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Ein Mitglied der sogenannten »libyschen Küstenwache« auf Einsatzfahrt in der Nähe von Tripolis. Foto: Reuters / Ismail Zetouni

Ein wissenschaftliches Gutachten zur europäischen Kooperation mit der »libyschen Küstenwache« legt nahe: Dort werden internationale Konventionen verletzt. So weit, so schlecht. Fassungslos macht dann aber, dass die Bundesregierung die Kooperation tatsächlich zum Beitrag für eine »bessere und humanitärere« Welt erklärt.

Das Gut­ach­ten des Wis­sen­schaft­li­chen Diens­tes im Bun­des­tag macht klar: Das soge­nann­te Refou­le­ment-Ver­bot wird ver­letzt, wenn euro­päi­sche Schif­fe die Wei­ter­fahrt von Flücht­lings­boo­ten blo­ckie­ren und die­se in der Fol­ge in einen unsi­che­ren Dritt­staat zurück­ge­schleppt wer­den. Bei Liby­en han­delt es sich unzwei­fel­haft um einen sol­chen unsi­che­ren Dritt­staat, betrach­tet man die mas­si­ven Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, denen Flücht­lin­ge dort aus­ge­setzt sind.

Der Wis­sen­schaft­li­che Dienst stellt fest: »Es macht im Ergeb­nis kei­nen wesent­li­chen Unter­schied, ob ein Schiff unter euro­päi­scher Flag­ge Flücht­lin­ge und Migran­ten selbst auf­nimmt und in einem unsi­che­ren Dritt­staat anlan­det oder deren Boot solan­ge blo­ckiert, bis die Boots­in­sas­sen durch die Küs­ten­wa­che eines ande­ren Staa­tes auf­ge­nom­men und in einen unsi­che­ren Dritt­staat zurück­ge­führt werden.«

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Flücht­lin­ge sind in Not, die Per­so­nen auf dem Schiff der liby­schen Küs­ten­wa­che ges­ti­ku­lie­ren aber lie­ber in Rich­tung der zivi­len Seenotretter*innen. Foto: You­tube-Screen­shot vom Sea-Watch-Video über den Ein­satz der liby­schen Küs­ten­wa­che am 06.11.2017

Verstoß auch durch Unterlassen möglich

Auch das rei­ne Unter­las­sen von Hil­fe­leis­tun­gen wird im Gut­ach­ten als mög­li­cher Ver­stoß gegen das Völ­ker­recht gewer­tet, da die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) nahe­le­ge, »dass das Refou­le­ment-Ver­bot sowohl das akti­ve Tun als auch das Unter­las­sen eines Staa­tes umfasst, wenn deren Ergeb­nis dar­in besteht, dass ein Migrant oder Flücht­ling im Ziel­staat von Ver­fol­gung bedroht ist«. Ent­schei­dend sei hier­bei die Per­spek­ti­ve des Betrof­fe­nen. Zudem han­de­le es sich bei den meis­ten Flücht­lings­schif­fen um see­un­taug­li­che Boo­te, wes­halb auch der UNHCR bei der Beur­tei­lung der See­not­la­ge »einen huma­ni­tä­ren und vor­sorg­li­chen Ansatz« empfehle.

Im Klar­text: Euro­pa über­weist Mil­lio­nen­gel­der an dubio­se Akteu­re in einem zer­rüt­te­ten Staat und weiß ganz genau, dass die Emp­fän­ger sich nicht um Men­schen­rech­te scheren.

Die Welt wird besser…

Ein huma­ni­tä­rer Ansatz wur­de in der, dem Gut­ach­ten fol­gen­den, Bun­des­tags-Debat­te nun über­ra­schen­der­wei­se auch von Micha­el Roth, Staats­mi­nis­ter im Aus­wär­ti­gen Amt, betont. Die Koope­ra­ti­on mit der soge­nann­ten »liby­schen Küs­ten­wa­che« im Rah­men der Mis­si­on EUNAVFOR Med bezeich­ne­te er dort tat­säch­lich als »unser[en] bescheidene[n] Bei­trag, dafür zu sor­gen, dass die Welt ein biss­chen bes­ser und huma­ni­tä­rer wird«.

…wenn man mit solchen Akteuren kooperiert?!

Unglaub­lich, wenn man betrach­tet, wie der euro­päi­sche Koope­ra­ti­ons­part­ner im Mit­tel­meer agiert. Nicht nur, dass die soge­nann­te Küs­ten­wa­che sich aus Mili­zen rekru­tiert und selbst Kon­tak­te zu Schlep­per­netz­wer­ken pflegt; dass sie tau­sen­de Men­schen nach Liby­en zurück­schleppt, wel­che dort unter abso­lut men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen inhaf­tiert, miss­han­delt und teil­wei­se sogar ver­sklavt wer­den: Berich­te von zivi­len See­not­ret­tungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zei­gen auch, dass die »Küs­ten­wa­che« Ret­tungs­ope­ra­tio­nen der NGOs ver­hin­dert, sie mit Waf­fen­ge­walt in inter­na­tio­na­len Gewäs­sern bedroht und sogar durch ris­kan­te Manö­ver für Todes­fäl­le bei Ret­tungs­ak­tio­nen ver­ant­wort­lich ist.

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Berichte über völkerrechtswidrige Blockaden werden ignoriert 

Auch nach wie­der­hol­ter Auf­for­de­rung nimmt der Staats­mi­nis­ter kei­ne kla­re Stel­lung zu Berich­ten über ein­gangs erwähn­te und im Gut­ach­ten als ein­deu­tig völ­ker­rechts­wid­rig ein­ge­stuf­te Blo­cka­den von Flücht­lings­boo­ten durch euro­päi­sche Schif­fe. Zwar sei das »kein Ziel der EU-Flücht­lings­po­li­tik«, die Berich­te sei­en aber nur »abs­trakt bekannt« und man habe »kei­ne eige­nen Erkennt­nis­se« – trotz der Tat­sa­che, dass die Ein­sät­ze der Küs­ten­wa­che angeb­lich genau­es­tens über­wacht und nach­be­spro­chen werden.

Um die Ankunfts­zah­len von Flücht­lin­gen in Euro­pa zu sen­ken, wird all das in Kauf genommen!

Menschenrechte? Gibt’s nicht von heut auf morgen

Immer­hin räum­te der Staats­mi­nis­ter des Aus­wär­ti­gen Amtes ein, dass die Gel­tung der men­schen- und völ­ker­recht­li­chen Stan­dards im Rah­men die­ser Koope­ra­ti­on nicht gege­ben ist. Dies kön­ne eben »nicht von heu­te auf mor­gen« gelin­gen, da »es in Liby­en kei­ne funk­tio­nie­ren­de Staat­lich­keit« gebe. Im Klar­text: Euro­pa über­weist Mil­lio­nen­gel­der an dubio­se Akteu­re in einem zer­rüt­te­ten Staat und weiß ganz genau, dass die Emp­fän­ger sich nicht um Men­schen­rech­te scheren.

Janusköpfige Politik

Um die Ankunfts­zah­len von Flücht­lin­gen in Euro­pa zu sen­ken, wird all das in Kauf genom­men. Das ist für jeden offen­sicht­lich – denn nie­mand zwingt die Euro­päi­sche Uni­on schließ­lich zur, nicht nur men­schen­recht­lich teu­ren, Koope­ra­ti­on mit der soge­nann­ten liby­schen Küs­ten­wa­che. Aber Staats­mi­nis­ter Roth stellt sich tat­säch­lich in den Bun­des­tag und behaup­tet im Brust­ton der Über­zeu­gung, die Poli­tik der Euro­päi­schen Uni­on »sei dar­auf aus­ge­rich­tet, Men­schen­le­ben zu retten«?!

(mk)