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Familiennachzug Eritrea: Auswärtiges Amt verursacht jahrelange Trennungen
![Image](https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Eritrea_UNHCR_RF2208031.jpg)
Der Familiennachzug eritreischer Flüchtlinge zieht sich oft über viele Jahre hin. Ein neues Gutachten zeigt, dass die nachträgliche Beschaffung von Dokumenten aus Eritrea, die deutsche Behörden einfordern, häufig an unzumutbare Bedingungen geknüpft ist. Im Auswärtigen Amt scheint nun endlich Bewegung in die Sache zu kommen.
Dass die deutschen Behörden Dokumente zum Nachweis von Identität und familiärer Bindung verlangen, die die Familien nicht haben, ist eines der zentralen Probleme beim Familiennachzug und trifft ganz besonders Familien aus Ostafrika. Eritreische Angehörige sind meist schon in die Nachbarländer geflohen, weil sie in der deutschen Auslandsvertretung in Asmara (Eritrea) keinen Familiennachzug beantragen können. Die legale Ausreise aus Eritrea ist kaum möglich, offiziell gilt das Verlassen des ostafrikanischen Staates als »Verrat am Vaterland«. Bei der Visumsbeantragung verlangen die deutschen Behörden dann aber, dass die Geflohenen aus dem Ausland über die eritreischen Botschaften und unter Beauftragung Dritter Dokumente aus Eritrea beschaffen. Das ist aus verschiedenen Gründen schwierig.
Ein von PRO ASYL kofinanziertes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Eritrea nicht das ihm teilweise zugeschriebene, gut funktionierende Urkundensystem besitzt. Viele Lebensereignisse wie Geburten und Eheschließungen bleiben amtlich undokumentiert.
Hinzu kommt, dass die Hürden zur nachträglichen Beschaffung extrem hoch und teilweise nicht zu erfüllen sind: Die Beantragung von amtlichen Dokumenten ist für Eritreer*innen im Ausland nur möglich, wenn sie eine Erklärung unterschreiben, dass sie die Flucht bereuen und eine Steuer von zwei Prozent ihres Einkommens entrichten. Dies ist seit langem bekannt, die Bundesregierung hatte darüber nach eigenen Angaben jedoch bisher keine Erkenntnisse (Drs. 19/2075; Drs. 19/11840). Das Gutachten zeigt auf, dass die Reue-Erklärung und Diasporasteuer, die auch auf deutsche Sozialleistungen berechnet wird, Voraussetzungen für jeglichen konsularischen Dienst sind.
Unüberwindbare Hürden, Probleme für Minderjährige
Die Menschen, die aus Eritrea geflohen sind, bereuen in der Regel aber die »Nichterfüllung nationaler Verpflichtungen« nicht. Ebenso wenig sind sie bereit, die »angemessenen Maßnahmen« zu akzeptieren, die die eritreische Regierung dafür häufig verhängt. Die Abgabe einer solchen Erklärung kann daher von ihnen nicht verlangt werden. Erst im vergangenen Jahr gab es zwei Urteile (VG Hannover und VG Wiesbaden), die die Erklärung auch für subsidiär Geschützte für unzumutbar halten – für anerkannte Flüchtlinge muss dies in jedem Fall gelten, denn dass sie individuell verfolgt sind, hat das Bundesamt ja bereits festgestellt.
Erstmals wird im Gutachten zudem aufgedeckt, dass eritreische Auslandsvertretungen in ostafrikanischen Staaten wie Sudan oder Kenia die nachträgliche Ausstellung von Dokumenten (beispielsweise Pässen) grundsätzlich verweigern, wenn die Flüchtlinge nicht nachweisen können, dass sie vor dem Friedensabkommen zwischen Eritrea und Äthiopien im Juni 2018 aus Eritrea geflüchtet sind.
Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist es weder rechtlich noch praktisch möglich, Dokumente zu beschaffen. Dennoch hat Deutschland das bislang von ihnen verlangt – und fährt damit einen restriktiveren Kurs als andere europäische Staaten
Darüber hinaus zeigt das Gutachten die besonders schwierige Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf: Für sie ist es weder rechtlich noch praktisch möglich, Dokumente zu beschaffen. Dennoch hat Deutschland das bislang von ihnen verlangt – anders als andere europäische Länder, die dies als unzumutbar ansehen. Die beiden Gutachter*innen zeigen, dass die deutsche Praxis im Vergleich mit der Rechtsprechung in anderen EU-Staaten in dieser Hinsicht besonders restriktiv war.
Das Auswärtige Amt hat – nach Erstellung des Gutachtens – die Anforderungen an die Dokumentenbeschaffung inzwischen scheinbar angepasst. Die entsprechenden Erlasse sind leider nicht bekannt. Aus einem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums geht jedoch hervor, dass künftig vermehrt eine alternative Glaubhaftmachung vorgenommen wird, »sollte eine Nachforderung als von vorneherein unmöglich bzw. unzumutbar angesehen werden oder aufgrund des bisherigen Zeitablaufs eine baldige Beibringung der amtlichen Dokumente nicht zu erwarten sein oder würde ein weiteres Nachfordern aufgrund der bereits abgelaufenen Zeit und der Umstände des Falles eine unzumutbare Härte darstellen.«
Viel zu lange hat die Bundesregierung auf den amtlichen Dokumenten der Diktatur beharrt – und dabei die Rechte der Geflüchteten und ihrer Familien verletzt.
Geflüchtete müssen Kontakt zum Verfolgerstaat aufnehmen. Ändert sich das nun?
Ob die Fälle, in denen die Beschaffung von Dokumenten seit Jahren nicht möglich war, jetzt endlich zu einem positiven Abschluss geführt werden und künftig darauf verzichtet wird, Geflüchtete zum Kontakt mit dem Verfolgerstaat zu drängen, bleibt abzuwarten. Es wäre höchste Zeit. Viel zu lange hat die Bundesregierung auf den amtlichen Dokumenten der Diktatur beharrt – und dabei die Rechte der Geflüchteten und ihrer Familien verletzt.
Das Gutachten »Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification« wurde von Daniel Mekonnen und Sara Palacios Arapiles im Auftrag der Organisationen Equal Rights Beyond Borders und International Refugee Assistance Project (IRAP) erstellt und u.a. von PRO ASYL kofinanziert. Eine Übersetzung ins Deutsche ist geplant. Die englische Fassung kann hier abgerufen werden.
(jb)
Die Initiative Familiennachzug Eritrea ruft für den 15. Mai 2021 zu einer Demo vor dem Auswärtigen Amt auf. In der Initiative haben sich mehr als 1000 Geflüchtete zusammengeschlossen: Sie fordern, die flüchtlings- und familienfeindliche Politik zu beenden und den Nachzug ihrer Familien, von denen sie zum Teil seit mehr als fünf Jahren getrennt sind, endlich zu ermöglichen. Die Wartezeiten zur Antragstellung von bis zu zwei Jahren, die schleppende Bearbeitung und unerfüllbare Anforderungen an vorzulegende Dokumente verhindern ihr Recht auf Familienleben. Sie fordern: »Familienleben für alle – Familiennachzug jetzt!« Der Aufruf wird unterstützt von PRO ASYL, dem Flüchtlingsrat Berlin und der Seebrücke.