News
Erzwungene Geheimniskrämerei –wie das BMI weiter versucht, Zivilgesellschaft zu kriminalisieren
Der Entwurf des »Geordnete-Rückkehr-Gesetzes« bleibt auch für die Zivilgesellschaft bedrohlich. Statt einen neuen Straftatbestand zu schaffen, verweist er auf bestehende Strafvorschriften zum Geheimnisverrat. Die dort vorgesehene »Beihilfe«, derer sich zivilgesellschaftliche Akteure schuldig machen können, ermöglicht ebenso eine harte Strafe.
Das Aufenthaltsgesetz soll dahingehend geändert werden, dass Informationen zum konkreten Ablauf einer Abschiebung als Geheimnisse im strafrechtlichen Sinne eingestuft werden. Das bedeutet: Wer diese Geheimnisse verrät, macht sich strafbar. Drohen können bis zu fünf Jahre Haft. Die Strafvorschrift bezieht sich zwar zunächst auf Amtsträger*innen oder anderweitig im öffentlichen Dienst Beschäftigte, wenn sie solche Informationen weitergeben. Aber auch andere Personen können sich »wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Haupttat« strafbar machen. Andere Personen – das sind Berater*innen, Mitarbeiter*innen in Flüchtlingsorganisationen, Ehrenamtliche. Ausgenommen von der Beihilfe sind nur Journalist*innen. Und wer der Beihilfe bezichtigt wird, kann ähnlich hart bestraft werden wie die Haupttäter*innen.
Um welche Informationen geht es?
Laut Gesetzentwurf vom 11. April 2019 soll es um »Informationen zum konkreten Ablauf einer Abschiebung« gehen – schwammig und weitgehend. Lediglich beispielhaft werden einzelne Punkte benannt.
Eine Information, die den Betroffenen im Vorhinein bekannt gegeben werden muss, kann nicht gleichzeitig eine »geheime« Information sein – das ist absurd!
Informationen über die Anordnung bestimmter Mitwirkungspflichten fallen dem Gesetzentwurf zufolge unter den Ablauf einer Abschiebung. Dabei handelt es sich beispielsweise um die Aufforderung an einen Ausreisepflichtigen zur Botschaft zu gehen oder eine ärztliche Untersuchung durchführen zu lassen. Diese Pflichten werden den Betroffenen zuvor schriftlich mitgeteilt, sonst könnten sie der Aufforderung ja überhaupt nicht nachkommen. Die Absurdität einer »Geheimhaltungspflicht« liegt damit auf der Hand: Eine Information, die den Betroffenen im Vorhinein bekannt gegeben werden muss, kann nicht gleichzeitig eine »geheime« Information sein.
Abschiebungen nach Afghanistan sind äußerst umstritten und dadurch Bestandteil einer wichtigen öffentlichen Debatte
Beispielhaft aufgeführt ist außerdem die Veröffentlichung von Abschiebungsterminen, obwohl genau solch eine Information relevant für den effektiven Rechtsschutz der möglicherweise betroffenen Personen sein kann. Nicht selten werden durch gerichtliche Intervention Abschiebungen gestoppt, da sie rechtswidrig wären. Rechtswidrige Abschiebungen können für die Betroffenen fatale Folgen haben, besonders wenn sie verbotener Weise in einen Staat zurück gebracht werden, in dem sie verfolgt wurden. Die Bekanntmachung eines geplanten Abschiebefluges kann also essentiell für den Rechtsschutz der betroffenen Personen sein. Der Vorschlag, die Veröffentlichung von Abschiebeterminen zu kriminalisieren, scheint auf die Bekanntmachung von Abschiebeflügen nach Afghanistan gemünzt zu sein. Diese Abschiebungen sind äußerst umstritten und dadurch Bestandteil einer wichtigen öffentlichen Debatte über die Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan.
Wer kann belangt werden?
Die Strafnorm des § 353b StGB (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) bezieht sich zunächst auf »Amtsträger« und »für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete«. Es geht also um Personen, die beruflich mit Abschiebungen zu tun haben und zur Geheimhaltung verpflichtet werden. Wenn sie diese verletzen, wäre das die sogenannte »Haupttat«. Andere Personen, die nicht im öffentlichen Dienst tätig sind, können sich wegen Anstiftung oder Beihilfe schuldig machen. Das kann entsprechend alle zivilgesellschaftlichen Akteure treffen, ausgenommen sind nur Journalist*innen.
»Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf müssen Beratende nunmehr befürchten, sich der Beihilfe oder Anstiftung zum Geheimnisverrat strafbar zu machen.«
Das Deutsche Rote Kreuz erklärt dazu in deren Stellungnahme: »Sucht eine Beraterin um Auskunft bei einer Ausländerbehörde zum konkreten Verfahrensstand eines Ratsuchenden, könnte sie damit zu einer Straftat anstiften, wenn der Mitarbeitende in der Ausländerbehörde Informationen zu Terminen bei Botschaften und Amtsärzten mitteilt und die Beraterin diesem dem Ratsuchenden zum Zwecke der umfassenden Sachverhaltsaufklärung weitergibt. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf müssen Beratende nunmehr befürchten, sich der Beihilfe oder Anstiftung zum Geheimnisverrat strafbar zu machen. Die Arbeit der Beratungsstellen wird damit wesentlich erschwert.«
Was sind mögliche strafrechtliche Folgen?
Die Strafe für Beihilfe richtet sich nach der Strafe für die Haupttat, was in diesem Fall bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe ist. Im Vergleich zu der Person, die die Haupttat begangen hat, wird die Person, die lediglich »geholfen« hat, milder bestraft. Eine Haftstrafe ist deswegen aber nicht ausgeschlossen. Für Anstiftung wird die gleiche Strafe wie für die Haupttat verhängt.
Was heißt das für die deutsche Zivilgesellschaft?
Die Haltung, die im Gesetzentwurf zu Tage tritt, zeugt von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement, wie der Flüchtlingsberatung. Die Einstufung des gesamten Ablaufs der Abschiebung als »Geheimnis« und die damit anvisierte Einschränkung der öffentlichen Debatte zu dem Thema greift in die Informationsfreiheit ein – ohne, dass dies im Gesetzesentwurf überhaupt berücksichtigt wird. Auch stellt sich die Frage, wie bei überfallartigen Abschiebungen die Rechtsstaatlichkeit noch garantiert werden kann – denn im Gegensatz zu Behörden, können sich Rechtsanwält*innen ohne die Bekanntgabe von Abschiebeterminen auch nicht auf erhöhtes Arbeitsaufkommen vorbereiten. So wird riskiert, dass von der Abschiebung betroffene Menschen keinen effektiven Zugang zum Rechtsschutz haben.
Der Gesetzentwurf zielt auf eine Abschreckungswirkung – und das ist Teil eines weltweiten Trends
Es droht eine starke Verunsicherung von zivilgesellschaftlich engagierten Menschen. Gerade ehrenamtliche und hauptamtliche Berater*innen werden sich nun fragen, welche Informationen sie im Rahmen ihrer Beratungsfunktion geben dürfen. Sie nehmen oftmals eine vermittelnde Position zwischen Behörden und Betroffenen ein und versuchen insbesondere zur rechtlichen Situation aufzuklären. Das wird mit dem neuen Gesetzentwurf erheblich erschwert. Wenn sie Angst haben müssen durch ihre haupt- oder ehrenamtliche Arbeit strafrechtlich belangt zu werden, werden sich Beraterinnen und Berater genau überlegen, weiterhin in diesem Bereich tätig zu sein.
Diese Kriminalisierungsversuche mit ihrer beabsichtigten Abschreckungswirkung sind Teil eines weltweiten Trends, das Engagement der Zivilgesellschaft immer weiter einzuschränken. Ähnlichen Entwicklungen müssen wir in Deutschland jetzt entschieden entgegentreten!
(tz/wj)