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Ruhe bitte! Wer über Abschiebungen redet macht sich unter Umständen strafbar. Grafik: Tina Zapf / PRO ASYL

Der Entwurf des »Geordnete-Rückkehr-Gesetzes« bleibt auch für die Zivilgesellschaft bedrohlich. Statt einen neuen Straftatbestand zu schaffen, verweist er auf bestehende Strafvorschriften zum Geheimnisverrat. Die dort vorgesehene »Beihilfe«, derer sich zivilgesellschaftliche Akteure schuldig machen können, ermöglicht ebenso eine harte Strafe.

Das Auf­ent­halts­ge­setz soll dahin­ge­hend geän­dert wer­den, dass Infor­ma­tio­nen zum kon­kre­ten Ablauf einer Abschie­bung als Geheim­nis­se im straf­recht­li­chen Sin­ne ein­ge­stuft wer­den. Das bedeu­tet: Wer die­se Geheim­nis­se ver­rät, macht sich straf­bar. Dro­hen kön­nen bis zu fünf Jah­re Haft. Die Straf­vor­schrift bezieht sich zwar zunächst auf Amtsträger*innen oder ander­wei­tig im öffent­li­chen Dienst Beschäf­tig­te, wenn sie sol­che Infor­ma­tio­nen wei­ter­ge­ben. Aber auch ande­re Per­so­nen kön­nen sich »wegen Anstif­tung oder Bei­hil­fe zur Haupt­tat« straf­bar machen. Ande­re Per­so­nen – das sind Berater*innen, Mitarbeiter*innen in Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tio­nen, Ehren­amt­li­che. Aus­ge­nom­men von der Bei­hil­fe sind nur Journalist*innen. Und wer der Bei­hil­fe bezich­tigt wird, kann ähn­lich hart bestraft wer­den wie die Haupttäter*innen.

Um welche Informationen geht es? 

Laut Gesetz­ent­wurf vom 11. April 2019 soll es um »Infor­ma­tio­nen zum kon­kre­ten Ablauf einer Abschie­bung« gehen – schwam­mig und weit­ge­hend. Ledig­lich bei­spiel­haft wer­den ein­zel­ne Punk­te benannt.

Eine Infor­ma­ti­on, die den Betrof­fe­nen im Vor­hin­ein bekannt gege­ben wer­den muss, kann nicht gleich­zei­tig eine »gehei­me« Infor­ma­ti­on sein – das ist absurd!

Infor­ma­tio­nen über die Anord­nung bestimm­ter Mit­wir­kungs­pflich­ten fal­len dem Gesetz­ent­wurf zufol­ge unter den Ablauf einer Abschie­bung. Dabei han­delt es sich bei­spiels­wei­se um die Auf­for­de­rung an einen Aus­rei­se­pflich­ti­gen zur Bot­schaft zu gehen oder eine ärzt­li­che Unter­su­chung durch­füh­ren zu las­sen. Die­se Pflich­ten wer­den den Betrof­fe­nen zuvor schrift­lich mit­ge­teilt, sonst könn­ten sie der Auf­for­de­rung ja über­haupt nicht nach­kom­men. Die Absur­di­tät einer »Geheim­hal­tungs­pflicht« liegt damit auf der Hand: Eine Infor­ma­ti­on, die den Betrof­fe­nen im Vor­hin­ein bekannt gege­ben wer­den muss, kann nicht gleich­zei­tig eine »gehei­me« Infor­ma­ti­on sein.

Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sind äußerst umstrit­ten und dadurch Bestand­teil einer wich­ti­gen öffent­li­chen Debatte

Bei­spiel­haft auf­ge­führt ist außer­dem die Ver­öf­fent­li­chung von Abschie­bungs­ter­mi­nen, obwohl genau solch eine Infor­ma­ti­on rele­vant für den effek­ti­ven Rechts­schutz der mög­li­cher­wei­se betrof­fe­nen Per­so­nen sein kann. Nicht sel­ten wer­den durch gericht­li­che Inter­ven­ti­on Abschie­bun­gen gestoppt, da sie rechts­wid­rig wären. Rechts­wid­ri­ge Abschie­bun­gen kön­nen für die Betrof­fe­nen fata­le Fol­gen haben, beson­ders wenn sie ver­bo­te­ner Wei­se in einen Staat zurück gebracht wer­den, in dem sie ver­folgt wur­den. Die Bekannt­ma­chung eines geplan­ten Abschie­be­flu­ges kann also essen­ti­ell für den Rechts­schutz der betrof­fe­nen Per­so­nen sein. Der Vor­schlag, die Ver­öf­fent­li­chung von Abschie­be­ter­mi­nen zu kri­mi­na­li­sie­ren, scheint auf die Bekannt­ma­chung von Abschie­be­flü­gen nach Afgha­ni­stan gemünzt zu sein. Die­se Abschie­bun­gen sind äußerst umstrit­ten und dadurch Bestand­teil einer wich­ti­gen öffent­li­chen Debat­te über die Sicher­heits- und Men­schen­rechts­la­ge in Afghanistan.

Wer kann belangt werden?

Die Straf­norm des § 353b StGB (Ver­let­zung des Dienst­ge­heim­nis­ses und einer beson­de­ren Geheim­hal­tungs­pflicht)  bezieht sich zunächst auf »Amts­trä­ger« und »für den öffent­li­chen Dienst beson­ders Ver­pflich­te­te«. Es geht also um Per­so­nen, die beruf­lich mit Abschie­bun­gen zu tun haben und zur Geheim­hal­tung ver­pflich­tet wer­den. Wenn sie die­se ver­let­zen, wäre das die soge­nann­te »Haupt­tat«.  Ande­re Per­so­nen, die nicht im öffent­li­chen Dienst tätig sind, kön­nen sich wegen Anstif­tung oder Bei­hil­fe schul­dig machen. Das kann ent­spre­chend alle zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­re tref­fen, aus­ge­nom­men sind nur Journalist*innen.

»Nach dem vor­lie­gen­den Gesetz­ent­wurf müs­sen Bera­ten­de nun­mehr befürch­ten, sich der Bei­hil­fe oder Anstif­tung zum Geheim­nis­ver­rat straf­bar zu machen.«

Deut­sches Rotes Kreuz

Das Deut­sche Rote Kreuz erklärt dazu in deren Stel­lung­nah­me: »Sucht eine Bera­te­rin um Aus­kunft bei einer Aus­län­der­be­hör­de zum kon­kre­ten Ver­fah­rens­stand eines Rat­su­chen­den, könn­te sie damit zu einer Straf­tat anstif­ten, wenn der Mit­ar­bei­ten­de in der Aus­län­der­be­hör­de Infor­ma­tio­nen zu Ter­mi­nen bei Bot­schaf­ten und Amts­ärz­ten mit­teilt und die Bera­te­rin die­sem dem Rat­su­chen­den zum Zwe­cke der umfas­sen­den Sach­ver­halts­auf­klä­rung wei­ter­gibt. Nach dem vor­lie­gen­den Gesetz­ent­wurf müs­sen Bera­ten­de nun­mehr befürch­ten, sich der Bei­hil­fe oder Anstif­tung zum Geheim­nis­ver­rat straf­bar zu machen. Die Arbeit der Bera­tungs­stel­len wird damit wesent­lich erschwert

Was sind mögliche strafrechtliche Folgen? 

Die Stra­fe für Bei­hil­fe rich­tet sich nach der Stra­fe für die Haupt­tat, was in die­sem Fall bis zu fünf Jah­re Haft oder eine Geld­stra­fe ist. Im Ver­gleich zu der Per­son, die die Haupt­tat began­gen hat, wird die Per­son, die ledig­lich »gehol­fen« hat, mil­der bestraft. Eine Haft­stra­fe ist des­we­gen aber nicht aus­ge­schlos­sen. Für Anstif­tung wird die glei­che Stra­fe wie für die Haupt­tat verhängt.

Was heißt das für die deutsche Zivilgesellschaft? 

Die Hal­tung, die im Gesetz­ent­wurf zu Tage tritt, zeugt von einem grund­sätz­li­chen Miss­trau­en gegen­über zivil­ge­sell­schaft­li­chem Enga­ge­ment, wie der Flücht­lings­be­ra­tung. Die Ein­stu­fung des gesam­ten Ablaufs der Abschie­bung als »Geheim­nis« und die damit anvi­sier­te Ein­schrän­kung der öffent­li­chen Debat­te zu dem The­ma greift in die Infor­ma­ti­ons­frei­heit ein – ohne, dass dies im Geset­zes­ent­wurf über­haupt berück­sich­tigt wird. Auch stellt sich die Fra­ge, wie bei über­fall­ar­ti­gen Abschie­bun­gen die Rechts­staat­lich­keit noch garan­tiert wer­den kann – denn im Gegen­satz zu Behör­den, kön­nen sich Rechtsanwält*innen ohne die Bekannt­ga­be von Abschie­be­ter­mi­nen auch nicht auf erhöh­tes Arbeits­auf­kom­men vor­be­rei­ten. So wird ris­kiert, dass von der Abschie­bung betrof­fe­ne Men­schen kei­nen effek­ti­ven Zugang zum Rechts­schutz haben.

Der Gesetz­ent­wurf zielt auf eine Abschre­ckungs­wir­kung – und das ist Teil eines welt­wei­ten Trends

Es droht eine star­ke Ver­un­si­che­rung von zivil­ge­sell­schaft­lich enga­gier­ten Men­schen. Gera­de ehren­amt­li­che und haupt­amt­li­che Berater*innen wer­den sich nun fra­gen, wel­che Infor­ma­tio­nen sie im Rah­men ihrer Bera­tungs­funk­ti­on geben dür­fen. Sie neh­men oft­mals eine ver­mit­teln­de Posi­ti­on zwi­schen Behör­den und Betrof­fe­nen ein und ver­su­chen ins­be­son­de­re zur recht­li­chen Situa­ti­on auf­zu­klä­ren. Das wird mit dem neu­en Gesetz­ent­wurf erheb­lich erschwert. Wenn sie Angst haben müs­sen durch ihre haupt- oder ehren­amt­li­che Arbeit straf­recht­lich belangt zu wer­den, wer­den sich Bera­te­rin­nen und Bera­ter genau über­le­gen, wei­ter­hin in die­sem Bereich tätig zu sein.

Die­se Kri­mi­na­li­sie­rungs­ver­su­che mit ihrer beab­sich­tig­ten Abschre­ckungs­wir­kung sind Teil eines welt­wei­ten Trends, das Enga­ge­ment der Zivil­ge­sell­schaft immer wei­ter ein­zu­schrän­ken. Ähn­li­chen Ent­wick­lun­gen müs­sen wir in Deutsch­land jetzt ent­schie­den entgegentreten!

(tz/wj)