Hintergrund
Asyl in Zahlen 2018
2015 war es in Deutschland weit verbreitete Überzeugung, dass die zu uns Geflüchteten ein Anrecht auf Schutz und Aufnahme haben. Inzwischen hat sich die öffentliche Stimmung gedreht – ohne dass an der Not der Menschen, die zu uns kommen, irgendetwas anders wäre.
Das Ende der politischen Hilfsbereitschaft drückt sich auch in der Entscheidungsstatistik des Bundesamtes (BAMF) aus: Die Anerkennungsquote bewegt sich seit Herbst 2015 deutlich nach unten.
Wie viele Flüchtlinge kamen? Weniger als erwartet
Bis Mitte 2018 wiederholte Innenminister Seehofer gebetsmühlenartig, es sei wahrscheinlich, dass der »vereinbarte Korridor für die Zuwanderung« – gemeint waren Flüchtlinge– »von 180.000 bis 220.000 Personen jährlich erreicht wird oder sogar überschritten werden könnte« (Mitteilung des BMI am 10. Juli 2018). Ende 2018 lag die Zahl der Asylerstanträge nach BMI-Angaben bei rund 162.000 – 18 % weniger als im Vorjahr. Darin enthalten sind die Asylerstanträge der rund 32.000 in Deutschland geborenen Kindern von Menschen, die im Asylverfahren sind oder waren. Die Zahl der neu eingereisten Asylsuchenden liegt damit nur bei rund 130.000.
Wer kommt? Vor allem Menschen aus Krieg und Krisen
Auch 2018 stellten Syrer*innen (44.000) mit einem Anteil von über einem Viertel die größte Gruppe der Asylsuchenden in Deutschland dar. Rund zehn Prozent der Asylsuchenden kamen aus dem Irak (16.000). Weitere Hauptherkunftsländer waren Iran (11.000), Nigeria, Türkei und Afghanistan (jeweils 10.000) – siehe dazu Asylgeschäftsstatistik Dezember 2018.
Die Hauptherkunftsländer zeigen: Die großen Krisen unserer Zeit sind nicht vorbei. Die ankommenden Flüchtlinge sind Opfer dieser Krisen auch dann, wenn die fluchtauslösenden Ereignisse schon einige Zeit zurückliegen.
Die Hauptherkunftsländer zeigen: Die großen Krisen unserer Zeit sind nicht vorbei. Die ankommenden Flüchtlinge sind Opfer dieser Krisen auch dann, wenn die fluchtauslösenden Ereignisse schon einige Zeit zurückliegen. Flüchtlinge sind oft Jahre unterwegs, bis sie es endlich geschafft haben, sich hierher durchzuschlagen – in der Hoffnung auf Schutz in Deutschland oder auch, um endlich zu ihren hier lebenden Angehörigen zu gelangen.
Politisch betrachtet ist die Situation in vielen Staaten kaum besser geworden: Die Zahl der syrischen Flüchtlinge steigt weltweit weiter an. In der Türkei wird die politische Verfolgung von (vermeintlichen) Regime-Gegner*innen mit unverminderter Härte fortgeführt. In Afghanistan gab es 2018 mit 3.800 so viele zivile Todesopfer wie seit Jahren nicht. Ein Viertel davon waren Kinder.
Weltweiter Höchststand an Menschen auf der Flucht
Nach Angaben von UNHCR waren Mitte 2018 weltweit 70,4 Mio. Menschen auf der Flucht – ein neuer Höchststand. Davon leben fast 40 Millionen als Binnenvertriebene innerhalb des eigenen Landes. Allein im ersten Halbjahr 2018 wurden mindestens 5,2 Mio. Menschen neu vertrieben, 1,4 Mio. von ihnen über Landesgrenzen hinweg.
Von den 20 Millionen Flüchtlingen unter UNHCR-Mandat ist mit 6,5 Millionen jede*r Dritte syrischer Herkunft. Über die Hälfte von ihnen (3,6 Mio) leben in der Türkei, knapp eine Million im Libanon, 670.000 in Jordanien und 514.000 in Deutschland.
Die Zahl afghanischer Flüchtlinge stieg weltweit um ein Prozent auf 2,7 Mio. an. Die meisten afghanischen Flüchtlinge leben in Pakistan und im Iran, nur etwa 117.000 in Deutschland.
Auf Rang 3 weltweit folgt der Südsudan, der in Deutschland als Herkunftsland nur eine untergeordnete Rolle spielt: Rund 2,2 Mio. Menschen haben das Land verlassen, allein 800.000 von ihnen leben in Uganda. Insgesamt befinden sich nach UN-Angaben sieben von acht Flüchtlingen in Entwicklungsländern wie Bangladesch, Uganda oder Pakistan (Quelle: UNHCR Midyear Trends 2018).
Ende der Humanität? Immer weniger erhalten Schutz
Die weltweiten Fluchtbewegungen finden aber keinen Widerhall in der Asylpraxis in Deutschland – im Gegenteil: Die Anerkennungsquote bewegt sich seit Herbst 2015 deutlich nach unten.
Bei den inhaltlich geprüften Fällen sank 2018 die Schutzquote im Asylverfahren auf 50 % (BT-Drucksache 19/8701, S. 6), nach 53 % im Jahr 2017 und 71 % im Jahr 2016. Dabei ist zu beachten, dass das Bundesamt 2018 in vielen Fällen zwingendes Recht umgesetzt hat, das auf den positiven Entscheidungen der Vorjahre beruht: Fast 30.000 Schutzgewährungen – knapp 40 % aller positiven Bescheide – erfolgten aufgrund der Tatsache, dass Eltern, Ehegatt*in oder Kind bereits anerkannt waren (so genanntes Familienasyl oder Familienschutz).
Daraus ergibt sich, dass die Asylchancen für neu Ankommende derzeit noch schlechter ausfallen als es den offiziellen Quoten anzusehen ist. Der Trend setzt sich also fort: Anerkennungen finden vermehrt auf einem niedrigeren Schutzniveau statt, Ablehnungen nehmen zu.
Die leicht gestiegene Gesamtschutzquote für Afghanistan etwa (52 % im Jahr 2018 nach 47 % im Vorjahr) täuscht darüber hinweg, dass 45 % aller Zuerkennungen von internationalem Schutz Familienangehörige von schon entsprechend geschützten Personen betrafen. Kommen »neue« Afghan*innen ohne solche familiären Bindungen in Deutschland an, erhalten sie dagegen vermehrt nur ein nationales Abschiebungsverbot oder werden abgelehnt.
Betrachtet man die Hauptherkunftsstaaten auch vor diesem Hintergrund, ist lediglich bei der Türkei eine relevante höhere Anerkennungsquote als im Vorjahr zu verzeichnen (47 % gegenüber 34 %). In Bezug auf die anderen Staaten ist die Entwicklung durchweg negativ. Mit einer verbesserten Situation in den Herkunftsländern ist dies nicht zu erklären. Geändert hat sich vor allem die Bewertung der Situation durch das Bundesamt.
Beispiel Afghanistan: In BAMF-Bescheiden wurden Betroffene neben Kabul auf die Provinzen Herat und Mazar-e-Sharif als »inländische Fluchtalternativen« verwiesen, was seit Ende 2015 zu einem deutlichen Absinken der Schutzquote führte. Ob ein vermeintlich sicherer Zufluchtsort überhaupt erreichbar ist, dort Unterstützungsnetzwerke bestehen und ein Überleben möglich ist, wird generell mit Textbausteinen bewertet.
UNHCR stellt für die Region Kabul hingegen eine Situation generalisierter Gewalt fest, weshalb sie als genereller Schutzort nicht in Betracht kommt. Auch der französische Nationale Gerichtshof stellte bezüglich Kabul wiederholt fest, dass aufgrund des hohen Grades an willkürlicher Gewalt ohne effektiven staatlichen Schutz subsidiärer Schutz zu gewähren ist.
Gerichte: 1/3 der BAMF-Bescheide sind fehlerhaft
Immer noch erhalten viele Betroffene erst über das Klageverfahren Schutz: Mit einer Erfolgsquote von 31 % sind ein Drittel aller Bescheide, die von den Gerichten 2018 inhaltlich überprüft wurden, als falsch oder mangelhaft aufgehoben worden (BT-Drucksache 19/8701, S. 62). Wohl keine andere deutsche Behörde könnte sich eine solche Fehlerquote erlauben. Die Aussage des BAMF-Chefs Sommer, es gäbe »keine Behörde in Deutschland, die eine derartig intensive Qualitätskontrolle« betreibe, klingt dabei wie ein schlechter Scherz (taz, 23. Januar 2019).
Mit einer Erfolgsquote von 31 % sind ein Drittel aller Bescheide, die von den Gerichten 2018 inhaltlich überprüft wurden, als falsch oder mangelhaft aufgehoben worden.
Umgekehrt sieht es anders aus: Die Überprüfung von mehr als 18.000 positiven Bescheiden der BAMF-Außenstelle Bremen, in den Medien als »BAMF-Skandal« bezeichnet, ergab Mängel in weniger als einem Prozent der Fälle – genau 165. Dem gegenüber stehen 29.600 im Jahr 2018 durch Gerichte korrigierte negative Bescheide sämtlicher BAMF-Dependancen. Für den vermeintlichen »Skandal« in Bremen hat sich Innenminister Seehofer bei der Bevölkerung entschuldigt, auf eine Entschuldigung für den tatsächlichen Skandal Tausender unrechtmäßiger Negativbescheide vom BAMF warten die betroffenen Flüchtlinge bis heute.
Dublin: Bürokratie auf Kosten der Menschen
In rund einem Drittel der Fälle (34 %) wird zunächst ein »Dublinverfahren« zur Bestimmung des zuständigen europäischen Staats eingeleitet: Statt einer zügigen Schutzprüfung begibt man sich in ein längeres behördliches Zuständigkeits-Ping-Pong. In 55.000 Fällen sah das BAMF einen anderen Staat als zuständig an; überstellt wurden 9.200. Zahlenmäßig betrachtet sind diese Verfahren zum Großteil sinnlose Bürokratie, zumal gleichzeitig 7.600 Menschen aus anderen Staaten an Deutschland überstellt wurden (Quelle: BT-Drucksache 19/8340).
Für die Betroffenen allerdings hat eine Abschiebung auch innerhalb Europas dramatische Folgen: Fast ein Drittel aller Dublin-Überstellungen erfolgte nach Italien, wo viele Menschen umgehend in Obdachlosigkeit und aussichtslosem Elend landen. Nach Griechenland, wo kaum Besseres zu erwarten ist, gab es 2018 nach fast siebenjährigem Abschiebungsstopp die ersten sechs Überstellungen. Knapp 7.100 Übernahmeersuche lassen für die Zukunft wenig Gutes ahnen.
Dort wo die Dublin-Verordnung tatsächlich noch Rechte von Flüchtlingen vorsieht, etwa bei der Familienzusammenführung im Asylverfahren, wird eine sinnvolle Lösung durch die behördliche Verfügungsgewalt ausgehebelt: Von über 1.900 griechischen Übernahmeersuchen aus familiären Gründen hat das BAMF über 1.200 abgelehnt – zumeist nur deshalb, weil Griechenland das Ersuchen nicht innerhalb der dafür vorgesehenen Frist gestellt hat. Nicht einmal innerhalb Europas besteht der politische Wille, dass Flüchtlingsfamilien zusammen sein können.
Familientrennung auf unabsehbare Zeit
Die politisch gewollte Trennung von Familien als Mittel der Abschreckung fand im Jahr 2018 ihre traurige Fortsetzung. Im März 2016 war der Familiennachzug zu subsidiär Geschützten ausgesetzt worden. Parallel dazu stufte man deutlich mehr Flüchtlinge in diese niedrigere Schutzkategorie ein als zuvor.
Erst seit August 2018 dürfen sehr wenige subsidiär Schutzberechtigte nun ihre Angehörigen nachholen – ohne Rechtsanspruch, unter sehr restriktiven Bedingungen in einem undurchsichtigen bürokratischen Verfahren. Der Nachzug wurde auf maximal 1.000 Personen pro Monat begrenzt – und nicht einmal das wurde erreicht: Bis Jahresende wurden nur rund 2.600 Visa, also gerade einmal die Hälfte der in diesem Zeitraum möglichen 5.000 erteilt. Die weitere Trennung von den Angehörigen bleibt für viele eine schwer erträgliche Aussicht.
Ausreisepflicht und Abschiebung: Die Krux mit den Zahlen
Im Zusammenhang mit abgelehnten Asylanträgen wird gern die hohe Zahl von Ausreisepflichtigen beklagt. Sie lag laut Ausländerzentralregister (AZR) 2018 bei 236.000 – wobei zweifelhaft ist, dass diese Personen wirklich alle noch im Lande sind (BT-Drucksache 19/8258).
Suggeriert wird stets, dass es sich bei Ausreisepflichtigen um abgelehnte Asylsuchende handelt – tatsächlich haben mit 132.000 aber nur etwas mehr als die Hälfte der Ausreisepflichtigen ein Asylverfahren durchlaufen. Die anderen sind zum Beispiel nicht ausgereiste ausländische Studierende oder ehemals mit Deutschen Verheiratete.
Unter dem Strich bleibt festzustellen, dass eine aufgeregte Debatte über die Zahl der Ausreisepflichtigen weder angemessen ist noch dazu dienen darf, immer neue Restriktionen gegen Flüchtlinge zu rechtfertigen.
Unter den geduldeten Geflüchteten sind Tausende, die aufgrund der Situation in den Herkunftsländern nicht abgeschoben werden – etwa aus Irak und Afghanistan. Weitere Gründe für eine Duldung können medizinische Abschiebungshindernisse oder die Pflege von Angehörigen sein.
Rund 40 % der Geduldeten sind aufgrund von Passlosigkeit geduldet – dies wird von den Ausländerbehörden, zum Teil zu Unrecht, den Betroffenen zur Last gelegt. Eine Tatsache allerdings bleibt: Viele von ihnen würden – Pass hin oder her – derzeit ohnehin nicht abgeschoben. Andersherum gilt für Menschen aus den Westbalkan-Staaten: Sie könnten aufgrund entsprechender Abkommen auch ohne Reisedokumente abgeschoben werden – sofern nicht andere Gründe dagegen sprechen. Für die Frage der Abschiebungspraxis ist die Zahl der Personen ohne Pass also weit weniger aussagekräftig als oft behauptet. Es bleibt die Tatsache, dass es in vielen Fällen gute – familiäre, humanitäre oder rechtliche – Gründe für eine Duldung gibt.
Ein Großteil der abgelehnten Asylsuchenden hat ein Aufenthaltsrecht
Menschen können trotz Ablehnung im Asylverfahren unter Umständen ein Aufenthaltsrecht aus anderen Gründen erhalten, beispielsweise aus familiären Gründen oder nach langjähriger Duldung aufgrund guter Integration. Dies ist in den letzten Jahrzehnten hunderttausendfach geschehen: Von rund 654.000 Menschen, die im AZR mit dem Merkmal »im Asylverfahren abgelehnt« registriert sind, haben 77,5 % ein Aufenthaltsrecht. Nur rund 22,5 % der hier lebenden abgelehnten Asylbewerber sind als Geduldete oder »ohne Status« registriert (Quelle: BT-Drucksache 19/8258).
Unter dem Strich bleibt festzustellen, dass eine aufgeregte Debatte über die Zahl der Ausreisepflichtigen weder angemessen ist noch dazu dienen darf, immer neue Restriktionen gegen Flüchtlinge zu rechtfertigen.
Dirk Morlok / Andrea Kothen
(Stand: April 2019)