­de aus Grie­chen­land aufzunehmen.

Anfang März 2020 kommt es an der Land­gren­ze zwi­schen Grie­chen­land und der Tür­kei es zu mas­si­ver Gewalt gegen Schutz­su­chen­de, min­des­tens eine Per­son stirbt. Kur­zer­hand setzt die grie­chi­sche Regie­rung das Asyl­recht für einen Monat aus. Grie­chen­land sei der »euro­päi­sche Schild«, lobt EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin Ursu­la von der Ley­en das rechts­wid­ri­ge Vorgehen.

Die Lager auf den Ägä­is-Inseln sind zu die­ser Zeit mit 41.000 Schutz­su­chen­den hoff­nungs­los über­füllt. Mit­te März folgt Horst See­ho­fers lan­ge beschwo­re­ne euro­päi­sche Lösung: ledig­lich 1.600 Min­der­jäh­ri­ge mit beson­de­rem Schutz­be­darf sol­len von einer Koali­ti­on auf­nah­me­be­rei­ter Staa­ten auf­ge­nom­men wer­den. Deutsch­land hat zuge­sagt, 350 von ihnen aufzunehmen.

Bis Mit­te Juni wur­den ledig­lich 47 unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge nach Deutsch­land über­stellt. See­ho­fers Aus­sa­gen fol­gend sol­len wei­te­re 243 Min­der­jäh­ri­ge zusam­men mit ihren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen auf­ge­nom­men wer­den. Ins­ge­samt wür­de sich die Zahl der nach Deutsch­land Umver­teil­ten dann auf bis zu 900 Per­so­nen belau­fen. Die Behaup­tung, es gebe mehr Auf­nah­me­an­ge­bo­te als zu ver­tei­len­de Per­so­nen, ist ange­sichts der Ver­hält­nis­se in den grie­chi­schen Lagern mehr als zynisch.

18 von den 47 bis­her Auf­ge­nom­me­nen hat­ten Ver­wandt­schaft in Deutsch­land, wor­aus sich ein Rechts­an­spruch auf Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung ergibt. Doch da deut­sche Behör­den sys­te­ma­tisch das Recht auf Ein­heit der Fami­lie ver­hin­dern, müs­sen tau­sen­de Schutz­su­chen­de mit Ange­hö­ri­gen in Deutsch­land in Grie­chen­land bleiben.

Genau­er: In den Jah­ren 2018 und 2019 lehn­te das BAMF knapp 3.000 von 3.800 Über­nah­me­ersu­chen aus Grie­chen­land – zum Groß­teil auf­grund fami­liä­rer Bin­dun­gen – ab. Vie­le der Antragsteller*innen befin­den sich in den EU-Hot­spots auf den Inseln. Ihre Über­nah­me wäre bereits vor der Not­si­tua­ti­on eine Pflicht gewe­sen und hät­te mensch­li­ches Leid gemindert.

Für Schutz­su­chen­de, die in Grie­chen­land kei­ne Per­spek­ti­ve haben, gibt es kaum Mög­lich­kei­ten der lega­len Wei­ter­rei­se in ande­re EU-Län­der. Sie müs­sen sich in die Hän­de von Schlep­pern bege­ben, um auf der gefähr­li­chen Bal­kan-Rou­te ihren Weg fort­zu­set­zen. Bru­ta­le Gewalt­ex­zes­se und völ­ker­rechts­wid­ri­ge Push­backs an der unga­risch-ser­bi­schen und kroa­tisch-bos­ni­schen EU-Außen­gren­ze sind gut dokumentiert.

SEEHOFER speist Aufnahmebereitschaft von KOMMUNEN UND LÄNDERN ab

See­ho­fer stellt sich der­weil gegen eine Auf­nah­me durch die Bun­des­län­der. Mit dem Ver­weis auf den Vor­rang euro­pa­recht­li­cher Rege­lun­gen, etwa der Dub­lin-III-Ver­ord­nung, räumt er For­de­run­gen nach Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­men für Schutz­su­chen­de, die sich bereits in Euro­pa befin­den, ab.

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um, das sich tau­send­fach, wei­gert die Dub­lin-III-Ver­ord­nung men­schen­rechts­kon­form anzu­wen­den, führt die­se Rege­lung an, um huma­ni­tä­re Auf­nah­me­pro­gram­me der Bun­des­län­der aus­zu­brem­sen. Dar­über hin­aus igno­riert See­ho­fer die gro­ße Hilfs- und Auf­nah­me­be­reit­schaft von Kom­mu­nen und eini­gen Ländern.

In Thü­rin­gen hat das Kabi­nett am 29. Mai 2020 ein Lan­des­auf­nah­me­pro­gramm für 500 Schutz­su­chen­de aus Grie­chen­land beschlos­sen. Im nächs­ten Schritt muss die Min­der­heits­re­gie­rung die Zustim­mung des Land­tags erhal­ten. In Ber­lin hat sich der Senat am 16.Juni 2020 auf ein Lan­des­auf­nah­me­pro­gramm von 300 Schutz­su­chen­den aus Grie­chen­land geei­nigt. Zur Umset­zung muss nun der Bun­des­in­nen­mi­nis­ter sein Ein­ver­neh­men geben. Meint es der Ber­li­ner Senat mit sei­ner Initia­ti­ve ernst, darf er sich nicht von der Auf­nah­me des Bun­des abspei­sen lassen.

In Hes­sen und Rhein­land-Pfalz gibt es dar­über hin­aus Initia­ti­ven, unter ande­rem der jewei­li­gen Lan­des­flücht­lings­rä­te, zur Auf­nah­me von Schutz­su­chen­den, die sich inner­halb Euro­pas, sowie von Schutz­su­chen­den, die sich noch außer­halb Euro­pas befinden.

So kön­nen aus See­not Geret­te­te oder Schutz­su­chen­de aus Grie­chen­land zusätz­lich zu exis­tie­ren­den Auf­nah­me­ver­pflich­tun­gen nach dem König­stei­ner Schlüs­sel auf­ge­nom­men wer­den. Zudem las­sen sich wei­te­re drin­gend not­wen­di­ge Plät­ze für die Auf­nah­me von Schutz­su­chen­den außer­halb Euro­pas schaffen.

Großer Bedarf für Resettlement von Schutzsuchenden außerhalb der EU

Durch die restrik­ti­ve EU-Flücht­lings­po­li­tik sind für Schutz­su­chen­de über­all an den euro­päi­schen Außen­gren­zen und weit davon ent­fernt Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen Teil ihrer all­täg­li­chen Rea­li­tät. Ohne lega­le Ein­rei­se­mög­lich­kei­ten wer­den Men­schen auf der Suche nach Schutz gro­ßen Gefah­ren ausgesetzt.

Nach aktu­el­len Zah­len des UNHCR ist die Anzahl von Men­schen auf der Flucht auf fast 80 Mil­lio­nen Men­schen welt­weit gestie­gen. Davon benö­ti­gen über 1,4 Mil­lio­nen Men­schen einen Resett­le­ment-Platz, also eine Auf­nah­me durch einen Staat, der ihnen lang­fris­tig Schutz bie­ten kann.

Wäh­rend der Bedarf an Resett­le­ment-Plät­zen steigt, gehen die ange­bo­te­nen Auf­nah­me­plät­ze stark zurück. Welt­weit haben sich die Auf­nah­men 2019 im Ver­gleich zu 2016 halbiert.

Dies ist vor allem auf die Poli­tik der Trump-Admi­nis­tra­ti­on in den USA zurück­zu­füh­ren. Wur­den 2016 unter Barack Oba­ma noch über 78.761 Schutz­su­chen­de per Resett­le­ment durch die USA auf­ge­nom­men, ist die­se Zahl in 2019 auf 21.159 Men­schen gesunken.

Deutsch­land und die EU sind gefor­dert, die­ser dra­ma­ti­schen Ent­wick­lung etwas ent­ge­gen zu set­zen. Für 2020 haben die EU-Staa­ten jedoch ledig­lich 30.000 Resett­le­ment-Plät­ze zuge­sagt. Auch deren Umset­zung ist auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie fraglich.

Resettlement darf nicht zum Feigenblatt europäischer Abschottungspolitik werden

Deutsch­land hat zuge­sagt in die­sem Rah­men 5.500 Schutz­su­chen­de aus Ägyp­ten, Jor­da­ni­en, Kenia, Liba­non, Niger und der Tür­kei auf­zu­neh­men. Gera­de die Auf­nah­men aus der Tür­kei im Rah­men des EU-Tür­kei-Deals zei­gen deut­lich, was huma­ni­tä­re Auf­nah­me­pro­gram­me nicht sein dür­fen: Legi­ti­ma­ti­on für Grenz­schlie­ßun­gen und für die Ver­wei­ge­rung des Zugangs zum indi­vi­du­el­len Recht auf Asyl in Europa.

Im Bür­ger­kriegs­land Liby­en sind 48.627 Schutz­su­chen­de durch den UNHCR regis­triert, die Dun­kel­zif­fer liegt weit höher. Vie­le von ihnen sit­zen in Lagern fest, in denen Fol­ter und will­kür­li­che Erschie­ßun­gen an der Tages­ord­nung sind.

»Die unsäg­li­che Koope­ra­ti­on der EU und ihrer Mit­glieds­staa­ten mit liby­schen Mili­zen und die frei­wil­li­ge Auf­nah­me eini­ger Weni­ger sind zwei Sei­ten der­sel­ben Medaille.«

Seit Ein­rich­tung des Not­fall­eva­ku­ie­rungs­me­cha­nis­mus des UNHCR Ende 2017 wur­den 3.208 Men­schen aus Liby­en nach Niger eva­ku­iert, 2.454 von ihnen wur­den von dort aus in einen Resett­le­ment-Auf­nah­me­staat umge­sie­delt. Deutsch­land nahm bis­her 288 Schutz­su­chen­de über die­sen Weg auf.

Die Auf­nah­men im Rah­men die­ses Eva­ku­ie­rungs­me­cha­nis­mus sind nicht mehr als ein huma­ni­tä­res Fei­gen­blatt. Die unsäg­li­che Koope­ra­ti­on der EU und ihrer Mit­glieds­staa­ten mit liby­schen Mili­zen und die frei­wil­li­ge Auf­nah­me eini­ger Weni­ger sind zwei Sei­ten der­sel­ben Medail­le. Allei­ne zwi­schen Anfang Janu­ar und Ende Mai 2020 wur­den 3.852 Schutz­su­chen­de von der soge­nann­ten »liby­schen Küs­ten­wa­che« abge­fan­gen und zurück geschleppt in die Haft- und Fol­ter­la­ger. Die »liby­sche Küs­ten­wa­che« wird durch die EU aus­ge­rüs­tet und trainiert.

Nur legale Einreisewege beenden das Sterben von Menschen auf der Flucht

Nach offi­zi­el­len Zah­len sind 2019 im Mit­tel­meer 1.885 Men­schen gestor­ben, noch mehr Men­schen ver­lie­ren ihr Leben auf dem Flucht­weg durch die Saha­ra. Um das Ster­ben zu been­den, müs­sen lega­le Ein­rei­se­mög­lich­kei­ten geschaf­fen wer­den. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um soll­te die Auf­nah­me­be­reit­schaft der Kom­mu­nen und Län­der ernst neh­men und mehr Resett­le­ment-Plät­ze bereitstellen.

Resett­le­ment stellt nur eine Mög­lich­keit der lega­len Ein­rei­se nach Euro­pa dar. Die Auf­nah­men müs­sen sich am durch den UNHCR ermit­tel­ten Bedarf ori­en­tie­ren, sie dür­fen nicht mit zum Gna­den­akt einer auf Abschot­tung aus­ge­leg­ten Flücht­lings­po­li­tik verkommen.

(Domi­nik Meyer)


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