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Menschenrechte statt Willkür: Immer noch warten Geflüchtete auf ihre Familien
Am Wochenende haben in mehreren deutschen Städten Flüchtlinge und Unterstützer*innen demonstriert – denn vor rund einem Jahr wurde in den Koalitionsverhandlungen das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte weitgehend abgeschafft. Und die seit dem August geltende Ersatzregelung funktioniert noch schlechter als erwartet.
In Kiel gab es einen Laternenumzug, in Osnabrück eine Menschenkette in der Innenstadt, in Köln wurde vorm Dom demonstriert und am Sonntag zogen Menschen in Berlin vor das Familienministerium: Zum traurigen Jubiläum der GroKo-Vereinbarung hat die Initiative »Familienleben für alle« mehrere Protestaktionen gestartet. Denn immer noch wird nicht einmal das ohnehin geringe Monatskontingent von 1.000 Visa für den Familiennachzug ausgelastet!
Das Antragsverfahren ist kompliziert und die beteiligten Behörden bearbeiten die Anträge derart langsam, dass statt der zugesagten 5.000 bis Ende Dezember nur 2.612 Visa ausgegeben wurden. Offenkundig ist das Visumsverfahren vom Bundesinnenministerium (BMI) bürokratisch überfrachtet worden – auch um den Familiennachzug weiter zu blockieren.
Quotenerfüllung nur gegen weitere Verschärfungen?
Innenminister Seehofer will derweil das nicht ausgelastete Kontingent nur dann übertragen, wenn sich die Regierenden im Gegenzug auf einen »Interessensausgleich« in anderen Bereichen der Migrationspolitik »verständigen«. Im Klartext: wenn im Gegenzug Gesetzesänderungen zugestimmt wird, durch die Abschiebungen erleichtert, Abschiebehaft erweitert und Sozialleistungen weiter gekürzt werden.
»Grund- und Menschenrechte sind keine Verhandlungsmasse. Wir werden gemeinsam protestieren, bis das Recht auf Familienleben endlich für alle gilt!«
Schäbiges Spiel von Seehofer
Anstatt dafür zu sorgen, dass die ohnehin bereits verschärften geltenden Regelungen von den Behörden umgesetzt werden, will der Innenminister die Erfüllung der gesetzlich vorgesehenen Quote also von der Zustimmung zu weiteren Verschärfungen abhängig machen. Das hat direkte Folgen für die betroffenen Menschen.
Zwei Fälle:
L. (23)* aus Syrien
Die heute 23-jährige L. lebte in einem Vorort von Damaskus, der lange Zeit von der syrischen Armee eingekesselt war. Ihr Ehemann wurde als Reservist zum Militärdienst einberufen. Da er nicht für die syrische Armee kämpfen wollte, floh er und versteckte sich. Nachdem das Haus der Familie im Zuge von Kampfhandlungen bombardiert und dabei ihr kleiner Sohn verletzt wurde, entschied sich L. (zu diesem Zeitpunkt schwanger) im November 2015, den eingekesselten Ort zu verlassen.
Sie reiste unter sehr schwierigen Bedingungen über die Balkanroute, ihren damals einjährigen Sohn musste die Schwangere oft noch selbst tragen, in Serbien musste sie nach einem Zusammenbruch einige Zeit im Krankenhaus behandelt werden. Im April 2016 erreichte sie Deutschland und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sprach ihr im August 2016 subsidiären Schutz zu.
Die Tochter hat ihren Vater noch nie gesehen
Mittlerweile sind die beiden Kinder bereits viereinhalb und fast drei Jahre alt, die Tochter hat ihren Vater noch nie gesehen. Er hat bereits Anfang März 2018 einen Termin für die Familienzusammenführung beim deutschen Generalkonsulat in Erbil beantragt – in der Hoffnung, dass die Aussetzung des Familienachzugs zu subsidiär Geschützten, wie von der Politik beschlossen, im März 2018 auslaufen würde. Bisher hat er keinen Termin für einen Visumantrag erhalten. L. fragt regelmäßig bei den zuständigen Behörden nach, erhält jedoch keine klaren Antworten.
M. (51)* aus Syrien
Der aus Homs stammende 51-jährige M. floh mit seinen (damals 11- und 20-jährigen) Töchtern im Herbst 2015 nach Deutschland und beantragte Asyl. Bereits 2012 hatte die Familie Syrien Richtung Türkei verlassen müssen. Da sie nicht ausreichend Finanzmittel hatten, um gemeinsam weiter zu flüchten, musste M. seine Ehefrau und zwei weitere Töchter im Alter von damals 10 und 15 Jahren zurücklassen. Sie leben im Flüchtlingslager Obeyden nahe der türkisch-syrischen Grenze. Dieses Lager können die Bewohner*innen nur mit besonderer Erlaubnis bzw. Begleitung verlassen.
Den Asylantrag stellte M. im Mai 2016. Das BAMF erteilte ihm im Oktober 2017 subsidiären Schutz. Eine Klage beim Verwaltungsgericht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist seither anhängig.
Da die Familie davon ausging, dass der Familiennachzug zu subsidiär Geschützten nur bis März 2018 ausgesetzt wird, vereinbarte M.s Ehefrau mit den beiden Kindern im Januar 2018 einen Termin beim deutschen Generalkonsulat in Istanbul, um einen Visumantrag zu stellen. Vor Ort wurden sie dann informiert, dass ihr Antrag nicht entgegengenommen werden könne, weil noch unklar sei, wie die Gesetzeslage beim Familiennachzug sich zukünftig gestalten werde. Die beschwerliche Reise der Familie nach Istanbul war also umsonst.
Drei Jahre Familientrennung
Nach Inkrafttreten des Familiennachzugsneuregelungsgesetzes zum 01.08.2018 hat die Familie einen neuen Termin bei der deutschen Auslandsvertretung beantragt, bisher aber nicht erhalten.
Die Familie lebt nun seit über drei Jahren voneinander getrennt. Die in Deutschland lebende 14-jährige Tochter Z. ist aufgrund der Ereignisse in Syrien und auf der Flucht schwer traumatisiert und befindet sich in therapeutischer Behandlung. Sie leidet sehr unter der Trennung von ihrer Mutter und den beiden anderen Geschwistern. Die Mutter war vor der Flucht ihre wichtigste Bezugsperson.