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Von Integrationsverbot bis Kriminalisierung der Beratung: Gesetzgebungshektik auf Höchststand
Um einen Status von Rechtslosen, maßlose Inhaftierungen und die Kriminalisierung der Zivilgesellschaft durchzusetzen, sollen andere Gesetzesentwürfe zur bloßen Verhandlungsmasse verkommen: Ausbildungsduldung, verfassungsrechtlich vorgegebene Asylbewerberleistungen, endlose Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen – alles wird in einen Topf geworfen.
Am Mittwoch haben sich Spitzenpolitiker*innen von SPD und Union getroffen, um zu den aktuellen Gesetzesentwürfen zu verhandeln, die in verschiedenen Bereichen für die Betroffenen weitreichende Folgen haben könnten. Die Gefahr eines »faulen Kuhhandels« besteht: Notwendige Regelungen für Menschen in Beschäftigung dürfen nicht gegen künftige systematische Integrationsverbote und andere verheerende Gesetzesverschärfungen ausgetauscht werden. So sieht es aber ein Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium (BMI) vor, der einen rechtslosen Status unterhalb der Duldung schaffen will, der mit einem absoluten Arbeits- und Ausbildungsverbot einhergeht und jegliche Integrationsmaßnahmen verbietet.
Bundesinnenminister Seehofer will außerdem seine Pläne zur uferlosen Ausweitung der Abschiebehaft durchsetzen, obwohl diese verfassungsrechtlich höchstbedenklich sind. Zudem zielt er mit seinem Gesetzentwurf auf eine menschenrechtswidrige Kriminalisierung der Zivilgesellschaft, die Justizminister*innen und –senator*innen der SPD-geführten Bundesländer als »plakatives Gesinnungsstrafrecht« bezeichnen.
Mehr als zehn Gesetzgebungsverfahren
Tatsächlich aber reichen die Verhandlungen noch weiter: Derzeit wird zwischen den Ministerien über mehr als zehn Gesetzgebungsverfahren im Asyl- und Migrationsrecht diskutiert und scheinbar alles in einen Topf zusammen geworfen. Das gilt speziell für die Entwürfe aus dem Bundesinnenministerium wie zum »Zweiten Hau-ab-Gesetz«, zum Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungsgesetz oder den Entwürfen aus dem Bundesarbeitsministerium wie zum Asylbewerberleistungsgesetz. Jede noch so kleine Verbesserung (die eh kaum vorhanden sind) wird gegen eine Verschlechterung ausgespielt, egal in welchem Gesetzentwurf sie greift.
Derzeit wird zwischen den Ministerien über mehr als zehn Gesetzgebungsverfahren im Asyl- und Migrationsrecht diskutiert und scheinbar alles in einen Topf zusammen geworfen.
Eine tatsächliche Analyse der tatsächlichen Probleme oder eine Bewertung der über 20 neuen Gesetze seit Herbst 2015 ist hingegen nie erfolgt. Vielmehr wird mit irreführenden Zahlen Betroffener jongliert und die rücksichtlose Gesetzeshektik vorangetrieben. Bezüglich gescheiterter Abschiebeversuche musste die Bundesregierung neulich erst eingestehen, dass sie in den meisten Fällen die Gründe dafür gar nicht kennt. Welche drastischen Folgen aber drohen würden, zeigen allein folgende Inhalte einiger aktueller Gesetzentwürfe:
Einführung eines neuen prekären Nicht-Status unterhalb der Duldung? Durch die Schaffung eines Nicht-Status unterhalb der Duldung (Bescheinigung) wird eine Vielzahl an Menschen von allen Integrationsangeboten ausgeschlossen. Sie sind mit Bildungs- und Arbeitsverboten belegt und haben keine Chance ein Bleiberecht zu bekommen.
Abschiebehaft für alle? Die Abschiebehaft soll so stark ausgeweitet werden, dass fast alle abgelehnten Asylsuchenden davon betroffen sein können. Schon die Einreise über einen anderen EU-Mitgliedstaat, wie bei fast allen Flüchtlingen, soll als Indiz für eine »Fluchtgefahr« dienen und damit zur Inhaftierung führen. So droht diese zum Normalfall zu werden, anstatt menschenrechtskonform nur als letztes Mittel angewandt zu werden.
Angriff auf die Zivilgesellschaft? Mit der Kriminalisierung der Ankündigung von Abschiebungen und bestimmter Beratungstätigkeiten werden engagierte Menschen attackiert und verunsichert. Dabei kann die Veröffentlichung der Abschiebetermine relevant für den Rechtsschutz sein und Beratungsstellen informieren über Rechte und Pflichten im Asylverfahren – und erfüllen damit eine wichtige Rolle im Rechtsstaat. Auch für die öffentliche Debatte dürfen Abschiebungen nicht im Geheimen stattfinden.
Zur ausführlichen Stellungnahme zum »2. Hau-ab-Gesetz« hier.
Kaum jemand profitiert von Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung? Zwar will man eine Duldung für Menschen in Ausbildung und Beschäftigung ermöglichen, gerade um mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten, einschließlich der ArbeitgeberInnen, zu garantieren. Doch die aktuellen Vorschläge werden gerade nicht dafür sorgen, dass mehr Menschen aus der Duldung in einen sicheren Aufenthalt kommen – denn die Voraussetzungen sind viel zu hoch. Insbesondere kann während der Wartezeit (6 bzw. 12 Monate) abgeschoben werden, was eine zusätzliche Verunsicherung aller Beteiligten zur Folge hat.
Flüchtlinge auf Jahre in Unsicherheit? Die Widerrufsverfahren sollen statt wie bisher drei nun automatisch fünf Jahre nach der Anerkennung durchgeführt werden können. Die Verfahren sollen selbst dann eingeleitet werden, wenn von vornherein klar ist, dass sich die Situation in den Hauptherkunftsländern nicht grundlegend und nachhaltig verbessert hat – was für einen Widerruf aber zwingende Voraussetzung ist. Der Integrationsprozess der betroffenen Flüchtlinge wird durch eine solche Unsicherheit blockiert.
Anderthalb Jahre AnkER? Die maximale Aufenthaltsdauer von Asylsuchenden in Aufnahmeeinrichtungen wird von sechs Monaten auf anderthalb Jahre ausgeweitet. Damit werden die Menschen bewusst von der deutschen Gesellschaft isoliert.
Immer noch keine unabhängige Asylverfahrensberatung? Trotz eines erfolgreichen Pilotprojektes bezüglich der Gewährleistung von tatsächlich unabhängiger Rechtsberatung in Ankunftszentren und trotz des Versprechens im Koalitionsvertrag, weigert sich die Bundesregierung, eine flächendeckende, unabhängige Asylverfahrensberatung zu gewährleisten. Stattdessen setzt die Bundesregierung nun in den AnkER-Zentren auf Informationen durch das BAMF selbst. Dass das nicht gleichzusetzen ist mit einer unabhängigen Beratung, liegt auf der Hand: Es ist nicht zu erwarten, dass ein/e BAMF-MitarbeiterIn bei einem fehlerhaften Bescheid zu einer Klage gegen dein eigenen Arbeitgeber rät. Faire Asylverfahren sehen anders aus.
Mogelpackung auf Kosten Asylsuchender? Im Zuge einer verfassungsrechtlich vorgeschrieben Leistungserhöhung beim Asylbewerberleistungsgesetz werden gleichzeitig Leistungen gekürzt. So wird trotz verfassungsrechtlicher Pflicht ein Nullsummenspiel betrieben – unabhängig davon, ob dies ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.
»Schicksalsgemeinschaft« Sammelunterkunft? Alleinstehende Erwachsene, die aus ganz unterschiedlichen Ländern und Situationen kommen und dann in Sammelunterkünften zwanghaft zusammen mit ihnen fremden Personen untergebracht sind, sollen künftig die Leistungen gekürzt werden. Zur Begründung wird angeführt, es handele sich bei ihnen um eine – so wörtlich – Schicksalsgemeinschaft, die – ebenfalls wörtlich – wie zusammenlebende Partner behandelt werden könnten. Der Vorschlag ist nicht nur lebensfremd, sondern nimmt den Betroffenen auch noch das letzte Minimum an privater und individueller Lebensbestimmung.
Zur ausführlichen Stellungnahme zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes hier.
(wj / beb)