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Kriminalisierung der Zivilgesellschaft – jetzt auch in Deutschland?
Das »Zweite Hau-ab-Gesetz« – vom Bundesinnenministerium beschönigend als »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« bezeichnet – ist aktuell im Ressortverfahren, wird also zwischen den Ministerien besprochen. Zu dieser »Ordnung« sollen auch zwei neue Straftatbestände gehören, die die zivilgesellschaftliche Unterstützung von geflüchteten Menschen im Visier haben.
Zum einen soll die Veröffentlichung und Verbreitung von Abschiebeterminen mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können. Zum anderen soll ebenso unter Strafe gestellt werden, wenn Beratungsstellen über Identifizierungsmaßnahmen informieren, um diese zu behindern.
Über Abschiebungen nach Afghanistan muss debattiert werden können
Der Vorschlag, die Veröffentlichung von Abschiebeterminen zu kriminalisieren scheint eindeutig auf die Bekanntmachung von Abschiebeflügen nach Afghanistan gemünzt zu sein. Diese Abschiebungen sind äußerst umstritten. Gerade deswegen sind sie aber auch ein gutes Beispiel dafür, warum eine Kriminalisierung der Bekanntgabe aus menschenrechtlicher Sicht so problematisch ist. Die Abschiebungen nach Afghanistan sind nämlich Bestandteil einer wichtigen öffentlichen Debatte über die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan und das deutsche staatliche Handeln diesbezüglich, die anlässlich eines Abschiebefluges regelmäßig neu entfacht wird. Sie sind auch immer wieder Anlass zu Demonstrationen an Flughäfen.
Außerdem gibt die Veröffentlichung des Abschiebetermins den möglicherweise betroffenen Menschen auch die Möglichkeit sich über ihre Rechte zu informieren und sich zu schützen. Nicht selten werden durch gerichtliche Intervention Abschiebungen gestoppt, da sie rechtswidrig wären – wie im Falle eines äthiopischen Vaters von zwei Kindern, bei dem das Bundesverfassungsgericht in letzter Minute einschreiten musste, um eine Familientrennung durch Abschiebung zu verhindern. Rechtswidrige Abschiebungen können für die Betroffenen fatale Folgen haben, besonders wenn sie verbotener Weise in einen Staat zurück gebracht werden, in dem sie verfolgt wurden. Die Bekanntmachung eines geplanten Abschiebefluges kann also essentiell für den Rechtsschutz der betroffenen Personen sein.
Es ist angesichts der Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit eindeutig unverhältnismäßig, und damit verfassungswidrig, die Bekanntmachung von Abschiebeterminen unter Strafe zu stellen.
Verletzung der Meinungsfreiheit: Eindeutig unverhältnismäßig!
Die Veröffentlichung der Abschiebetermine ist menschenrechtlich durch die Presse- und Informationsfreiheit geschützt, wie sie im Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 10 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention zu finden sind. Die Demonstrationsfreiheit, die von der Meinungsfreiheit ebenso umfasst ist, wäre auch betroffen, da zur Mobilisierung eben auch der Abschiebetermin angekündigt werden muss. Diese Rechte sind in einer Demokratie elementar, weshalb die Bundesregierung die Meinungs- und Pressefreiheit nur in bestimmtem Maße einschränken darf – die Pressefreiheit steht dabei unter einem besonders hohen Schutz. Die Grenzen des Erlaubten werden bei der vorgeschlagenen Kriminalisierung aber eindeutig überschritten!
Die Grenzen des Rechts werden verwischt
Die Regierung muss nämlich schwerwiegende Gründe anführen, um eine solche Einschränkung zu rechtfertigen. Während das Bundesinnenministerium sich gar nicht erst mit der Meinungs- und Pressefreiheit auseinandersetzt und so auch keine Argumente zur Rechtfertigung dieser Beschränkung vorträgt, scheint sie sich im Übrigen auf die »Bewährung des Rechtsstaats« und den angeblich »besonderen Unrechtsgehalts« des unter Strafe gestellten Verhaltens zu berufen. Der Begriff des »besonderen Unrechtsgehalts« kommt aus dem Strafrecht und führt zum Beispiel zu einer höheren Bestrafung bei »gefährlicher Körperverletzung« oder »Körperverletzung mit Todesfolge« als bei »einfacher« Körperverletzung, da eben der Unrechtsgehalt als schwerer angesehen wird. Eine solche Formulierung auf die reine Veröffentlichung von Abschiebeterminen zu beziehen, ist geradezu absurd und zeigt, wie im Rahmen der »nationalen Kraftanstrengung bei Abschiebungen« die Grenzen des Rechts verwischt werden.
Auch das Argument der »Bewährung des Rechtsstaats« kann man angesichts der beschriebenen Bedeutung der Veröffentlichung der Abschiebetermine für den Rechtsschutz der Betroffenen nicht gelten lassen. Die Möglichkeit Rechtsschutz zu erhalten ist ein wesentliches Element des Rechtsstaates.
Es ist also angesichts der Bedeutung von Meinungs- und Pressefreiheit eindeutig unverhältnismäßig, und damit verfassungs- und menschenrechtswidrig, die Bekanntmachung von Abschiebeterminen unter Strafe zu stellen.
Beratungsstellen unter Generalverdacht
Stell dir vor, du bist in einem dir unbekannten Land, du sprichst die Sprache nicht und deine Sicherheit hängt von einem dir unverständlichen Verfahren ab – was brauchst du dann auf jeden Fall? Beratung! Deswegen gibt es in Deutschland ein großes Netzwerk an unabhängigen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Beratungsstellen für asylsuchende Menschen, die diese wichtige Rolle übernehmen. Indem sie die Menschen in jedem Stadium des Asylverfahrens über ihre Rechte und Pflichten aufklären, erfüllen sie auch eine zentrale Rolle im Rechtsstaat.
Viele Menschen werden sich nicht trauen, rechtliche Beratung anzubieten, wenn sie mit Geld- oder Haftstrafen zu rechnen haben.
Die Skepsis einiger Politiker*innen gegenüber Beratungsstellen versinnbildlichte sich schon im Begriff »Anti-Abschiebe-Industrie«, welcher zum Unwort des Jahres 2018 gekürt wurde. Mit dem »Zweiten Hau-ab-Gesetz« würde dieses Misstrauen in Gesetzesform gegossen werden. Laut dem Straftatbestand soll bestraft werden, wer »[…] die Vollziehung einer bestehenden Ausreisepflicht dadurch beeinträchtigt, dass er über geplante Maßnahmen zur Feststellung der Identität ausreisepflichtiger Ausländer mit dem Ziel einer Behinderung derselben informiert […]«.
Was dort alles darunter fallen könnte, bleibt gefährlich offen. Kann schon der Rat, rechtliche Mittel einzulegen, als Information mit dem Ziel der Behinderung der Maßnahme gelten? Diese Rechtsunsicherheit kann eine abschreckende Wirkung haben. Viele Menschen werden sich nicht trauen, rechtliche Beratung anzubieten, wenn sie mit Geld- oder Haftstrafen zu rechnen haben. Es ist inakzeptabel, engagierten Menschen mit Gefängnis zu drohen!
Die abschreckende Wirkung solcher Gesetze, den sogenannten »chilling effect«, hat auch der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechtsverteidiger*innen in einem Bericht zur Lage von Flüchtlingsunterstützer*innen weltweit festgestellt und kritisiert.
Von Orban lernen?
Bei der vorgeschlagenen Kriminalisierung der deutschen Asylszene hat sich das Bundesinnenministerium scheinbar von anderen europäischen Regierungen inspirieren lassen. In Ungarn steht die Zivilgesellschaft schon seit einiger Zeit enorm unter Druck. Seit 2017 müssen sich NGOs, die sich über Geld aus dem Ausland finanzieren, extra registrieren lassen und den Bezug von ausländischen Geldern auch öffentlich deklarieren.
2018 wurde dann ein Gesetz verabschiedet, welches die Unterstützung von asylsuchenden Menschen als »Gefahr für die öffentliche Sicherheit« attackiert. Organisationen, die Flüchtlinge durch Rechtsberatung unterstützen, die die Behandlung von schutzsuchenden Menschen beobachten oder die sich für eine Verbesserung der Flüchtlingspolitik einsetzen, müssen eine spezielle Lizenz beantragen, um ihre Arbeit fortzuführen. Ansonsten können die Organisationen aufgelöst werden. Damit wird zivilgesellschaftliches Engagement abhängig von politischer Willkür und die Unterstützung von geflüchteten Menschen stigmatisiert. Die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie dem Ungarischen Helsinki Komitee, welches von PRO ASYL unterstützt wird, wird dadurch stark erschwert.
Kriminalisierung hat viele Facetten
Ähnlich wie vom Bundesinnenministerium geplant, wird in anderen Ländern das Strafrecht genutzt, um gegen Unterstützer*innen von Flüchtlingen vorzugehen. So wurde die Schwedin Elin Ersson zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie sich im Flugzeug nicht hinsetzte, um eine Abschiebung nach Afghanistan zu verhindern – ihr Live-Video ging viral. Für eine ebenfalls friedliche Blockade einer von den Aktivist*innen als rechtswidrig angesehenen Abschiebung wurden die sogenannten »Stansted 15« in England sogar unter Terrorismus-Gesetzen u.a. zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Die vorgeschlagene Kriminalisierung von Flüchtlingsunterstützer*innen im »Zweiten Hau-ab-Gesetz« muss ersatzlos gestrichen werden.
Mit harten Bandagen wird auch gegen zivile Seenotretter*innen gekämpft. Gegen die Kapitänin der Organisation Sea Watch, Pia Klemp, wird in Italien wegen des Verdachts auf Beihilfe zur illegalen Einreise ermittelt. Im Zuge dessen fand die Organisation heraus, dass ihr Schiff verwanzt wurde und Spitzel auf dem Schiff arbeiteten. Und selbst bei einem späteren Freispruch ist der Schaden längst angerichtet: auf Anraten der Anwälte fährt Pia Klemp nicht mehr auf der Sea Watch mit. Das Schiff IUVENTA der Organisation Jugend Rettet wurde aufgrund von strafrechtlichen Ermittlungen in Italien sogar im August 2017 beschlagnahmt und bislang nicht wieder freigegeben, obwohl Jugend Rettet bis heute keine Straftaten nachgewiesen werden konnten.
Trend zur Einschränkung der Zivilgesellschaft
All diese Maßnahmen können Menschen davon abschrecken, sich für geflüchtete Menschen zu engagieren und einzusetzen. Sie sind Teil eines weltweiten Trends, das Engagement der Zivilgesellschaft immer weiter einzuschränken. Deswegen muss ähnlichen Entwicklungen in Deutschland von Anfang an entschieden entgegen getreten werden. Die vorgeschlagene Kriminalisierung von Flüchtlingsunterstützer*innen im »Zweiten Hau-ab-Gesetz« muss ersatzlos gestrichen werden.
(wj)