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Afghanistan ist nicht sicher – eine interaktive Karte
Kaum ein Tag ohne Kampfhandlungen oder Anschläge, aber auch keine Woche, wo nicht der Drohnenkrieg oder brutales Vorgehen auch der afghanischen Armee Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. Diese Übersichtskarte verdeutlicht, dass mit wenigen Ausnahmen alle Landesteile Schauplätze solcher Ereignisse mit Toten und Verletzten sind.
Bewegt man den Mauszeiger über die einzelnen Provinzen, erscheinen sicherheitsrelevante Vorfälle solcher Art, die im Zeitraum vom 01. November 2018 bis zum 10. Januar 2019 stattgefunden und ihren Weg in die Berichterstattung der Medien gefunden haben.
Die farblichen Abstufungen beziehen sich auf die Anzahl der gefundenen Sicherheitsvorfälle. Das ist aber natürlich auch aufgrund der volatilen Lage kein ausreichender Indikator, welche Region besonders gefährlich – gerade für die Zivilbevölkerung – ist, da sich auch Art und Schwere der Vorfälle erheblich unterscheiden. [Wenn nicht der ganze Text sichtbar ist, bitte näher an die Region heranscrollen und den Mauszeiger nach oben oder unten bewegen!]
Fast überall gibt es Vorfälle
Die Presserecherche ergibt mit rund 100 Vorfällen in nur 71 Tagen (01.11.2018 – 10.01.2019) ein erschreckendes Bild, auch in der Breite: Fast in allen der 34 Provinzen Afghanistans waren mindestens zwei Vorfälle zu finden.
Dabei ist zu vermuten, dass viele Ereignisse gar nicht erst erfasst werden. Denn oft finden sich nicht die notwendigen unabhängigen Quellen, die Angaben bestätigen könnten. Recherchen in abgelegenen Gebieten sind schwierig, ausländische Journalisten finden sich außerhalb einiger großer Städte selten. Auch dürfte es für diejenigen, die in von Taliban – oder auch bestimmten Warlords – beherrschten Gebieten leben, riskant sein, über Gefechte, Anschläge und Menschenrechtsverletzungen zu berichten.
Die »sicheren« Regionen sind kaum eine Alternative
Nur wenige Provinzen können (noch) als sicherer gelten. Es handelt sich überwiegend um gebirgige Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte, die durch ihre Unzugänglichkeit auch in Zeiten der sowjetischen Invasion von der Lokalbevölkerung oder bestimmten bewaffneten Gruppen gehalten werden konnten.
Dass das Gefühl der Sicherheit in der afghanischen Bevölkerung immer mehr schwindet, hat auch damit zu tun, dass die Taliban immer größere Gebiete kontrollieren, während weitere umkämpft sind.
Den Menschen in anderen Gebieten Afghanistans wie auch den aus Europa Abgeschobenen hilft es nicht, dass es irgendwo einige Hochtäler gibt, in keine Kämpfe stattfinden. Sie wären in Panjir oder Bamiyan, die ihnen als »Zufluchtsalternative« nahegelegt werden, weder willkommen, noch zu versorgen. Zudem ist die Reise dorthin mitunter lebensgefährlich, wie z.B. der Bericht eines zeitweise in Kabul lebenden Deutschen zeigt.
Der Konflikt fordert zivile Opfer…
Zwar sind die Zahlen der zivilen Opfer des Konfliktes ebenso wie die der bei Kampfhandlungen Getöteten immer wieder schrecklich. Allein in den ersten neun Monaten 2018 wurden nach UNICEF-Angaben 5.000 Kinder verletzt oder getötet, insgesamt sind seit 2009 über 31.000 Zivilist*innen dem Krieg in Afghanistan zum Opfer gefallen, rund 57.000 wurden erheblich verletzt. Dennoch spiegeln diese Zahlen, die 2014 sprunghaft anstiegen und seitdem konstant hoch bleiben, nur einen Teil der Realität.
…aber das ist nicht die einzige Dimension
Dass das Gefühl der Sicherheit in der afghanischen Bevölkerung immer mehr schwindet, hat auch damit zu tun, dass die Taliban immer größere Gebiete kontrollieren, während weitere umkämpft sind. Die Verlust- und Desertionsraten bei der afghanischen Armee und den Sicherheitskräften sind hoch. Oft ist unklar, ob Soldaten nur verschwunden oder unter Mitnahme der Waffen zum Gegner übergelaufen sind.
Zudem sind die Taliban von einer Strategie der Anschläge mit Sprengfallen und ähnlichem immer mehr dazu übergegangen, in geschlossenen Formationen und gut bewaffnet in die Offensive zu gehen, wo ihnen das strategisch wichtig scheint.
Angriffe auf Provinz- und Distrikthauptstädte sowie zeitweilige Blockaden der Verbindungsstraßen zeigen das Bestreben der Taliban, durch die Demonstration ihrer militärischen Stärke den Druck zu erhöhen. Die Einträge auf der Karte zeigen auch diese Dimension. Bei einigen der verzeichneten Meldungen sind Taliban – oder auch IS-Kämpfer – die Opfer. Aber auch das bedeutet, dass sie in den jeweiligen Regionen zunächst einmal militärisch präsent sind.
Deutsche Behörden blenden die Fakten aus
Die deutsche Rechtsprechung blendet die Fakten überwiegend aus. Es überwiegt ein arithmetisches Modell der Sicherheit bei der Prüfung von Abschiebungshindernissen: Bevölkerungszahl einer Provinz in Relation zu Toten und Verletzten durch Kampfhandlungen und Anschläge. Im Ergebnis: Risiko im Promillebereich. Das Auswärtige Amt behauptet in seinen Lageberichten zu Afghanistan immer wieder, es gebe ein militärisches Patt zwischen Regierung und Aufständischen – ungeachtet der ständig problematischeren Sicherheitslage.
Das wäre lächerlich, wenn es nicht ein Schweigen über so viel Leid und die zunehmende Unsicherheit der Menschen in Afghanistan einschlösse. Das Patt ist die klassische Lüge in Zeiten des Krieges, wenn der Sieg längst außer Sicht ist. Angesichts der angekündigten Reduzierung der US-Truppen kann es sein, dass es zu dramatischen Entwicklungen kommt. Die USA und ihre Verbündeten könnten nicht zum ersten Mal einen Krieg verlieren. Am Ende des »Patts« von Saigon stand auch eine Massenflucht vor den Umerziehungslagern der Sieger.
(bm / mk)