News
Asylrechtsverschärfung: Gesetzentwurf bleibt verfassungswidrig
Die Bundesregierung hat sich auf eine neue Version des Gesetzentwurfes mit dem Titel „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ geeinigt – doch das Gesetzesvorhaben, das zahlreiche Instrumente zur Ausgrenzung und Abschreckung von Schutzsuchenden enthält, ist und bleibt verfassungswidrig.
Es kann der Bundesregierung nicht schnell genug gehen: Vor dem Hintergrund der aktuellen Überforderung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Mangels an Unterkünften für Flüchtlinge soll das so genannte Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz nun schnellstens mit den Ländern abgestimmt und anschließend von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Doch die Eile täuscht darüber hinweg, dass das Gesetz zur Bewältigung der akuten Herausforderungen nichts beiträgt – im Gegenteil. Daran hat auch die jüngste Überarbeitung des Gesetzentwurfes nichts geändert: Er zielt weiterhin darauf, Schutzsuchende durch Ausgrenzung und Diskriminierung abzuschrecken, nicht, wie der Titel verspricht, auf eine Beschleunigung der Asylverfahren.
Nachdem der vom Bundesinnenministerium geplante, in der Ressortabstimmung befindliche Gesetzentwurf vom 14. September an die Öffentlichkeit gedrungen war, hat die Bundesregierung immerhin von einem Vorhaben Abstand genommen: Schutzsuchende, die nachweislich über andere EU-Staaten nach Deutschland eingereist sind und daher nach der Dublin-III-Verordnung dorthin zurück müssen, jegliche Versorgung und Unterbringung zu streichen, um sie – ausgestattet mit einer Rückfahrkarte und Reiseproviant – zur Rückreise zu drängen. Dieses eindeutig verfassungswidrige Vorhaben wurde nun aus dem Gesetzentwurf gestrichen.
Verschiebung der Betroffenen
Doch gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum von Asylbewerbern bleibt der Gesetzentwurf verfassungswidrig. Die Große Koalition will Flüchtlingen, die z.B. in einem anderen EU-Staat einen Schutzstatus erhalten haben oder in einen anderen EU-Staat verteilt worden sind, künftig vom so genannten soziokulturellen Existenzminimum ausschließen – das heißt, dass nur ihre physische Existenz gesichert werden soll – nach dem Motto: Überleben muss reichen.
Während in der Fassung des Gesetzentwurfs vom 14. September alle Personen im Dublin-Verfahren von Leistungskürzungen betroffen sein sollten, hat man sich nun mit diesem Vorhaben auf andere Gruppen fokussiert (Stand: 21. September). Betroffen sind nun Personen, die bereits in einem anderen EU-Land als schutzberechtigt anerkannt worden sind und dennoch nach Deutschland kommen (Anerkannte) sowie Personen, die von einem ersten EU-Land in ein anderes EU-Land umgesiedelt worden sind und dann nach Deutschland weitergereist sind (Relocation). Dazu kommen Geduldete, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenen Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können.
Physische Existenzsicherung statt Menschenwürde
Dass bei diesen Gruppen nur noch Mittel zur physischen Existenzsicherung gewährt werden – Lebensmittel und ein Schlafplatz – ist mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren. In einem Grundsatzurteil vom 18. Juli 2012- 1 BvL 10/10 -, – 1 BvL 2/11 – hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt: „Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht.“
Dass das auch für Flüchtlinge gilt, machte das Gericht unmissverständlich klar: „Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“ (Rn. 120)
Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren
Ebenso klar macht das Urteil des Verfassungsgerichts, dass die Intention, Flüchtlinge abzuschrecken, die Absenkung des menschenwürdigen Existenzminimums in keiner Weise rechtfertigen kann. Kurz – die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren:
„Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ (Rn. 121)
Die Gesetzesentwürfe im Original, Stand 20/21. September:
Asylpaket I: Asylrechtliche Änderungen seit dem 23.10.2015 in Kraft (17.11.15)
PRO ASYL will Klagen gegen das Asylverschärfungsgesetz unterstützen (16.10.15)
Menschenwürde ist kein Fehlanreiz (14.10.15)
Massenunterkünfte leisten Gewaltausbrüchen Vorschub (28.09.15)
Asylrechtsverschärfung: Scharfer Widerspruch aus der Zivilgesellschaft (25.09.15)
Bund-Länder-Gipfel: CDU/CSU, SPD und Grüne einigen sich auf massive Asylrechtsverschärfung (25.09.15)
Was jetzt getan werden muss (23.09.15)
Große Koalition beschließt Verfassungsbruch (21.09.15)
Neuer Gesetzentwurf: Abschottung, Abschreckung und Obdachlosigkeit (17.09.15)
Abschottung, Abschreckung und Obdachlosigkeit werden zum Programm (17.09.15)