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Justitia hätte dieser Tage alle Hände voll zu tun. Foto: Max Klöckner / PRO ASYL

Um einen Status von Rechtslosen, maßlose Inhaftierungen und die Kriminalisierung der Zivilgesellschaft durchzusetzen, sollen andere Gesetzesentwürfe zur bloßen Verhandlungsmasse verkommen: Ausbildungsduldung, verfassungsrechtlich vorgegebene Asylbewerberleistungen, endlose Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen – alles wird in einen Topf geworfen.

Am Mitt­woch haben sich Spitzenpolitiker*innen von SPD und Uni­on getrof­fen, um zu den aktu­el­len Geset­zes­ent­wür­fen zu ver­han­deln, die in ver­schie­de­nen Berei­chen für die Betrof­fe­nen weit­rei­chen­de Fol­gen haben könn­ten. Die Gefahr eines »fau­len Kuh­han­dels« besteht: Not­wen­di­ge Rege­lun­gen für Men­schen in Beschäf­ti­gung dür­fen nicht gegen künf­ti­ge sys­te­ma­ti­sche Inte­gra­ti­ons­ver­bo­te und ande­re ver­hee­ren­de Geset­zes­ver­schär­fun­gen aus­ge­tauscht wer­den. So sieht es aber ein Gesetz­ent­wurf aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um (BMI) vor, der einen rechts­lo­sen Sta­tus unter­halb der Dul­dung schaf­fen will, der mit einem abso­lu­ten Arbeits- und Aus­bil­dungs­ver­bot ein­her­geht und jeg­li­che Inte­gra­ti­ons­maß­nah­men verbietet.

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer will außer­dem sei­ne Plä­ne zur ufer­lo­sen Aus­wei­tung der Abschie­be­haft durch­set­zen, obwohl die­se ver­fas­sungs­recht­lich höchst­be­denk­lich sind. Zudem zielt er mit sei­nem Gesetz­ent­wurf auf eine men­schen­rechts­wid­ri­ge Kri­mi­na­li­sie­rung der Zivil­ge­sell­schaft, die Justizminister*innen und –senator*innen der SPD-geführ­ten Bun­des­län­der als »pla­ka­ti­ves Gesin­nungs­straf­recht« bezeichnen.

Mehr als zehn Gesetzgebungsverfahren

Tat­säch­lich aber rei­chen die Ver­hand­lun­gen noch wei­ter: Der­zeit wird zwi­schen den Minis­te­ri­en über mehr als zehn Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren im Asyl- und Migra­ti­ons­recht dis­ku­tiert und schein­bar alles in einen Topf zusam­men gewor­fen. Das gilt spe­zi­ell für die Ent­wür­fe aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um wie zum »Zwei­ten Hau-ab-Gesetz«, zum Aus­bil­dungs- und Beschäf­ti­gungs­dul­dungs­ge­setz oder den Ent­wür­fen aus dem Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­ri­um wie zum Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz. Jede noch so klei­ne Ver­bes­se­rung (die eh kaum vor­han­den sind) wird gegen eine Ver­schlech­te­rung aus­ge­spielt, egal in wel­chem Gesetz­ent­wurf sie greift.

Der­zeit wird zwi­schen den Minis­te­ri­en über mehr als zehn Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren im Asyl- und Migra­ti­ons­recht dis­ku­tiert und schein­bar alles in einen Topf zusam­men geworfen.

Eine tat­säch­li­che Ana­ly­se der tat­säch­li­chen Pro­ble­me oder eine Bewer­tung der über 20 neu­en Geset­ze seit Herbst 2015 ist hin­ge­gen nie erfolgt. Viel­mehr wird mit irre­füh­ren­den Zah­len Betrof­fe­ner jon­gliert und die rück­sicht­lo­se Geset­zes­hek­tik vor­an­ge­trie­ben. Bezüg­lich geschei­ter­ter Abschie­be­ver­su­che muss­te die Bun­des­re­gie­rung neu­lich erst ein­ge­ste­hen, dass sie in den meis­ten Fäl­len die Grün­de dafür gar nicht kennt. Wel­che dras­ti­schen Fol­gen aber dro­hen wür­den, zei­gen allein fol­gen­de Inhal­te eini­ger aktu­el­ler Gesetzentwürfe:

Ein­füh­rung eines neu­en pre­kä­ren Nicht-Sta­tus unter­halb der Dul­dung? Durch die Schaf­fung eines Nicht-Sta­tus unter­halb der Dul­dung (Beschei­ni­gung) wird eine Viel­zahl an Men­schen von allen Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­ten aus­ge­schlos­sen. Sie sind mit Bil­dungs- und Arbeits­ver­bo­ten belegt und haben kei­ne Chan­ce ein Blei­be­recht zu bekommen.

Abschie­be­haft für alle? Die Abschie­be­haft soll so stark aus­ge­wei­tet wer­den, dass fast alle abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den davon betrof­fen sein kön­nen. Schon die Ein­rei­se über einen ande­ren EU-Mit­glied­staat, wie bei fast allen Flücht­lin­gen, soll als Indiz für eine »Flucht­ge­fahr« die­nen und damit zur Inhaf­tie­rung füh­ren. So droht die­se zum Nor­mal­fall zu wer­den, anstatt men­schen­rechts­kon­form nur als letz­tes Mit­tel ange­wandt zu werden.

Angriff auf die Zivil­ge­sell­schaft? Mit der Kri­mi­na­li­sie­rung der Ankün­di­gung von Abschie­bun­gen und bestimm­ter Bera­tungs­tä­tig­kei­ten wer­den enga­gier­te Men­schen atta­ckiert und ver­un­si­chert. Dabei kann die Ver­öf­fent­li­chung der Abschie­be­ter­mi­ne rele­vant für den Rechts­schutz sein und Bera­tungs­stel­len infor­mie­ren über Rech­te und Pflich­ten im Asyl­ver­fah­ren – und erfül­len damit eine wich­ti­ge Rol­le im Rechts­staat. Auch für die öffent­li­che Debat­te dür­fen Abschie­bun­gen nicht im Gehei­men stattfinden.

Zur aus­führ­li­chen Stel­lung­nah­me zum »2. Hau-ab-Gesetz« hier.

Kaum jemand pro­fi­tiert von Aus­bil­dungs- und Beschäf­ti­gungs­dul­dung? Zwar will man eine Dul­dung für Men­schen in Aus­bil­dung und Beschäf­ti­gung ermög­li­chen, gera­de um mehr Rechts­si­cher­heit für alle Betei­lig­ten, ein­schließ­lich der Arbeit­ge­be­rIn­nen, zu garan­tie­ren. Doch die aktu­el­len Vor­schlä­ge wer­den gera­de nicht dafür sor­gen, dass mehr Men­schen aus der Dul­dung in einen siche­ren Auf­ent­halt kom­men – denn die Vor­aus­set­zun­gen sind viel zu hoch. Ins­be­son­de­re kann wäh­rend der War­te­zeit (6 bzw. 12 Mona­te) abge­scho­ben wer­den, was eine zusätz­li­che Ver­un­si­che­rung aller Betei­lig­ten zur Fol­ge hat.

Flücht­lin­ge auf Jah­re in Unsi­cher­heit? Die Wider­rufs­ver­fah­ren sol­len statt wie bis­her drei nun auto­ma­tisch fünf Jah­re nach der Aner­ken­nung durch­ge­führt wer­den kön­nen. Die Ver­fah­ren sol­len selbst dann ein­ge­lei­tet wer­den, wenn von vorn­her­ein klar ist, dass sich die Situa­ti­on in den Haupt­her­kunfts­län­dern nicht grund­le­gend und nach­hal­tig ver­bes­sert hat – was für einen Wider­ruf aber zwin­gen­de Vor­aus­set­zung ist. Der Inte­gra­ti­ons­pro­zess der betrof­fe­nen Flücht­lin­ge wird durch eine sol­che Unsi­cher­heit blockiert.

Andert­halb Jah­re AnkER? Die maxi­ma­le Auf­ent­halts­dau­er von Asyl­su­chen­den in Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen wird von sechs Mona­ten auf andert­halb Jah­re aus­ge­wei­tet. Damit wer­den die Men­schen bewusst von der deut­schen Gesell­schaft isoliert.

Immer noch kei­ne unab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung? Trotz eines erfolg­rei­chen Pilot­pro­jek­tes bezüg­lich der Gewähr­leis­tung von tat­säch­lich unab­hän­gi­ger Rechts­be­ra­tung in Ankunfts­zen­tren und trotz des Ver­spre­chens im Koali­ti­ons­ver­trag, wei­gert sich die Bun­des­re­gie­rung, eine flä­chen­de­cken­de, unab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung zu gewähr­leis­ten. Statt­des­sen setzt die Bun­des­re­gie­rung nun in den AnkER-Zen­tren auf Infor­ma­tio­nen durch das BAMF selbst. Dass das nicht gleich­zu­set­zen ist mit einer unab­hän­gi­gen Bera­tung, liegt auf der Hand: Es ist nicht zu erwar­ten, dass ein/e BAMF-Mit­ar­bei­te­rIn bei einem feh­ler­haf­ten Bescheid zu einer Kla­ge gegen dein eige­nen Arbeit­ge­ber rät. Fai­re Asyl­ver­fah­ren sehen anders aus.

Mogel­pa­ckung auf Kos­ten Asyl­su­chen­der? Im Zuge einer ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­schrie­ben Leis­tungs­er­hö­hung beim Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz wer­den gleich­zei­tig Leis­tun­gen gekürzt. So wird trotz ver­fas­sungs­recht­li­cher Pflicht ein Null­sum­men­spiel betrie­ben – unab­hän­gig davon, ob dies ein men­schen­wür­di­ges Leben ermöglicht.

»Schick­sals­ge­mein­schaft« Sam­mel­un­ter­kunft? Allein­ste­hen­de Erwach­se­ne, die aus ganz unter­schied­li­chen Län­dern und Situa­tio­nen kom­men und dann in Sam­mel­un­ter­künf­ten zwang­haft zusam­men mit ihnen frem­den Per­so­nen unter­ge­bracht sind, sol­len künf­tig die Leis­tun­gen gekürzt wer­den. Zur Begrün­dung wird ange­führt, es han­de­le sich bei ihnen um eine – so wört­lich – Schick­sals­ge­mein­schaft, die – eben­falls wört­lich – wie zusam­men­le­ben­de Part­ner behan­delt wer­den könn­ten. Der Vor­schlag ist nicht nur lebens­fremd, son­dern nimmt den Betrof­fe­nen auch  noch das  letz­te  Mini­mum  an  pri­va­ter  und indi­vi­du­el­ler  Lebensbestimmung.

Zur aus­führ­li­chen Stel­lung­nah­me zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes hier.

(wj / beb)