Image
Die Abschiebungshaft wird im neuen Gesetz wieder massiv ausgeweitet. Im Bild der alte Abschiebetrakt im damaligen Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt. Foto: Max Klöckner / PRO ASYL

In der Kabinettssitzung am 17. April 2019 hat die Bundesregierung mit gleich zwei Gesetzen die Entrechtung von geflüchteten Menschen vorangetrieben – mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz und einer Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Vor der Kabi­netts­sit­zung hat­te PRO ASYL an die Bun­des­re­gie­rung appel­liert, ins­be­son­de­re das »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz« nicht im Eil­tem­po durch­zu­peit­schen. Denn das Gesetz sieht weit­grei­fen­de Ände­run­gen vor, die von PRO ASYL und ande­ren Ver­bän­den scharf kri­ti­siert wur­den: Ent­rech­tung, mehr Haft, ein Ver­drän­gen aus Deutsch­land durch Ent­zug von Sozi­al­leis­tun­gen und Ver­un­si­che­rung von aner­kann­ten Flücht­lin­gen durch die Ver­län­ge­rung der Frist für Wider­rufs­ver­fah­ren auf fünf Jah­re. Außer­dem wird eine neue Dul­dungs­art, eine »Dul­dung light«, die jetzt »Dul­dung für Per­so­nen mit unge­klär­ter Iden­ti­tät« heißt, ein­ge­führt, durch die betrof­fe­ne Men­schen stig­ma­ti­siert wer­den und ihnen der Weg in ein Blei­be­recht stark erschwert wird. Zu guter Letzt ver­un­si­chert das Gesetz auch noch in der Flücht­lings­ar­beit enga­gier­te Men­schen, da wei­ter­hin die Gefahr der Kri­mi­na­li­sie­rung besteht. Denn sie könn­ten durch die Wei­ter­ga­be von bestimm­ten Infor­ma­tio­nen im Rah­men einer Bera­tung der »Bei­hil­fe zum Geheim­nis­ver­rat« bezich­tigt werden.

Auch das Drit­te Gesetz zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes, dem eben­falls am 17. April 2019 zuge­stimmt wur­de, ist sehr pro­ble­ma­tisch. Auf Kos­ten asyl­su­chen­der Men­schen wird in dem Gesetz ein Null­sum­men­spiel betrie­ben, um auf kei­nen Fall mehr Geld aus­zu­ge­ben – obwohl die Mehr­aus­ga­ben ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­schrie­ben sind!

Im Fol­gen­den wer­den die Rege­lun­gen und Aus­wir­kun­gen der zwei Geset­ze detail­lier­ter beschrieben:

Extreme Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz

Für in ande­ren EU-Mit­glied­staa­ten aner­kann­te Flücht­lin­ge sol­len, laut dem »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz«, Leis­tun­gen nach zwei Wochen kom­plett gestri­chen wer­den. Die Rück­kehr in Staa­ten wie Ita­li­en, Grie­chen­land und Bul­ga­ri­en soll mit Hun­ger und Obdach­lo­sig­keit durch­ge­setzt wer­den. Dort leben aner­kann­te Flücht­lin­ge oft unter mise­ra­blen Bedin­gun­gen, wie PRO ASYL bezüg­lich Grie­chen­land doku­men­tiert hat. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat außer­dem ein­deu­tig ent­schie­den, dass »migra­ti­ons­po­li­ti­sche Erwä­gun­gen« kei­nen Leis­tungs­aus­schluss recht­fer­ti­gen. Der Leis­tungs­aus­schluss ver­stößt also gegen das Grund­ge­setz, wel­ches ein Leben in Wür­de aller Men­schen in Deutsch­land schützt (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz).

Gene­rell über­rascht auch die Ver­schär­fung der Leis­tun­gen im »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz«, da gleich­zei­tig das Drit­te Gesetz zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes vor­liegt. Die­sem muss jedoch der Bun­des­rat zustim­men, dem »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz« nicht. Eine sol­che Umge­hung des Bun­des­ra­tes ist inakzeptabel.

Auf Kos­ten asyl­su­chen­der Men­schen wird in dem Gesetz ein Null­sum­men­spiel betrie­ben, um auf kei­nen Fall mehr Geld auszugeben

Im Drit­ten Gesetz zur Ände­rung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes wer­den im Zuge einer ver­fas­sungs­recht­lich vor­ge­schrie­be­nen Leis­tungs­er­hö­hung, die seit 2016 aus­steht, gleich­zei­tig Leis­tun­gen gekürzt und so ein Null­sum­men­spiel betrie­ben – unab­hän­gig davon, ob dies ein men­schen­wür­di­ges Leben ermög­licht. Die Kür­zun­gen sind nicht zu recht­fer­ti­gen – schon jetzt sind die Beträ­ge auf das Äußers­te redu­ziert. Beson­ders absurd ist es, die Kür­zung damit zu recht­fer­ti­gen, dass allein­ste­hen­de Erwach­se­ne, die ver­pflich­tet sind in Sam­mel­un­ter­künf­ten zu woh­nen, künf­tig als  »Schick­sals­ge­mein­schaft« zu ver­ste­hen sind. Begrün­det wird dies damit, dass die Betrof­fe­nen wie zusam­men­le­ben­de Part­ner haus­hal­ten wür­den – eine Kon­struk­ti­on, die jeder Lebens­er­fah­rung wider­spricht. Dies gilt umso mehr, als dass in den Unter­künf­ten Men­schen unter­schied­lichs­ter Her­kunft und aus unter­schied­li­chen Situa­tio­nen, ein­schließ­lich unter­schied­li­cher Ver­fah­rens­sta­di­en, zusam­men­ge­bracht werden.

Massive Ausweitung der Abschiebungshaft

Die Vor­aus­set­zun­gen für die Anwen­dung der Abschie­bungs­haft wer­den stark abge­senkt, um mehr Men­schen inhaf­tie­ren zu kön­nen. Zum einen kann den betrof­fe­nen Men­schen teil­wei­se schlicht unter­stellt wer­den, dass bei ihnen »Flucht­ge­fahr« vor­liegt (durch eine soge­nann­te wider­leg­li­che Ver­mu­tung). Sie müs­sen dann aus der Haft her­aus das Gegen­teil bewei­sen, aber bekom­men noch nicht ein­mal – wie im Straf­recht – eine/n Anwalt/Anwältin gestellt. Außer­dem sol­len schon fast bana­le Aspek­te als Indiz für »Flucht­ge­fahr« die­nen, wie, dass die Per­son eini­ges an Geld gezahlt hat, um nach Deutsch­land zu kom­men (auf wen trifft das nicht zu?) oder dass sie vor län­ge­rer Zeit mal fal­sche Anga­ben gemacht hat – selbst wenn die­se mitt­ler­wei­le kor­ri­giert sind. Das ist eine kras­se Ver­schie­bung zu Unguns­ten der Betrof­fe­nen und wider­spricht auch dem Grund­satz, dass jede Inhaf­tie­rung nur als letz­tes Mit­tel ange­wen­det wer­den soll. Inhaf­tie­rung ist schließ­lich der stärks­te Ein­griff in das Recht auf Freiheit.

Das Gesetz wider­spricht dem Grund­satz von Haft als ulti­ma ratio

Die Abschie­bungs­haft soll nun sogar in nor­ma­len Gefäng­nis­sen durch­ge­führt wer­den. Das bricht ein­deu­tig euro­päi­sches Recht, wel­ches die Tren­nung von Straf­ge­fan­ge­nen und Men­schen, die abge­scho­ben wer­den sol­len, vor­sieht, um die Men­schen­wür­de der betrof­fe­nen Per­so­nen zu schüt­zen. Denn sie haben kei­ne Straf­tat began­gen und dür­fen auch nicht so behan­delt wer­den. Auch die Justizminister*innen der Län­der haben über Par­tei­gren­zen hin­weg pro­tes­tiert, da bei der prak­ti­schen Umset­zung zum Bei­spiel unklar ist, wie gewis­se Sicher­heits­stan­dards ein­ge­hal­ten wer­den können.

Bedrohung der Zivilgesellschaft

Indem der gesam­te Ablauf der Abschie­bung – inklu­si­ve Bot­schafts- oder Arzt­ter­mi­ne – unver­hält­nis­mä­ßi­ger­wei­se als »Geheim­nis« dekla­riert wird, besteht die Gefahr, dass in der Flücht­lings­ar­beit Täti­ge, die z.B. über den Ter­min bei einer Bot­schaft infor­mie­ren, der Bei­hil­fe zum Geheim­nis­ver­rat bezich­tigt wer­den. Allein die Mög­lich­keit einer Ankla­ge wird zu star­ker Ver­un­si­che­rung bei den Men­schen füh­ren, die sich für schutz­su­chen­de Men­schen enga­gie­ren. Im §353b StGB sind näm­lich nur Pressevertreter*innen von der Bei­hil­fe zum Geheim­nis­ver­rat aus­ge­nom­men, nicht aber zivil­ge­sell­schaft­li­che Akteu­re. Die Ver­än­de­run­gen des Refe­ren­ten­ent­wur­fes im Zuge der Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen haben die Bedro­hung der Zivil­ge­sell­schaft also nicht beseitigt.

Anerkannte Flüchtlinge auf Jahre in Unsicherheit

Für die Wider­rufs- und Rück­nah­me­ver­fah­ren von in 2015 bis 2017 aner­kann­ten Flücht­lin­gen soll das BAMF statt wie bis­her drei nun bis zu fünf Jah­re Zeit haben. Dabei betref­fen die Ver­fah­ren vor allem Flücht­lin­ge aus Syri­en, Irak und Eri­trea. In die­sen Län­dern hat sich die Lage aber eben nicht nach­hal­tig und grund­le­gend ver­bes­sert – was der Grund wäre, eine Aner­ken­nung zu wider­ru­fen. Der Inte­gra­ti­ons­pro­zess der betrof­fe­nen Flücht­lin­ge wird durch eine sol­che Unsi­cher­heit fahr­läs­sig blockiert.

Einführung einer prekären Duldung light

Durch die neue Dul­dung für Per­so­nen mit »unge­klär­ter Iden­ti­tät« wer­den die betrof­fe­nen Men­schen pau­schal mit Arbeits­ver­bot und Wohn­sitz­auf­la­ge belegt. Da genau die­se Sank­tio­nen jetzt schon mög­lich sind (Arbeits­ver­bot im § 60a Abs. 6 Auf­enthG, Resi­denz­pflicht im § 61 Abs. 1c Auf­enthG),  stellt sich die Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit der Ein­füh­rung einer neu­en Dul­dung. Außer­dem gilt die Zeit in die­ser Dul­dung light nicht als Vor­dul­dungs­zeit für Blei­be­rechts­re­ge­lun­gen. Dies könn­te vor allem min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen trotz guter Inte­gra­ti­on den Weg in ein Blei­be­recht ver­bau­en, da sie vier Jah­re vor dem 21. Geburts­tag gedul­det sein müssen.

Die aus­ufern­de Hand­ha­bung der Pass­be­schaf­fungs­pflicht wird nun für die Betrof­fe­nen wei­te­re nega­ti­ve Kon­se­quen­zen haben

Von der Dul­dung light wer­den aber nicht nur Per­so­nen betrof­fen sein, deren Iden­ti­tät nicht bekannt ist, son­dern auch jene, die angeb­lich ihre Pass­be­schaf­fungs­pflicht nicht erfül­len. Bereits heu­te wer­den bei der Pass­be­schaf­fung zum Teil Hand­lun­gen ver­langt, die prak­tisch nicht umsetz­bar sind. Zum Bei­spiel wei­gert sich die liba­ne­si­sche Bot­schaft für dort frü­her leben­de paläs­ti­nen­si­sche Flücht­lin­ge Iden­ti­täts­do­ku­men­te aus­zu­stel­len, wenn die zustän­di­ge Aus­län­der­be­hör­de nicht schrift­lich erklärt, dass der Per­son ein Auf­ent­halts­ti­tel erteilt wer­den soll. Wenn die Aus­län­der­be­hör­de dies aber ver­wei­gert, ist es der Per­son nicht mög­lich, die Bot­schaft zu einer ande­ren Ver­hal­tens­wei­se zu zwin­gen. In vie­len Län­dern gibt es auch kein mit Deutsch­land ver­gleich­ba­res Per­so­nen­stands­we­sen. Für Afghan*innen zum Bei­spiel, die schon lan­ge nicht mehr in Afgha­ni­stan leben oder dort kei­ne Ver­wand­te mehr haben, kann es äußerst schwie­rig sein, eine soge­nann­te Taz­ki­ra (Iden­ti­täts­do­ku­ment in Afgha­ni­stan) zu bekom­men. Die­se muss näm­lich von Behör­den in Afgha­ni­stan beglau­bigt wer­den und in der Regel von bevoll­mäch­tig­ten Ver­wand­ten abge­holt wer­den. Einer sol­chen aus­ufern­den Hand­ha­bung der Pass­be­schaf­fungs­pflicht, die nun für die Betrof­fe­nen wei­te­re nega­ti­ve Kon­se­quen­zen haben wird, schiebt die Rege­lung im »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz« gera­de kei­nen Rie­gel vor.

Die voll­stän­di­ge Stel­lung­nah­me von PRO ASYL zum »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz« im Rah­men der Ver­bän­de­an­hö­rung fin­den Sie hier.