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Flüchtlinge in Malakasa: »Wir sind auf uns allein gestellt«

Das Flüchtlingslager Malakasa nahe Athen ist voll. Etwa 60% der 1.611 Schutzsuchenden hier sind nicht registriert. Viele leben in Zelten. 14 Tage war das Lager unter Quarantäne. PRO ASYL / Refugee Support Aegean hat die Situation von unregistrierten Flüchtlingen in Malakasa dokumentiert und legt systematische Versäumnisse offen.
Das Flüchtlingslager Malakasa hat offiziell 1.589 Plätze. Neben einem Militärcamp 40 km außerhalb Athens gelegen, ist es eine Anlaufstelle für obdachlose Flüchtlinge geworden, die über die türkisch-griechische Grenze in der Evros-Region eingereist sind.
Viele Schutzsuchenden kommen selbständig in das Lager und leben hier oft unregistriert unter prekären Bedingungen. Im Februar 2020 sind 958 der 1.611 Schutzsuchenden nicht im Lager registriert.
Nach der rechtswidrigen Aussetzung der Asylantragsstellung durch die griechische Regierung im März 2020 wurde ein separates Abschiebelager neben dem gleichnamigen Flüchtlingslager Malakasa eröffnet. Inmitten dieser Situation wurde am 5. April 2020 der erste Fall von Covid-19 in Malakasa festgestellt und das Lager unter Quarantäne gestellt.
Update, 23.04.2020: Nach weiteren positiven Tests auf Covid-19 wurde die Quarantäne verlängert.
PRO ASYL / Refugee Support Aegean (RSA) hat in den vergangenen Monaten 27 Asylsuchende und ihre Familien, insgesamt 106 Personen, in Malakasa begleitet.
PRO ASYL / Refugee Support Aegean (RSA) hat in den vergangenen Monaten 27 Asylsuchende und ihre Familien, insgesamt 106 Personen, begleitet, die größtenteils ohne offizielle Zuweisung im Flüchtlingslager Unterbringung suchten. Die überwiegende Mehrheit der Befragten (24) erreichte Griechenland über die Region Evros. Unter ihnen sind viele Personen mit besonderem Schutzbedarf wie kleine Kinder, schwangere Frauen, Personen mit mentaler oder physischen Beeinträchtigungen, Kranke und Opfer von Gewaltverbrechen.
Der Report »In this place, we have to help ourselves! – Malakasa Camp« macht deutlich, dass bereits vor der phasenweisen Aussetzung des Asylrechts massive Probleme beim Zugang zur Registrierung zum Asylverfahren von Schutzsuchenden, die über die Evros-Region eingereist sind, bestanden. Darüber hinaus werden die Konsequenzen der ausbleibenden Zuweisung einer Unterbringungsmöglichkeit für Schutzsuchende aufgezeigt. Sie haben systematische Probleme, ihr Asylverfahren aufzunehmen. Es kommt zu Verzögerungen im Asylverfahren und bei Fristabläufen. Davon betroffen sind auch Flüchtlinge, die auf eine Zusammenführung mit ihrer Familie in Deutschland hoffen.
Die Versorgung in Malakasa ist lediglich auf die Deckung von Grundbedürfnissen ausgerichtet. Insbesondere für unregistrierte Bewohner*innen ist das nicht sicher gewährleistet. Es verstreichen Monate, bis diese ihren Asylantrag registrieren können und Zugang zum Cash-Card System und zu medizinischer Versorgung außerhalb des Lagers besteht.
»Bei unserer Ankunft in Fylakio haben wir direkt gesagt, dass wir zu unseren beiden Söhnen in Deutschland wollen. Sie sagten uns, wir sollten nach Athen gehen und uns bewerben. Wir kamen nach Athen und waren obdachlos. Wir waren verloren. Ein anderer Afghane sagte uns, wir sollten nach Malakasa gehen. Wir kamen dort an, aber die Organisationen sagten uns, das Lager sei voll. Wir suchten nach einem Zelt. Wir konstruierten etwas aus Kartons, um ein »Dach« zu haben. In den schlechten Nächten bekam ich Panikattacken und schlug mich selbst. Ich konnte nicht atmen. Wegen der Schwangerschaft fühle ich mich häufig krank. … Wir baten die Organisationen im Lager um Hilfe, um einen Termin zu bekommen um die Familienzusammenführung zu beantragen. Sie schickten eine E‑Mail nach Piraeus (Asylbüro). Sie gaben uns einen Termin in sechs Monaten … jetzt sind wir in Quarantäne. Ich kann meinen Psychologen nicht sehen, und ich kann meine Hebamme nicht besuchen. Wir warten darauf, dass unsere Cash-Card zum ersten Mal aufgeladen wird. Wir sind seit sechs Monaten ohne Geld. Wir leben nur von den Lebensmittelkörben, die uns die Organisation hier geben. Früher hatten wir einige kostenlose Mahlzeiten, die uns von Freiwilligen angeboten wurden, aber jetzt dürfen sie sie uns nicht mehr aushändigen (da wir in Quarantäne sind)«.
Unregistrierte Flüchtlinge in Griechenland hängen in der Luft
Die meisten Befragten wurden nach der Einreise in Griechenland nahe der Insel Samothraki und Alexandroupolis aufgegriffen und für ein bis drei Nächte unrechtmäßig in einem Lagerhaus am Hafen von Alexandroupolis festgehalten. Danach erst folgte der vorgesehene Transfer in das geschlossene Lager Fylakio.
Mit nur einer Ausnahme berichteten die Interviewten, dass hier lediglich ihr Wille zur Asylantragsstellung aufgenommen wurde. Die Registrierung des eigentlichen Asylantrags erfolgt erst in einem zweiten Schritt bei dem zuständigen Asylbüro. Das Problem: Für Schutzsuchende ist es unklar, welches Asylbüro für sie zuständig ist und wie sie dieses erreichen können. Auch für die Terminvergabe, die mehrere Monate in Anspruch nehmen kann, sind Schutzsuchende auf sich alleingestellt. Die Zuweisung eines Flüchtlingslagers findet nicht statt. Stattdessen fanden sich die Befragten, wie viele andere, in der Obdachlosigkeit und auf sich allein gestellt wieder. Sie suchten Schutz in Malakasa.
»[Als wir Athen erreichten] schliefen wir zwei Wochen lang in verschiedenen nahegelegenen Parks. Wir wussten nicht wohin wir sollten und mussten auf meine Verwandten warten, bis diese ihre Asylkarte bekamen. [Dann] fuhren wir nach Malakasa. Wir haben uns ein Zelt für uns alle gekauft: 8 Leute. Meine Brüder schliefen draußen. Nach 10 Tagen setzen die Wehen ein. Die Lagerleitung brachte mich in einen Raum, den ich mit zwei Familien teilte. Ich schlief in der Küche. Einige Tage, nachdem ich in dorthin gezogen war, musste meine Familie den Krankenwagen rufen um mich zur Geburt ins Krankenhaus zu bringen. Das Baby kam die ganze Nacht nicht und ich litt. Am Morgen ging ich zur Polizei am Tor und sie rief erneut den Krankenwagen. Er kam zwei Stunden später. Ich hatte einen Kaiserschnitt. Nach einer Woche kehrte ich in die Küche zurück, in der ich schlief. Einen Monat später wurden die beiden Zimmer geräumt, und meine Familie zog ein. Die Situation in dem Gebäude, in dem wir bleiben, ist schwierig. Es herrscht Feuchtigkeit in den Wänden. Sieben Monate lang war ich ohne Geld. Mein Baby wurde krank, ich musste es ins Kinderkrankenhaus in Athen bringen, weil der Lager-Kinderarzt nicht auf kleine Kinder spezialisiert ist, aber ich konnte das Ticket nicht bezahlen. Ich reiste ohne. Manchmal warfen sie mich aus dem Zug. Ich hatte kein Geld für Medikamente. Ich brauche Trockenmilch für mein Baby. Ich hatte Zusammenbrüche. Ich bekomme Panikattacken. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir jemand helfen kann, solange ich noch in diesem Lager bin.«
Hunderte vulnerable Schutzsuchende in provisorischen Unterkünften
Das Lager besteht aus über 250 Containern und 28 Zimmern. Der Anstieg von Schutzsuchenden, die über die Evros-Region Griechenland erreichen, hat in Malakasa dazu geführt, dass Neuankommende ohne Zuweisung häufig dünne Sommerzelte und provisorische Unterkünfte nutzen müssen. Derzeit gibt es mehr als 100 solcher provisorischen Unterkünfte im Flüchtlingslager Malakasa.
Seit der Öffnung des als Notunterkunft geplanten Lagers 2016 berichten hier lebende Schutzsuchende, sich aufgrund der Abgelegenheit isoliert zu fühlen. Zwar wird eine grundlegende rechtliche und psychosoziale Beratung angeboten, auch gibt es Ärzt*innen im Lager, jedoch übersteigt der Bedarf das Angebot bei Weitem. Besonders vulnerable Personen und Familien mit kleinen Kindern berichten anhaltend von mangelnder Unterstützung im rechtlichen, medizinischen und sozialen Bereich.
In vielen Fällen müssen die Bewohner*innen nach Athen fahren um Unterstützung oder eine Behandlung zu erhalten. Geld für den Transport sollte ihnen über das Cash Card System zur Verfügung stehen. Jedoch ist dafür die Registrierung des Antrags notwendig. Zudem kommt es regelmäßig zu Verzögerungen in der Bereitstellung und bei der Überweisung.
»Ab dem Tag an dem ich Griechenland erreichte erklärte ich, dass ich eine Wohnung brauche. Ich schlief eine Woche im Victoria-Park und in Saint Panteleimonas, bis mir jemand sagte, ich solle ins Lager Malakasa gehen. Andere Bewohner halfen mir beim Bau eines Zeltes. Seitdem [September 2019] lebe ich unregistriert in Malakasa. Seit fünf Monaten bin ich in Griechenland als Flüchtling anerkannt, aber ich habe immer noch kein Geld und kein Zuhause. Ich bin auf Lebensmittelkörbe und kostenlose Mahlzeiten von Freiwilligenorganisationen angewiesen. Aufgrund meiner Behinderung kann ich die öffentlichen Toiletten im Lager nicht ohne weiteres benutzen. Ich muss in den „Dschungel“ gehen. Das Wasser in den Duschen ist kalt, deshalb kochen meine Freunde manchmal Wasser ab und kommen direkt neben meinem Zelt, um mir den Kopf zu waschen. Im Winter brach mein Zelt nur eine Sekunde, nachdem ich ihm entkommen konnte, zusammen. Ein Baum fiel darauf. Ich hätte sterben können. Tagsüber muss ich mir von anderen eine Heizung leihen. Manchmal ist mein ganzes Zelt mit Wasser überschwemmt. Ich bin eine Überlebenskünstlerin, aber ich bin [am Ende meiner Kräfte] … Jetzt sind wir in Quarantäne. Sie sagten: »Jeder bleibt in seinem Zelt, geht nicht hinaus, gebt euch nicht die Hand, kommt einander nicht zu nahe!« Vorher war Hilfe weit entfernt, aber jetzt bin ich abgeschnitten. Ich kann keine Hilfe erhalten. (…). Ich bin eine verletzliche Person, ein anerkannter Flüchtling in einem Zelt. Ich schäme mich sogar vor meinen Freunden über meine Lebensbedingungen, mein Aussehen, meinen Geruch. Diejenigen, die in Griechenland Asyl erhalten, haben sehr viel Pech. Ich kann nicht einmal meinen Hunger stillen.«
»Wir kamen in Malakasa an und suchten uns ein Zelt. Wir baten darum, im Lager registriert zu werden. Wir baten auch darum, unsere Asylanträge zu registrieren… Der Termin, den wir in Piräus erhielten, war vier Monate später. Seit sieben Monaten sind wir ohne Zugang [zu Zulagen], d.h. ohne Zugang zu Athen und ohne Hilfe. Wir suchen nach den Lebensmitteln, die die Menschen nach den Wochenmärkten wegwerfen. … Ich habe viele gesundheitliche Probleme. Die Ärzte im Lager sagen mir, ich solle zu medizinischen Untersuchungen und zur Physiotherapie nach Athen fahren. Mein kleiner Sohn ist Epileptiker und hat Fieberanfälle. Außerdem leidet er seit mehr als drei Jahren an psychischen Problemen. Ich habe kein Geld, um eine Zugfahrkarte zu kaufen. Wenn ich gehe, werfen sie mich manchmal aus dem Zug, und ich muss dann auf den nächsten warten. Einmal sagen sie mir: »Warum kommt ihr nach Griechenland?« Manchmal stehen Griech*innen auf und wechseln ihren Platz, weil sie nicht gerne neben uns sitzen. Wenigstens werde ich nicht verletzt. Neulich sah ich, wie der Fahrkartenkontrolleur einen jungen Afghanen auf den Kopf schlug, weil er keine Fahrkarte hatte und den Zug nicht verlassen wollte. Er hat stark geblutet und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Ich nehme Medikamente ein, um mich an diesem schlimmen Ort besser zu fühlen. Hier werden die Menschen krank und kränker. Unser Leben ist wie das offene Meer in der Nacht. Wir können das Ende nicht sehen und alles ist dunkel.«
»Ich war schwanger, blutete und hatte Schmerzen, und wir waren in einem Zelt. Ich hatte Angst mein Baby zu verlieren. Am Ende hatte ich eine Fehlgeburt. Ich glaube wegen der Bedingungen und des Stresses. Die Toiletten sind schmutzig, die Duschen kalt. In den ersten Wochen hatten wir kein Zimmer und kein Geld, weil wir kein Asyl beantragen konnten. Vier Monate später bekamen wir einen Termin. Ich besuche einen Psychiater, um mit der Situation fertig zu werden. Aber wenn sich unsere Situation nicht ändert, wie soll dann meine Seele heilen?«
»Zwei von uns Brüdern wurden im Lager angegriffen. Wir wurden von maskierten Personen geschlagen. Ohne Grund. Wir haben geblutet und unser ganzer Körper schmerzte. Wir wissen nicht, wer es war. Meine Mutter weinte, als sie uns sah. Dann beschloss sie, mit meinem kleinsten Bruder nach Deutschland zu gehen, um einen Weg zu finden, uns vier auch dorthin zu bringen und in Sicherheit zu sein. Man sagte ihr, es wäre der sicherste und schnellste Weg, wenn sie zuerst gehen und wir die Familienzusammenführung beantragen würden. Bis heute werden wir nachts bedroht. …«
»Wie eine Maus in der Falle«
Die Quarantäne verschärfte die bereits vorhandenen Probleme. Die Bewohner*innen leben in beengten Verhältnissen. Abstandhalten ist vor allem für Schutzsuchende, die in Provisorien wie Zelten oder Gemeinschaftsräumen leben, nicht möglich. Sie teilen sich die Sanitäranlagen mit vielen und befürchten die Ansteckung.
Sorge bereitete vielen Interviewten die Frage, ob Medikamente im Bedarfsfall bereitgestellt werden. Personen mit chronischen Erkrankungen gaben an, nicht genügend Medikamente zur Verfügung zu haben. Viele klagten über den Mangel an nahrhafter und gesunder Ernährung.
»Ich habe Angst, dass wir mit dem Virus hier sterben könnten. Was immer wir auch tun, um Abstand voneinander zu halten, wir sind hier zu viele. Wir beten, dass nicht noch mehr Menschen hier im Lager und in der ganzen Welt krank werden. Wir sind alle gleich, niemand soll krank werden. Jeden Tag rufe ich meine Familie im Iran an und flehe sie an, nicht auszugehen. Gott sollte uns alle retten!«
»Wir sind in Quarantäne eingesperrt, leben aber Seite an Seite mit Dutzenden in einem großen Zelt. Sie sagen: »Halte zwei Meter Abstand voneinander«, aber wir hängen Tag und Nacht nebeneinander fest. Wir teilen uns die schmutzigen Toiletten und Duschen. Wir haben kein warmes Wasser. Manchmal gibt es überhaupt kein fließendes Wasser. Wir kommen die ganze Zeit zusammen, an den Wasserhähnen und im Zelt. Wenn einer von uns das Virus bekommt, werden wir alle infiziert werden. Die psychische Gesundheit der Menschen wird von Tag zu Tag schlechter. Zusätzlich zu den Problemen, die wir bereits hatten, sind wir jetzt auch besorgt, nicht krank zu werden und in Sorge darüber, ob unsere Familien sicher sind. Wir haben nichts, um uns zu verteidigen, so dass wir nur darauf warten können, dass das Schlimmste eintrifft. Wir können nicht schlafen. Viele Menschen hatten bereits psychische Probleme, und es geht ihnen jetzt immer schlechter. Wir bewegen uns auf einen Überlebenskampf zu, in dem wir versuchen, das Virus, die Bedingungen und die Gefahr zu überleben. Lasst uns nicht allein!«
Aufnahmen aus Griechenland jetzt!
Das Aufnahmesystem in Griechenland ist flächendeckend überlastet. Die Evakuierungen aus Griechenland müssen ausgeweitet werden, es braucht einen nachhaltigen Relocation-Mechanismus. Insbesondere der Familiennachzug darf nicht länger behindert werden – zur Entlastung, aber insbesondere zur Wahrung des Rechts auf Familienleben, hat die Beschleunigung der Familienzusammenführung oberste Priorität.
Auch nach Lockerungen der pandemiebedingten Maßnahmen, ist an der Einstellung der Dublin-Überstellungen nach Griechenland festzuhalten. Die vorliegende Studie ergänzt eine frühere Studie von PRO ASYL / RSA, in der die Aufnahmebedingungen in den Festlandlagern Griechenlands und in den Inselhotspots dokumentiert werden. Den vollständigen Bericht sowie Fotos und Videos gibt es auf der Website von RSA.
(rsa / mz)