PRO ASYL warnt vor Wirkung des »Geordnete-Rückkehr-Gesetzes«
PRO ASYL appelliert an die Bundesregierung, das ins Kabinett eingebrachte »Geordnete-Rückkehr-Gesetz« nicht im Hau-Ruckverfahren durchzupeitschen. »Es gibt keine Rechtfertigung für derart weitreichende Eingriffe«, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. »Das Gesetz zielt auf Entrechtung, mehr Haft und einem Verdrängen aus Deutschland durch Entzug von Sozialleistungen!« Das Gesetz baut somit systematisch die Rechte geflüchteter Menschen ab. Es schadet der Integration durch jahrelange Unsicherheit aufgrund der Verlängerung der Frist für Widerrufsverfahren auf fünf Jahre. Mit der Einführung einer neuen Duldungsart, einer »Duldung light«, werden die betroffenen Menschen stigmatisiert und der Weg in ein Bleiberecht stark erschwert. Außerdem wird das Gesetz zur Verunsicherung der Zivilgesellschaft aufgrund der weiterhin bestehenden Gefahr der Kriminalisierung führen. Denn in der Flüchtlingsarbeit Tätige könnten durch die Weitergabe von bestimmten Informationen im Rahmen einer Beratung der »Beihilfe zum Geheimnisverrat« bezichtigt werden.
Zu Kernpunkten der Kritik im Einzelnen:
- Extreme Kürzungen im Asylbewerberleistungsgesetz
Für in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannte, ausreisepflichtige Flüchtlinge sollen Leistungen nach zwei Wochen komplett gestrichen werden. Die Rückkehr in Staaten wie Italien, Griechenland und Bulgarien soll mit Hunger und Obdachlosigkeit durchgesetzt werden, obwohl ein solcher Leistungsausschluss dem Grundgesetz widerspricht.
- Massive Ausweitung der Abschiebungshaft
Im Abschiebungshaftrecht soll eine Beweislastumkehr eingeführt werden, wodurch die Inhaftnahme vereinfach werden soll. Eine solch krasse Verschiebung zu Ungunsten der Betroffenen, die nicht einmal eine/n Anwalt/Anwältin gestellt bekommen, steht nicht in Einklang mit dem Grundsatz, dass jede Inhaftierung nur als letztes Mittel angewendet werden soll. Dass Abschiebungshaft nun sogar in normalen Gefängnissen durchgeführt werden soll, bricht europäisches Recht.
- Bedrohung der Zivilgesellschaft
Indem der gesamte Ablauf der Abschiebung – inklusive Botschafts- oder Arzttermine – unverhältnismäßigerweise als »Geheimnis« deklariert wird, könnten in der Flüchtlingsarbeit Tätige, die z.B. über den Termin bei einer Botschaft informieren, der Beihilfe zum Geheimnisverrat bezichtigt werden. Allein die Möglichkeit einer Anklage wird zu starker Verunsicherung bei den Menschen führen wird, die sich für schutzsuchende Menschen engagieren. Im §353b StGB sind nämlich nur Pressevertreter von der Beihilfe zum Geheimnisverrat ausgenommen, nicht aber zivilgesellschaftliche Akteure. Die Veränderungen des Referentenentwurfes im Zuge der Koalitionsverhandlungen haben die Bedrohung der Zivilgesellschaft nicht beseitigt.
- Anerkannte Flüchtlinge auf Jahre in Unsicherheit
Für die Widerrufs- und Rücknahmeverfahren von in 2015 bis 2017 Anerkannten soll das BAMF statt wie bisher drei nun bis zu fünf Jahre Zeit haben. Dabei betreffen die Verfahren vor allem Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Eritrea. In diesen Ländern hat sich die Lage aber eben nicht nachhaltig und grundlegend verbessert – was der Grund wäre, eine Anerkennung zu widerrufen. Der Integrationsprozess der betroffenen Flüchtlinge wird durch eine solche Unsicherheit fahrlässig blockiert.
- Einführung einer prekären Duldung light
Durch die neue Duldung für Personen mit »ungeklärter Identität« werden die betroffenen Menschen pauschal mit Arbeitsverbot und Wohnsitzauflage belegt. Außerdem gilt die Zeit in dieser Duldung light nicht als Vorduldungszeit für Bleiberechtsregelungen. Dies könnte vor allem minderjährigen Flüchtlingen trotz guter Integration den Weg in ein Bleiberecht verbauen, da sie vier Jahre vor dem 21. Geburtstag geduldet sein müssen. Die Definition der Passbeschaffungspflicht ist zudem so offen gehalten, dass die Grenzen der Zumutbarkeit nicht erkennbar sind – so könnte eine Vielzahl an Personen unter die Duldung light fallen, da von ihnen immer neue Handlungen verlangt werden können, auch wenn diese im Endeffekt nicht zu Passbeschaffung führen.
Die neue Welle von Gesetzesverschärfungen ist nicht nachvollziehbar. Seit 2015 gab es über 20 neue Gesetze, die noch nicht ausreichend evaluiert wurden. Öffentlich wird behauptet, man wolle mit den Gesetzesverschärfungen vor allem das Verhalten sogenannter »Identitätstäuscher« sanktionieren. Dabei sind aktuell bereits folgende Sanktionen für geduldete Menschen, die das Abschiebungshindernis angeblich selbst zu vertreten haben, möglich: Arbeitsverbot (§ 60a Abs. 6 AufenthG), Residenzpflicht (§ 61 Abs. 1c AufenthG), Ausschluss von der Aufenthaltserlaubnis (§ 25 Abs. 5 AufenthG) sowie Leistungskürzungen (§ 1a Abs. 3 AsylbLG). Bezüglich der Gründe für gescheiterte Abschiebeversuche musste die Bundesregierung selbst eingestehen, dass sie diese in den meisten Fällen nicht einmal kennt – trotzdem sollen auch hier gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden.
Zudem haben weitere Verbände im Rahmen der Verbändeanhörung die Regelungen des »Geordnete-Rückkehr-Gesetzes« kritisiert:
»Nach § 1a Abs. 7 AsylbLG‑E erhalten Ausländer, die eine Asylgestattung besitzen oder vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist und deren Asylantrag aufgrund der Dublin III-VO als unzulässig abgelehnt wurde, nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Die Kirchen halten eine derartige Regelung für europa- und verfassungsrechtlich bedenklich. […] Die von § 1a Abs. 7 AsylbLG‑E Betroffenen haben demnach keine Möglichkeit, den Einschränkungen der Leistungen durch ihr eigenes Verhalten zu entgehen. Ein derartiges Vorgehen scheint den Kirchen auch nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Juli 201211 vereinbar zu sein, wonach die Menschenwürde nicht migrationspolitisch relativierbar ist.«
»Die Ausweitung der Gründe, die für eine Fluchtgefahr sprechen bei gleichzeitiger Umkehr der Beweislast zulasten der Ausreisepflichtigen droht in der Praxis zu zahlreichen Verstößen gegen Art. 2 Abs. 2 GG zu führen. Die Freiheit der Person aber ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Dabei spielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine besondere Rolle: Haft darf stets nur das letzte Mittel, also „ultima ratio“ sein.«
»Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf müssen Beratende nunmehr befürchten, sich der Beihilfe oder Anstiftung zum Geheimnisverrat strafbar zu machen. Die Arbeit der Beratungsstellen wird damit wesentlich erschwert. Sucht eine Beraterin um Auskunft bei einer Ausländerbehörde zum konkreten Verfahrensstand eines Ratsuchenden, könnte sie damit zu einer Straftat anstiften, wenn der Mitarbeitende in der Ausländerbehörde Informationen zu Terminen bei Botschaften und Amtsärzten mitteilt und die Beraterin diese dem Ratsuchenden zum Zwecke der umfassenden Sachverhaltsaufklärung weitergibt.«
»Die Regelung des §60b geht fälschlicherweise davon aus, dass das Fehlen von Identitätsnachweisen in der Regel dem betreffenden Ausländer anzulasten sei. In unserer alltäglichen Beratungspraxis machen wir jedoch immer wieder die Erfahrung, dass die Probleme vor allem bei den Auslandsvertretungen bestimmter Herkunftsstaaten liegen. So erklärt die Botschaft des Libanon beispielsweise regelmäßig in Fällen von Palästinensern aus dem Libanon, dass Identitätsdokumente erst dann ausgestellt würden, wenn die zuständige Ausländerbehörde schriftlich erkläre, dass dem betreffenden Ausländer ein Aufenthaltstitel erteilt werden soll. Wenn die Ausländerbehörde dies aber verweigert, ist es dem Ausländer nicht möglich, die Botschaft zu einer anderen Verhaltensweise zu zwingen. Gerade auf diese und ähnliche Fälle nimmt der vorgesehene § 60b überhaupt keine Rücksicht.«