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Transitzonen in Ungarn: Schikane gegen Schutzsuchende
Ungarn hat das Recht auf Asyl fast gänzlich abgeschafft. Kaum ein Schutzsuchender kann in dem Land einen Asylantrag stellen. Zudem werden sie in den sog. Transitzonen von Behörden schikaniert. Zuletzt wurden einige nicht einmal mehr mit Nahrung versorgt. Unsere Partner vom Ungarischen Helsinki Komitee (HHC) gehen dagegen vor.
Die Zahl der Asylbewerber*innen in Ungarn ist verschwindend gering: 2018 konnten 671 Personen einen Asylantrag stellen. Asyl kann ausschließlich in einer der zwei Transitzonen in Röszke und Tompa ersucht werden. Seit Januar 2018 erlaubt die Asylbehörde die Einreise von lediglich einer Person pro Wochentag und Transitzone.
Gewalt an der Grenze
Die Grenzpolizei setzt diese Vorgabe auch mit Gewalt gegen Schutzsuchende durch. In 5.819 Fällen wurden gemäß HHC im Jahr 2018 Menschen davon abgehalten, ungarisches Gebiet zu betreten oder wurden nach Serbien gebracht, ohne einen Asylantrag stellen zu können.
Als wäre dies nicht genug lassen sich die ungarischen Behörden immer weitere Schikanen für die wenigen Schutzsuchenden einfallen, die es in eine Transitzone geschafft haben. Im August 2018 wurde der erste Fall bekannt, in dem Asylsuchenden die Nahrungsversorgung verweigert wurde.
Im August 2018 wurde der erste Fall bekannt, in dem Asylsuchenden die Nahrungsversorgung verweigert wurde.
Schutzsuchende bekommen kein Essen
Am 08.08.2018 wurde der Asylantrag einer afghanischen Familie als unzulässig abgelehnt. Daraufhin wurden nur noch das Kind und die stillende Mutter mit Essen versorgt, der Vater bekam nichts mehr. Mit ihm teilen durften Mutter und Kind auch nicht.
Die ungarischen Behörden reden sich heraus, wenn die Transitzonen als Gefängnisse bezeichnet werden. Sie behaupten, der Weg zurück nach Serbien stehe jederzeit offen. Doch auch der UNHCR hält fest, dass Serbien kein »Sicherer Drittstaat« ist.
Eine Rückkehr nach Serbien bedeutet jedoch das Ende des Asylverfahrens – und in Fällen, wie dem des hungernden Vaters auch des Klagewegs. Denn um gegen die Unzulässigkeitsentscheidung zu klagen, darf er die Transitzone nicht verlassen.
EGMR stellt Versorgung sicher
Das Ungarische Helsinki Komitee / Hungarian Helsinki Committee brachte den Fall der Familie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser erwirkte mit Sofortmaßnahmen (»rule 39«) die Nahrungsmittelversorgung der Schutzsuchenden. Fünf Mal musste das HHC im August 2018 über diesen Weg die Essensversorgung von Asylbewerber*innen sicherstellen, bis die ungarischen Behörden erklärten, die Praxis einzustellen.
Nichtsdestotrotz wurde am 08.02.2019 den Eltern einer irakischen Familie fünf Tage lang die Essensausgabe verweigert, bis das HHC erneut durch eine Sofortmaßnahme des EGMR die Versorgung erzwang. Acht Fälle brachte das HHC zwischen Februar und 23.04.2019 vor den EGMR.
EU: Mehrere Verfahren gegen Ungarn
Gegen Ungarn laufen derzeit mehrere Vertragsverletzungsverfahren im Bereich »Migration und Asyl«. Nach der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen der sogenannten »Stop-Soros-Gesetze« am 19.07.2018 ging die EU-Kommission am 24.01.2019 den nächsten Schritt. Das Gesetzespaket kriminalisiert die Arbeit von NGOs und bedroht Unterstützer*innen von Asylbewerber*innen mit Gefängnisstrafen.
»All diese Gesetzesänderungen sind Angriffe auf den Rechtsstaat«
Aufgrund der Unvereinbarkeit der Asyl- und Rückführungsvorschriften des Landes mit EU-Recht wurde Ungarn mittlerweile von der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt.
Zusätzlich läuft gegen Ungarn ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Das Europäische Parlament hat am 13.09.2018 festgestellt, dass die politischen Entwicklungen in dem Land eine Gefahr für die EU-Gründungswerte darstellen.
Die Situation in Ungarn kommentiert Anikó Bakonyi vom HHC: »All diese Gesetzesänderungen sind Angriffe auf den Rechtsstaat. Die Anti-NGO-Gesetze sind nur ein Teil davon (…)Die Regierung hat nun ein Instrumentarium, um gegen uns vorzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass sie irgendwann auch davon Gebrauch machen wird. Wozu wurden sie schließlich verabschiedet? Wann und wie die Gesetze angewendet werden, das liegt alleine bei der Regierung. Das schwebt wie ein Damoklesschwert über der Zivilgesellschaft«.
(dm)