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Abschiebungen ins Nichts: Zur Situation von anerkannten Flüchtlingen in Griechenland
Im Juli stoppte das BVerfG die Abschiebung eines Syrers nach Griechenland. Eingang in den Beschluss fand eine rechtliche Stellungnahme von PRO ASYL/RSA, die wir inzwischen aktualisierten. Die dortige, hoffnungslose Lage anerkannter Flüchtlinge verdeutlicht die Fallstudie einer iranischen Familie, die aus der Schweiz ins Nichts abgeschoben wurde.
In seinem Beschluss erklärt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), die gegenwärtige Situation in Griechenland lasse keine pauschalen Abschiebungen zu. Es müsse im Einzelfall geprüft werden, ob die Existenzsicherung der Betroffenen garantiert sei und Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen bestehe. Der Beschwerdeführer stützte sich in seiner Argumentation maßgeblich auf die rechtliche Stellungnahme von PRO ASYL/RSA aus dem Juni 2017. Auch vor Verwaltungsgerichten hatten Klagen von anerkannten Flüchtlingen gegen Abschiebungen nach Griechenland Erfolg.
Die Quintessenz unseres Berichts aus 2017: »Die gegenwärtigen Lebensbedingungen für Menschen mit internationalem Schutzstatus in Griechenland sind alarmierend. Schutzberechtigte sehen sich nicht nur mit fehlenden Möglichkeiten zur Integration in die griechische Gesellschaft konfrontiert, sondern auch mit oft unzulänglichen Lebensumständen und humanitären Standards, einer äußerst prekären sozioökonomischen Situation und kämpfen oft um ihr bloßes Überleben. Eine derartige Situation untergräbt die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen, die in der Genfer Flüchtlingskonvention und im europäischen Recht verbrieft sind. Ein internationaler Schutzstatus, der in der Praxis kein würdevolles Leben für Schutzberechtigte gewährleisten kann, ist nicht mehr als Schutz ‚auf dem Papier‘.«
Unsere Aktualisierung der Stellungnahme (Stand 30. August 2018) macht deutlich, dass sich die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland nicht verbessert haben. Es bestehen weiterhin flächendeckende Defizite bezogen auf die Aufnahme, Versorgung und Integration von Schutzberechtigten. Immer noch gilt: Schutz existiert für anerkannte Flüchtlinge in Griechenland nur auf dem Papier.
Fallstudie: Die Odyssee einer iranischen Flüchtlingsfamilie
PRO ASYL/RSA begleitet seit Anfang September 2018 eine kurdische Familie, die aus dem Iran nach Griechenland geflohen ist. Aza, ihr Ehemann Royar* und ihre beiden Kinder wurden dort als Flüchtlinge anerkannt.
Im August 2016 hat die Familie die griechische Insel Chios erreicht. Dort mussten sie monatelang unter unzumutbaren Bedingungen ausharren. Der Vater gibt an, dass er in Iran gefoltert wurde. Die Mutter hat psychische Probleme. Eines der Kinder ist chronisch krank. Acht Monate nach ihrer Ankunft, im April 2017, erhielten sie ihre Flüchtlingsanerkennung.
In Athen versuchte das Ehepaar, einen Job zu finden – ohne Erfolg. Für international Schutzberechtigte gibt es in Griechenland kein Integrationsprogramm. Knapp zehn Jahre nach Beginn der Finanzkrise ist der griechische Staat kaum in der Lage, die Sozialleistungen für griechische Staatsbürger *innen zu sichern. Die Arbeitslosenquote ist mit 18,6% die höchste in der EU.
Die Familie entschied sich dazu, in die Schweiz weiterzureisen. In ihrem Asylantrag verwiesen sie auf die schlechten Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Griechenland. Ihr Schutzgesuch wurde jedoch abgelehnt. Am 31.08.2018 wurden das Ehepaar mit den zwei Kindern auf Grundlage eines bilateralen Abkommens zwischen der Schweiz und Griechenland nach Athen abgeschoben.
Abschiebung ins Nichts
PRO ASYL/RSA traf die Familie fünf Tage nach ihrer Abschiebung in einem Park im Zentrum von Athen. Sie erzählten, dass sie in der Schweiz nicht die Möglichkeit hatten, effektive Rechtsmittel gegen ihre Abschiebung einzulegen. Nach ihrer Ankunft in Athen haben sie keinerlei Informationen oder Unterstützung erhalten. Sie waren auf sich allein gestellt. In den ersten Tagen konnten sie bei Freunden unterkommen.
»Als wir niemanden mehr gefunden haben, der uns helfen konnte, haben wir zwei Nächte im Park geschlafen. Wir hatten Angst und es war kalt. Wir sind krank geworden. Wir wussten nicht, wohin wir gehen sollten. Wir haben eine NGO nach der anderen aufgesucht, aber sie alle haben uns gesagt, es gebe keine Unterkünfte für anerkannte Flüchtlinge. Wir hatten kein Geld und keine Unterkunft.«
Seit dem ersten Treffen hat PRO ASYL/RSA die Familie in ihrem Alltag begleitet, ihre Anstrengungen dokumentiert und rechtliche und soziale Unterstützung geleistet. Um eine Unterbringung zu organisieren, hat PRO ASYL/RSA die Familie zu den zuständigen Behörden und humanitären Organisationen begleitet.
Von staatlicher Unterstützung ausgeschlossen
Trotz allen Bemühungen konnte kein Platz für die Familie gefunden werden. Das ESTIA (Emergency Support to Integration and Accommodation) Programm des UNHCR ist nicht für anerkannte Flüchtlinge vorgesehen. Die Obdachlosenunterkünfte der Athener Stadtverwaltung haben lange Wartelisten und sind nicht für Familien ausgelegt. Andere Unterkünfte knüpfen eine Aufnahme an Voraussetzungen, die eine Flüchtlingsfamilie nicht erfüllen kann.
PRO ASYL/RSA hat die Familie dabei unterstützt, alle nötigen Unterlagen zusammenzutragen, um Sozialhilfe zu beantragen. Doch der Antrag wurde abgelehnt, da die Familie keine Wohnadresse angeben kann und nicht das entsprechende Zertifikat besitzt, das ihre Obdachlosigkeit bestätigt. Um eine Obdachlosenbescheinigung zu bekommen, muss der zuständige Sozialdienst der Stadtverwaltung die Betroffenen als obdachlos identifizieren. Bisher gibt es keine Regelung, wie Personen, die in informellen Unterbringungen (besetzte Häuser, Abbruchhäuser, das Sofa eines Freunde, etc.) leben, diese Bescheinigung erhalten können.
Aza: »Keine Adresse, kein Geld. Kein Geld, keine Adresse. Wir sind obdachlos, aber kriegen die Bescheinigung nicht. Wir müssen auf der Straße schlafen, sonst kriegen wir die Bescheinigung nicht.« Die Mutter sieht kein Licht am Ende des Tunnels.
Die Familie ist nur ein Beispiel unter vielen. Flüchtlinge, auch besonders vulnerable, werden aus europäischen Staaten nach Griechenland abgeschoben unter Missachtung der großen Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, um ihr Überleben in Griechenland zu sichern.
PRO ASYL/RSA fordern die europäischen Staaten erneut auf, die Erkenntnisse aus den vorgelegten Berichten ernst zu nehmen und Abschiebungen nach Griechenland auszusetzen.
*Namen geändert