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Ein Jahr »Hau-Ab-Gesetz II«: Was hat sich getan?

Vor einem Jahr ist das »Zweite Hau-Ab-Gesetz« im Rahmen des Migrationspakets in Kraft getreten. Mit dem Gesetz wurden massive Verschärfungen eingeführt, die auf eine weitere Entrechtung von Geflüchteten abzielen. Die negativen Folgen dieser Neuerungen sind in der Praxis teils schon deutlich spürbar.
Am 7. Juni 2019 wurden im Rahmen des sogenannten »Migrationspakets« gleich acht verschiedene Gesetze vom Bundestag beschlossen. Hierzu gehörte das besonders umstrittene »Zweite Hau-Ab-Gesetz« (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht), das Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung, das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Die wichtigsten asylpolitischen Änderungen haben wir 2019 hier zusammengefasst.
Ein Jahr nach Inkrafttreten des »Zweiten Hau-Ab-Gesetzes« zieht PRO ASYL eine erste Bilanz.
Verlängerter Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtung: Problem verschärft sich während Corona
Mit dem »Zweiten Hau-Ab-Gesetz« wurde die Verpflichtung zur Wohnsitznahme in Erstaufnahmeeinrichtungen von sechs Monate auf bis zu anderthalb Jahre (18 Monate) ausgeweitet. Erstaufnahmeeinrichtungen sind große Sammelunterkünfte, die oft abgelegen sind. PRO ASYL lehnt wegen der damit drohenden bis zu anderthalbjährigen Isolierung schutzsuchender Menschen eine solche langangelegte Massenunterbringung ab. Diese bringt verschiedene Folgeprobleme mit sich, wie mangelnde zivilgesellschaftliche und anwaltliche Unterstützung.
Die Auswirkung dieser Gesetzesänderung war schnell sichtbar. Aus Hessen wurde im November 2019 berichtet, dass seit Inkrafttreten der Regelung fast keine Asylsuchenden mehr aus der Erstaufnahmeeinrichtung auf die Kommunen verteilt wurden. Damit stieg innerhalb von nur drei Monaten die Zahl der Personen in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung um 1.000 Menschen.
Die Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland sind also seit August 2019 voller und voller geworden – womit bis zum März 2020 eine Vielzahl an geflüchteten Menschen in Unterkünften mit mehreren Hundert Personen wohnte. Sie müssen für die Essenausgabe oder die Waschmaschine in langen Schlangen stehen, teilen sich mit fremden Menschen Zimmer und Sanitäranlagen. Was schon unter normalen Bedingungen enorm belastend für die betroffenen Menschen ist, wird mit Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland zur Krise.
Was schon unter normalen Bedingungen enorm belastend für die betroffenen Menschen ist, wird mit Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland zur Krise.
Die erste Public Health-Studie zum Corona-Virus in Unterkünften für geflüchtete Menschen kam Ende Mai auf 42 Gemeinschaftsunterkünfte und Erstaufnahmeeinrichtungen mit Corona-Infektionen, in denen 9.785 Menschen untergebracht waren, von denen sich 1.781 an COVID-19 infiziert hatten. In der Studie wurde damit ein Ausbreitungsrisiko des Corona-Virus von 17% festgestellt, was vergleichbar ist mit den Corona-Hotspots auf Kreuzfahrtschiffen.
Teilweise monatelange Vollquarantäne
Besonders erschreckend: Die Studie hat festgestellt, dass in 30 von 42 Sammelunterkünften beim Auftreten von COVID-19 eine Vollquarantäne verhängt wurde. Bei einer Vollquarantäne wird allen Bewohner*innen verboten die Unterkunft zu verlassen, selbst wenn ihr Corona-Test negativ war und sie keine Kontaktperson der Infizierten sind. So kommt es in den Unterbringungen zu immer neuen Infizierungen, was zu Kettenquarantänen führt.
Im bayrischen AnkER-Zentrum Geldersheim dauerte die Quarantäne zwei Monate. In einigen Wohnblocks in der brandenburgischen Unterkunft Stolpe-Süd in Hennigsdorf galt die Ausgangssperre für anderthalb Monate. Eine solche lange Quarantäne und Ausgangssperre wäre für alle Menschen eine extreme Belastung. Für die Bewohner*innen von Sammelunterkünften kommt aber noch die erhöhte Gefahr einer Ansteckung dazu, die fehlende Privatsphäre und Mangel an Ablenkungsmöglichkeiten – oft gibt es noch nicht einmal kostenloses WLAN. Obwohl die Expert*innen der Studie und das Robert Koch-Institut von solchen Vollquarantänen dringend abraten, wird auch im Sommer 2020 immer wieder von solchen berichtet (z. B. im Juli in Brandenburg).
Die Corona-Krise hat einmal mehr gezeigt, wie fatal der Trend der letzten Jahre hin zur Massenunterkunft ist.
Abschiebungszahlen wegen Corona im Keller – der Wille bei Behörden weiter da
Der Fokus des »Zweiten Hau-Ab-Gesetzes« lag – wie es der Name schon vermuten lässt – auf dem Bereich der Abschiebung. Mit verschiedenen Maßnahmen sollten die Abschiebungszahlen, an denen in Deutschland mittlerweile anscheinend eine erfolgreiche Asylpolitik gemessen wird, in die Höhe getrieben werden. Insbesondere wurden verschiedene Regelungen zur Abschiebungshaft verschärft, um die Inhaftnahme zu erleichtern.
Die Corona-Pandemie schob diesem Abschiebungswahn im März 2020 vorerst einen Riegel vor: Die meisten Herkunftsländer schlossen ihre Grenzen und machten ihre Flughäfen dicht, die Abschiebungsmaschinerie kam fast zum Erliegen. Wie verbissen deutsche Behörden selbst in einer solchen Situation versuchen, mit allen Mitteln an der Durchführung von Abschiebungen festzuhalten, zeigen u.a. mehrere skandalöse Fälle wie der Versuch zwei Frauen per extra gebuchtem Charterflieger im März in das Corona-Krisenland Iran abzuschieben oder, ebenfalls per Charterflug, eine einzelne Frau Anfang April nach Togo.
Da Abschiebungen in den meisten Fällen nicht mehr möglich waren, mussten auch die meisten Menschen aus den Abschiebehafteinrichtungen entlassen werden. Dass die Hafteinrichtungen nicht komplett leer waren, lag am Eifer mancher zuständiger Behörden, Betroffene möglichst in Haft zu lassen, obwohl vollkommen unklar war, ob bzw. wann eine Abschiebung wieder möglich sein wird.
Ob Risikogebiet oder nicht – mittlerweile schiebt Deutschland wieder vermehrt ab, auch Sammelabschiebungen werden wieder gemeldet. So zum Beispiel nach Serbien, Pakistan und in die Republik Moldau.
Zwei Bundesländer führen Abschiebungshaft in normalen Gefängnissen durch
Seit dem »Zweiten Hau-Ab-Gesetz« können bis Ende Juni 2022 Personen zum Zweck der Abschiebung in normalen Gefängnissen inhaftiert werden, solange sie dort von den Strafgefangenen getrennt sind. Damit wird das europarechtliche Trennungsgebot verletzt, welches vorschreibt, dass es spezielle Abschiebungshafteinrichtungen geben muss. Eine »Notlage«, die europarechtlich eine Abweichung vom Trennungsgebot erlaubt, gibt es in Deutschland nicht.
Der Europäische Gerichtshof hatte 2014 in einem Verfahren zu Deutschland festgestellt, dass eine Unterbringung in der gleichen Einrichtung nicht europarechtskonform ist, da Abschiebungshaft keine Bestrafung ist.
Der Europäische Gerichtshof hatte 2014 in einem Verfahren zu Deutschland festgestellt, dass eine Unterbringung in der gleichen Einrichtung nicht europarechtskonform ist, da Abschiebungshaft keine Bestrafung ist und dementsprechend auch die Umstände der Haft besser und weniger streng sein müssen.
Trotzdem machen bisher zwei Bundesländer Gebrauch von diesem europarechtswidrigen Mittel: Anfang März wurde aus Mecklenburg-Vorpommern gemeldet, dass in der Jugend-Justizvollzugsanstalt Neustrelitz fünf Plätze für die Abschiebungshaft reserviert wurden. Mecklenburg-Vorpommern hat 20 Plätze in der geplanten Abschiebungshaftanstalt Glückstadt in Schleswig-Holstein sicher, die aber erst Anfang 2021 fertig sein soll. Sachsen-Anhalt hat sogar 15 Plätze in normalen Hafteinrichtungen für die Abschiebungshaft vorgesehen.
»Duldung Light«: Trotz Corona in der Praxis virulent
Das »Zweite Hau-Ab-Gesetz« hat eine neue Duldungsform eingeführt, die »Duldung für Personen mit ungeklärter Identität« (»Duldung light«). Tatsächlich beschränkt sich die Anwendung aber nicht auf Personen, deren Identität nicht bekannt ist. Die »Duldung light« kann alle Personen treffen denen vorgeworfen wird, ihre Abschiebung zu verhindern, indem sie falsche Angaben machen, über ihre Identität täuschen oder der neuen »besonderen Passbeschaffungspflicht« nicht nachkommen würden. In der Praxis wurden eben jene Handlungen bislang auch schon verlangt – jedoch oft weit über das zumutbare Maß hinaus.
Angesichts von Fällen, bei denen der betroffenen Person zu Unrecht vorgeworfen wurde, nicht mitzuwirken, sind die nun daraus resultierenden Sanktionen höchst problematisch. Durch die »Duldung light« werden Menschen sozial, rechtlich und wirtschaftlich ausgegrenzt. Der Status wirkt nicht nur stigmatisierend, sondern hat auch scharfe rechtliche Konsequenzen. Sie werden mit Leistungskürzungen, einem pauschalen Arbeitsverbot sowie einer Wohnsitzauflage sanktioniert. Zudem versperrt die »Duldung light« den Weg in ein Bleiberecht.
Durch die »Duldung light« werden Menschen sozial, rechtlich und wirtschaftlich ausgegrenzt. Der Status wirkt nicht nur stigmatisierend, sondern hat auch scharfe rechtliche Konsequenzen.
Bislang gibt es keine validen Daten dazu, wie viele Menschen ein Jahr nach Einführung diesen neuen prekären Status haben, denn das Ausländerzentralregister musste erst entsprechend angepasst werden. Genaue Zahlen werden zum Jahresende erwartet.
Doch von Beratungseinrichtungen und Rechtsanwält*innen ist zu hören, dass die Erteilung der »Duldung Light« schon weit verbreitet ist. Insbesondere zur Hochphase der Ausbreitung des Corona-Virus und der Einschränkung des öffentlichen Lebens in Deutschland war dies ein Unding, da viele der Handlungen, die im Rahmen der »besonderen Passbeschaffungspflicht« verlangt werden, zu dem Zeitpunkt gar nicht vorgenommen werden konnten – z. B. weil Botschaften geschlossen hatten.
Das Bundesinnenministerium hat im April 2020 seine Anwendungshinweise zur »Duldung Light« an die Bundesländer verschickt – ohne entsprechenden Ländererlass sind diese für die Ausländerbehörden aber nicht bindend. Besonders problematisch: Das Bundesinnenministerium vertritt die Ansicht, dass die »Duldung Light« auch dann erteilt werden kann, wenn eine aus Behördensicht mangelnde Mitwirkung bei der Passbeschaffung gar nicht die Ursache dafür ist, dass nicht abgeschoben werden kann, sondern andere Gründe eine Abschiebung unmöglich machen.
Das heißt, jemand, der zum Beispiel wegen einer Erkrankung sowieso nicht abgeschoben werden kann, wird mit dem Argument, dass er*sie sich nicht ausreichend um seine*ihre Papiere kümmert, mit der »Duldung light« bestraft. Bei Arbeitsverboten für geduldete Menschen, denen eine ähnliche Formulierung zu Grunde liegt, sind die Gerichte jedoch überwiegend der Meinung, dass diese nur verhängt werden dürfen, wenn die Gründe für das Arbeitsverbot ausschließlich die Person selbst zu vertreten hat.
Dies muss auf jeden Fall auch für die »Duldung Light« gelten – das Land Berlin hat dies zum Beispiel ausdrücklich so geregelt (siehe die Verfahrenshinweise zum Aufenthalt in Berlin, S. 442). Zu den BMI-Anwendungshinweisen sind die Erläuterungen für die Beratungspraxis des Paritätischen Gesamtverbandes zu empfehlen.
Für mehr Hintergrundinfos zum Thema Duldung siehe hier.
»Unabhängige staatliche Asylverfahrensberatung«: Befürchtungen bestätigen sich
Das BAMF führt mittlerweile (Stand Ende Juni 2020) laut Angabe der Bundesregierung an 21 Standorten eine »Asylverfahrensberatung« gemäß § 12a AsylG durch. Ab dem 22. März 2020 wurde die Beratung aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt, ab Mitte Mai sollte sie langsam wieder aufgenommen werden (vlg. die Meldungen im PRO ASYL Coronaticker). Es würden jeweils zwei Stellen für die »Beratung« eingeplant werden, insgesamt rechnet die Bundesregierung mit 120 Stellen bei bundesweiter »Beratung« durch das BAMF. Für die Gruppenberatung wird 75 Minuten veranschlagt, für die Einzelberatung dagegen nur 30 Minuten. Diese kurze Zeit für die individuelle Beratung verdeutlicht das problematische Verständnis der Bundesregierung einer Asylverfahrensberatung.
Das Kernstück einer tatsächlichen Asylverfahrensberatung im Sinne einer Rechtsberatung, wie sie von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen durchgeführt wird, ist die individuelle Vorbereitung der Person im Lichte ihres Falles auf die Anhörung. Bei einem ablehnenden Bescheid wird zu Rechtsbehelfen beraten und bei deren Einlegung unterstützt. Eine solche umfassende Beratung, insbesondere die Rechtsberatung, unternimmt das BAMF explizit nicht. Sie ist aber essentiell, damit die Betroffenen die ihnen zustehenden Rechte effektiv durchsetzen können. Die entkernte »Beratung« durch das BAMF reicht dafür nicht. Darüber hinaus ist eine Beratung durch die Angestellten der Behörde, die letztlich über den Antrag entscheidet, schlicht nicht unabhängig. Dies hat negative Auswirkungen auf die Bildung eines Vertrauensverhältnisses, welches für eine gute Beratung unerlässlich ist.
Das Kernstück einer tatsächlichen Asylverfahrensberatung ist die individuelle Vorbereitung der Person im Lichte ihres Falles auf die Anhörung. Bei einem ablehnenden Bescheid wird zu Rechtsbehelfen beraten und bei deren Einlegung unterstützt. Eine solche umfassende Beratung, insbesondere die Rechtsberatung, unternimmt das BAMF aber explizit nicht.
Eine der größten Befürchtungen von Anfang an war, dass die BAMF-Beratung die Asylverfahrensberatung durch Wohlfahrtsverbände und Nichtregierungsorganisationen verdrängen würde. Auch wenn die Bundesregierung im Mai 2020 betont, »Das BAMF beabsichtigt nicht, andere Beratungsstrukturen zu ersetzen, zu übernehmen oder zu verdrängen«, so schreibt sie doch in der gleichen Antwort folgendes:
»Da eine Asylverfahrensberatung entsprechend der Auslegung und Anwendungspraxis des BAMF als EU-zuständiger Behörde ab der Aufforderung 2019 aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 12a AsylG durch EU-Mittel nicht mehr gefördert werden kann, wurden diese Maßnahmen auch nicht mehr zur Förderung ausgeschrieben.«
Diese Aussage bezieht sich auf die sogenannte AMIF-Förderung – EU-Gelder, auf die sich Nichtregierungsorganisationen mit Projekten beim BAMF bewerben können. Gleichzeitig gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort aber auch an, dass 2017/2018 ganze 14 Projekte aus dem Bereich der Asylverfahrensberatung über AMIF gefördert wurden. Wenn für solche Beratungsprojekte in Zukunft keine AMIF-Gelder mehr genehmigt werden, würde dies natürlich eine massive Verschiebung der Beratungsstruktur bedeuten.
Auch gibt es aus manchen Bundesländern Hinweise, dass ursprünglich geplante Ausweitungen der zivilgesellschaftlichen Beratung mit Verweis auf die nun erfolgende BAMF-Beratung abgesagt wird, z. B. in Schleswig-Holstein.
(wj)