Offenbar nach tagespolitischer Opportunität benennt die große Koalition Zug um Zug neue angeblich „sichere Herkunftsstaaten“ in der Balkanregion. Jetzt in der gesetzgeberischen Planung: Montenegro und Albanien. Mit diesem Bestreben treibt die Union ihre Koalitionspartnerin SPD dazu, über das in der Koalitionsvereinbarung vereinbarte hinaus zu gehen. Bislang liegt ein Gesetzentwurf vor, mit dem Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft werden sollen. Über den Gesetzentwurf wird am Freitag in erster Lesung im Bundestag beraten.
PRO ASYL kritisiert die Bagatellisierung der Menschenrechtslage in den Westbalkanstaaten. Länder, in denen Minderheiten massiv diskriminiert, Journalisten bedroht oder Schwule und Lesben straffrei angegriffen werden, kann kein Persilschein ausgestellt werden. Das heute von PRO ASYL veröffentlichte Gutachten zu Albanien und Montenegro ergänzt die bereits vorliegende menschenrechtliche Begutachtung der Länder Serbien, Mazedonien und Bosnien und Herzegowina. Wie bei diesen drei Ländern lässt sich eine Einstufung als „sichere Herkunftsstaaten“ auch bei Montenegro und Albanien mit dem europäischen Flüchtlingsrecht und den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbaren.
Ein Bericht des Auswärtigen Amts spricht von ethnisch motivierter Diskriminierung gegenüber Roma, Korruption und organisiertem Verbrechen in Albanien. Es herrsche „eine Kultur der Straflosigkeit und fehlenden Implementierung der vorhandenen Regelwerke“. Verschiedene Berichte belegen darüber hinaus schwerwiegende Diskriminierungen von Angehörigen gesellschaftlicher Minderheiten. Aufgrund der langsamen und korruptionsanfälligen Justiz gibt es zudem keine effektive Strafverfolgung und keinen wirksamen Schutz gegen Bedrohungen durch die Blutrache, rassistische und homophobe Übergriffe oder geschlechtsspezifische Gewalt.
Eine umfassende Auswertung von Menschenrechtsquellen zeigt, dass auch Montenegro nicht pauschal als sicher eingestuft werden kann. In den vergangenen Jahren wurden kritische montenegrinische Journalisten und Presseorgane immer wieder Opfer von Anschlägen. Kaum einer wurde aufgeklärt. Faktisch herrscht in Montenegro völlige Straffreiheit nicht nur bei Gewalt gegen Medienvertreter. Selbst Polizisten, die nachweislich gefoltert hatten, konnten im Dienst verbleiben. Auch Schwule und Lesben sind Angriffen ausgesetzt, die ungeahndet bleiben. Einem prominenten Schwulenaktivisten wurde im November 2013 in Kanada Asyl gewährt, nachdem die montenegrinischen Behörden ihn nicht schützten. Jetzt wird offenbar seine Familie bedroht.
Die Angehörigen der Roma-Minderheit leben in Montenegro ähnlich erbärmlich wie in anderen Balkanstaaten. Kinder aus Roma-Familien, die seit dem Kosovokrieg nach Montenegro flohen, haben zudem oft keine Papiere, weshalb ihnen unter anderem der Schulzugang verwehrt wird. De facto ist die Gruppe inzwischen illegalisiert.
PRO ASYL fordert die große Koalition auf das Gesetzesvorhaben zur Einstufung der Westbalkan-staaten als „sichere Herkunftsländer“ aufzugeben.
PRO ASYL-Gutachten zur Ausweitung des Gesetzgebungsvorhabens der Großen Koalition zur Einstufung von Westbalkanstaaten als „sichere Herkunftsstaaten“ auf die Länder Albanien und Montenegro“ (Juni 2014)
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