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Weltverbesserung durch Kooperation mit libyschen Milizen?
Ein wissenschaftliches Gutachten zur europäischen Kooperation mit der »libyschen Küstenwache« legt nahe: Dort werden internationale Konventionen verletzt. So weit, so schlecht. Fassungslos macht dann aber, dass die Bundesregierung die Kooperation tatsächlich zum Beitrag für eine »bessere und humanitärere« Welt erklärt.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag macht klar: Das sogenannte Refoulement-Verbot wird verletzt, wenn europäische Schiffe die Weiterfahrt von Flüchtlingsbooten blockieren und diese in der Folge in einen unsicheren Drittstaat zurückgeschleppt werden. Bei Libyen handelt es sich unzweifelhaft um einen solchen unsicheren Drittstaat, betrachtet man die massiven Menschenrechtsverletzungen, denen Flüchtlinge dort ausgesetzt sind.
Der Wissenschaftliche Dienst stellt fest: »Es macht im Ergebnis keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Schiff unter europäischer Flagge Flüchtlinge und Migranten selbst aufnimmt und in einem unsicheren Drittstaat anlandet oder deren Boot solange blockiert, bis die Bootsinsassen durch die Küstenwache eines anderen Staates aufgenommen und in einen unsicheren Drittstaat zurückgeführt werden.«
Verstoß auch durch Unterlassen möglich
Auch das reine Unterlassen von Hilfeleistungen wird im Gutachten als möglicher Verstoß gegen das Völkerrecht gewertet, da die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nahelege, »dass das Refoulement-Verbot sowohl das aktive Tun als auch das Unterlassen eines Staates umfasst, wenn deren Ergebnis darin besteht, dass ein Migrant oder Flüchtling im Zielstaat von Verfolgung bedroht ist«. Entscheidend sei hierbei die Perspektive des Betroffenen. Zudem handele es sich bei den meisten Flüchtlingsschiffen um seeuntaugliche Boote, weshalb auch der UNHCR bei der Beurteilung der Seenotlage »einen humanitären und vorsorglichen Ansatz« empfehle.
Im Klartext: Europa überweist Millionengelder an dubiose Akteure in einem zerrütteten Staat und weiß ganz genau, dass die Empfänger sich nicht um Menschenrechte scheren.
Die Welt wird besser…
Ein humanitärer Ansatz wurde in der, dem Gutachten folgenden, Bundestags-Debatte nun überraschenderweise auch von Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, betont. Die Kooperation mit der sogenannten »libyschen Küstenwache« im Rahmen der Mission EUNAVFOR Med bezeichnete er dort tatsächlich als »unser[en] bescheidene[n] Beitrag, dafür zu sorgen, dass die Welt ein bisschen besser und humanitärer wird«.
…wenn man mit solchen Akteuren kooperiert?!
Unglaublich, wenn man betrachtet, wie der europäische Kooperationspartner im Mittelmeer agiert. Nicht nur, dass die sogenannte Küstenwache sich aus Milizen rekrutiert und selbst Kontakte zu Schleppernetzwerken pflegt; dass sie tausende Menschen nach Libyen zurückschleppt, welche dort unter absolut menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert, misshandelt und teilweise sogar versklavt werden: Berichte von zivilen Seenotrettungsorganisationen zeigen auch, dass die »Küstenwache« Rettungsoperationen der NGOs verhindert, sie mit Waffengewalt in internationalen Gewässern bedroht und sogar durch riskante Manöver für Todesfälle bei Rettungsaktionen verantwortlich ist.
Berichte über völkerrechtswidrige Blockaden werden ignoriert
Auch nach wiederholter Aufforderung nimmt der Staatsminister keine klare Stellung zu Berichten über eingangs erwähnte und im Gutachten als eindeutig völkerrechtswidrig eingestufte Blockaden von Flüchtlingsbooten durch europäische Schiffe. Zwar sei das »kein Ziel der EU-Flüchtlingspolitik«, die Berichte seien aber nur »abstrakt bekannt« und man habe »keine eigenen Erkenntnisse« – trotz der Tatsache, dass die Einsätze der Küstenwache angeblich genauestens überwacht und nachbesprochen werden.
Um die Ankunftszahlen von Flüchtlingen in Europa zu senken, wird all das in Kauf genommen!
Menschenrechte? Gibt’s nicht von heut auf morgen
Immerhin räumte der Staatsminister des Auswärtigen Amtes ein, dass die Geltung der menschen- und völkerrechtlichen Standards im Rahmen dieser Kooperation nicht gegeben ist. Dies könne eben »nicht von heute auf morgen« gelingen, da »es in Libyen keine funktionierende Staatlichkeit« gebe. Im Klartext: Europa überweist Millionengelder an dubiose Akteure in einem zerrütteten Staat und weiß ganz genau, dass die Empfänger sich nicht um Menschenrechte scheren.
Janusköpfige Politik
Um die Ankunftszahlen von Flüchtlingen in Europa zu senken, wird all das in Kauf genommen. Das ist für jeden offensichtlich – denn niemand zwingt die Europäische Union schließlich zur, nicht nur menschenrechtlich teuren, Kooperation mit der sogenannten libyschen Küstenwache. Aber Staatsminister Roth stellt sich tatsächlich in den Bundestag und behauptet im Brustton der Überzeugung, die Politik der Europäischen Union »sei darauf ausgerichtet, Menschenleben zu retten«?!
(mk)