20.06.2018
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So sieht Flüchtlingsschutz in Europa aus: Geflüchtete Anfang des Jahres in provisorischen Zelten außerhalb des überfüllten Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Foto: Kevin McElvaney

Weltweit waren 2017 rund 68,5 Millionen Menschen wegen Krieg, Gewalt und Verfolgung auf der Flucht – fast drei Millionen mehr als im Jahr davor. Doch der Zugang zum Recht auf Asyl in Europa wird zunehmend versperrt, immer weniger Menschen finden in Europa Schutz.

Über 16 Mil­lio­nen neue Flücht­lin­ge hat UNHCR im ver­gan­ge­nen Jahr regis­triert. Sta­tis­tisch gese­hen wur­de 2017 damit alle zwei Sekun­den ein Mensch in die Flucht geschla­gen. Die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit, näm­lich 85 Pro­zent, sucht dabei in Ent­wick­lungs­län­dern Zuflucht. Die Zahl der Asyl­su­chen­den in Euro­pa und Deutsch­land sank – das Ergeb­nis einer Abschot­tungs­po­li­tik, die mit allen Mit­teln die Zahl ankom­men­der Flücht­lin­ge nach unten drü­cken will.

Nach Deutsch­land kamen 2017 186.644 Asyl­su­chen­de, im Jahr zuvor waren es noch rund 280.000. Die meis­ten stam­men aus Kriegs- und Kri­sen­län­dern wie Syri­en, Afgha­ni­stan, Irak, Iran oder Eri­trea. Doch mit der zuneh­men­den Ver­sper­rung von Flucht­we­gen rückt für Men­schen auf der Flucht der Zugang zum Asyl­recht auf Euro­pa in uner­reich­ba­re Ferne.

Die Abschottungspolitik der EU beginnt vor ihren Grenzen

Die EU lagert ihr Grenz­re­gime immer wei­ter vor: Flücht­lin­ge sol­len schon in der Sahel­zo­ne und an der süd­li­chen Land­gren­ze Liby­ens auf­zu­hal­ten. Selbst vor Koope­ra­tio­nen mit auto­ri­tä­ren Regi­men wird nicht zurück­ge­schreckt. Unter dem Deck­man­tel angeb­li­cher Flucht­ur­sa­chen­be­kämp­fung wer­den Unrechts­re­gime gestützt und Schutz­su­chen­den der Zugang nach Euro­pa und zu einem fai­ren Asyl­ver­fah­ren verwehrt.

Libysche Küstenwache bringt aus Seenot Gerettete zurück in Lager 

Auch die Zusam­men­ar­beit mit der zum Teil von bru­ta­len Mili­zen kon­trol­lier­ten »liby­schen Küs­ten­wa­che« steht weit oben auf der euro­päi­schen Agen­da. In See­not gera­te­ne Boots­flücht­lin­ge sol­len von der »liby­schen Küs­ten­wa­che« geret­tet und nach Liby­en zurück­ge­bracht wer­den. Miss­hand­lun­gen, Fol­ter und Ver­ge­wal­ti­gun­gen sind in den liby­schen Lagern an der Tages­ord­nung. Dass die­ses Vor­ge­hen nicht mit der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EMRK) ver­ein­bar ist, stört die Ver­ant­wort­li­chen in der EU offen­bar wenig.

Das Sterben im Mittelmeer geht weiter. Wer rettet, wird kriminalisiert 

Laut UNHCR sind 2017 min­des­tens 3.139 Men­schen beim Ver­such, über das Mit­tel­mer nach Euro­pa zu gelan­gen, ums Leben gekom­men, seit Jah­res­be­ginn waren es 802. Zivi­le Seenotretter*innen wie Jugend Ret­tet, Ärz­te ohne Gren­zen, SOS Medi­ter­ra­nee, Sea-Watch, u.a. ret­ten im Mit­tel­meer Men­schen­le­ben und sehen sich einer bei­spiel­lo­sen Dif­fa­mie­rungs­kam­pa­gne aus­ge­setzt. Die Abschot­tung gegen Flücht­lin­ge geht so weit, dass im Juni die Regie­run­gen von Ita­li­en und Mal­ta das Ret­tungs­schiff »Aqua­ri­us« nicht anle­gen lie­ßen. Das Schiff mit 629 aus See­not geret­te­ten Men­schen an Bord durf­te nach einer ein­wö­chi­gen Irr­fahrt durch das Mit­tel­meer in Spa­ni­en anlegen.

Der Deal mit der Türkei produziert Elendslager in Griechenland 

Der EU-Flücht­lings­deal mit der Tür­kei aus März 2016 gilt als Blau­pau­se für die neue EU-Asyl­rechts­re­form. Die zwei wich­tigs­ten Kon­zep­te, »Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren« und »siche­rer Dritt­staat« wer­den seit März 2016 in den EU-Hot­spots auf den grie­chi­schen Inseln in der Ägä­is ange­wen­det – mit kata­stro­pha­len Fol­gen: Tau­sen­de Flücht­lin­ge sit­zen auf den Inseln Les­bos, Samos, Chi­os und Kos fest – im Früh­jahr 2018 waren es rund 13.000 Men­schen. Die Lager sind hoff­nungs­los über­füllt, Zel­te ste­hen im Morast, die hygie­ni­schen Bedin­gun­gen sind unzu­mut­bar, die medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung unzureichend.

Statt regu­lä­rer Asyl­ver­fah­ren wur­den soge­nann­te Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren ein­ge­führt. Wird die Tür­kei als »sicher« für den jewei­li­gen Flücht­ling ein­ge­stuft, gilt der Asyl­an­trag als »unzu­läs­sig«. Den Betrof­fe­nen droht die Abschie­bung in die Tür­kei und dort wei­te­re Dau­er­inter­nie­rung – so lan­ge, bis sie einer »frei­wil­li­gen Aus­rei­se« zustimmen.

Recht­lich steht der Deal auf wacke­li­gen Füßen. Die Tür­kei ist kein »siche­rer Dritt­staat«. Die Tür­kei hat die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on nicht vor­be­halt­los unter­zeich­net. An der tür­kisch-syri­schen Gren­ze gehen tür­ki­sche Grenz­pos­ten sogar mit Schüs­sen gegen Flüch­ten­de vor.

Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS)

Nach Vor­bild des EU-Tür­kei-Deals soll das neue Gemein­sa­me Euro­päi­sche Asyl­sys­tem (GEAS) so ver­schärft wer­den, dass der Zugang zum Recht auf Asyl für Schutz­su­chen­de in Euro­pa uner­reich­bar wird:

Schutz­su­chen­de wer­den in Lagern iso­liert, um unmit­tel­bar Zugriff auf sie zu haben. In »Zuläs­sig­keits­ver­fah­ren« wird nicht mehr nach Flucht­grün­den gefragt. Statt­des­sen wird fest­ge­stellt, ob Asyl­su­chen­de durch einen angeb­li­chen »siche­ren Dritt­staat« gekom­men sind, wohin man sie zurück­schi­cken kann. Es droht die Zurück­schie­bung in soge­nann­te »siche­re Dritt­staa­ten«. Die­se müs­sen nicht sicher sein: Es sol­len bereits die Durch­rei­se genü­gen. Ent­schei­dend ist, mit wel­chen Dritt­staa­ten die EU ent­spre­chen­de Deals abschließt.

Lagerhaltung auch in Deutschland 

Hier­zu­lan­de läuft die Regie­rung rechts­po­pu­lis­ti­schen For­de­run­gen hin­ter­her. Die CSU betreibt offe­nen Wahl­kampf auf dem Rücken von Flücht­lin­gen und steht in ihrem Duk­tus der AfD mitt­ler­wei­le in nichts nach.

Mit sei­nem »Mas­ter­plan« will Bun­des­in­nen­mi­nis­ter See­ho­fer nun die auf Aus­gren­zung set­zen­de Flücht­lings­po­li­tik noch ein­mal radi­kal ver­schär­fen: Ein Mit­tel ist die Dau­er­iso­lie­rung von Asyl­su­chen­den in den soge­nann­ten »AnkER-Zen­tren« (»Ankunft, Ent­schei­dung, Rückführung«).

Vor­bild sind die Tran­sit­la­ger in Bam­berg und Man­ching, die seit Jah­ren auf Kri­tik von Kom­mu­nen, Ehren­amt­li­chen und betrof­fe­nen Flücht­lin­gen sto­ßen. Fünf bis sie­ben AnkER-Zen­tren sol­len in einer Pilot­pha­se im Herbst 2018 ent­ste­hen, spä­ter soll es bun­des­weit bis zu 40 davon geben – mit schwer­wie­gen­den Fol­gen für Betroffene.

Rettet das Recht auf Asyl!

Der jüngs­te Vor­stoß des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters, Schutz­su­chen­de an der Gren­ze zurück­zu­wei­sen, wenn sie in der EU bereits woan­ders regis­triert oder ohne Papie­re sind, stellt einen rechts­wid­ri­gen und euro­pa­feind­li­chen Vor­stoß dar und wäre ein wei­te­rer Schritt zur Ent­rech­tung von Flücht­lin­gen, der einen Domi­no­ef­fekt aus­lö­sen könn­te: Jeder Staat schiebt dem nächs­ten die Ver­ant­wor­tung zu. Kein Staat ist mehr wil­lens, die Flucht­grün­de von Schutz­su­chen­den in einem rechts­staat­li­chen Ver­fah­ren zu prüfen.

In der dra­ma­ti­schen Situa­ti­on, in der die Zahl der Men­schen auf der Flucht Jahr um Jahr Rekor­de erreicht, wer­den der Flücht­lings­schutz und das Recht auf Asyl in Euro­pa zur Dis­po­si­ti­on gestellt. Damit ist auch ein Euro­pa der Men­schen­rech­te in Gefahr.

(akr)