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Europarat-Untersuchung: Wer ist schuld am Flüchtlingssterben im Mittelmeer?
Tineke Strik untersucht im Auftrag des Europarats, wer für den Tod der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer verantwortlich ist. In einem Interview mit ECRE berichtet sie über den Ermittlungsstand.
„Genau in dem Jahr, in dem die Mittelmeerregion der genausten Überwachung unterworfen wurde, wurden die meisten Toten oder Vermissten registriert“, so die niederländische Europarats-Abgeordnete Tineke Strik im Interview mit dem europäischen Flüchtlingsrat ECRE (PDF, engl.).
Seit Januar 2011 sind über 2000 Menschen bei ihrer Flucht nach Europa auf dem Meer umgekommen. Manchen von ihnen wurde trotz rechtzeitiger Hilferufe die Rettung verweigert. In einem Fall mussten 61 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer sterben, obwohl ihr Hilferuf registriert wurde und die Position des schiffbrüchigen Bootes bekannt war. Dieser Fall steht im Zentrum von Striks Ermittlungen.
Striks Untersuchung zeigt, dass das Problem nicht etwa bei bestehenden Gesetzeslücken oder ungeklärten Zuständigkeiten liegt. „Jeder auf See hat die Pflicht, jedem in Seenot geratenen Menschen zu helfen“, fasst Strik die Rechtslage zusammen. Das Seerecht, das humanitäre Völkerrecht und die Regelungen für die Aufnahme von Flüchtlingen liefern klare Vorgaben. „Die Frage ist aber, ob die Staaten bereit sind, diese zu erfüllen“, so Strik.
Aber Striks Kritik geht über die Frage nach der Zuständigkeit für konkrete Rettungsmaßnahmen hinaus. Ihrer Meinung nach könnten Menschen etwa evakuiert werden, noch bevor sie aus Ihrer Not heraus die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer antreten. „Es ist ziemlich merkwürdig, dass wir uns erst dann um die Rettung dieser Menschen bemühen, wenn sie das Risiko zu Ertrinken bereits eingehen mussten“, so Strik. „Man könnte die Leute ja evakuieren bevor sie sich dazu entscheiden, über das Meer zu fliehen“, plädiert sie für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Mehr Solidarität unter den EU-Staaten wäre dringend geboten. Würden die Staaten im Zentrum der EU und damit auch Deutschland die Staaten an den Außengrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützen, würde dies eventuell auch helfen, die Seenotrettung zu verbessern: „Obwohl es keine Entschuldigung dafür gibt, Flüchtlinge in Seenot nicht zu retten, wäre es hilfreich, wenn andere Mitgliedsstaaten ihre Solidarität zeigen würden“, so Strik. Ein gemeinsames Europäisches Asylsystem könnte zur Verbesserung der Sicherheit auf dem Meer beitragen.
Strik kritisiert, dass Italien Fischer wegen angeblichen Menschenschmuggels strafrechtlich verfolgte, ihnen für Jahre die Lizenz entzogen oder Schiffe wochenlang in Häfen behalten hat, weil sie Menschen gerettet hatten. Schiffsbesatzungen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Menschen in Seenot nicht helfen, und nicht andersherum. „Unterlassene Hilfe darf nicht straffrei bleiben“, so Strik.
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